Friedrich Wilhelm I., zweiter König von Preußen
(1713 — 1740)
Friedrich Wilhelm wurde zu Berlin am 15. August 1688 geboren. Er war, wie wir bereits sagten, der Sohn König Friedrichs I. von Preußen und Sophie Charlottens, einer Prinzessin von Hannover.
Seine Regierung begann unter den günstigen Auspizien des Friedens. Dieser wurde zwischen Frankreich, Spanien, England, Holland und der Mehrzahl der deutschen Fürsten in Utrecht geschlossen120-1. Friedrich Wilhelm erlangte von Ludwig XIV. die Anerkennung seines Königtums, der Souveränität über das Fürstentum Neuchâtel und die Bürgschaft für die Gebiete von Geldern und Kessel als Entschädigung für das Fürstentum Orange, auf das er für sich und seine Nachkommen verzichtete. Frankreich und Spanien gestanden ihm gleichzeitig den Titel Majestät zu, den sie den Königen von Dänemark und Sardinien noch lange versagten.
Nach der Wiederherstellung des Friedens wandte sich die ganze Aufmerksamkeit des Königs auf die innere Verwaltung. Er arbeitete an der Wiederherstelltung der Ordnung in Finanzwirtschaft, Verwaltung, Rechtspflege und Heerwesen; denn diese Gebiete waren unter der vorangegangenen Regierung gleichermaßen verwahr<121>lost. Er besaß eine arbeitsame Seele in einem kraftvollen Körper. Es hat nie einen Mann gegeben, der für die Behandlung von Einzelheiten so begabt gewesen wäre. Wenn er sich mit den kleinsten Dingen abgab, so tat er das in der Überzeugung, daß ihre Vielheit die großen zuwege bringt. Alles, was er tat, geschah im Hinblick auf das Gesamtbild seiner Politik; er strebte nach höchster Vervollkommnung der Teile, um das Ganze zu vervollkommnen.
Er strich alle unnützen Ausgaben und verstopfte die Kanäle, durch die sein Vater die Mittel des öffentlichen Wohlstands abgelenkt hatte, um sie in eitlem und überflüssigem Aufwand zu verschwenden. Der Hof spürte die Reform zuerst. Der König behielt nur eine Anzahl von Personen, die für die Wahrung der Würde notwendig oder dem Staat nützlich waren. Von den hundert Kammerherren seines Vaters behielt er nur zwölf; die übrigen wurden Offiziere oder Diplomaten. Er beschränkte seine eigenen Ausgaben auf eine mäßige Summe, indem er sagte, ein Fürst müsse mit dem Gut und Blut seiner Untertanen sparsam umgehen. In dieser Hinsicht war er ein Philosoph auf dem Thron, wiewohl er nichts gemein hatte mit jenen Gelehrten, deren unfruchtbare Wissenschaft auf der Spekulation über abstrakte Gegenstände beruht, die sich unserer Erkenntnis offenbar entziehen. Er gab das Beispiel einer Sittenstrenge und Einfachheit, die der ersten Zeiten der römischen Republik würdig waren. Dem Prunk und den imposanten Äußerlichkeiten des Königtums war er feind. In seiner stoischen Tugend gönnte er sich nicht einmal die Nächstliegenden Annehmlichkeiten des Lebens. Seine einfachen Sitten, seine große Genügsamkeit bildeten einen vollkommenen Gegensatz zu dem Hochmut und der Verschwendung Friedrichs I.
Ein politisches Ziel schwebte Friedrich Wilhelm bei seiner Reorganisation des Innern vor: er wollte sich durch, ein mächtiges Heer bei seinen Nachbarn in Respekt setzen. Georg Wilhelms Beispiel hatte ihn gelehrt, wie gefährlich es ist, sich nicht verteidigen zu können. Und das Beispiel Friedrichs I., dessen Truppen weniger ihm selbst als den sie bezahlenden Bundesgenossen gehörten, hatte ihn erkennen lassen, daß ein Herrscher nur in dem Maße geachtet wird, als er sich mächtig und furchtgebietend zu machen weiß. Er war der Demütigungen satt, die bald die Schweden, bald die Russen seinem Vater zugefügt hatten, indem sie ungestraft seine Staaten durchquerten. Er wollte sein Volk wirksam gegen die Unruhe seiner Nachbarn beschützen und sich zugleich in den Stand setzen, seine Anrechte auf die Erbfolge in Berg zu vertreten, die beim Tod des Kurfürsten von der Pfalz, des letzten Fürsten aus dem Hause Neuburg121-1, frei werden mußte121-2. Man ist zwar allgemein in dem Vorurteil befangen, der Plan einer militärischen Regierung sei nicht vom König selbst ausgegangen, sondern ihm durch den Fürsten von Anhalt eingegeben worden, aber wir<122> folgen dieser Meinung nicht, weil sie irrig ist. Ein so überlegener Geist wie der Friedrich Wilhelms durchdrang und erfaßte die größten Fragen. Besser als irgend einer von seinen Ministern oder Generalen kannte er die Interessen des Staates.
Wenn die größten Ideen durch einen Zufall hervorgerufen werden können, so ließe sich sagen, daß englische Offiziere Friedrich Wilhelm den Anstoß für die Pläne gaben, die er in der Folge ausführte. In seiner Jugend, als er die Feldzüge in Flandern mitmachte, fand er einmal, während der Belagerung von Tournai122-1, zwei englische Generale in lebhaftem Wortgefecht. Der eine behauptete, der König von Preußen würde ohne Subsidien Mühe haben, 15 000 Mann zu besolden; der andere behauptete, der König könne 20 000 unterhalten. Der junge Prinz geriet in Feuer und sagte ihnen: „Der König, mein Vater, unterhält 30 000, sobald er will.“ Die Engländer nahmen die Antwort für einen Augenblickseinfall eines ehrgeizigen jungen Mannes, der die Vorzüge seines Vaterlandes übertrieben herausstreicht. Friedrich Wilhelm aber bewies nach seiner Thronbesteigung, daß er nicht zuviel gesagt hatte. Seine gute Finanzwirtschaft ermöglichte es ihm, vom ersten Jahr seiner Regierung an sogar 50 000 Mann zu halten, ohne daß irgend eine Macht ihm Subsidien bezahlte.
Durch den Frieden von Utrecht waren die Kriegshändel, die den Süden in Atem hielten, teilweise beigelegt. Das hinderte aber nicht die Fortdauer des Kriegs im Norden zwischen Karl XII., der immer noch als Gefangener in Adrianopel122-2 war, und dem Zaren, König August von Polen und König Friedrich IV. von Dänemark, die sich gegen ihn verbündet hatten.
Friedrich Wilhelm wollte sich keinesfalls in die nordischen Kriegswirren mischen. Nach dem Vorbild seines Vaters beobachtete er strikte Neutralität. Die vorteilhafte Lage seiner Staaten, die Zahl seiner Truppen und das Bedürfnis nach seinem Beistand bewirkten, daß er von beiden Parteien umworben wurde. Er sah wohl, daß die Art und die Nähe des Krieges ihn über kurz oder lang zum Eingreifen nötigen würden. Aber er verlor nichts dabei, wenn er sich abwartend verhielt. Vielleicht auch wollte er erst sehen, nach welcher Seite das Glück sich wenden werde, bevor er Verpflichtungen auf sich nahm, die ihn nachher banden.
Das Verhängnis, vom gewöhnlichen Volk Zufall, von den Theologen Vorbestimmung genannt und von den Weisen als Folge menschlicher Unklugheit gedeutet, das Verhängnis, sage ich, versteifte sich noch immer darauf, Karl XII. zu verfolgen. Während er seine Zeit damit verlor, in Konstantinopel gegen den Zaren zu wühlen, zog sich sein General Stenbock, der an den unglücklichen Einwohnern Altonas unerhörte Grausamkeiten verübt hatte, beim Nahen der Moskowiter und Sachsen nach Tönningen zurück. Seine Absicht war, die Eider auf dem Eis zu überschreiten. Sein Unglück wollte, daß unvermutet Tauwetter eintrat. Da er für den Über<123>gang keine Brücke zur Verfügung hatte und sich von Feinden umringt sah, war er gezwungen, sich mit seinen 12 000 Mann gefangen zu geben.
Der Verlust dieser Truppen und die Schmach, die ihre Gefangennahme den schwebischen Waffen brachte, waren jedoch nur Vorläufer größeren Unglücks, das dem Schwedenreich drohte. Die schlechte Haltung des Generals Stenbock wirkte hauptsächlich auf Schwedisch-Pommern zurück. Die russischen und sächsischen Heere sahen keine Feinde mehr vor sich und schickten sich schon an, dort einzudringen. Pommern drohte von neuem der Kriegsschauplatz zu werden. Aus Furcht davor machten der Herzog-Regent von Holstein123-1 und General Wellingk, Statthalter von Pommern, dem König von Preußen den Vorschlag, Schwedisch-Pommern in Sequester zu nehmen123-2. Ihre Verlegenheit war um so größer, als sie keine Truppen zur Verteidigung der Provinz hatten. Aus Haß gegen die Moskowiter nahmen sie ihre Zuflucht zu einem so verzweifelten Rettungsmittel. Und der Haß machte sie so blind gegen die Interessen ihres Herrn, daß sie es lieber gesehen hätten, wenn ganz Pommern unter preußische Herrschaft gekommen wäre als nur ein einziges Dorf in den Besitz des Zaren.
Dem König dünkte das Anerbieten des Herzogs-Regenten und Wellingks sehr vorteilhaft. Mit Vergnügen erklärte er sich zur Sequestrierung Pommerns bereit123-3. Er sah darin das Mittel, den Frieden in der seinen Staaten benachbarten Provinz zu wahren. 20 000 Preußen setzten sich unverzüglich in Marsch und lagerten an der Grenze Pommerns. Zugleich begab sich Bassewitz, Minister des Herzogs von Holstein, in Begleitung des Generals Arnim123-4, den der König von Preußen entsandt hatte, nach Stettin und wies im Namen Wellingks den dortigen Kommandanten Meyerfeldt an, die Stadt den Preußen auszuliefern. Meyerfeldt, der die Denkart seines Herrn kannte, weigerte sich, zu gehorchen, und verlangte Frist, um von der Regentschaft in Stockholm positive Verhaltungsmaßregeln zu erbitten. Meyerfeldts Weigerung war ein authentisches Zeugnis dafür, daß Wellingk sich zuviel Autorität angemaßt hatte und aus Übereilung weiter gegangen war, als er durfte und seine Vollmacht reichte. Der König, der die Sequestrierung bloß aus Gefälligkeit übernommen hatte, ließ nun davon ab, ohne die mindeste Verstimmung kundzugeben. Er zog seine Truppen sogleich zurück und überließ Pommern seinem Schicksal. Für die Schweden war es rühmlicher, Pommern im Kampf zu verlieren, als es mit Hilfe der Sequestrierung zu behalten.
Menschikow hatte Stenbock in Holstein entwaffnet und fiel nun mit den Moskowitern und Sachsen über Pommern her. Sofort belagerte er Stettin, ließ die Stadt<124> bombardieren und setzte ihr so heftig zu, daß sie nach wenigen Tagen vor der Kapitulation stand. Bassewitz, Wellingk und Meyerfeldt glaubten jetzt noch, Karl XII. einen guten Dienst zu leisten, wenn sie den Platz in die Hände des Königs von Preußen gaben. Es wurden 2 000 Preußen und ein Bataillon holsteinischer Truppen als Besatzung in die Stadt gelegt.
Die Verbündeten stimmten der Sequestrierung zu, unter der Bedingung, daß der König von Preußen die Schweden hindere, von Pommern aus in Polen einzufallen124-1. Die Republik Polen verpflichtete sich ebenso, die Neutralität einzuhalten. Zur Beseitigung aller Bedenken, die in der Angelegenheit bei den Verbündeten noch bestehen konnten, bezahlte ihnen der König 400 000 Taler. Menschikow, der seinen Herrn vielleicht verkauft haben würde, wenn der König ihn hätte kaufen wollen, erhielt von diesem eine Domäne und einen Ring von hohem Wert. Vom Pastetenbäcker war er zum Premierminister und Generalissimus des Zaren emporgestiegen. Er und sein ganzes Volk waren so barbarisch, daß in ihrer Sprache gar kein Ausdruck für Ehre und Treue zu finden war.
Karl XII., die Könige von Dänemark, von Polen und der Kaiser waren gleich unzufrieden mit der Beschlagnahme Pommerns. Der König von Schweden deshalb, weil er sehr wohl begriff, daß er Pommern verlor oder auch noch den König von Preußen unter seinen zahlreichen Feinden sehen müßte. Die Könige von Dänemark und Polen hatten sich freilich vorgenommen, Karl XII. seiner Provinzen zu berauben. Aber ganz erfüllt von diesem einzigen Ziel ihrer Rache, hatten sie die Teilung ihrer Eroberungen noch nicht geregelt. Voller Neid sahen sie nun, wie der König von Preußen durch die Sequestrierung in den Besitz Pommerns gelangte und so die ganzen Früchte des Krieges einheimste, ohne dessen Wechselfälle mit ihnen geteilt zu haben.
