Widmung an den Prinzen von Preußen
Mein geliebter Bruder!
Seit einiger Zeit verwandte ich meine Mußestunden auf die Abfassung eines Abrisses der Geschichte des Hauses Brandenburg. Wem könnte ich dies Werk wohl mit größerem Rechte widmen als Dir, der Du eines Tages Schmuck und Zier der vaterländischen Geschichte bilden wirst, den die Geburt zum Throne beruft, dem all meine Lebensarbeit gilt?
Wohlvertraut war Dir, was Deine Väter geleistet haben, ehe ich zur Feder griff, es aufzuzeichnen. So hat die Mühe, die in meiner Arbeit steckt, nur den Zweck, Dir alles wieder ins Gedächtnis zu rufen. Beschönigt habe ich nichts, nichts mit Stillschweigen Übergangen. Wie sie gewesen sind, so habe ich die Fürsten Deines Hauses dargestellt. Mit dem gleichen Pinsel habe ich das Bild des Großen Kurfürsten gemalt, seine bedeutenden Eigenschaften im Frieden wie im Felde, aber auch die Fehler des ersten Preußenkönigs, jene Schwächen, die in der Folge freilich, nach einem geheimen Plane der Vorsehung, unser Haus zur jetzigen Ruhmeshöhe emporgeführt haben.
Frei habe ich mich über alle Vorurteile erhoben. Fürsten, Könige, Verwandte habe ich nicht anders betrachtet als Menschenkinder gewöhnlichen Schlages. Da durfte mich keine gebietende Stellung beirren; meine Vorfahren habe ich nicht vergöttert. Freimütig habe ich Fehle und Laster an ihnen getadelt: der Thron darf dafür keine Freistatt sein. Der Tugend gab ich Ehre, wo ich sie fand, hütete mich aber, mich vom Enthusiasmus hinreißen zu lassen, damit die schlichte und lautere Wahrheit allein in dieser Darstellung das Wort habe.
Ist dem Menschen ein Blick in die Zukunft vergönnt, vermag ihm Versenkung in die Grundursachen deren notwendige Folgen zu erschließen, so prophezeie ich, nach meiner Kenntnis Deines Charakters, unserem Staate ein Glück, das von Dauer sein wird. Nicht blinde Liebe ist es, die mein Urteil zu Deinen Gunsten besticht, noch die Sprache niedriger Schmeichelei, die wir beide gleichmäßig verabscheuen. Wahrheit heißt es mich aussprechen, und innig beglückt es mich, daß ich es darf: heute schon hast Du Dich würdig erwiesen der hohen Stellung, zu der die Geburt Dich beruft.
Du hast Dir den Ehrennamen Verteidiger des Vaterlandes verdient: großdenkend hast Du Dein Leben dafür eingesetzt. Du hast Dich nicht für zu gut gehalten,<4> von unten herauf bei der Fahne zu dienen, weil Du Dir sagtest, wer befehlen will, der muß erst gehorchen lernen, weil Dein bescheidener Sinn Dir verbot, Dir nach Art der meisten Fürsten einen Ruhm begehrlich anzumaßen, der ihren erfahrenen alten Feldherren, aber nicht ihnen gebührt. Einzig auf das Wohl des Staates bedacht, ließest Du alle Leidenschaften schweigen, jedes Sonderinteresse zurücktreten, wenn es galt, dem Vaterlande zu dienen. Genau so handelte Bouffiers, als er im Feldzuge von 1709 sich dem Könige von Frankreich anbot und unter Villars Dienst tat, obschon er diesem Marschall an Dienstjahren voraus war. Laß mich auf Dich Villars' Wort anwenden, da er seinen älteren Waffenbruder beim Heere eintreffen sah, bereit, sich ihm zu unterstellen: „Solch ein Geselle“, sprach er da, „wiegt einen Meister auf.“
Doch ich baue meine Hoffnungen und die der Welt nicht nur auf jene unerschütterliche Kaltblütigkeit in den schlimmsten Fährnissen, nicht nur auf jene Kraft, im entscheidenden Augenblick einen klugen Entschluß zu fassen, Eigenschaften, um derentwillen die Truppen in Dir ein Hauptwerkzeug ihrer Siege erblicken. Waren doch so manches Mal die tapfersten Könige ein Unglück ihrer Staaten. Denk an Franz I., Karl XII. und so viele andere Fürsten, die ihrer eigenen Sache durch maßlosen Ehrgeiz schweren Schaden zufügten oder sich fast zugrunde gerichtet hätten. Nein, etwas anderes ist es: Deine Liebenswürdigkeit, Dein warm empfindendes Gemüt, die aufrichtigen Tränen, die Du damals vergossest, als ein plötzlicher Zufall meinem Dasein ein Ziel zu setzen drohte4-1. Darin erblicke ich eine sichere Bürgschaft für Deine edle Art, ein Unterpfand für das Glück derer, über die der Himmel Dir einmal das Regiment anvertrauen wird. Steht ein Herz der Liebe offen, so ist es erhaben über niedre Ehrsucht: Du kennst keine andere Richtschnur für Dein Tun als Gerechtigkeit und hegst keinen anderen Wunsch, als Dir die Achtung geistig hochstehender Männer zu erhalten. Nicht anders dachten die Antonine, dachte ein Titus, ein Trajan, dachten die besten aller Fürsten, die man mit Recht die Lust des Menschengeschlechtes genannt hat.
Bruder, wie beglückt es mich doch, so viel Vortrefflichkeit in dem liebsten und nächsten meiner Verwandten zu finden! Der Himmel gab mir einen empfänglichen Sinn für menschliche Vorzüge und ein dankbares Herz. Diese Bande werden mich, außer denen des Blutes, immerdar an Dich knüpfen. Sind Dir diese meine Gesinnungen auch längst nichts Neues mehr, so ist es mir doch eine Freude, sie erneut am Eingange dieses Werkes auszusprechen, gleichsam vor den Augen der ganzen Welt.
Ich bin in Liebe und Hochschätzung, teurer Bruder,
Dein getreuer Bruder und Diener Friderich.
4-1 Am 13. Februar 1747 hatte der König einen Schlaganfall erlitten, der allerdings nur leicht war und sich auch später nicht wiederholte.