<231> noch auf dem tiefen Einbruch den der biedere Charakter des Kardinals auf die Gemüter gemacht hatte. Es hieß darin im wesentlichen: „Nicht aus eigennützigen oder ehrgeizigen Absichten griffe der König zu den Waffen. Seine Majestät begnügte sich mit dem Besitz eines blühenden Reiches und mit der Herrschaft über ein treues Volk, und es läge nicht in seiner Absicht, die Grenzen seines Staates zu erweitern.“ Trotzdem zeigte es sich in der Folge, daß Seine Majestät sich lediglich aus Friedensliebe bestimmen ließ, Lothringen anzunehmen und Deutschland von einer Provinz zu befreien, die allerdings seit unvordenklichen Zeiten zum Reiche gehört hatte, ihm aber wegen ihrer unbequemen, isolierten Lage lästig geworden war. Überdies mußte Lothringen, um den Frieden fest zu begründen, notwendig zugunsten Frankreichs geräumt werden, da es sonst zum steten Zankapfel hätte werden können. Außerdem mußte Frankreich eine Kriegsentschädigung erhalten. Aus alledem geht deutlich hervor, daß der König die positiven Zusicherungen seines Manifestes restlos erfüllt hat.
Prüft man Spaniens Verhalten mit gleicher Aufmerksamkeit, so erkennt man, daß der Wiener oder der Erbfolgevertrag1 kein dauerhaftes Werk war, und daß der König von Spanien den Erbansprüchen auf die italienischen Staaten nur so weit entsagte, als er auf ihre Durchführung nicht hoffen konnte.
Ich behaupte nichts, was ich nicht zu beweisen vermag. Der berüchtigte Vertrag von Sevilla zwischen Spanien und England2 enthüllt Spaniens Absichten ziemlich deutlich. Er genügt zu dem bündigen Nachweis, daß alle Eroberungen in Italien nur die Folge von unwandelbaren Grundsätzen sind, die die spanische Krone als Basis ihrer Politik ansieht. Man glaube ja nicht, ich zöge den Vertrag von Sevilla hier an den Haaren herbei! Es bedarf nur einiger Überlegung, um Spaniens Absichten durch ihn wie durch einen Gazeschleier zu erkennen.
Die Invasionspolitik hat den Grundsatz, daß der erste Schritt zur Eroberung eines Landes darin besieht, zunächst in ihm Fuß zu fassen: das ist das Schwerste. Alles weitere entscheidet das Waffenglück und das Recht des Stärkeren.
Unter welchem Vorwand hätte Spanien nun Truppen in Italien einrücken lassen können, hätte der Vertrag von Sevilla ihm nicht sein Vorgehen erleichtert? Wie konnte es ohne Truppen an die Eroberung der Lombardei, des Herzogtums Mantua und der Königreiche Neapel und Sizilien denken? Es galt also, Fuß im Lande zu fassen und Truppen darin zu haben, die je nach den Umständen vermehrt werden konnten. Es bedurfte fester Plätze für die Magazins. Zu alledem war der Vertrag
1 In einer Fußnote fügt Kronprinz Friedrich den Wortlaut des Artikels V des Wiener Vertrages vom Mal 1735 (vgl. S. 143 f.) hinzu: darin spricht Philipp V. seinen definitiven Verzicht auf die Niederlande, Mailand und das Königreich beider Sizilien aus.
2 In einer Fußnote gibt Kronprinz Friedrich einen Auszug aus dem zwischen Spanien, Frankreich und England am 9. November 1729 geschlossenen Bertrage von Sevilla, den, wie er sagt, „die Engländer als Quelle ihrer Tränen betrachten“, und wiederholt im Wortlaut Artikel IX, der Spanien zur Entsendung von 6 000 Mann nach den Fürstentümern Parma und Piacenza ermächtigt, um die Erbfolge des Infanten Don Carlos daselbst desto sicherer zu stellen (vgl. S. 133. 149).