Der Kaiser, der aus Spanien vertrieben war und allein einen unglücklichen Krieg gegen Frankreich zu führen hatte, war durch seine Mißerfolge verbittert und bemerkte mit Kummer, daß Friedrich Wilhelm Erwerbungen machte, während er nichts als Verluste erlitt. Indessen, Stettin war ausgeliefert, das Geld bezahlt, Menschikow bestochen, und überdies hatte der König von Preußen die nötige Macht hinter sich. Diese Gründe zwangen seine Nachbarn, ihre Eifersucht zu unterdrücken und ihn weiter rücksichtsvoll zu behandeln.
Der König von Schweden schrieb aus dem tiefsten Bessarabien an den König von Preußen, er erhebe Einspruch gegen Wellingks Verhalten. Die 400 000 Taler, die seinen Feinden ausgezahlt seien, werde er niemals erstatten und zeitlebens die Sequestrierung nicht unterschreiben. So schroff das Vorgehen Karls XII. auch war, Friedrich Wilhelm ergriff doch, in Gemeinschaft mit dem Kaiser, die verständigsten Maßnahmen zur Wiederherstellung des Friedens. Beide Fürsten regten einen Kon<125>greß an, der in Braunschweig zusammentreten sollte. Aber ihr Vorschlag scheiterte an der Halsstarrigkeit des Schwedenkönigs, sowie am Haß des Zaren und des Königs von Polen, die in der Schule Karls XII. gelernt hatten, ihrem Rachedurst keine Schranken zu setzen.
Während also im Norden die Zwietracht kein Ende nahm, erwarb Friedrich Wilhelm das Reichslehen Limpurg125-1. Die Anwartschaft darauf hatte Friedrich I. vom Kaiser zum Dank für die Abtretung des Kreises Schwiebus erhalten125-2.
Im Süden herrschte Philipp V. bereits friedlich über Spanien, und Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen, der durch den Utrechter Frieden als König von Sizilien anerkannt war, hatte sich in Palermo trotz den Drohungen des Kaisers und dem Wehklagen des Papstes krönen lassen. Ludwig XIV., der nun mit dem größten Teil Europas seinen Frieden gemacht hatte, drang stark auf Karl VI. ein, der sich in seinem Trotz gegen den Frieden sträubte. Im Verlauf des Feldzugs konnte Prinz Eugens Geschicklichkeit nicht verhüten, daß Villars von Landau und Freiburg Besitz ergriff.
Der Kaiser führte den Krieg viel mehr aus Stolz als aus Vernunftgründen. Er allein war zu schwach, Ludwig XIV. standzuhalten. Seine Truppen waren zusammengeschmolzen, seine Hilfsquellen erschöpft, und die Börse der Seemächte war für ihn geschlossen. Der Mißerfolg dieses Feldzugs und die Furcht vor einer noch unglülicheren Zukunft brachten ihn zu der Erkenntnis, daß Ansprüche ohne dahintestehende Macht nichtig sind, daß die politischen Wetterregeln gebieten, bei Sturm die Segel zu streichen und sie beizusetzen, wenn der Wind günstig ist. Für diesmal beugte sich der österreichische Hochmut der Notwendigkeit.
Eugen und Villars trafen zu Rastatt im Markgrafentum Baden zusammen. Sie einigten sich über die Präliminarien und ermöglichten so die Eröffnung des Kongresses zu Baden in öer Schweiz, wo am 7. September 1714 der Friede unterzeichnet ward. Der Kaiser trat Landau an Frankreich ab, erkannte Philipp V. an und entsagte seinen Ansprüchen auf Spanien. Ludwig XIV. gab seine rechtsrheinischen Eroberungen wieder heraus, versprach die Befestigungen von Hüningen zu schleifen und den Kaiser im Besitz des Königreichs Neapel, Mailands und Mantuas nicht zu stören; ferner erkannte er das neunte Kurfürstentum125-3 an. Man vereinbarte endlich, die Streitigkeiten über die Barriere von Flandern durch ein besonderes Abkommen zu regeln125-4.
Zu jener Zeit starb die Königin von England125-5 nach langer, qualvoller Krankheit. Einige ihrer Minister hatten nutzlose Anstrengungen gemacht, um den Prätendenten125-6 zu ihrem Nachfolger zu berufen. Georg von Hannover, der Enkel der pfälzischen Prinzessin125-7, die Jakobs I. Tochter war, wurde zum König von England proklamiert<126> und nach dem Wunsche der ganzen Nation auf den Thron erhoben. Ihn sahen wir England regieren, indem er die Freiheit äußerlich respektierte und die Gelder, die das Parlament ihm bewilligte, zu dessen Bestechung benutzte. Er war ein König ohne Prunk, ein Staatsmann ohne Falschheit und erwarb sich durch sein Benehmen das Vertrauen ganz Europas.
Nachdem wir von der politischen Lage des Südens gesprochen, ist es Zeit, zum Norden zurückzukehren, wo die Ereignisse sich immer mehr verwickelten und die Verwirrung höher stieg als je zuvor. Karl XII. war endlich seines beispiellosen Eigensinns müde, durch den er sich zu Demotika auf dem Krankenlager festhalten ließ, um die Pforte wider den Zaren aufzureizen, während seine Feinde sich seine Abwesenheit zunutze machten, seine Heere vernichteten und ihm die reichsten Provinzen nahmen. Jetzt ging Karl XII. ganz unvermittelt aus feiner Tatenlosigkeit zur angespanntesten Tätigkeit über. Er verließ Demotika, reiste mit staunenswerter Schnelligkeit, ritt durch die Erblande des Kaisers, durch Franken, Mecklenburg und kam am elften Tag in Stralsund an126-1, als man ihn dort am wenigsten erwartete.
Sein erster Schritt war, gegen die Beschlagnahme von Stettin Einspruch zu erheben und zu erklären: da er kein Abkommen unterzeichnet habe, sei er keineswegs zur Anerkennung dessen verpflichtet, was seine Generale in seiner Abwesenheit getan hätten. Bei einem Charakter, wie dem seinen, gab es keine anderen Argumente als Gewalt. Friedrich Wilhelm ließ Karl XII. mitteilen, er werde nicht dulden, daß die Schweden in Sachsen eindrängen, und ließ gleichzeitig eine ansehnliche Truppenmacht nach Stettin vorrücken. Die Schweden schenkten den Vorstellungen des Königs von Preußen so wenig Beachtung, daß dieser sich genötigt sah, dem Bündnis der Russen, Sachsen und Hannoveraner beizutreten, um seine Abmachungen gegen die Hartnäckigkeit Karls XII. zu behaupten126-2. Der schwedische König bemächtigte sich Anklams, Wolgasis und Greifswalds, wo eine preußische Besatzung lag. Mit einem Rest von Mäßigung schickte er sie heim, ohne eine Gewalttätigkeit gegen sie zu begehen. Aber die Mäßigung war bei seiner heftigen Natur nur vorübergehend. Zu Beginn des folgenden Feldzugs (1715) vertrieben die Schweden die Preußen von der Insel Usedom und nahmen ein Detachement von 500 Mann kriegsgefangen. Durch diese Feindseligkeit brachen sie die Neutralität Preußens und wurden die Angreifer. Der König, der eifersüchtig über seine Ehre wachte, war empört über das Vorgehen der Schweden. Doch obwohl er im ersten Augenblick den Schimpf, der ihm angetan ward, kaum zu erwägen vermochte, konnte er sich nicht enthalten, zu rufen: „Oh, daß ein König, den ich schätze, mich zwingen muß, sein Feind zu werden!“ Damals befand sich Flemming in Berlin, derselbe, der durch seine Intrigen August von Sachsen,<127> seinen Herrn, zum König von Polen gemacht hatte127-1 und durch seine schlechte Heerführung schuld an dessen Entthronung war. Als Flemming von dem Neutralitätsbruch der Schweden hörte, begab er sich sogleich zum König von Preußen und nutzte die ersten Augenblicke seines Zornes so trefflich aus, daß er ihn in derselben Stunde dahin brachte, Karl XII. den Krieg zu erklären.
Schon im Monat Juni stießen 20 000 Preußen zu den Sachsen und Dänen in Pommern. Der König begab sich nach Stettin. Das Bataillon holsteinischer Truppen, das dort als Besatzung stand, wurde entwaffnet. Hierauf ließ er sich von der Bürgerschaft den Treueid leisten und stellte sich dann persönlich an die Spitze seines Heeres.
Europa sah nun einen König, der von zwei Königen in Person belagert wurde. Wer dieser König war Karl XII. und hatte unter seinem Befehl 15 000 kriegsgewohnte Schweden, deren Begeisterung für das Heldentum ihres Fürsten bis zur Vergötterung ging. Außerdem kämpfte sein Ruhm und das allgemeine Vorurteil für ihn. Im Heer der Verbündeten prüfte der König von Preußen alle Pläne, entschied über die Operationen und bewog die Dänen, sich darein zu fügen. Der König von Dänemark, ein schlechter Soldat mit geringer Neigung zum Kriegswesen, war nur darum bei der Belagerung von Stralsund erschienen, weil er dort das Schauspiel von Karls XII. Demütigung zu genießen hoffte.
Unter den beiden Königen stand der Fürst von Anhalt als die Seele aller militärischen Operationen. Er war ein Mann von heftigem und eigenwilligem Charakter, in seinen Unternehmungen lebhaft, aber einsichtsvoll. Zu heldenmütiger Tapferkeit gesellte sich bei ihm die Erfahrung aus Prinz Eugens besten Feldzügen. Er war rauh von Sitten, von unbändigem Ehrgeiz, ein gründlicher Kenner der Velagerungskunst, ein glücklicher Kriegsmann und schlechter Bürger. Alles dessen, was Marius und Sulla taten, wäre auch er fähig gewesen, wenn das Schicksal sich ihm in seinem Ehrgeiz ebenso günstig erwiesen hätte wie jenen Römern. Die dänischen Heerführer dagegen waren Prahler, ihre Minister Pedanten.
Das so zusammengesetzte Heer begann also die Belagerung von Stralsund. Die Stadt liegt am Strande der Ostsee. Die schwedische Flotte konnte sie daher mit Lebensmitteln, Munition und Truppen versorgen. Stralsund ist durch seine Lage sehr stark. Ein unwegsamer Sumpf schützt zwei Drittel seines Umkreises. Die einzige Seite, von der es zugänglich ist, wurde durch eine treffliche Verschanzung gesichert, die nördlich am Meeresufer begann und sich südlich bis zu dem Sumpf hinzog. In der Verschanzung lagen 12 000 Schweden, und Karl XII. stand an ihrer Spitze. Die große Anzahl der zu überwindenden Hindernisse nötigte die Belagerer, sie nach und nach hinwegzuräumen.
Die erste Aufgabe war, die schwedische Flotte von der pommerschen Küste zu entfernen, um Karl XII. jegliche Unterstützung, die er aus Schweden erwarten konnte,<128> zu rauben. Aber der König von Dänemark wollte das Geschwader, das er in jenen Gewässern hatte, keinem Kampf aussetzen. Diese Voraussetzung der Belagerung führte zu langwierigen Verhandlungen. So leicht es ist, einem scharfsichtigen Menschen die Notwendigkeit einer Sache mit guten Gründen zu beweisen, so schwierig, um nicht zu sagen unmöglich, ist es, einen beschränkten Geist zu überzeugen, der sich selbst nicht traut und Furcht hat, die anderen möchten ihn irreleiten. Der Einfluß des Königs von Preußen auf den Geist des Dänenkönigs zwang diesen doch endlich zum Nachgeben, und so ward er Augenzeuge des Sieges, den sein Admiral über das schwedische Geschwader davontrug. Beide Könige waren Zuschauer der Seeschlacht, die eine Meile von der Küste stattfand und das Meer für die Verbündeten frei machte. Darauf unternahmen die Preußen unter General Arnim eine Landung auf der Insel Usedom, verzagten die Schweden und eroberten das Fort Peenemünde mit der blanken Waffe.
Als dies Hindernis beseitigt war, rüstete man sich zur Erstürmung der Schanzen. Zum Unglück für die Schweden fand sich ein preußischer Offizier, der den Angriff, die schwierigste und entscheidendste Aufgabe, bei der ganzen Belagerung, erleichterte. Der Offizier namens Gaudy, hatte zu der Zeit, da er auf der Stralsunder Schule den Unterricht genoß, oft in der Meerenge gebadet und erinnerte sich, daß sie in der Nähe der Verschanzung weder tief noch schlammig war. Um ganz sicher zu gehen, prüfte er nächtlicherweile nach. Er fand, daß man die Stelle durchwaten, die Verschanzung linker Hand umgehen und den Feind in der Flanke und im Rücken packen konnte128-1.
Der Plan wurde mit Erfolg durchgeführt. Die Schweden wurden bei Nacht angegriffen. Während ein Korps geradeaus auf die Verschanzung losmarschierte, zog ein anderes nahe am Ufer durchs Meer und stand in ihrem Lager, ehe sie dessen gewahr wurden. Durch die Überrumpelung, die bei allen nächtlichen Angriffen unausbleibliche Verwirrung, und vor allem durch das starke Korps, das ihnen in die Flanke fiel, wurden sie rasch in wilde Flucht getrieben. Sie verließen ihre Verschanzung und retteten sich in die Stadt. Karl XII. war in Verzweiflung, daß seine Truppen ihn im Stich ließen. Er wollte allein kämpfen. Seine Generale retteten ihn nur mit Mühe vor den nachsetzenden Belagerern. Alles, was nicht schleunigst Stralsund erreichte, ward getötet oder gefangen genommen. Mehr als 400 Mann fielen dabei in die Hände der Preußen.
