Johann Sigismund
(1608 — 1619)
Johann Sigismund heiratete im Jahre 1594 zu Königsberg Anna, die älteste Tochter des Herzogs Albrecht Friedrich von Preußen. Sie war die Erbin dieses Herzogtums und der Nachfolge in Kleve. Die letztere Erbschaft erstreckte sich auf die Gebiete von Jülich, Berg, Kleve, Mark, Ravensberg und Ravenstein. Der Bissen war zu verführerisch, als daß er nicht die Begierde aller gereizt hätte, die Aussicht hatten, daran teilzunehmen.
Bevor von den Rechten der Kurfürsten von Brandenburg und der Pfalzgrafen von Neuburg die Rede ist, wird es gut sein, die Ansprüche Sachsens darzulegen; sonst Verwirren sich die Fäden.
Kaiser Maximilian hatte den Fürsten der beiden sächsischen Linien, der ernestinischen und der albertinischen, die Anwartschaft auf diese Erbfolge verliehen, für den Fall, daß weder männliche noch weibliche Leibeserben der Herzöge von Kleve mehr am Leben wären. Denn nach der Urkunde, die Georg Wilhelm von Jülich vom Kaiser erhielt, war das Herzogtum ein Weiberlehen. Johann Friedrich, der letzte sächsische Kurfürst aus dem ernestinischen Haus, heiratete Sibylle, die Tochter des Herzogs Johann III. von Jülich.
Herzog Wilhelm von Kleve, Sohn Johanns von Jülich, heiratete die Tochter Ferdinands, eine Nichte Kaiser Karls V. Dieser Heirat wegen und aus Verdruß über den Beitritt Johann Friedrichs von Sachsen zum Schmalkaldischen Bunde32-1 bestätigte der Kaiser dem Herzog Wilhelm das Recht, in Ermangelung männlicher Erben die Erbfolge seinen Töchtern zuzuwenden. Der Sohn dieses Herzogs, Johann Wilhelm, starb 1609, ohne Kinder zu hinterlassen. Daher fiel die Erbfolge an seine Schwestern.
Die älteste, Maria Eleonore, hatte Herzog Albrecht Friedrich von Preußen geheiratet. Die zweite, Anna, war mit dem Pfalzgrafen von Neuburg32-2 vermählt, Magdalena, die dritte Schwester, mit dem Pfalzgrafen von Zweibrücken, die vierte, Sybille, mit einem österreichischen Prinzen, dem Grafen von Burgau. Diese vier Prinzessinnen also und ihre Kinder erhoben Ansprüche auf die Erbschaft. Zu dem<33> Heimfallrecht, das das Haus Sachsen besaß, kam noch die Ehe des Kurfürsten Johann Friedrich mit der Prinzessin Sibylle, einer Tante des Verstorbenen.
Maria Eleonore, die Gattin Albrecht Friedrichs von Preußen, stützte ihren Rechtsanspruch auf den Ehevertrag vom Jahre 1572. Dieser bestimmte ausdrücklich: wenn ihr Bruder kinderlos stürbe, sollte sie und ihre Nachkommenschaft die sechs Herzogtümer erben, kraft der Grundgesetze von 1418 und 1496, durch die den ältesten Töchtern das Nachfolgerecht zugesprochen wird. Der Herzog von Preußen verpflichtete sich, 200 000 Goldgulden an die Schwestern seiner Frau auszuzahlen und damit deren sämtliche Ansprüche zu erledigen.
Wäre Maria Eleonore beim Tod ihres Bruders noch am Leben gewesen33-1, so wäre höchstwahrscheinlich gar kein Streit entstanden. Da sie aber damals bereits gestorben war, trat ihre Tochter Anna, die Gemahlin des Kurfürsten Johann Sigismund, in die Rechte Maria Eeonorens ein. Die Erbschaft mußte also an sie fallen, weil sie die Mutter vertrat. Das war der Kernpunkt des Streites.
Die Ansprüche der Pfalzgräfin Anna von Neuburg gründeten sich darauf, daß die Rechte ihrer Schwester Maria Eleonore durch deren Tod an sie übergingen. Sie berief sich auf die Tatsache, daß sie nunmehr die älteste der Schwestern und eine nähere Verwandte des Verewigten sei als seine Nichte Anna von Brandenburg. Diesen Gründen standen nur die Familiengesetze und Maria Eleonorens Ehevertrag entgegen.
Die beiden jüngsten Schwestern des Herzogs Johann Wilhelm forderten nicht das ganze Erbe, sondern beantragten bloß die Aufteilung.
Null und nichtig war jeder Anspruch der drei jüngeren Schwestern dadurch, daß sie in ihren Eheverträgen einen Verzicht auf all ihre Rechte ausgesprochen hatten, für den Fall, daß ihre älteste Schwester Kinder hatte.
