<241> Diplomaten einen Hochmut und eine Anmaßung sondergleichen finden. So geschmeidig sie sind, wenn sie den Beistand der Herrscher erbitten, so unerträglich ist ihr Hochmut, wenn der Beistand derselben Herrscher nicht mehr in ihren Interessen liegt. Hier muß man sich der Gesandtschaft der Römer an König Antiochus von Syrien erinnern. Ihr Zweck war, ihn vom Angriff auf Ptolemäos und Kleopatra abzubringen, die als Könige von Ägypten die Bundesgenossen des römischen Volkes waren. Popilius, ein einfacher römischer Bürger, wurde mit jener Sendung betraut1. Er verlangte von Antiochus in ziemlich hochfahrender Weise eine kategorische Antwort auf seine Anträge. Der König stand an der Spitze eines Heeres, bereit, in Ägypten einzufallen. Erstaunt ob eines derartigen Vorschlags, zauderte er mit der Antwort. Da zieht Popilius mit einem Stabe, den er in der Hand hält, einen Kreis um den König und gebietet ihm, zu antworten, sonst werde er ihn nicht aus dem Kreise herauslassen. Nun sehe man, in welch hochfahrender und rücksichtsloser Weise sich der französische Botschafter in den Genfer Wirren benommen hat. Man werfe einen Blick auf die Note über die Erbfolge in Jülich, die Herr von Fenelon den Generalstaaten im Haag überreicht hat2. Man erinnere sich der kindischen Streitigkeiten zwischen jenem französischen und dem englischen Botschafter3 über ein ebenso neues wie wunderliches Vorrecht.
Aus so viel ähnlichen Zügen kann man auf ebenso ehrgeizige Absichten bei den Franzosen wie bei den Alten schließen und auf gleich weitschauende Pläne. Kurz, es besteht die engste Verwandtschaft zwischen dem Benehmen Frankreichs und Philipps von Mazedonien oder der römischen Republik.
Aus dem eben Gesagten ist leicht zu erkennen, daß die politische Lage Europas auf einem sehr kritischen Punkt angelangt ist. Das Gleichgewicht ist so gut wie verloren, und die Dinge können ohne große Gefahr nicht lange in diesem Zustande bleiben. Es ist wie beim menschlichen Körper, der ohne gleichmäßige Mischung von Säuren und Alkalien nicht bestehen kann. Herrscht einer dieser Stoffe vor, so spürt es der Körper, und seine Gesundheit wird schwer erschüttert. Nimmt der eine Stoff noch mehr zu,
1 Die Sendung von Cajus Popillus Laenas an König Antiochus IV. erfolgte im Jahre 167 v. Chr.
2 In der Note vom 14. Dezember 1737 forderte Fénélon die Generalstaaten auf, gemeinsam mit Frankreich, Österreich und England eine Denkschrift am Berliner und Mannheimer Hof zu überreichen; darin würde das Konzert der vier Großmächte erklären, „daß ihre Grundsätze unveränderlich sind, daß jeder Widerspruch unnütz sein würde, und daß sie mit gleicher Dringlichkeit eine umgehende Antwort verlangen, die so beschaffen sei, daß man ungesäumt wisse, was man von den Absichten der beteiligten Parteien zu halten habe“. In der Tat erfolgte am 10. Februar 1738 die Überreichung von vier identischen Noten in Berlin, in der die Großmächte die Vermittlung und Schlichtung der Streitfrage für sich in Anspruch nahmen. Vgl. S. 226, Anm. I.
3 Anmerkung des Kronprinzen Friedrich: „Der Grund des Streites war folgender. Bei einem Festmahl, das die Generalstaaten gaben, war der französische und englische Botschafter zugegen. Der Engländer trank auf das Wohl des Kaisers oder auf das Wohlergehen der Generalstaaten. Fénélon behauptete, das sei seine Sache. Der Streit führte ziemlich weit. Man nennt ihn den Tafelkrieg. Diese Geschichte muß allbekannt sein.“