Um die Stadt Völlig abzuschneiden, wurde nunmehr beschlossen, die Insel Rügen zu besetzen, da die Belagerten von dort noch einige Unterstützung erhalten konnten. Der Fürst von Anhalt setzte auf Transportschiffen mit 20 000 Mann über die Meer<129>enge, die Pommern von der Insel trennt129-1. Die Flotte wahrte dabei die Schlachtordnung, wie die Truppen sie zu Land innehatten. Man stellte sich, als wolle man die Insel an der Ostseite anlaufen. Plötzlich aber ließ der Fürst von Anhalt die Schiffe nach links wenden und landete seine Truppen in dem kleinen Hafen von Stresow, wo der Feind ihn durchaus nicht erwartete. Er stellte seine Truppen bogenförmig auf, sodaß die beiden Flügel sich an das Meer lehnten. In großer Schnelligkeit ließ er Schanzen auswerfen und mit spanischen Reitern besetzen. Seine Schlachtordnung war diese: zwei Infanterietreffen verteidigten die Verschanzung; die Reiteret bildete das dritte Treffen, mit Ausnahme von sechs Schwadronen, die er außerhalb seiner Schlachtfront bereit hielt, um dem Feind in die linke Flanke zu fallen, wenn er von jener Seite her angreifen sollte.
Karl XII. ließ sich durch die Kriegslist des Fürsten von Anhalt täuschen und langte nicht rechtzeitig an, um sich der Landung zu widersetzen. Da er die Bedeutung der Insel kannte, setzte er sich, wiewohl er nur 4 000 Mann hatte, gegen den Fürsten von Anhalt in Bewegung, und zwar bei Nacht, weil er seine geringe Truppenzahl dem Gegner verbergen wollte, und weil er hoffte, ihn zu überraschen. Er marschierte mit dem Degen in der Hand an der Spitze seiner Infanterie und führte sie bis an den Schanzgraben. Mit eigenen Händen riß er spanische Reiter heraus, die ihn umsäumten. Er wurde beim Angriff leicht verwundet; General Düring fiel an seiner Seite.
Die geringe Anzahl seiner Truppen, das Dunkel der Nacht, die Attacke der sechs preußischen Schwadronen gegen die Flanke der Schweden, die Hindernisse der mit spanischen Reitern besetzten Verschanzung und vor allem die Verwundung des Königs: all diese Umstände zusammen brachten die Schweden um die Früchte ihrer Tapferkeit. Das Glück hatte sich von der schwedischen Nation abgewandt. Alles verschwor sich zu ihrem Niedergang.
Der verwundete König hatte sich zurückgezogen, um sich verbinden zu lassen. Seine geschlagenen Truppen flüchteten. Am folgenden Morgen fielen bei der Schanze Alte Fähre 1 200 Schweden in die Hände der Preußen. Die Insel Rügen wurde von den Verbündeten völlig besetzt. Sehr betrauert wurde der tapfere Oberst Wartensleben, der an der Spitze der preußischen Gensdarmes den Tod fand129-2. Er hatte viel zur Niederlage der Schweden beigetragen.
Karl XII. verließ nach diesem Mißerfolg Rügen und fuhr wieder nach Stralsund hinüber. Die Stadt war nicht mehr weit von der Übergabe. Bis zum Gegenwall waren die Belagerer vorgedrungen und schickten sich bereits an, ihren Minengang gegen den Hauptgraben vorzuschieben. Im Charakter des Königs von Schweden lag es, Schicksalsschlägen störrischen Eigensinn entgegenzusetzen. Er wollte dem<130> Schicksal Trotz bieten und in eigner Person die Bresche verteidigen, wenn die Belagerer den Hauptsturm unternahmen. Seine Generale warfen sich ihm zu Füßen und beschworen ihn, sich nicht so nutzlos preiszugeben. Als sie sahen, daß sie ihn durch Bitten nicht umzustimmen vermochten, stellten sie ihm die Gefahr vor Augen, die ihm drohe, wenn er in die Hände seiner Feinde fiele. Das bestimmte ihn endlich, die Stadt zu verlassen. Er bestieg einen leichten Kahn und fuhr im Schutze der Nacht mitten durch die dänische Flotte, die den Hafen von Stralsund blockierte. Mit Mühe und Not gelangte er an Bord eines seiner Kriegsschiffe, das ihn nach Schweden brachte.
Vierzehn Jahre vorher war er aus seinem Königreich ausgezogen als ein Eroberer, der im Begriff steht, die Welt im Siegeslaufe zu unterwerfen. Als Flüchtling kehrte er nun heim, von seinen Feinden verfolgt, seiner schönsten Provinzen beraubt und von seinem Heer verlassen.
Sobald der König von Schweden fort war, dachte die Stadt Stralsund an nichts als an Übergabe. Die Besatzung kapitulierte am 23. Dezember. General Dücker, Kommandant von Stralsund, sandte nach dem Hauptquartier des Königs von Preußen, um die Einzelheiten der Kapitulation zu vereinbaren. Die Besatzung gab sich kriegsgefangen. Zwei preußische Bataillone, ebenso viele Sachsen und ebenso viele Hannoveraner ergriffen Besitz von der Stadt. Aus sämtlichen Schweden, die im Lauf des Feldzugs gefangen genommen waren, bildete der König von Preußen ein neues Infanterieregiment und gab es dem Prinzen Leopold von Anhalt, dem zweiten Sohn des Fürsten, der das Heer des Königs befehligte.
Nach dem Krieg teilten sich die Sieger in den Balg des Besiegten. Der König von Preußen behielt den Teil von Pommern zwischen der Oder und der Peene, einem Flüßchen, das in Mecklenburg entspringt und sich bei Peenemünde ins Meer ergießt. Das übrige Pommern zwischen der Peene und Mecklenburg fiel durch den Frieden von Stockholm (1720) an Schweden zurück. König Georg von England kaufte die Herzogtümer Bremen und Werden, die der König von Dänemark von den Schweden erobert hatte. Das Haus Hannover hat sie noch heute in Besitz.
Obwohl der Friede noch nicht geschlossen war, erfreute sich Friedrich Wilhelm schon ruhig seiner Eroberungen. Er ging nach Ostpreußen, ließ sich aber nicht krönen130-1. Er war der Meinung, diese eitle Zeremonie eigne sich besser für Wahlkönigreiche als für Erbkönigreiche. Da er alle Äußerlichkeiten des Königtums verachtete, lag es ihm um so mehr am Herzen, die wahren Königspflichten zu erfüllen. Er bereiste Ostpreußen und Litauen und faßte den Entschluß, diese durch die Pest entvölkerten Länder aus ihrem Elend zu neuer Blüte zu erheben.
Um die Reihe der Begebenheiten nicht zu unterbrechen, haben wir die Hauptereignisse des pommerschen Feldzugs im Zusammenhang berichtet. Es ist nun an der<131> Zeit, auf die Wandlungen zu blicken, die sich während des Krieges im übrigen Europa vollzogen, und zu sehen, wie die politischen Beziehungen der Mächte sich trübten und Anlaß zu neuen Gruppierungen gaben.
Durch den Tod Ludwigs XIV. (1715) erhielt die Regierung Frankreichs ein ganz neues Gesicht. Von der zahlreichen Nachkommenschaft des Monarchen war nur sein Urenkel übrig geblieben, der noch in der Wiege lag131-1. Der Urgroßvater hatte seinen legitimierten Sohn, den Herzog von Maine, zum Präsidenten des Regentschaftsrates eingesetzt. Aber dem König, der bei Lebzeiten so unumschränkt geherrscht hatte, wurde nach seinem Tode schlecht gehorcht. Das Parlament urteilte über die Ansprüche des Herzogs von Orleans131-2 und des Herzogs von Maine, oder richtiger gesagt: es erhob sich zum Schiedsrichter über den letzten Willen des verstorbenen Königs und entschied, daß Philipp von Orleans als erster Prinz von Geblüt unzweifelhaftes Anrecht auf die Regentschaft habe.
Die Politik des neuen Regenten setzte sich zwei Hauptziele. Das eine war die Aufrechterhaltung des Friedens mit seinen Nachbarn. Dadurch wurde er bewogen, sich mit dem Kaiser freundschaftlich zu stellen und eine innige Verbindung mit dem König von England einzugehen. Das andere Ziel war die Abtragung der Kronschulden, die ungeheuer angewachsen waren. Das gab Veranlassung zu dem Lawschen System131-3. Sein Plan war sehr nützlich, schlug aber durch Mißbrauch zum Unheil aus.
Der Regent war ein Mann von hoher Begabung, doch hatte er auch die Fehler lebhafter und kühner Naturen. Die weitgreifendsten Ideen kamen ihm so einfach vor wie die alltäglichen. Rückhaltlos überließ er sich den Regungen seiner feurigen Phantasie, die ihm die Dinge oft in verzerrender Vergrößerung darstellte. Er war für die Künste geschaffen und pflegte sie, hatte aber auch die Schwächen der Helden. Sein Temperament verleitete ihn zur Galanterie. Er machte den Abbe Dubois zum Kardinal, nicht sowohl wegen seines Verdienstes um den Staat, als vielmehr, weil er der geheime Diener seiner Passionen war. Die Verleumdung wagte es, den menschlich milden Fürsten des scheußlichsten Frevels zu bezichtigen, des Planes nämlich, sein Mündel, den König zu vergiften. Ein nutzbringendes Verbrechen flößt edlen Seelen freilich nicht geringeren Abscheu ein als eine sinnlose Untat; aber die wahre Verteidigung des Regenten ist doch, daß Ludwig XV. zur Regierung gelangte.
Um Frankreich den Frieden zu sichern und jede Gelegenheit zu Streitigkeiten aus dem Weg zu räumen, schloß der Regent zu Antwerpen den Barriere-Traktat (1715). Dadurch erhielten die Holländer das Recht, in Namur, Veurne, Tournai, Ypern, Menin und das Fort Knocke Besatzungen zu legen131-4, für deren Unterhalt das Haus Österreich jährlich 600 000 Gulden aufzubringen hatte. Dagegen verzichtete Hol<132>land auf jede innere Einmischung in den ehemals spanischen Niederlanden, deren ganzer Besitz Kaiser Karl VI. verblieb.
Die Kriege, die weiterhin aufeinander folgten, brachten Europa um die Früchte des Friedens. Seit dem Jahre 1715 waren die Türken in Morea eingedrungen und hatten es den Venezianern entrissen. Der Papst, der für Italien fürchtete, beschwor den Kaiser, den Schutz der Christenheit zu übernehmen. Karl VI. zog in Ungarn Truppen zusammen, um den Venezianern durch eine Diversion gegen die Türken Beistand zu leisten.
Prinz Eugen hatte im Jahre 1716 den Großwesir bei Peterwardein geschlagen. Im folgenden Jahr unternahm er die Belagerung von Belgrad und befestigte sein Lager durch eine starke Verschanzung. Die Türken zogen heran, um das Heer des Prinzen Eugen zu belagern. Sie begnügten sich nicht damit, es zu blockieren; sie rücken auch vermittelst Laufgräben vor. Eugen ließ sie erst einen Bach überschreiten, der sie von seinem Lager trennte. Dann, am 16. August, rückte er aus seinen Verschanzungen vor, griff die Türken an, schlug sie und eroberte ihre Kanonen, ihr Gepäck, mit einem Wort: ihr ganzes Lager. Belgrad hatte auf keinen Ersatz mehr zu hoffen und ergab sich dem Sieger. Feldmarschall Starhemberg, ein Neider des Prinzen, erhob Klage wider sein Vorgehen, das er für unvorsichtig erklärte. Er vertrat seine Meinung mit solchem Nachdruck, daß nicht viel fehlte, und der Kaiser hätte den Helden Deutschlands vor ein Kriegsgericht stellen lassen, weil er das kaiserliche Heer der Gefahr ausgesetzt habe, rettungslos zugrunde zu gehen. Allein Eugens Ruhm strahlte so hell, daß er Neid und Neider verdunkelte.
Im folgenden Jahr (1738) schlossen die Türken zu Passarowitz Frieden und traten dem Kaiser Belgrad, sowie das ganze Banat Temesvar ab. Die Venezianer, die den Eroberungen Karls VI. nur zum Vorwand gedient hatten, mußten die Erwerbungen des Kaisers mit dem Verlust von Morea bezahlen. Zu spät merkten sie, daß der Beistand eines mächtigen Verbündeten immer gefährlich ist.
