<112> wohin ihm zwei Wege offenstanden. Der eine führte durch Livland, wo alle Nachschübe aus Schweden ihn auf dem Seeweg leicht zu erreichen vermochten. Hier konnte er auch zur See bis an die neue Stadt1 vordringen, die der Zar damals am Gestade der Ostsee erbaute, und das Band für immer zerreißen, das Rußland mit Europa verbinden sollte. Der andere Weg durchquerte die Ukraine und führte durch pfadlose Wüsteneien nach Moskau. Karl XII. entschied sich für diesen, entweder weil er gehört hatte, man könne die Römer nur in Rom besiegen, oder weil gerade die Schwierigkeit der Unternehmung seinen Mut reizte, oder weil er auf den Kosakenfürsten Mazeppa zählte, der ihm versprochen hatte, die schwedische Armee mit Lebensmitteln zu versorgen und mit bedeutender Heeresmacht zu ihm zu stoßen. Der Zar erfuhr jedoch von den Ränken des Kosaken. Er zersprengte die Truppen, die Mazeppa sammelte, und bemächtigte sich seiner Magazine. Daher fand der König von Schweden, als er in der Ukraine ankam, nichts als schauerliche Wüste statt eines Landes, das Unterhalt im Überfluß bot, und statt eines mächtigen Bundesgenossen, der ihm Hilfstruppen zuführte, fand er einen Fürsten, der im Schwedenlager Zuflucht suchte.
Diese Unfälle schreckten Karl XII. nicht ab. Er belagerte Pultawa, als wenn es ihm an nichts gefehlt hätte. Er, der bis dahin unverwundbar gewesen, wurde jetzt am Bein verwundet, als er sich das Vergnügen machte, das elende Nest aus allzu großer Nähe zu besichtigen. Sein General Lewenhaupt, der ihm Lebensmittel, Munition und 13 000 Mann Verstärkung zuführen sollte, wurde vom Zaren dreimal geschlagen und in seiner Notlage gezwungen, die ganze Zufuhr zu verbrennen. Im Lager des Königs kam er mit nur 3 000 Soldaten an, die durch Strapazen entkräftet waren und die Not im Lager noch vermehrten. Bald näherte der Zar sich Pultawa. In der dortigen Ebene schlugen die beiden eigenartigsten Männer ihres Jahrhunderts jene berühmte Schlacht2. Karl XII.,der bis dahin als Schicksalslenker kein Hemmnis seines Willens gefunden hatte, tat alles, was von einem verwundeten, auf der Tragbahre liegenden Fürsten erwartet werden konnte. Peter Alexejewitsch, der bisher nur Gesetzgeber unter Menschikows Beistand gewesen war, bewies an diesem Tage, daß er die Fähigkeiten eines großen Heerführers besaß und von seinen Feinden das Siegen gelernt hatte. Den Schweden ward alles zum Verhängnis: die Verwundung ihres Königs, die ihn am Eingreifen hinderte; der Nahrungsmangel, der ihnen die Kraft zum Streiten nahm; das Irregehen eines detachierten Korps am Tage der Entscheidungsschlacht, die Zahl der Feinde und die Zeit, die sie damit verloren, Schanzen auszuwerfen und ihre Truppen vorteilhaft aufzustellen. Kurz, die Schweden wurden geschlagen und verloren in einem unglücklichen Augenblick die Früchte von neun Jahren, die so reich waren an Mühsalen und Wundern der Tapferkeit.
1 Petersburg.
2 Am 27. Juni 1709.