<122> folgen dieser Meinung nicht, weil sie irrig ist. Ein so überlegener Geist wie der Friedrich Wilhelms durchdrang und erfaßte die größten Fragen. Besser als irgend einer von seinen Ministern oder Generalen kannte er die Interessen des Staates.
Wenn die größten Ideen durch einen Zufall hervorgerufen werden können, so ließe sich sagen, daß englische Offiziere Friedrich Wilhelm den Anstoß für die Pläne gaben, die er in der Folge ausführte. In seiner Jugend, als er die Feldzüge in Flandern mitmachte, fand er einmal, während der Belagerung von Tournai1, zwei englische Generale in lebhaftem Wortgefecht. Der eine behauptete, der König von Preußen würde ohne Subsidien Mühe haben, 15 000 Mann zu besolden; der andere behauptete, der König könne 20 000 unterhalten. Der junge Prinz geriet in Feuer und sagte ihnen: „Der König, mein Vater, unterhält 30 000, sobald er will.“ Die Engländer nahmen die Antwort für einen Augenblickseinfall eines ehrgeizigen jungen Mannes, der die Vorzüge seines Vaterlandes übertrieben herausstreicht. Friedrich Wilhelm aber bewies nach seiner Thronbesteigung, daß er nicht zuviel gesagt hatte. Seine gute Finanzwirtschaft ermöglichte es ihm, vom ersten Jahr seiner Regierung an sogar 50 000 Mann zu halten, ohne daß irgend eine Macht ihm Subsidien bezahlte.
Durch den Frieden von Utrecht waren die Kriegshändel, die den Süden in Atem hielten, teilweise beigelegt. Das hinderte aber nicht die Fortdauer des Kriegs im Norden zwischen Karl XII., der immer noch als Gefangener in Adrianopel2 war, und dem Zaren, König August von Polen und König Friedrich IV. von Dänemark, die sich gegen ihn verbündet hatten.
Friedrich Wilhelm wollte sich keinesfalls in die nordischen Kriegswirren mischen. Nach dem Vorbild seines Vaters beobachtete er strikte Neutralität. Die vorteilhafte Lage seiner Staaten, die Zahl seiner Truppen und das Bedürfnis nach seinem Beistand bewirkten, daß er von beiden Parteien umworben wurde. Er sah wohl, daß die Art und die Nähe des Krieges ihn über kurz oder lang zum Eingreifen nötigen würden. Aber er verlor nichts dabei, wenn er sich abwartend verhielt. Vielleicht auch wollte er erst sehen, nach welcher Seite das Glück sich wenden werde, bevor er Verpflichtungen auf sich nahm, die ihn nachher banden.
Das Verhängnis, vom gewöhnlichen Volk Zufall, von den Theologen Vorbestimmung genannt und von den Weisen als Folge menschlicher Unklugheit gedeutet, das Verhängnis, sage ich, versteifte sich noch immer darauf, Karl XII. zu verfolgen. Während er seine Zeit damit verlor, in Konstantinopel gegen den Zaren zu wühlen, zog sich sein General Stenbock, der an den unglücklichen Einwohnern Altonas unerhörte Grausamkeiten verübt hatte, beim Nahen der Moskowiter und Sachsen nach Tönningen zurück. Seine Absicht war, die Eider auf dem Eis zu überschreiten. Sein Unglück wollte, daß unvermutet Tauwetter eintrat. Da er für den Über-
1 Vgl. S. 113.
2 In Demotika bei Adrianopel.