Karl VI. hatte den Krieg kaum hinter sich, als er schon wieder mit anderen Feinden kämpfen mußte. In Spanien war ein Mann von umfassendem und unternehmendem Geist emporgekommen, tief, kühn, um Hilfsmittel nie verlegen, mit einem Wort: geschaffen, um Reiche groß zu machen oder an den Rand des Abgrunds zu bringen. Das war der Abbé Alberoni, ein Italiener von Geburt. Der Herzog von Vendôme hatte ihn nach Spanien mitgebracht, wo er seine Geschicklichkeit sofort dadurch erwies, daß der Kardinal del Giudice, der die Regierung in Händen hatte, entlassen ward und er selbst dessen Platz einnahm. Mit Riesenschritten stieg Alberoni empor. Er schmeichelte sich bei der Königin132-1, einer Prinzessin von Parma, ein und unterstützte sie in ihrem Plane, ihre Söhne auf italienische Throne zu setzen. Die Flotte, die der König von Spanien anfangs zur Unterstützung der Venezianer<133> bestimmt hatte, wurde zur Eroberung Sardiniens, das dem Kaiser gehörte, verwendet. Cagliari fiel in die Gewalt der Spanier, und binnen kurzem war die ganze Insel unterworfen (1717).
Die Vorstellungen Englands und Frankreichs hinderten die Königin von Spanien nicht an der Verfolgung der Pläne, die Alberoni, jetzt Kardinal, ihr eingab. Insgeheim hatte die Königin beschlossen, soviel wie irgend möglich von Italien zu erobern. Der Kaiser hatte sich durch Englands dringendes Anraten bestimmen lassen, den Infamen Don Carlos mit Toskana, Parma und Piacenza zu belehnen133-1. Allein Philipp V. versteifte sich auf das Königreich Neapel.
Dieser zügellose Ehrgeiz einer neu erstandenen Macht bewog den Kaiser, mit den Königen von Frankreich und England die Quadrupelallianz zu schließen, um den Unternehmungen Philipps einen mächtigen Damm entgegenzusetzen (1718). Die Holländer, die dem Bündnis beitreten sollten, sparten sich für die Vermittlung auf und wurden durch den Herzog von Savoyen133-2 ersetzt.
Dieser gewaltige Bund änderte nichts an Alberonis Plänen noch an der Entschlossenheit der Königin von Spanien noch an der Begierde ihres königlichen Gemahls, seine Familie zu versorgen. Während Europa glaubte, die spanische Flotte sei nach Neapel bestimmt, landete sie in Palermo, und die Stadt ergab sich. Der Marquis de Lede nahm den Titel eines Vizekönigs von Sizilien an. Indessen erschien Admiral Byng mit zwanzig englischen Schiffen im Mittelmeer und schlug die spanische Flotte in der Meerenge von Messina133-3. Doch obwohl er vierzehn ihrer schönsten Schiffe genommen hatte, konnte er den Marquis de Lede doch nicht hindern, Messina zu erobern. Der Herzog von Savoyen entschloß sich notgedrungen, mit dem Kaiser zu tauschen und Sizilien für das Königreich Sardinien zu geben (1720), dessen Namen er in der Folge annahm.
Alberonis Genius wurde von einer einzelnen Unternehmung nicht hinreichend in Anspruch genommen. Er war vielseitig genug, um mehrere auf einmal zu planen. Seine Entwürfe erstreckten sich nach allen Richtungen, gleich den Minengängen mit mehreren auseinanderstrebenden Ästen, die sich weit ins Feld vorschieben, nacheinander losgehen und den Feind in die Luft sprengen, wo er sich dessen am wenigsten versieht. Eine Mine war in Italien geplatzt, eine zweite ward in Frankreich ausgeblasen.
Es war die berüchtigte Verschwörung, die der Fürst Cellamare133-4 gegen den Regenten ins Werk setzte. Nach diesem Plan sollte Spanien eine Flotte an der Küste der Bretagne landen, die Mißvergnügten von Poitou aufnehmen, den König und den Herzog von Orleans gefangen setzen, die Generalstnde, in denen sich die Nation<134> verkörperte, einberufen und den König von Spanien zum Vormund Ludwigs XV. und Regenten von Frankreich ernennen lassen. Ein eigentümlicher Zufall brachte den Plan zum Scheitern.
Der Geheimschreiber des Fürsten Cellamare gehörte zu den Kunden der Fillon, einer Person, die sehr bekannt dafür war, daß in ihrem Hause heimliche Orgien gefeiert wurden. Der Regent und der Kardinal Dubois hatten sich schon mehr als einmal der Geschicklichkeit dieses Weibes bedient. Eines Tages fand die Fillon den spanischen Geheimschreiber in grüblerischer Laune, die ihm sonst nicht eigen war. Da sie ihm den Grund seiner Verstimmung nicht zu entlocken vermochte, hetzte sie ihm ein geschickes und verschlagenes Mädchen auf den Hals, das ihn zum Trinken und zum Reden brachte. In seiner Trunkenheit durchsuchte ihn das Mädchen. Die Papiere, die er bei sich hatte, schienen der Fillon so bedeutungsvoll, daß sie sie augenblicklich dem Regenten brachte. Der ließ den Geheimschreiber auf der Stelle verhaften. Alle Teilnehmer der Verschwörung wurden entdeckt. Fünf bretonischen Edelleuten kostete es das Leben; der Herzog von Maine, Kardinal Polignac und etliche vornehme Herren wurden verbannt. Der Hof sandte Truppen in die Bretagne. Als der Herzog von Ormond134-1 sich mit der spanischen Flotte dort zeigte, rührte sich nichts. Die Ruhe des Regenten wurde niemals so erschüttert wie durch dies Ereignis. Einige behaupteten sogar, er habe an Abdankung gedacht, aber Kardinal Dubois sei fest geblieben und habe ihn von seinem Vorhaben abgebracht; denn der Kardinal habe nicht genug bewundern können, welche Wege die Vorsehung eingeschlagen hätte, um dem Herzog von Orleans die Regentschaft zu erhalten. Europa glich einem aufgewühlten Meer, das nach dem Sturme grollt und sich nur allgemach besänftigt.
Karl XII. war durch die Schicksalsschläge nicht von seiner Leidenschaft geheilt worden. Sein Groll, der mit ihm nach Schweden gezogen war, brach wider Dänemark los. Vom Erbprinzen von Hessen begleitet, der kurz zuvor des Königs Schwester, Prinzessin Ulrike Eleonore, geheiratet hatte134-2, griff Karl Norwegen an und eroberte Christiania. Da er aber die Zitadelle von Friedrichshall nicht bezwingen konnte und Mangel an Lebensmitteln litt, gab er seine Eroberung auf.
Besorgnis vor den Russen hatte ihn in Schonen zurückgehalten. Jedoch unternahm er im Jahr 1718 einen abermaligen Einfall nach Norwegen. Während der Belagerung von Friedrichshall wurde er im Laufgraben getötet134-3. Seine große Tapferkeit ward sein Unheil: ein Falkonettschuß aus einem elenden Neste endete das Leben Dessen, vor dem der Norden erzitterte. Seine Kühnheit grenzte ans Heldenhafte. Er wäre der größte Mann seines Jahrhunderts gewesen, hätte er Mäßigung und Gerechtigkeit besessen. Des Königs Tod gab das Zeichen zum Waffenstillstand. Die Schweden brachen die Belagerung von Friedrichshall ab und zogen sich über ihre Grenze zurück. Die Dänen folgten ihnen nicht.
<135>Mit Karl XII. kamen auch seine Rachepläne zur Ruhe. Er hatte sich noch mit den weitreichendsten Entwürfen getragen. In seiner Erbitterung gegen König Georg von England, der ihm die Herzogtümer Bremen und Verden entrissen hatte, war er im Begriff, ein Bündnis mit dem Zaren zu schließen, um das Haus Hannover aus England zu vertreiben und den Prätendenten135-1 dort einzusetzen. Görtz, der Nachfolger des Grafen Piper im schwedischen Ministerium, war für den Norden dasselbe, was Alberoni für den Süden war: seine Intrigen hielten alle europäischen Kabinette in Bewegung. Seine Pläne beschränkten sich nicht auf Europa. Er war geschaffen, der Minister Alexanders oder Karls XII. zu werden; um aber seine großartigen Pläne ausführen zu können, überbürdete er Schweden mit Steuern. Das Elend des Volkes und die Königsgunst, deren er sich erfreute, zogen ihm den Haß der Menge zu. Sobald sich die Nachricht vom Tod des Königs verbreitete, machte die Nation seinem Minister den Prozeß. Die Mißgunst erfand ein neues Verbrechen, um ihn zu belasten: er wurde angeklagt, die Nation beim König verleumdet zu haben, und hingerichtet (1719). Durch solche Bestrafung von Görtz schändeten die Schweden mittelbar den Ruhm eines Helden, dessen Andenken sie noch jetzt verehren. Aber das Volk ist ein Ungeheuer, das sich aus Widersprüchen zusammensetzt. Ungestüm springt es von einem Extrem zum anderen übet und achtet in seinen Launen nicht darauf, ob es Laster und Tugend beschützt oder in den Staub zieht. Den frei gewordenen Thron Schwedens bestieg Ulrike Eleonore, die Schwester Karls XII. und Gemahlin des Erbprinzen von Hessen-Kassel.
Friedrich Wilhelm konnte die Tränen nicht zurückhalten, als er den vorzeitigen Tod Karls XII. erfuhr. Er hegte Achtung vor den hohen Fähigkeiten des Königs, und nur mit Bedauern, unter einer Art Zwang war er sein Feind geworden.
Das Beispiel Karls XII. hatte vielen kleinen Fürsten Deutschlands den Kopf verdreht, wiewohl sie zu schwach waren, sein Vorbild nachzuahmen. Herzog Karl Leopold von Mecklenburg verfolgte den ehrgeizigen Plan, ein Heer aufzustellen. Um die Kosten dafür aufzubringen, bedrückte er seine Untertanen maßlos. Die Steuerlast ward so schwer, daß der Adel außer sich geriet und in Wien Klage erhob. Der dortige hannoversche Gesandte, Graf Bernstorff135-2, ein geborener Mecklenburger, verlieh ihnen Nachdruck und setzte beim Kaiser einen fulminanten Erlaß gegen den Herzog durch. Der hatte zwar eine Nichte des Zaren135-3 geheiratet, um sich eines mächtigen Schutzes zu versichern, aber das hielt den Kaiser nicht ab, auf Bernstorffs Betreiben den Kurfürsten von Hannover und den Herzog von Braunschweig zu beauftragen, Mecklenburg in Sequester zu nehmen.
Der König von Preußen beschwerte sich in Wien, daß dieser Auftrag nicht an ihn als Direktor des niedersächsischen Kreises ergangen sei. Der Kaiser antwortete: die<136> Sequestrierung dem König zu übertragen, sei gegen die Reichsgesetze, da er selbst die Anwartschaft auf Mecklenburg habe136-1. Der Zar erklärte darauf, er werde niemals dulden, daß ein Fürst, der in seine Familie hineingeheiratet habe, unterdrückt werde. Friedrich Wilhelm mußte sich in der Angelegenheit vor allem deshalb Zurückhaltung auferlegen, weil der König von England so klug war, bei den Friedensverhandlungen, die Preußen in Schweden führte, den Vermittler zu spielen. Dieser mußte damals also mit großer Schonung behandelt werden. So kam es, daß die Hannoveraner die Durchführung der Sequestrierung behielten, deren Kosten sie auf etliche Millionen berechnen. In diesem Zustand verblieb die Sache, und jetzt, da wir diese Geschichte schreiben, hat sich noch nichts daran geändert.
Wiewohl der Friede zwischen Preußen und Schweden noch nicht geschlossen wurde, war er doch so gut wie hergestellt. Der König, der die Ruhe seines Staates gesichert sah, begann nun erst wahrhaft zu regieren, das heißt, für das Glück seines Volkes zu sorgen. Er haßte die unruhigen Geister, deren ungestüme Leidenschaften so weit um sich greifen, als die Macht der Ränke reicht. Er strebte keineswegs nach dem Ruf der Eroberer, die nichts als den Ruhm lieben, wohl aber nach dem der Gesetzgeber, die nichts anderes vor Augen haben als das Gute und die Tugend. Der geistige Mut, der zur Abstellung von Mißbräuchen und zur Einführung nützlicher Neuerungen in der Verwaltung so notwendig ist, verdiente nach seiner Meinung den Vorzug vor der Tapferkeit aus Temperament, die den größten Gefahren trotzt, ohne Furcht zwar, doch oft auch ohne Bewußtheit. Die Spuren, die sein weises Wirken in seinem Lande hinterließ, werden dauern, solange der preußische Staat besteht136-2.
Friedrich Wilhelm verwirklichte nun sein militärisches System und verknüpfte es so innig mit der ganzen übrigen Organisation, daß man an das Heerwesen nicht rühren konnte, ohne den Staat selbst der Gefahr des Umsturzes auszusetzen. Um die Weisheit dieses Systems beurteilen zu können, wird es vielleicht nicht unnütz sein, den Gegenstand hier ein wenig näher zu erörtern.