Kurfürst Johann Sigismund und Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg kamen überein, unter Vorbehalt der beiderseitigen Rechte die strittige Erbschaft in Besitz zu nehmen. Kaiser Rudolf, der die Gebiete unter dem Vorwand der Sequestrierung an sich bringen wollte, förderte beider Zusammengehen. Erzherzog Leopold war in der Tat drauf und dran, sich der Hinterlassenschaft zu bemächtigen33-2, da stellten sich die protestantischen Fürsten dem entgegen und schlossen den berühmten Bund, der den Namen Union erhielt. Johann Sigismund trat als einer der ersten bei. Um ein Gegengewicht gegen die Union zu schaffen, gingen die katholischen Fürsten zu Würzburg eine ähnliche Verbindung ein, die man die Liga nannte. Dem Kurfürsten waren die Holländer günstig gesinnt; sie fürchteten die kaiserliche Sequestrierung. Dem Pfalzgrafen von Neuburg wollte König Heinrich IV. von Frankreich beistehen: als er sich aber anschickte, ihm zu Hilfe zu kommen, wurde er von Ravaillac ermordet (1610)33-3.
<34>Der Kurfürst hatte einen Vergleich mit dem Pfalzgrafen von Neuburg zu schließen versucht. Allein bei einer Zusammenkunft der beiden34-1 gab ihm Johann Sigismund in der Hitze des Wortgefechts eine Ohrfeige. So geriet die Sache von neuem in Verwirrung. Aus diesem sonderbaren Vorgang mag man die Höflichkeit und die Kultur jener Zeit ermessen. Im Jahre 1611 suchte man in Jüterbog mit dem Kurfürsten von Sachsen einen Vergleich über dieselbe Erbfolge zustande zu bringen, doch die Fürsten blieben aus34-2; denn die Zusammenkünfte waren bedenklich geworden. Aber der Pfalzgraf von Neuburg erhob Einspruch wider diesen Vertrag, und er gelangte niemals zur Ausführung.
Herzog Albrecht Friedrich von Preußen, Maria Eleonorens Gatte und Johann Sigismunds Schwiegervater, hatte das traurige Schicksal, geisteskrank zu werden. Joachim Friedrich hatte Preußen verwaltet, seit dies Unglück über den Herzog gekommen war34-3. Nach ihm übernahm Johann Sigismund dies Amt. Vom polnischen König Sigismund III. wurde er für sich und seine Nachkommen mit Preußen belehnt (1611). Das war die dritte Belehnung, die dem kurfürstlichen Haus zuteil ward.
Da Preußen durch Johann Sigismund an das Haus Brandenburg kam, wird es an der Zeit sein, mit wenig Worten einen Begriff davon zu geben, was Preußen ursprünglich war, wie es regiert wurde und wie es an Herzog Albrecht Friedrich, den Schwiegervater des Kurfürsten, gelangte.
Der Name „Borussia“, woraus man Preußen gemacht hat, setzt sich zusammen aus „bo“ gleich „bei“ und „Russia“: die „Ruß“, ein Arm des Niemen, der jetzt die Memel genannt wird. Preußen wurde ursprünglich von Böhmen, Sarmaten, Russen und Wenden bewohnt. Diese Völkerschaften steckten noch in der rohesten Abgötterei: sie beteten die Gottheiten der Wälder, der Seen und Flüsse, ja selbst Schlangen und Elentiere an. Ihr bäurisch wilder Glaube wußte nichts vom Tempelbau. Der Kult ihrer Hauptgötzen, Potrimpos, Percunos und Picollos, hatte seine Stätte unter Eichen. Dort waren ihre Abbilder aufgestellt, zu Romove beispielsweise und zu Heiligenbeil. Ihren falschen Göttern opferten die Preußen sogar ihre Kriegsgefangenen. Der heilige Adalbert war der erste, der diesem Volk (um das Jahr 1000) das Christentum predigte. Er erwarb sich die Märtyrerkrone. Nach Crispus34-4 haben drei Könige von Polen, alle drei Boleslaw geheißen, die Preußen bekriegt, um sie zu bekehren. Aber die wurden durch die Kriege nur abgehärtet. Sie verwüsteten Masovien und Kujavien.
Herzog Konrad von Masovien wandte sich nach Deutschland und rief die Ritter des Deutschordens zu Hilfe, deren Hochmeister damals Hermann von Salza war.<35> Im Jahre 1239 kam er nach Preußen35-1. Unterstützt von den livländischen Rittern, einer Art Tempelherren35-2, errichteten sie die vier Bistümer Kulm, Pomesanien, Ermland und Samland. Dreiundfünfzig Jahre dauerte der Krieg des Ordens mit den Preußen. In der folgenden Zeit hatten die Ritter bald gegen Polen, bald gegen die Herzöge von Pommern zu kämpfen, die eifersüchtig auf die Niederlassung des Deutschen Ordens blickten. Von da an begannen die Familien der Ritter sich in Preußen festzusetzen. Der Adel, der das Land heute ziert, stammt großenteils von ihnen.
