<93> Wiedergeburt. Urania hatte einen goldenen Zirkel in Händen. Kalliope klagte nicht mehr über Unfruchtbarkeit ihrer Lorbeeren; prachtvolle Paläste dienten nunmehr den Musen zur Heimstatt. Georg Wilhelm mühte sich vergeblich um den Wiederanbau des Landes; wie ein vernichtender Strom verheerte der Dreißigjährige Krieg ganz Norddeutschland. Friedrich Wilhelm bevölkerte seine Staaten wieder. Aus Sümpfen schuf er Wiesen, aus Wüsteneien Dörfer, aus Ruinen Städte. Zahlreiche Herden weideten, wo zuvor nur Raubtiere gehaust hatten. Die nützlichen Künste sind älter als die schönen; sie müssen also notwendigerrmaßen früher als diese erscheinen.

Ludwig XIV. verdiente Unsterblichkeit, da er den Künstlern seinen Schutz angedeihen ließ. Das Andenken des Kurfürsten wird seinen spätesten Enkeln teuer sein, weil er an seinem Vaterland nicht verzweifelte. Dem einen sind die Wissenschaften Bildsäulen schuldig; denn seine freigebige Schirmherrschaft förderte die Aufklärung der Welt. Dem anderen schuldet die Menschlichkeit Altäre; sein hochherziges Schaffen bevölkerte die Erde aufs neue.

Der König vertrieb die Reformierten aus seinem Reich, der Kurfürst aber nahm sie in seine Staaten auf. In diesem Betracht steht der abergläubische und harte Fürst tief unter dem toleranten und mildtätigen. Politik und Menschlichkeit bekunden hier übereinstimmend, daß den Tugenden des Kurfürsten durchaus der Vorzug gebührt.

Was die Galanterie, den feinen Schliff, die Freigebigkeit, die Prachtliebe betrifft, so ist das französische Luxuswesen der deutschen Genügsamkeit überlegen. Darin hatte Ludwig XIV. so viel vor Friedrich Wilhelm voraus wie Lukullus vor Mithridates.

Der eine gab Subsidien her, während er sein Volk bedrückte. Der andere empfing sie und unterstützte damit sein Volk. In Frankreich machte Samuel Bernard Bankrott1, weil er den Kredit der Krone retten wollte. In der Mark bezahlte die Ständekasse, trotz dem Einfall der Schweden, Entschädigungen für die Plünderung der Österreicher und das Unheil, das die Pest über das Land gebracht hatte.

Alle beide schlossen und brachen Verträge. Aber der eine tat es aus Ehrsucht, der andere aus Notwendigkeit. Mächtige Fürsten setzen sich freien, unabhängigen Willens darüber hinweg, Sklaven ihres Wortes zu sein. Fürsten mit geringen Kräften kommen ihren Verpflichtungen nicht nach, weil sie sich oft den Zeitumständen fügen müssen.

Der Monarch ließ sich gegen Ende seiner Regierung von seiner Mätresse2 beherschen, der Held von seiner Gattin. Die Eigenliebe der Menschheit würde allzusehr gedemütigt, wenn wir nicht aus den Gebrechen dieser Halbgötter ersähen, daß sie Menschen sind wie wir.

Beide Fürsten endeten als große Männer, wie sie gelebt hatten. Mit unerschütterlicher Festigkeit sahen sie den Tod nahen. Mit stoischem Gleichmut schieden sie von


1 Diese Angabe trifft nicht zu. Doch borgte der Bankier Bernard, der bei seinem Tode (1739) 33 Millionen Livres hinterließ, dem Staate größere Summen, als von ihm gefordert wurden.

2 Die Marquise von Maintenon, mit der Ludwig XIV. indessen 1685 eine heimliche Ehe eingegangen war.