Seit der Regierung Friedrichs I. hatten sich eine Menge von Mißbräuchen in den Abgaben eingeschlichen. Sie waren ein Gegenstand der Willkür geworden. Im ganzen Staat wurde der Ruf nach einer Reform laut. Bei der Untersuchung zeigte es sich, daß keinerlei Grundsatz für die Einschätzung der Kontribution136-3 bestand, daß für die Grundbesitzer an manchen Orten die Abgaben auf demselben Fuß belassen waren, auf dem sie vor dem Dreißigjährigen Krieg gestanden hatten, während alle Eigentümer der zahlreichen Ländereien, die seitdem angebaut waren, verschieden besteuert wurden. Um die Lasten im richtigen Verhältnis abzustufen, ließ der König alle anbaufähigen Felder genau vermessen und stellte innerhalb der verschiedenen Klassen <137>von gutem und schlechtem Boden die Gleichheit der Kontribution wieder her. Da die Lebensmittel seit der Regierung des Großen Kurfürsten stark im Preise gestiegen waren, steigerte er auch die Abgaben, sodaß sie den neuen Preisen entsprachen. Dadurch erhöhte er seine Einkünfte bedeutend.
Um aber mit der einen Hand wieder auszustreuen, was er mit der anderen einzog, stellte er neue Infanterieregiments auf und vermehrte seine Kavallerie. Dadurch wuchs das Heer auf 60 000 Mann an. Die Truppen verteilte er über all seine Provinzen, sodaß das Geld, das diese an den Staat bezahlten, durch die Truppen beständig zu ihnen zurückfloß. Um den Landmann nicht mit dem Unterhalt der Soldaten zu belasten, wurde das ganze Heer, Kavallerie wie Infanterie, in die Städte gelegt. Dadurch nahmen die Akzise-Einkünfte zu, die Disziplin der Truppen befestigte sich, die Preise der Waren stiegen, und unsere Wolle, die wir zuvor an das Ausland verkauften und von dort als verarbeitete Ware zurückkauften, verließ nun das Land nicht mehr. Das ganze Heer wurde regelmäßig alle Jahre neu eingekleidet, und Berlin bevölkerte sich mit einer guten Anzahl Arbeiter, die nur von ihrem Gewerbe leben und nur für die Truppen arbeiten. Die Manufakturen wurden gediegen eingerichtet, kamen in Blüte und versorgten einen großen Teil der nordischen Völker mit Wollstoffen. Das Heer, das schon im Jahre 1718 nahezu 60 000 Mann stark war, sollte dem Staate durch die große Zahl der Aushebungen, deren es bedurfte, nicht zur Last fallen. Daher erließ der König eine Verordnung, durch die jeder Hauptmann verpflichtet wurde, im Reich Leute anzuwerben. Ein paar Jahre später bestanden die Regimenter nur zur einen Hälfte aus Bürgern, zur anderen aus Ausländern.
Der König bevölkerte Ostpreußen und Litauen, wo die Pest verheerend gehaust hatte, aufs neue. Aus der Schweiz, aus Schwaben und der Pfalz ließ er Kolonisten kommen und half ihnen mit ungeheuren Kosten, sich anzusiedeln. Mit nicht geringem Aufwand an Zeit und Mühe gelang es ihm schließlich, die verwüsteten Lande mit neuen Wohnstätten und neuen Einwohnern zu versehen, nachdem sie eine Zeitlang aus der Zahl der bewohnten Länder gestrichen waren. Alljährlich bereiste er jede Provinz, ermutigte in diesem periodischen Kreislauf überall den Gewerbfleiß und begründete den Wohlstand. Viele Fremde wurden ins Land gezogen. Diejenigen, die in den Städten Manufakturen errichteten oder neue Kunstfertigkeiten lehrten, wurden durch Vorrechte, Privilegien und Belohnungen angefeuert.
Ränkesucht und Bosheit eines einfachen Privatmannes störten für einige Zeit die Ruhe, deren sich der Hof und der Staat erfreuten. Der Unglückselige war ein ungarischer Edelmann namens Klement. Er hoffte, durch abgefeimte Schurkereien sein Glück zu machen. Er war vom Prinzen Eugen und dann vom Feldmarschall Flemming in untergeordneten Geschäften verwendet worden. Durch Betrügereien war es ihm gelungen, Mißhelligkeiten zwischen dem kaiserlichen und dem sächsischen Hof zu erregen. Da er nur von Ränken lebte, hatte er oft neue Gimpel nötig.<138> So entschloß er sich, seine Brandschatzungen auf die Börse des Königs von Preußen auszudehnen. Er kam also nach Berlin (1718) und führte sich beim Hofe damit ein, daß er sich erbot, Geheimnisse von der allergrößten Bedeutung zu enthüllen. Seine Geheimnisse bestanden in einer angeblichen Verschwörung zwischen dem Kaiser und dem König von Polen. Die Hauptpersonen des Berliner Hofes sollten darein verwickelt sein. Klewent versicherte, die Mißvergnügten seien durch den Köder des Reichtums und durch Verlockung ihres Ehrgeizes bestochen worden. Der Plan der Verschwörung lief nach seiner Behauptung darauf hinaus, den König in seinem Jagdschloß Wusterhausen, wo er regelmäßig zwei Herbstmonate verbrachte, gefangen zu nehmen und dem Kaiser auszuliefern. Das Projekt erhielt eine gewisse Wahrscheinlichkeit durch den Umstand, daß Wusterhausen nur vier Meilen von der sächsischen Grenze entfernt lag und der König dort ohne militärischen Schutz war.
Friedrich Wilhelm begegnete den Eröffnungen anfänglich mit Verachtung. Wankend ward er erst, als ihm Klementt einen Brief des Prinzen Eugen zeigte, der des Verschwörerplanes voll war. Der verbrecherische Mensch machte sich anheischig, alles, was er vorgebracht hatte, dem König vollkommen überzeugend zu beweisen, und zeigte ihm zu diesem Zweck Briefe des Fürsten von Anhalt, des Generals Grumbkow138-1 und anderer hoher Herren vom Hofe. Seine freche Verwegenheit hatte so großen Erfolg, daß der König in quälenden Argwohn und fortwährendes Mißtrauen verfiel. Endlich nahm er sich vor, persönlich die Probe zu machen, ob Klement die Schrift der Persönlichkeiten, die er anklagte, erkennen würde. Ein Pack Briefe von verschiedener Hand wurde auf einem Tisch ausgebreitet und dem Betrüger aufgegeben, die Handschriften herauszufinden. Er irrte sich dabei, und seine Schurkerei kam ans Licht. Im Gefängnis gestand er, Schrift und Siegel des Prinzen Eugen gefälscht zu haben. Er erhielt den gerechten Lohn seiner niederträchtigen Betrügereien: er wurde hingerichtet (1720).
Indes gingen diese falschen Beschuldigungen nicht vorüber, ohne einige Begünstigte zu stürzen und für eine Weile Mißtrauen und Verdacht zu säen. Verleumdung dringt leichter in den Sinn der Fürsten als Rechtfertigung. Sie kennen die Menschen genug, um zu wissen, daß es fleckenlose Tugend kaum gibt, und sehen so viel Beispiele von der Bösartigkeit des Menschenherzens, daß sie der Täuschung mehr ausgesetzt sind als Privatleute, die fern von der großen Welt leben. Klements Lügen waren übrigens einigermaßen glaubhaft geworden durch die Verschwörung des Fürsten Cellamare, die noch in ganz frischer Erinnerung war.
Die Verschwörung Cellamares, die weit mehr auf Wirklichkeit beruhte als die Klements, zog auch sehr viel bedeutsamere Folgen nach sich. Mit Hilfe der kurz zuvor geschlossenen Quadrupelallianz war es dem Regenten ein leichtes, sich für die Unter<139>nehmungen des Kardinals Alberoni zu rächen, ohne die geringste Gefahr zu laufen. Er versäumte die Gelegenheit nicht. Als er Spanien den Krieg erklärte, ließ er verkünden, er habe es nur auf den Premierminister abgesehen. Berwick, der Führer des französischen Heeres, nahm San Sebastian und Fuenterrabia, während die englische Flotte die Häfen San Antonio und Vigo zerstörte und Mercy, der mit dem Heer des Kaisers nach Sizilien übersetzte, den Marquis de Lede zur Aufhebung der Belagerung von Melazzo zwang und Syrakus, Stadt und Zitadelle, zurückeroberte.
Der König von Spanien zog mit seinem Heer an die Grenzen seines Reiches. Er führte eine Kolonne seiner Truppen, die Königin führte die zweite und der Kardinal die dritte. Allein sie waren alle drei nicht zu Heerführern geschaffen, und der König, durch die schlimme Wendung entmutigt, die der Anfang des Krieges für ihn nahm, opferte lieber seinen Minister, als daß er seine Monarchie größeren Fährlichkeiten aussetzte139-1. Es war in der Tat das einzige Mittel, um Europa wieder einen dauerhaften Frieden zu verschaffen. Dem Kardinal Alberoni hätte man zwei Welten wie die unsere zum Umstürzen geben können, er hätte noch eine dritte verlangt. Seine Entwürfe gingen allzusehr ins Maßlose, seine Phantasie war zu üppig: er hatte beschlossen, den Kaiser aus Italien zu vertreiben, seinen Herrn zum Regenten von Frankreich zu machen, und um den Prätendenten139-2 wieder auf den Thron Englands zu setzen, wollte er Karl XII. gegen König Georg aufstacheln und Türken und Russen auf Kaiser Karl VI. hetzen. Der Grund, weshalb alle derartig weitgedehnten Pläne der Ehrgeizigen scheitern, scheint der zu sein, daß in der Politik wie in der Mechanik die einfachen Maschinen einen außerordentlichen Vorzug vor den allzu komplizierten voraushaben: je verwickelter die Triebwerke für ein und dieselbe Bewegung sind, um so weniger sind sie zu brauchen.
Alberonis Begeisterung übertrug sich keineswegs auf die Fürsten, die seinen Plan ausführen sollten; er selbst war von seinen Ideen lebhaft durchdrungen, die anderen wurden von ihnen nur leicht berührt. Wenn der gesunde Menschenverstand sich wirklich einmal in die gefahrenreiche Bahn der Phantasie ziehen läßt, so verweilt er doch nicht lange darin: das Nachdenken hemmt ihn, die Voraussicht macht ihn scheu, und oft entmutigen ihn die Hindernisse. Das sollte Alberoni an den Fürsten erfahren, die er in seine Pläne verstricken wollte. Er geriet selber in die Falle, die er der Ruhe Europas gestellt hatte. Mit den Pässen der Mächte, die er am schwersten gekränkt hatte, kehrte er nach Italien zurück. Eine Feuersbrunst, die Europa verhängnisvoll werden konnte, wurde verhütet, indem die Fackel ausgelöscht wurde, die den Brand entfachen sollte. Alberonis Sturz brachte Spanien wieder in sein wahres Gleichgewicht. Es suchte die Freundschaft Frankreichs und trat um der aufrichtigen Versöhnung willen selber der Quadrupelallianz bei (1720).
<140>So gelang es dem Regenten zwar, die Händel zwischen Frankreich und Spanien rühmlich zu beenden, aber er hatte nicht das Glück, sein Land vor einem Zusammenbruch zu bewahren, der größer und allgemeiner war als die schlimmen Folgen langer, verderblicher Kriege. Das Lawsche System hatte die Vorliebe der Franzosen für das Wertpapier bis zur Tollheit gesteigert. Als einige jählings ihr Glück machten, kam es wie ein Rausch über das Volk. Es trieb die Dinge auf die Spitze, bis alles verloren war.
Im Jahre 1716 war Law Direktor der Staatsbank geworden140-1. Von da ab begann er, sein berüchtigtes System zu entwickeln. Er rief die Occident- oder Mississippi-Kompagnie ins Leben und die Bank, deren Schutzherr und zugleich Eigentümer der König von Frankreich war. Die Absicht des Regenten und Laws war, die Fonds des Landes zu verdoppeln, indem sie den Kredit des Papiers durch das wirklich vorhandene Bargeld aufrechterhielten, dann aber allmählich das Bargeld in die Truhen des Königs abzuführen.
Das Edikt vom 27. Februar 1720 verbot den Bürgern bei schwerster Strafe, mehr als fünfhundert Limes an barem Gelde im Haus zu haben. Den ersten Aktien folgten neue, die man Töchter nannte; zuletzt brachten die Töchter Enkelinnen zur Welt, und das Papiergeld, das auf diese Weise geschaffen wurde, stieg auf drei Milliarden und siebzig Millionen. Alle Staatsschulden wurden mit Scheinen, die an einer bestimmten Ecke gestempelt waren, bezahlt. Die Grundlagen des Gebäudes waren ursprünglich nur für ein bestimmtes Verhältnis berechnet. Man wollte es aufs Doppelte und Vierfache erhöhen; da brach es zusammen, verwickelte das ganze Reich in seinen Sturz und riß gleichzeitig auch den Architekten, der es gebaut hatte, mit sich. Law war mehr denn einmal in Gefahr, vom Volk gesteinigt zu werden, als sein Papier ins Sinken kam. Schließlich verließ er Frankreich, unter Verzicht auf das Amt des Generalkontrolleurs der Finanzen, das ihm zu Beginn des Jahres verliehen worden war, und auf die großen Besitztümer; die er im Königreich hatte. Law war nicht reich, als er nach Frankreich kam, nicht reicher, als er es verließ. Er nahm seine Zuflucht nach Venedig, wo er sein Leben in Armut beschloß.
