<108> Reiterei und Fußvolk der Kaiserlichen, die Preußen aber hielten dem Stoße stand und durchbrachen die feindlichen Linien. Prinz Eugen, den die schlechte Haltung der Österreicher empörte, stellte sich an die Spitze der Preußen und sagte, er wolle mit tapferen Leuten in den Kampf gehen, nicht mit Truppen, die Fersengeld gäben. Bekannt ist, daß Lord Marlborough beim Dorf Blindheim 27 Bataillone und 4 Dragonerregimenter gefangen nahm, und daß der Verlust der Schlacht den Franzosen Bayern und Schwaben kostete.

Lord Marlborough begab sich, als der glorreiche Feldzug beendet war, nach Berlin, um Friedrich I. zur Entsendung von Truppen nach Italien zu bestimmen. Der englische Feldherr, der die Entwürfe Karls XII. erraten hatte, als er eine Landkarte auf seinem Tisch ausgebreitet sah, durchschaute den Charakter Friedrichs I. leicht, sobald er einen Blick auf dessen Hof geworfen hatte. Er zeigte sich ganz erfüllt von Ergebenheit und Unterwürfigkeit vor dem König, schmeichelte geschickt seiner Eitelkeit und beeilte sich, ihm das Wasserbecken zu reichen, sobald er sich von der Tafel erhob. Friedrich konnte ihm nicht widerstehen. Die Schmeicheleien des Hofmanns erreichten, was das Verdienst des großen Feldherrn und die Geschicklichkeit des tiefgründigen Staatsmannes vielleicht nicht erlangt hätten. Die Frucht der Unterhandlung war, daß der Fürst von Anhalt mit 8 000 Mann nach Italien zog.

Der Tod der Königin Sophie Charlotte versetzte bald danach den ganzen Hof in Trauer. Sie war eine Fürstin von hervorragendem Verdienst. In ihr vereinigten sich alle Reize ihres Geschlechts mit geistiger Anmut und aufgeklärtem Verstand. In jungen Jahren hatte sie mit ihren Eltern Italien und Frankreich bereist und war für den Thron Frankreichs ausersehen worden. Auf Ludwig XIV. machte ihre Schönheit starken Eindruck. Politische Gründe vereitelten aber ihre Vermählung mit dem Herzog von Burgund1. In Preußen führte die Fürstin den geselligen Geist ein, echte Höflichkeit und die Liebe zu Kunst und Wissenschaft. Sie schuf, wie schon erwähnt, die Königliche Akademie. Sie berief Leibniz und viele andere Gelehrte an ihren Hof. Ihre Wißbegierde suchte den letzten Grund aller Dinge zu erfassen. Leibniz sagte ihr eines Tages, als sie ihn auf diesem Gebiet in die Enge trieb: „Es gibt keine Möglichkeit, Madame, Sie zufriedenzustellen. Sie wollen das Warum vom Warum wissen.“ Charlottenburg war der Sammelpunkt des guten Geschmacks. Ergötzlichkeiten jeder Art, unerschöpflich abwechselnde Feste machten den Aufenthalt genußreich und verliehen dem Hofe Glanz.

Sophie Charlotte war eine starke Seele. Ihre Religion war veredelt, ihre Gemütsart sanft, ihr Geist bereichert durch die Lektüre aller guten französischen und italienischen Bücher. Sie starb zu Hannover im Schoß ihrer Familie. Man wollte


1 Sophie Charlotte (geb. am 20. Oktober 1668, † 1. Februar 1705) ist niemals in Italien gewesen; 1679 weilte sie zwei Monate in Frankreich. Doch war von ihrer Vermählung mit einem französischen Prinzen niemals die Rede. Der Dauphin Ludwig war damals bereits verlobt, und dessen Sohn, der Herzog von Burgund, wurde erst 1682 geboren.