<109> einen reformierten Geistlichen an ihr Sterbebett führen. „Laßt mich sterben,“ sagte sie, „ohne zu disputieren!“ Eine Ehrendame, die sie sehr liebte, zerfloß in Tränen. „Beklagen Sie mich nicht,“ sprach die Königin; „denn meine Wißbegierde nach dem Ursprung der Dinge, den Leibniz mir nie zu erklären vermochte, nach dem Raum und dem Unendlichen, nach dem Sein und dem Nichts wird ja nun bald gestillt sein. Außerdem bereite ich dem König, meinem Gemahl, das Schau spiel einer feierlichen Beisetzung, wodurch er wieder einmal Gelegenheit erhält, seine Prachtliebe zu entfalten.“ Im Sterben empfahl sie ihrem Bruder, dem Kurfürsten von Hannover, die Gelehrten, deren Beschützerin sie gewesen, und die Künste, die sie gepflegt hatte. Friedrich I. fand in der Zeremonie ihrer Leichenfeier Trost über den Verlust einer Gattin, die er niemals genugsam hätte betrauern können.

In Italien entbrannte der Krieg mit neuer Heftigkeit. Die Preußen, die auf Lord Marlboroughs Betreiben dorthin marschiert waren, wurden unter Prinz Eugen bei Cassano geschlagen (1705), und dann bei Calcinato, als General Reventlow, der sie befehligte, dort vom Großprior Vendôme überrumpelt ward (1706). Prinz Eugen konnte wohl geschlagen werden, aber er wußte seine Verluste wieder wettzumachen, wie es einem großen Mann zukommt. Und der Mißerfolg geriet rasch in Vergessenheit, als er die berühmte Schlacht bei Turin1 gewann, an der die Preußen einen Hauptanteil hatten.

Der Herzog von Orleans hatte den Franzosen geraten, aus ihren Verschanzungen hervorzubrechen; aber sein Rat fand keinen Anklang. La Feuillade und Marsin hatten vom Hofe Weisungen, die, wie versichert wird, dahin gingen, keinesfalls eine Schlacht zu wagen. De Niederlage bei Höchstädt hatte den Staatsrat Ludwigs XIV. furchtsam gemacht. Die Franzosen wären den Verbündeten ums Doppelte überlegen gewesen, hätten sie diese außerhalb der Verschanzungen angegriffen. So aber waren sie ihnen nirgends gewachsen, weil die verschiedenen Stellungen, die sie zu verteidigen hatten, von ungeheurer Ausdehnung und überdies durch die Dora getrennt waren. Die Preußen, die den linken Flügel des Bundesheeres bildeten, griffen den rechten Flügel der französischen Verschanzung an, der sich an den Fluß lehnte. Der Fürst von Anhalt war schon am Rande des Schanzgrabens, und der Widerstand der Feinde begann die Wucht seines Ansturms zu hemmen, als drei Grenadiere sich an der Dora entlang schlichen und die Verschanzung an einer Stelle, wo sie nicht gut an den Fluß am gelehnt war, umgingen. Plötzlich erscholl im französischen Heere der Ruf: „Wir sind abgeschnitten!“ Das Heer verläßt seine Stellung, ergreift die Flucht. Gleichzeitig ersteigt der Fürst von Anhalt die Schanzen und gewinnt die Schlacht. Prinz Eugen beglückwünschte den König zu diesem Erfolg. Das Lob seiner Truppen mußte Friedrich um so mehr erfreuen, als es von einem so erprobten Kriegsmanne kam.


1 7. September 1706. Vgl. Bd. III, S. 218; VII, S. 90.