In wenigen Epochen führt uns die Geschichte binnen so kurzer Frist so viele gedemütigte Ehrgeizige vor. So rasch ein Görtz, ein Alberoni, ein Law durch Glücksgunst emporgestiegen waren, so jäh war ihr Sturz. Aber der Ehrgeiz hört auf einen Rat; an Abgründen entlang führt ihn sein Weg in die Irre.
Nach dem Sturz von Alberoni und Görtz atmeten der Süden und Norden Europas gleichermaßen auf. Der Friede, über den der König in Stockholm unterhandeln ließ, gelangte endlich zum Abschluß (1720). Dabei verringerte Friedrich Wilhelm seine Vorteile durch seine Mäßigung. Nach der Gepflogenheit der Minister<141> ließ Jlgen141-1 nicht ab, ihm vorzustellen, er müsse seinen Vorteil wahrnehmen. Wenn er sich weiter darauf versteife, werde Schweden gezwungen sein, ihm die Insel Rügen und die Stadt Wolgast abzutreten. Ebenso könne er bei den Dänen die Befreiung vom Sundzoll durchsetzen. Die Antwort des Königs befindet sich in den Archiven. Mit eigener Hand schrieb er: „Ich bin zufrieden mit dem Schicksal, das ich dank der Gnade des Himmels genieße, und will mich niemals auf Kosten meiner Nachbarn vergrößern.“ Er bezahlte Schweden zwei Millionen für die Einverleibung Pommerns, sodaß diese Erwerbung eher einen Kauf als eine Eroberung bedeutete.
Der König von England, der durch seine Vermittlung den Stockholmer Frieden beschleunigt hatte, machte bald danach seinen Frieden mit Spanien. Philipp V. trat Gibraltar und Port Mahon an England ab141-2, unter der Bedingung, daß König Georg sich nicht mehr in die Angelegenheiten Italiens einmische.
In Wien blickte man verstimmt und mißgünstig auf die Erfolge des Königs von Preußen. Das Haus Österreich wünschte, daß die deutschen Fürsten, die es als seine Vasallen betrachtet, ihm gegen seine Feinde Dienste leisteten, nicht aber, daß sie ihre Stärke zur eignen Ausbreitung benutzten. Der Große Kurfürst hatte dem Kaiser zur Seite gestanden, weil ihre Interessen oft Hand in Hand gingen. König Friedrich I. hatte ihn unterstützt, weil es seinen Vorurteilen entsprach und weil er die Anerkennung als König von Preußen erreichen wollte. Da Friedrich Wilhelm bisher weder Vorurteile noch Interessen hatte, die ihn so eng an das Haus Österreich fesselten, stellte er ihm für die Kriege in Ungarn und Sizilien keine Hilfstruppen. Er war durch keinen Vertrag an den Kaiser gebunden. Überdies entschuldigte er sich mit dem Vorwand, er habe neue Unternehmungen von seiten der Schweden zu befürchten. Im Grunde war er nur zu weitblickend, um seine eignen Ketten zu schmieden, indem er am Wachstum des Hauses Österreich mitarbeitete, das auf die unumschränkte Herschaft über Deutschland ausging.
Friedrich Wilhelms weise und maßvolle Politik wandte sich gänzlich dem inneren Ausbau seiner Staaten zu. Er hatte sich eine anmutige Residenz in Potsdam geschaffen, das ursprünglich nur ein Fischerdörfchen war. Er machte daraus eine schöne, große Stadt. In ihr erblühten Künste jeder Art, von den alltäglichen bis zu denen, die dem raffinierten Luxus dienen. Leute aus Lüttich, die er durch seine Freigebigkeit angezogen hatte, errichteten dort eine Waffenfabrik, die nicht allein das preußische Heer, sondern auch die Truppen einiger nordischen Mächte versorgte. Bald wurden in Potsdam auch Sammete so schön wie in Genua hergestellt. Alle Ausländer, die ein Gewerbe verstanden, wurden in Potsdam aufgenommen, angesiedelt und belohnt. Der König errichtete in der Stadt, deren Gründer er war, ein großes Militärwaisen<142>haus, wo alljährlich 2 500 Soldatenkinder Unterkunft finden und alle Berufsarten erlernen können, zu denen sie Anlage zeigen. Desgleichen baute er eine Anstalt für Mädchen, die dort zu Arbeiten erzogen werden, wie sie ihrem Geschlecht ziemen142-1. Durch diese mildtätigen Einrichtungen linderte er das Elend der Soldaten, die für eine Familie zu sorgen hatten, und verschaffte den Kindern eine gute Erziehung, die sie von ihren Vätern nicht erhalten konnten. Im selben Jahr vermehrte er das Kadettenkorps, worin dreihundert junge Edelleute zum Waffendienst vorgebildet werden. Einige alte Offiziere wachen über ihre Erziehung. Lehrer bringen ihnen Kenntnisse bei und unterweisen sie in den körperlichen Übungen, mit denen Personen von Stande vertraut sein müssen.
Keine Sorge ist des Gesetzgebers würdiger als die um die Erziehung der Jugend142-2. In zartem Alter sind die jungen Pflanzen noch empfänglich für Eindrücke aller Art. Flößt man ihnen Liebe zur Tugend und zum Vaterland ein, so werden sie gute Bürger. Und die guten Bürger sind das beste Bollwerk der Staaten. Verdienen die Fürsten dafür unser Lob, daß sie ihre Völker mit Gerechtigkeit regieren, so gewinnen sie sich unsere Liebe, indem sie ihre Fürsorge auf die Nachkommenschaft ausdehnen.
Im selben Jahr (1722) sandte der König den Grafen Truchseß142-3 nach Frankreich zur Beglückwünschung Ludwigs XV., der das mündige Alter erreicht hatte und zu Rheims gesalbt wurde.
Die Verleumdungen gegen den Herzog von Orleans hatten im Volk so starken Eindruck gemacht, daß Frankreich jeden Tag auf den Tod seines Königs gefaßt war. Statt dessen sah es unvermutet das Ende des Regenten eintreten (1723). Der Herzog<143> hatte es versäumt, sich um die gewohnte Zeit die Ader schlagen zu lassen, und wurde in den Armen der Frau von Phalaris vom Schlage getroffen, in einem Augenblick der Ekstase, der es zweifelhaft ließ, ob er mit freudiger oder schmerzlicher Empfindung den Geist aufgegeben hatte. Als König August von Polen die näheren Umstände dieses Todesfalls erfuhr, sprach er die Worte der Schrift: „O daß meine Seele den Tod dieses Gerechten sterbe!“ Kardinal Dubois war dem Regenten einige Monate vorangegangen; im Volke hieß es nun, er sei vorausgereist, um dem Regenten bei einer Fillon der anderen Welt Quartier zu bestellen.
Die Regentschaft fand mit dem Tod des Herzogs von Orleans ihr Ende, und der Herzog von Bourbon ward Premierminister.
Der Wechsel in der Regierung Frankreichs und einige Unternehmungen des Hauses Österreich, die den Friedensverträgen zuwiderliefen, führten eine Änderung im ganzen politischen System Europas herbei. Es handelte sich um folgendes: Der Kaiser hatte den Kaufleuten von Ostende Vollmachten zum Handel mit Indien ausstellen lassen143-1. Das erregte die Aufmerksamkeit aller handeltreibenden Nationen. Frankreich, England und Holland wurden durch den für sie gleich nachteiligen Plan heftig beunruhigt und vereinigten sich, um die Unterdrückung der neuen Handelskompagnie zu fordern. Aber der Wiener Hof ließ sich dadurch nicht aus seiner Ruhe bringen und wollte sein Handelsprojekt stolzen Mutes durchführen.
Man nahm seine Zuflucht zur gütlichen Aussprache. Sie erschien als das rechte Mittel zur Beendigung dieses Zwists und zum Ausgleich anderer Interessengegensätze, wie sie hinsichtlich der Eventual-Erbfolge in Parma und Piacenza143-2 bestanden. Es wurde ein Kongreß nach Cambrai berufen (1724). Aber niemand wollte von seinem Standpunkt weichen. Die Gesandten disputierten, wie billig, mit Feuereifer. Jeder stützte seine Sache mit Argumenten, auf die es nach seiner Meinung keine Erwiderung gab. Die Gasthausbesitzer und Weinhändler bereicherten sich, die Fürsten bezahlten die Kosten, und der Kongreß ging auseinander, ohne irgend etwas entschieden zu haben.
Während die Staatsmänner vergeblich so bedeutende Fragen erörterten, entzog sich Philipp V. der Aufsicht seiner Gattin und dankte plötzlich zugunsten seines Sohnes Ludwig ab. Um ihm die Krone zu verschaffen, deren er sich nun freiwillig begab, hatte Frankreich so viele Schätze vergeudet! Allein der Tod seines Sohnes drückte dem König die Zügel der Regierung wieder in die Hand und ließ ihm keine Zeit, seiner Abdankung nachzutrauern143-3.
Kaum hatte er den Thron wieder bestiegen, als er ohne Englands Vorwissen einen Handelsvertrag mit dem Kaiser schloß143-4. Graf Königsegg, Karls VI. Botschafter<144> in Madrid, hatte die Königin von Spanien durch den Vorschlag der Vermählung des Infanten Don Carlos mit der Erzherzogin Maria Theresia, der Erbin des Hauses Österreich, geködert. Die Hoffnung, in ihren Häusern alle Besitzungen Karls V. wieder zu vereinigen, bewog die Königin und den König von Spanien, dem Kaiser sehr vorteilhafte Bedingungen zu machen.
König Georg hegte den Argwohn, der Vertrag enthalte geheime Vereinbarungen zugunsten des Prätendenten. Frankreich war ungehalten, weil Spanien es dem Kaiser durch seine Subsidien ermöglichte, die Ostender Kompagnie durchzusetzen. Der König von Preußen war durch mehrere heftige Dekrete gekränkt, die Karl VI. ihm wegen gewisser Zinsforderungen an die Magdeburger Lehngüter gesandt hatte. Da alle drei Mächte Beschwerden gegen den Wiener Hof hatten, mußten die Bande, die sie miteinander knüpften, um so haltbarer sein, als sie auf ihren Sonderinteressen beruhten. Diese Einheit der Anschauungen führte zum Vertrag von Hannover144-1.
Der Form nach war es ein Schutzbündnis und beruhte auf gegenseitigen Garantieleistungen. Frankreich und England verpflichteten sich in einer unbestimmten Fassung, die alle möglichen Auslegungen zuließ, zur Vermittlung nach dem Tode des Kurfürsten von der Pfalz, damit Preußens Rechte auf die Erbfolge in Berg in keiner Weise geschmälert würden144-2. Schweden, Dänemark und Holland traten dem Vertrag nachträglich bei. Frankreich und England wollten in Wirklichkeit dem Haus Österreich zu Leibe. Zu diesem Zweck hofften sie, sich des Königs von Preußen zu bedienen, um dem Kaiser Schlesien wegzunehmen. Friedrich Wilhelm war nicht abgeneigt, die Ausführung des Planes auf sich zu nehmen. Er verlangte nur, daß eine einzige Brigade Hannoveraner zu seinen Truppen stieße, damit er sich nicht ganz allein in ein so bedeutsames Unternehmen einließe, oder aber daß die Verbündeten mit ihm eine Diversion gegen Österreich verabredeten, die sie von einer anderen Seite her zur selben Zeit ins Werk setzen sollten, wenn er die Operationen in Schlesien begänne. Diese Alternative war vernünftig; doch der König von England wollte sich nicht unzweideutig dazu erklären.
Als die Verbündeten kaum ihren Vertrag in Hannover unterzeichnet hatten, kam in Wien ein anderes Bündnis zwischen dem Kaiser, dem König von Spanien, dem Zaren144-3 und einigen deutschen Fürsten zustande. Durch solche großen Bünde, die Europa in zwei mächtige Parteien spalten, wird das Gleichgewicht der Kräfte aufrechterhalten; die Stärke der einen hält die Macht der anderen in Respekt. So beugt die Klugheit geschickter Staatsmänner oft Kriegen vor und erhält den Frieden selbst dann noch, wenn der Krieg schon vor der Tür sieht.
Sobald der Zar den Wiener Vertrag unterzeichnet hatte, erhob er beim König von Preußen eindringliche Vorstellungen wegen seiner Parteinahme. Unter Drohungen,<145> die mit höflichen Redensarten verbrämt waren, gab er ihm zu verstehen, daß er nicht gleichgültig zusehen werde, wenn die Erblande des Kaisers angegriffen würden.
Unter diesen Umständen starb Peter I. und hinterließ der Welt den Ruf nicht sowohl eines großen als eines außergewöhnlichen Mannes, der unter den Grausamkeiten eines Tyrannen die Tugenden eines Gesetzgebers barg. Kaiserin Katharina, seine Gattin, übernahm seine Nachfolge.
