<145> die mit höflichen Redensarten verbrämt waren, gab er ihm zu verstehen, daß er nicht gleichgültig zusehen werde, wenn die Erblande des Kaisers angegriffen würden.
Unter diesen Umständen starb Peter I. und hinterließ der Welt den Ruf nicht sowohl eines großen als eines außergewöhnlichen Mannes, der unter den Grausamkeiten eines Tyrannen die Tugenden eines Gesetzgebers barg. Kaiserin Katharina, seine Gattin, übernahm seine Nachfolge.
Sie war eine geborene Livländerin von niedrigster Herkunft, Witwe eines schwedischen Unteroffiziers und nacheinander die Mätresse mehrerer russischer Offiziere, dann Menschikows. Schließlich verliebte sich der Zar in sie und eignete sie sich an. Im Jahre 1711, als er sich mit seinem Heer dem Pruth näherte, setzten die Türken über den Fluß und verschanzten sich gegenüber seinem Lager. Er hatte 200 000 Feinde vor sich und im Rücken einen Fluß, den er nicht überschreiten konnte, da es an Brücken fehlte. Der Großwesir griff ihn zu wiederholten Malen an. Als seine Truppen mehrmals zurückgeschlagen waren, änderte er seinen Plan. Durch die Aussage eines Überläufers erfuhr er, daß das moskowitische Heer unter furchtbarem Mangel zu leiden hatte und im Lager des Zaren nur noch für wenige Tage Lebensmittel vorhanden waren. Daraufhin begnügte er sich damit, die Russen zu blockieren. Gerade das hatte Peter I. am meisten gefürchtet. Sein Heer war beinahe aufgerieben. Ihm blieben kaum 30 000 Mann, und die waren vom Elend niedergedrückt, vom Hunger entkräftet, ohne Hoffnung und folglich mutlos. In dieser verzweifelten Lage faßte der Zar einen Entschluß, der seiner Seelengröße würdig war. Er gab dem Feldmarschall Scheremetjew Befehl, das Heer solle sich bereit halten, am nächsten Morgen mit dem Bajonett sich einen Weg durch die Feinde zu bahnen. Hierauf ließ er alles Gepäck verbrennen und zog sich, von Schmerz überwältigt, in sein Zelt zurück. Katharina allein behielt inmitten der allgemeinen Verzweiflung den Kopf oben, während jedermann auf Tod oder Sklaverei gefaßt war. Ihr Mut strafte ihr Geschlecht und ihre Herkunft Lügen. Sie hielt Rat mit den Generalen und beschloß, die Türken um Frieden zu bitten. Der Kanzler Schaffirow setzte den Brief Peters I. an den Wesir auf, und mit Zärtlichkeiten, Bitten und Tränen brachte Katharina den Zaren dazu, ihn zu unterzeichnen. Darauf raffte sie alle Schätze zusammen, die sie im Lager noch auftreiben konnte, und schickte sie dem Wesir.
Nach mehrmaliger Abweisung taten die Geschenke ihre Wirkung. Der Friede ward geschlossen. Durch die Abtretung von Azow an die Türken zog sich Peter I. aus einer Lage, die ebenso gefahrvoll war wie jene, in die Karl XII. bei Pultawa, dem Wendepunkt seines Glückes, geriet. Die Dankbarkeit des Zaren entsprach dem Dienst, den Katharina ihm erwiesen hatte. Er fand sie wert, den Staat zu regieren, den sie gerettet hatte. Er erklärte sie für seine Gemahlin, und sie ward zur Kaiserin gekrönt. Sie regierte Rußland mit Klugheit und Festigkeit und hielt sich an die Verpflichtungen, die der Zar mit Kaiser Karl VI. eingegangen war.