<143> hatte es versäumt, sich um die gewohnte Zeit die Ader schlagen zu lassen, und wurde in den Armen der Frau von Phalaris vom Schlage getroffen, in einem Augenblick der Ekstase, der es zweifelhaft ließ, ob er mit freudiger oder schmerzlicher Empfindung den Geist aufgegeben hatte. Als König August von Polen die näheren Umstände dieses Todesfalls erfuhr, sprach er die Worte der Schrift: „O daß meine Seele den Tod dieses Gerechten sterbe!“ Kardinal Dubois war dem Regenten einige Monate vorangegangen; im Volke hieß es nun, er sei vorausgereist, um dem Regenten bei einer Fillon der anderen Welt Quartier zu bestellen.

Die Regentschaft fand mit dem Tod des Herzogs von Orleans ihr Ende, und der Herzog von Bourbon ward Premierminister.

Der Wechsel in der Regierung Frankreichs und einige Unternehmungen des Hauses Österreich, die den Friedensverträgen zuwiderliefen, führten eine Änderung im ganzen politischen System Europas herbei. Es handelte sich um folgendes: Der Kaiser hatte den Kaufleuten von Ostende Vollmachten zum Handel mit Indien ausstellen lassen1. Das erregte die Aufmerksamkeit aller handeltreibenden Nationen. Frankreich, England und Holland wurden durch den für sie gleich nachteiligen Plan heftig beunruhigt und vereinigten sich, um die Unterdrückung der neuen Handelskompagnie zu fordern. Aber der Wiener Hof ließ sich dadurch nicht aus seiner Ruhe bringen und wollte sein Handelsprojekt stolzen Mutes durchführen.

Man nahm seine Zuflucht zur gütlichen Aussprache. Sie erschien als das rechte Mittel zur Beendigung dieses Zwists und zum Ausgleich anderer Interessengegensätze, wie sie hinsichtlich der Eventual-Erbfolge in Parma und Piacenza2 bestanden. Es wurde ein Kongreß nach Cambrai berufen (1724). Aber niemand wollte von seinem Standpunkt weichen. Die Gesandten disputierten, wie billig, mit Feuereifer. Jeder stützte seine Sache mit Argumenten, auf die es nach seiner Meinung keine Erwiderung gab. Die Gasthausbesitzer und Weinhändler bereicherten sich, die Fürsten bezahlten die Kosten, und der Kongreß ging auseinander, ohne irgend etwas entschieden zu haben.

Während die Staatsmänner vergeblich so bedeutende Fragen erörterten, entzog sich Philipp V. der Aufsicht seiner Gattin und dankte plötzlich zugunsten seines Sohnes Ludwig ab. Um ihm die Krone zu verschaffen, deren er sich nun freiwillig begab, hatte Frankreich so viele Schätze vergeudet! Allein der Tod seines Sohnes drückte dem König die Zügel der Regierung wieder in die Hand und ließ ihm keine Zeit, seiner Abdankung nachzutrauern3.

Kaum hatte er den Thron wieder bestiegen, als er ohne Englands Vorwissen einen Handelsvertrag mit dem Kaiser schloß4. Graf Königsegg, Karls VI. Botschafter


1 Die Ostendische Handelsgesellschaft war 1722 begründet worden.

2 Vgl. S. 133.

3 Am 15. Januar 1724 hatte Philipp V. abgedankt, sein Sohn Ludwig starb am 31. August, und Philipp übernahm am 6. September des Jahres die Regierung wieder.

4 Gleichzeitig mit dem Handelsvertrag wurde im Mai 1725 die weiter unten erwähnte Allianz geschlossen.