Sie war eine geborene Livländerin von niedrigster Herkunft, Witwe eines schwedischen Unteroffiziers und nacheinander die Mätresse mehrerer russischer Offiziere, dann Menschikows. Schließlich verliebte sich der Zar in sie und eignete sie sich an. Im Jahre 1711, als er sich mit seinem Heer dem Pruth näherte, setzten die Türken über den Fluß und verschanzten sich gegenüber seinem Lager. Er hatte 200 000 Feinde vor sich und im Rücken einen Fluß, den er nicht überschreiten konnte, da es an Brücken fehlte. Der Großwesir griff ihn zu wiederholten Malen an. Als seine Truppen mehrmals zurückgeschlagen waren, änderte er seinen Plan. Durch die Aussage eines Überläufers erfuhr er, daß das moskowitische Heer unter furchtbarem Mangel zu leiden hatte und im Lager des Zaren nur noch für wenige Tage Lebensmittel vorhanden waren. Daraufhin begnügte er sich damit, die Russen zu blockieren. Gerade das hatte Peter I. am meisten gefürchtet. Sein Heer war beinahe aufgerieben. Ihm blieben kaum 30 000 Mann, und die waren vom Elend niedergedrückt, vom Hunger entkräftet, ohne Hoffnung und folglich mutlos. In dieser verzweifelten Lage faßte der Zar einen Entschluß, der seiner Seelengröße würdig war. Er gab dem Feldmarschall Scheremetjew Befehl, das Heer solle sich bereit halten, am nächsten Morgen mit dem Bajonett sich einen Weg durch die Feinde zu bahnen. Hierauf ließ er alles Gepäck verbrennen und zog sich, von Schmerz überwältigt, in sein Zelt zurück. Katharina allein behielt inmitten der allgemeinen Verzweiflung den Kopf oben, während jedermann auf Tod oder Sklaverei gefaßt war. Ihr Mut strafte ihr Geschlecht und ihre Herkunft Lügen. Sie hielt Rat mit den Generalen und beschloß, die Türken um Frieden zu bitten. Der Kanzler Schaffirow setzte den Brief Peters I. an den Wesir auf, und mit Zärtlichkeiten, Bitten und Tränen brachte Katharina den Zaren dazu, ihn zu unterzeichnen. Darauf raffte sie alle Schätze zusammen, die sie im Lager noch auftreiben konnte, und schickte sie dem Wesir.
Nach mehrmaliger Abweisung taten die Geschenke ihre Wirkung. Der Friede ward geschlossen. Durch die Abtretung von Azow an die Türken zog sich Peter I. aus einer Lage, die ebenso gefahrvoll war wie jene, in die Karl XII. bei Pultawa, dem Wendepunkt seines Glückes, geriet. Die Dankbarkeit des Zaren entsprach dem Dienst, den Katharina ihm erwiesen hatte. Er fand sie wert, den Staat zu regieren, den sie gerettet hatte. Er erklärte sie für seine Gemahlin, und sie ward zur Kaiserin gekrönt. Sie regierte Rußland mit Klugheit und Festigkeit und hielt sich an die Verpflichtungen, die der Zar mit Kaiser Karl VI. eingegangen war.
<146>Während ganz Europa sich wappnete, heiratete Ludwig XV. die Tochter Stanislaus Leszczynskis, des entthronten Königs von Polen146-1. Der Herzog von Bourbon, der die Königin von Frankreich ausgewählt hatte, vermählte sich kurz danach mit der Prinzessin von Hessen-Rheinfels146-2, die von rührender Schönheit war. Es wird behauptet, der König von Frankreich habe danach zu ihm gesagt, er wähle besser für sich selbst als für andere. Indessen zeigte die Königin von Frankreich nachmals, daß sie durch Herz und Charakter Ersatz gab für die flüchtigen Reize einer Schönheit, die der geringste Zufall vernichten kann.
Das ganze Jahr 1726 verstrich unter Kriegsvorbereitungen. Drei moskowitische Linienschiffe kamen nach Spanien und überwinterten dort im Hafen San Andrea. Die Engländer schickten drei Flotten in See. Die eine segelte nach Indien, die zweite nach den spanischen Küsten und die dritte nach der Nordsee. Frankreich vermehrte seine Regimenter und schuf eine Miliz von 600 000 Mann.
Der König von Preußen befand sich in einer schwierigen und mißlichen Lage. Er sah sich am Vorabend eines Krieges, bei dem er am meisten aufs Spiel setzte, ohne des Beistands seiner Verbündeten sicher zu sein. Er war dem Einbruch der Mokowiter ausgesetzt und sollte einen Plan vollstrecken, den man ihm verhehlte. Die Provinzen, die erobert werden sollten, waren bestimmt; aber die Teilung, die danach zu geschehen hatte, war nicht geregelt. Kurz, um alles zu sagen, dem hannoverschen Minister König Georgs beliebte es, den König von Preußen wie eine untergeordnete Macht zu behandeln. Soviel Gefahren, sowenig Gewinn in Aussicht, dazu diese maßlose Arroganz: das erfüllte den König mit Widerwillen gegen den gebieterischen Ton, in dem seine Verbündeten mit ihm zu verkehren beliebten. Von nun an sann er darauf, seine Bürgschaften anderwärts zu finden.
Dies Jahr brachte den Premierministern Unheil. In Madrid wurde der Herzog von Ripperda entlassen und verhaftet, weil er den Wiener Vertrag geschlossen hatte. Er entfloh aus dem Gefängnis und ging zum Kaiser von Marokko, wo er bald hernach starb. Der Herzog von Bourbon erfuhr ein milderes, aber beinahe ähnliches Schicksal. Der ehemalige Bischof von Frejus, der Erzieher des Königs von Frankreich146-3, brachte es durch seine Geschicklichkeit zuwege, daß der Herzog verbannt wurde. Der Erzieher ward Premierminister und Kardinal. Seine ersten Amtshandlungen waren darauf gerichtet, das Volk von dem Druck der Steuern zu befreien, der schwer auf ihm lastete. Er tat viel Gutes für die königlichen Finanzen, in denen er Sparsamkeit einführte; aber das Heerwesen und namentlich die Flotte, die er vernachlässigte, kamen dabei um so schlechter fort. Schmiegsam, furchtsam und verschlagen, wie er war, behielt er auch in seiner Tätigkeit als Minister die Fehler eines Priesters bei. Es ist eine alte Wahrheit, daß das Amt den Mann ehrt, aber nicht ändert. Noch ein Mißgeschick könnten wir berichten: Erhebung und Sturz<147> des Grafen Moritz von Sachsen, der durch die Wahl der Stände Herzog von Kurland geworden, von den Russen aber mit Gewalt aus seinem Land vertrieben wurde147-1. Es ist derselbe Graf von Sachsen, den wir als glänzenden Führer der Heere Ludwigs XV. kennen und dessen hohe Gaben die vornehmste Abkunft aufwiegen.
Im Jahre 1727 verlor Europa zwei gekrönte Häupter. Die Kaiserin Katharina starb, und ihr Nachfolger ward Peter Alexejewitsch, ein Enkel Peters I. Er war noch ein Kind und wuchs unter den Augen einiger Bojaren auf, die den alten Bräuchen ihres Volkes anhingen und dem jungen Fürsten eine Vormundschaft ohne Ende bereiteten. In England folgte Georg II. auf seinen Vater, der eben gestorben war.
Friedrich Wilhelm und Georg II. waren zwar großenteils zusammen aufgewachsen und außerdem Schwäger, aber von zarter Jugend an konnten sie einander nicht ausstehen. Als beide auf dem Thron saßen, drohte der persönliche Haß, die starke Antipathie zwischen ihnen Unheil über ihre Völker zu bringen. Der König von England nannte den König von Preußen „mein Bruder Korporal“; Friedrich Wilhelm nannte den König Georg „mein Bruder Komödiant“. Die feindselige Gesinnung übertrug sich bald von den Personen auf die Staatsgeschäfte und verfehlte nicht, bei den größten Ereignissen mitzuspielen. Es liegt im Los aller menschlichen Dinge, daß sie von leidenschaftlichen Menschen gelenkt und daß ursprünglich kindliche Beweggründe zum Ausgangspunkt für eine Reihe von Vorgängen werden, die zu den größten Umwälzungen führen.
Bald nach Georgs II. Thronbesteigung kam Graf Seckendorff nach Berlin147-2. Als General diente er gleichzeitig dem Kaiser und Sachsen. Schmutziger Eigennutz beherrschte ihn; seine Manieren waren grob bis zum Flegelhaften; die Lüge war ihm so zur Gewohnheit geworden, daß er darüber den Gebrauch der Wahrheit verlernt hatte: eine Wuchererseele, die sich bald in dem Soldaten, bald in dem Diplomaten offenbarte. Nichtsdestoweniger bediente sich die Vorsehung gerade dieser Persönlichkeit, um den Vertrag von Hannover zu zerreißen. Seckendorff hatte in Flandern die Belagerung von Tournai mitgemacht und die Schlacht bei Malplaquet, an der auch der König teilgenommen hatte. Friedrich Wilhelm hatte eine ganz besondere Vorliebe für alle Offiziere, die er in jenem Krieg kennen gelernt hatte. Im Gespräch mit dem General beklagte er sich, daß seine Verbündeten ihm viel Grund zur Verstimmung gäben. Seckendorff ging sofort darauf ein, und es fiel ihm nicht schwer, die schlimmen Praktiken Frankreichs und namentlich Englands zu verdammen. Er stellte den Kaiser als einen Fürsten hin, der seine Verbindlichkeiten ernster nehme und als Freund zuverlässiger sei. Er malte dem König alle Vorteile<148> einer Verbindung zwischen Preußen und Österreich aus und eröffnete ihm die verlockende Aussicht, der Kaiser werde ihm bereitwillig jede Sicherheit für den völligen Besitz des bergischen Erbes gewähren. Kurz, er wußte den König mit solcher Geschicklichkeit für sich einzunehmen, daß er ihn bewog, zu Wusterhausen148-1 einen Vertrag mit dem Kaiser zu unterzeichnen. Er bestand aus gegenseitigen Garantien und einigen Artikeln über den Salzhandel, den Brandenburg auf der Oder mit Schlesien unterhält.
Der Vertrag war kaum geschlossen, als in Deutschland ein neuer Krieg auszubrechen drohte, und zwar zwischen den Königen von Preußen und England (1729). Die Frage, die den Anlaß gab, war so bedeutungslos, daß sie nur solchen Fürsten zum Vorwand dienen konnte, die darauf erpicht sind, einander zu schädigen148-2. Der Streit entstand wegen der nicht regulierten Grenzen zweier kleiner Wiesen, die an der Landscheide zwischen der Altmark und dem Herzogtum Celle lagen, und wegen ein paar hannoverscher Bauern, die von preußischen Offizieren angeworben waren. Der König von England, der damals in Hannover war, griff zu Repressalien und ließ vierzig preußische Soldaten verhaften, die, mit Pässen versehen, durch sein Land kamen. Beide Fürsten suchten nach Scheingründen, um sich zu entzweien, wiewohl die Könige sich mitunter selbst diese Mühe noch sparen. Der König von Preußen sah durch den Streit um die kleinen Wiesen und durch die Festnahme der vierzig Soldaten seine Ehre angetastet und gab sich seinem alten Grolle hin. Der Kaiser schürte das Feuer. Er hätte gern gesehen, daß die beiden mächtigsten Fürsten Deutschlands sich gegenseitig zugrunde richteten. Er versprach eine Unterstützung von 12 000 Mann. Der König von Polen, der gegen den von England verstimmt war, bot 8 000 Mann an.
Ganz Preußen war schon in Bewegung. In ununterbrochener Folge zogen die Truppen nach der Elbe. Hannover erzitterte. Georg, der auf einen Krieg nicht gefaßt war, wandte sich mit der dringenden Bitte um Hilfstruppen an Schweden, Dänemark, Hessen und Braunschweig, die Empfänger englischer Subsidien. Auch in Frankreich, Rußland und Holland schlug er Lärm. Um den König von Preußen zum Bruche zu drängen, verbürgte sich der Kaiser für alle preußischen Besitzungen an der Weser und am Rhein. Die Angelegenheit schien außerordentlich ernst werden zu wollen, als sie unvermutet ein anderes Gesicht bekam. Der König berief seinen Staatsrat zusammen, der aus seinen ersten Staatsmännern und ältesten Generalen bestand. Ihnen legte er die Lage dar und wünschte ihre Meinung zu hören. Feldmarschall Natzmer148-3, ein jansenistischer Protestant, hielt eine lange Rede, worin er es beklagte, daß die protestantische Religion durch den Hader der beiden einzigen deutschen Fürsten, die ihre Schutzherren waren, dem Untergang nahe sei.<149> Die Minister wiesen darauf hin, der kaiserliche Hof müßte geheime Gründe haben, wenn er so arglistig zum Kampfe hetze, zumal in einer Frage, die an sich so unbedeutend sei und sich noch immer gütlich beilegen lasse. Ein Herrscher, der Ratschläge anhört, ist auch imstande, sie zu befolgen. Der König errang an jenem Tag einen schöneren Sieg über sich selbst, als er über seine Feinde hätte davontragen können: er überwand seine Leidenschaften zum Besten seines Volkes. Beide Parteien wählten die Herzöge von Braunschweig und von Gotha zur Beilegung der kleinen Zwistigkeiten.
Der Kaiser tat sein Möglichstes, um die Unterhandlung zu durchkreuzen; aber sie wurde rasch zu Ende geführt. Die preußischen Soldaten wurden freigelassen, die hannoverschen Bauern herausgegeben, und in der Streitfrage der Wiesen verglich man sich. Gütliche Einigungen dieser Art sind um so vernünftiger, als die Herrscher auch nach den glücklichsten Kriegen früher oder später doch ein gleiches tun müssen, ohne größere Vorteile zu erzielen. Das Beispiel von Mäßigkeit, das Friedrich Wilhelm hier gegeben hat, steht in der Geschichte vielleicht einzig da.