Unter dem Hochmeister Ludwig von Erlichshausen, im Jahre 1454, sagten die Städte Danzig, Thorn und Elblng dem Orden den Gehorsam auf und ergaben sich dem König Kasimir III. von Polen, dem Sohn Jagellos. Der Krieg der Ritter und der Polen um Preußen währte dreizehn Jahre. Die Polen blieben siegreich und diktierten den Frieden35-3: Preußen diesseits der Weichsel fiel an das Königreich Polen und erhielt den Namen Polnisch-Preußen. Der Orden blieb im Besitz des jenseitigen Preußen, mußte aber die Oberlehnshoheit der Sieger über dies Gebiet anerkennen.
Im Jahre 1511 ward Albrecht von Brandenburg zum Hochmeister des Ordens erwählt. Er war, wie oben berichtet wurde, der Enkel Albrecht Achills35-4. Der neue Hochmeister unternahm, um die Ehre des Ordens zu rächen, einen neuen Krieg gegen die Polen, der für ihn sehr glücklich verlief. Er wurde durch König Sigismund I. von Polen zum Herzog von Preußen erhoben und erhielt zugleich das Erbfolgerecht für seine Nachkommenschaft. Albrecht verpflichtete sich nur zu der hergebrachten Anerkennung der polnischen Oberlehnshoheit.
Als Herzog Albrecht sich zum Herrn Ostpreußens gemacht hatte, legte er Gewand, Kreuz und Wappen des Deutschen Ordens ab. Die Ritter taten, was die Schwächeren zu tun pflegen: sie begnügten sich damit, gegen das Unvermeidliche Einspruch zu erheben. Der neue Herzog hatte im Jahre 1563 gegen Herzog Erich von Braunschweig, den Komthur von Memel35-5, Krieg zu führen. Erich drang mit 12 000 Mann in Preußen ein, aber Albrecht hielt ihn an den Ufern der Weichsel auf. Da sich nichts Bemerkenswertes ereignete und beide Ufer des Stroms mit Soldaten bedeckt waren, die Nüsse pflückten, nennt man diese Unternehmung den Nußkrieg.
Albrecht wurde im Jahre 1525 Protestant, und Preußen folgte seinem Beispiel. Sein Sohn Albrecht Friedrich folgte ihm 1568 nach. Er wurde von König Sigismund.ll. August belehnt; der Gesandte des Kurfürsten Joachim II. nahm daran teil. Dieser Albrecht Friedrich heiratete Maria Eleonore, die Tochter Wilhelms und Schwester des letzten Herzogs von Kleve. Johann Sigismund war der Schwieger<36>sohn und Vormund dieses Herzogs von Preußen. Der Tod seines Schwiegervaters brachte ihn 1618 in den völligen Besitz des Herzogtums.
Johann Sigismund war im Jahre 1614 zum reformierten Glauben übergetreten, den Einwohnern des Klevischen Landes zuliebe, die seine Untertanen werden sollten. Während seiner Regierung starb Kaiser Rudolf II. (1612). Das Kurfürstenkollgium erwählte dessen Bruder Mathias.
Als der Kurfürst das Alter nahen fühlte und von Leiden heimgesucht wurde, überließ er die Regierung seinem Sohn Georg Wilhelm und starb kurze Zeit danach.
32-1 Vgl. S. 28.
32-2 Philipp Ludwig; sein Sohn war Wolfgang Wilhelm († 1653).
33-1 Maria Eleonore starb 1608, ein Jahr vor ihrem Bruder, Herzog Johann Wilhelm von Kleve.
33-2 Erzherzog Leopold V. von Österreich, Bischof von Passau und Straßburg, war vom Kaiser Rudolf II. zum Vollstrecker der bewaffneten Sequestration bestellt.
33-3 Anmerkung des Königs: „Vgl. Gullys Denkwürdigkeiten.“
34-1 Auf dem Schloß in Düsseldorf 1613.
34-2 Christian II. von Sachsen war in Jüterbog zugegen; der Vertrag wurde am 21. März 1611 geschlossen.
34-3 Joachim Friedrich übernahmdie vormundschaftliche Regierung erst nach dem Tode des Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach ( † 1603), der sie bis dahin geführt hatte.
34-4 Die Quelle ist vielmehr das „Chronicon Prussiae“ des Ordenspriesters Peter von Dusburg.
35-1 Hermann von Salza kam nicht selbst, sondern entsandte 1231 den Landmeister Hermann Balk.
35-2 Der livländische Schwertorden, der sich 1237 mit dem Deutschen Orden vereinigte.
35-3 Der ewige Friede von Thorn, 19. October 1466.
35-4 Vgl. S. 22.
35-5 Gemeint ist vielmehr sein Vetter, der spätere Herzog von Brauschweig-Kalenberg Erich II. († 1584).