<123>gang keine Brücke zur Verfügung hatte und sich von Feinden umringt sah, war er gezwungen, sich mit seinen 12 000 Mann gefangen zu geben.

Der Verlust dieser Truppen und die Schmach, die ihre Gefangennahme den schwebischen Waffen brachte, waren jedoch nur Vorläufer größeren Unglücks, das dem Schwedenreich drohte. Die schlechte Haltung des Generals Stenbock wirkte hauptsächlich auf Schwedisch-Pommern zurück. Die russischen und sächsischen Heere sahen keine Feinde mehr vor sich und schickten sich schon an, dort einzudringen. Pommern drohte von neuem der Kriegsschauplatz zu werden. Aus Furcht davor machten der Herzog-Regent von Holstein1 und General Wellingk, Statthalter von Pommern, dem König von Preußen den Vorschlag, Schwedisch-Pommern in Sequester zu nehmen2. Ihre Verlegenheit war um so größer, als sie keine Truppen zur Verteidigung der Provinz hatten. Aus Haß gegen die Moskowiter nahmen sie ihre Zuflucht zu einem so verzweifelten Rettungsmittel. Und der Haß machte sie so blind gegen die Interessen ihres Herrn, daß sie es lieber gesehen hätten, wenn ganz Pommern unter preußische Herrschaft gekommen wäre als nur ein einziges Dorf in den Besitz des Zaren.

Dem König dünkte das Anerbieten des Herzogs-Regenten und Wellingks sehr vorteilhaft. Mit Vergnügen erklärte er sich zur Sequestrierung Pommerns bereit3. Er sah darin das Mittel, den Frieden in der seinen Staaten benachbarten Provinz zu wahren. 20 000 Preußen setzten sich unverzüglich in Marsch und lagerten an der Grenze Pommerns. Zugleich begab sich Bassewitz, Minister des Herzogs von Holstein, in Begleitung des Generals Arnim4, den der König von Preußen entsandt hatte, nach Stettin und wies im Namen Wellingks den dortigen Kommandanten Meyerfeldt an, die Stadt den Preußen auszuliefern. Meyerfeldt, der die Denkart seines Herrn kannte, weigerte sich, zu gehorchen, und verlangte Frist, um von der Regentschaft in Stockholm positive Verhaltungsmaßregeln zu erbitten. Meyerfeldts Weigerung war ein authentisches Zeugnis dafür, daß Wellingk sich zuviel Autorität angemaßt hatte und aus Übereilung weiter gegangen war, als er durfte und seine Vollmacht reichte. Der König, der die Sequestrierung bloß aus Gefälligkeit übernommen hatte, ließ nun davon ab, ohne die mindeste Verstimmung kundzugeben. Er zog seine Truppen sogleich zurück und überließ Pommern seinem Schicksal. Für die Schweden war es rühmlicher, Pommern im Kampf zu verlieren, als es mit Hilfe der Sequestrierung zu behalten.

Menschikow hatte Stenbock in Holstein entwaffnet und fiel nun mit den Moskowitern und Sachsen über Pommern her. Sofort belagerte er Stettin, ließ die Stadt


1 Herzog Christian August von Holstein-Gottorp, Administrator von Lübeck, der für seinen minderjährigen Neffen, Herzog Karl Friedrich von Holstein, die Regentschaft führte. Falls Karl XII. kinderlos starb, hatte das Haus Gottorp Ansprüche auf die Erbfolge in Schweden.

2 In der ersten Niederschrift des Königs folgt der Satz: „Dies Heilmittel war seltsam; es glich der Turteltaube, die zum Adler fiüchtet, damit er sie vor dem Geier schütze.“

3 Vertrag vom 22. Juni 1713.

4 Generalleutnant Georg Abraham von Arnim.