Dem König lag das Wohl seiner Untertanen stets mehr am Herzen als sein persönlicher Ehrgeiz. So gründete er in Berlin die Charité nach dem Vorbild des Pariser Hôtel Dieu und baute die Friedrichstadt, die durch ihren Umfang, die regelmäßige Anlage ihrer schnurgerade gezogenen Straßen und die Schönheit ihrer Gebäude die Altstadt weit übertrifft. Dort hatte er auch das Vergnügen, den König von Polen zu empfangen. Die Zusammenkunft der beiden Herrscher verlief unter prunkvollen Festlichkeiten.
Unterdessen wurde unaufhörlich verhandelt, um Kriegswirren vorzubeugen. Die Mächte kamen überein, einen Kongreß in Soissons abzuhalten. Er wurde von allen Höfen beschickt, die an den Verträgen von Hannover und Wien beteiligt waren (1728). Frankreich und England machten Spanien so günstige Anerbietungen, daß es den Interessen des Kaisers entfremdet wurde. Eine Folge des Kongresses von Soissons war der Vertrag von Sevilla (1729). Seine Einzelheiten sind sehr bemerkenswert, da sie Spanien den Weg nach Italien eröffnen. England verpflichtet sich darin, das Recht der Erbfolge in Parma und Piacenza dem Infamen Don Carlos zuzuerkennen149-1, und zwar in Anbetracht der Vorteile, die Spanien den Engländern durch das Monopol des Negerhandels nach den Kolonien einräumt.
Der König von Polen, der 1728 nach Berlin gekommen war, wollte auch seinen eignen Prunk vor den Augen Friedrich Wilhelms entfalten und gab ihm rein miltärische Feste (1730). Er zog seine Truppen, 23 000 Mann stark, im Lager bei Radewitz, einem Dorf an der Elbe, zusammen. Die Manöver, die er von ihnen ausführen ließ, waren ein Abbild römischer Kriegführung, vermischt mit den Visionen des Chevalier Folard149-2. Die Kenner sahen in diesem Feldlager eher ein theatralisches Schauspiel als ein echtes Sinnbild des Krieges.
<150>Während man sich derart demonstrativ Beweise gegenseitiger Freundschaft zu geben suchte, intrigierte König August an allen Höfen Europas, um Friedrich WilHelm die bergische Erbschaft zu entreißen und sie an das Haus Sachsen zu bringen. Das Lager bei Radewitz, die ganze Prachtentfaltung, die falschen Beweise von Wertschätzung waren lauter Kunstgriffe, durch die der König von Polen Friedrich Wilhelm einzuschläfern glaubte. Der aber durchschaute die Beweggründe und empfand nur um so mehr Abscheu vor soviel Falschheit. In der Politik scheint eine solche Handlungsweise ja erlaubt, nicht aber in der Moral. Und genau genommen, ist der Ruf eines Schurken ebenso entehrend für den Fürsten selbst, wie nachteilig für seine Interessen.
Man glaubte, ähnliche Erwägungen hätten dem König Viktor Amadeus II. von Sardinien seine Herrschaft verleidet. In der Tat aber war an seiner Abdankung150-1 nur die Liebe zu Frau von San Sebastian schuld, die er nachher zu Chambery heiratete. Man behauptet, er habe immer das selbstherrliche Wesen beibehalten, das er als König besaß, und als er einmal gegen den Herzog von Ormea und andere Minister verstimmt war, habe er seinen Sohn zwingen wollen, sie zu entlassen. Ormea, der von Viktor Amadeus' Absichten erfuhr, hielt seinen Sturz für unvermeidlich, wenn er ihm nicht zuvorkam. Er ging zum regierenden König und redete ihm ein, sein Vater konspiriere und wolle wieder den Thron besteigen. Und wirklich setzte er dem König derart zu, daß der Vater festgenommen und in das Schloß von Chambéry gebracht wurde, wo er starb. Ein Herrscher ist sehr zu beklagen, wenn er sich seinem Vater gegenüber in so peinvoller Lage befindet, daß er gegen die Natur, gegen Interesse und Ruhm kämpfen muß.
In Rußland starb im selben Jahr der junge Zar Peter II. Er war mit einer Fürstin Dolgoruki verlobt. Das Haus Dolgoruki hegte die Absicht, die fürstliche Verlobte auf den Thron zu erheben. Aber die Nation wollte einmütig, daß das Zepter im Hause Peters I. bliebe. Es wurde der Herzogin-Witwe Anna von Kurland150-2 angeboten, und sie nahm es an. Anfangs schränkten die Russen ihre Machtbefugnis ein. Aber die Familie Dolgoruki ward gestürzt, und die Kaiserin erlangte despotische Macht. Wie ihre Vorgänger hielt sie die Verbindung aufrecht, die seit langem zwischen Rußland und dem Haus Österreich bestand.
Der Kaiser vergaß bald die Dienste, die der König von Preußen ihm erwiesen hatte, als er das Bündnis mit Hannover aufgab. Er einigte sich mit dem König von England und belehnte ihn mit dem Herzogtum Bremen und der Landschaft Hadeln, ohne sich um Preußens Interessen zu kümmern. Der Undank ist eine entwertete Münze, die aber trotzdem überall Kurs hat.
Der Tod so vieler Herrscher, der Wechsel so vieler Minister, die Wiederanknüpfung und Abänderung so vieler Bündnisse brachten in Europa ganz neue Gruppierungen<151> hervor. England, das mit Spanien und Österreich ausgesöhnt war, ließ eine zahlreiche Flotte zu der spanischen stoßen, um Don Carlos nach Italien zu führen. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte Großbritannien sich ruiniert, um die Spanier aus dem Königreich Neapel und aus der Lombardei zu verjagen; denn allzu bedrohlich erschien ihm Philipps V. Macht, wenn er diese Lande behielt. Kaum zwanzig Jahre später führten die englischen Schiffe die Spanier nach Italien zurück und gaben dem Infamen Don Carlos das Herzogtum Parma und Piacenza, dessen letzter Besitzer eben gestorben war (1731).
Um dieselbe Zeit empörte sich Korsika gegen die Zwingherrschaft der Genuesen. Der Kaiser sandte diesen Hilfstruppen, die die Empörer zum Gehorsam zurückführten. Es kam aber noch oft zu Aufständen, bis die Korsen im Jahre 1736 einen Abenteurer, Theodor von Neuhof, zu ihrem König ausriefen. Man mutmaßte, daß der Herzog von Lothringen, der nachmalige Kaiser, die Empörung heimlich förderte. Doch wurde Korsika mit dem Beistand der Franzosen wieder vollkommen unterworfen.
Damals glaubte man, Italien sei von einem neuen Krieg bedroht. Die Königin von Spanien, die immer ruhelos, immer unternehmungslustig war, machte große Rüstungen. Statt indessen in Italien einzufallen, gingen die Truppen nach Afrika und bemächtigten sich Orans. Die Königin von Spanien erhielt ein päpstliches Breve, das den Klerus zur Zahlung des Zehnten verpflichtete, solange der Krieg gegen die Ungläubigen dauerte. Seitdem nahm die Königin sich vor, den Krieg ewig währen zu lassen. Sie opferte alle Jahre an die hundert Spanier, die in Scharmützeln gegen die Mauren umkamen, und blieb im Besitz des Kirchenzehnten, der eine sehr bedeutende Einnahme für die Krone bildet. So wurden die Herren von Peru und Potosi aus Geldmangel zu Almosenempfänger der Priester ihres Reiches.
Nach all diesen Abschweifungen ist es an der Zeit, auf Berlin zurückzukommen. Dort hatte sich Seckendorff durch seine Ränke erhöhten Einfluß verschafft. Am liebsten hätte er den Hof vollständig beherrscht. In diesem Bestreben schlug er dem König eine Aussprache mit dem Kaiser vor, der sich nach Prag begeben hatte (1732). Er hoffte, sich während des dortigen Aufenthalts so nützlich zu machen, daß des Königs Vertrauen zu ihm sich noch unendlich steigern müßte. Der König, der die Gradheit seines Wesens auch auf die Geschäfte übertrug, war ohne weiteres mit der Reise einverstanden. Er traf keinerlei Abrede, weder über das, was man abmachen wollte, noch über die Etikette, die er verachtete. Sein Beispiel zeigt, daß Treu und Glaube und andere Tugenden in unserem verderbten Jahrhundert nicht aufkommen können. Die Staatsmänner haben die Ehrlichkeit ins Privatleben verbannt. Sie glauben sich so erhaben über die Gesetze, deren Befolgung sie von den anderen verlangen, daß sie ihrem verderbten Herzen rückhaltlos folgen. Die schlichte Sittlichkeit des Königs fiel also der kaiserlichen Etikette zum Opfer.
<152>Die Garantie der bergischen Erbschaft, die Seckendorff dem König im Namen des Kaisers förmlich versprochen hatte, ging in Rauch auf152-1. Und die kaiserlichen Minister waren so gegen Preußen eingenommen, daß Friedrich Wilhelm ganz klar sah: wenn es in Europa einen Hof gab, der darauf aus war, seinen Interessen entgegenzuarbeiten, so war es sicher der Wiener Hof. Der König war zum Kaiser gegangen wie Solon zu Krösus. Er kehrte nach Berlin zurück, noch immer reich an eigener Ehrenhaftigkeit. Die spitzfindigsten Krittler konnten seinem Verhalten nichts anderes vorwerfen als übergroße Rechtschaffenheit. Die Zusammenkunft hatte das gleiche Schicksal wie die meisten Monarchenbesuche: sie hatte die Freundschaft zwischen beiden Höfen abgekühlt oder, um es kurz zu sagen, ausgelöscht. Voller Verachtung für die Treulosigkeit und den Hochmut des kaiserlichen Hofes schied Friedrich Wilhelm von Prag. Und die Minister des Kaisers mißachteten einen Herrscher, der in seiner Vorurteilslosigkeit auf Rang und Titel nichts gab. Sinzendorff152-2 fand die Ansprüche des Königs auf die bergische Erbschaft zu ehrgeizig, und der König fand die Weigerung der Minister zu plump. In seinen Augen waren sie Schurken, die ungestraft ihr Wort brachen.
Ungeachtet so vieler Gründe zur Unzufriedenheit verheiratete der König seinen ältesten Sohn aus Gefälligkeit gegen den Wiener Hof mit einer Prinzessin von Braunschweig-Bevern, einer Nichte der Kaiserin152-3.
Während der Hochzeitfeier kam die Nachricht, daß der König von Polen in Warschau gestorben war152-4. Als der Tod ihn überraschte, war er mit den weitaussehendsten Entwürfen beschäftigt. Er wollte seine Herrschaft in Polen erblich machen. Zu diesem Zweck hatte er sich eine Teilung Polens ausgedacht, um die Eifersucht der Nachbarmächte zu beschwichtigen. Zur Ausführung seines Planes bedurfte er des Königs von Preußen. Er bat, ihm Feldmarschall Grumbkow zu senden, um sich ihm zu eröffnen. Der König von Polen wollte Grumbkow durchschauen und dieser ihn. In dieser Absicht machten sie sich gegenseitig betrunken. Die Folge war König Augusts Tod, während Grumbkow sich eine Krankheit zuzog, von der er sich nie mehr erholte. Friedrich Wilhelm war scheinbar auf Augusts Pläne eingegangen; da er aber deren gefährliche Folgen sehr wohl erkannte, suchte er ihnen entgegenzuarbeiten und setzte sich zu dem Zweck mit dem Kaiser und der Zarin ins Einvernehmen. Sie einigten sich dahin, das Haus Sachsen vom polnischen Thron auszuschließen und ihn dem Prinzen Emanuel von Portugal zuzuwenden152-5. Allein der Tod, der Mann und Plan vernichtete, gab den polnischen Angelegenheiten eine ganz andere Wendung.
<153>Der kaiserliche Hof wollte Sachsen auf seine Seite ziehen und versprach, öie Wahl von Augusts Sohn auf den polnischen Thron mit Waffengewalt zu unterstützen, vorausgesetzt, daß er das von Karl VI. erlassene Hausgesetz garantierte, das als Pragmatische Sanktion153-1 in Europa so wohlbekannt ist. August III. hatte Glück: die Kaiserin von Rußland warf sich zu seiner Beschützerin auf, da sie fürchtete, Stanislaus Leszczynski153-2 werde sonst unter Ludwigs XV. Beistand wieder den polnischen Thron besteigen. Von allen Bewerbern um die Krone Polens war Stanislaus für Preußens Interessen der annehmbarste. Frankreich versuchte den König zum Einmarsch von Truppen in Polnisch-Preußen zu bewegen. Er sollte das Land in Sequester nehmen, wie er es früher mit Pommern getan hatte153-3. Aber Friedrich Wilhelm wollte nichts auf den Zufall ankommen lassen. Er fürchtete, sich in einen Krieg zu verwickeln, der ihn zu weit führen konnte und seine Streitkräfte nach einer anderen Richtung abgelenkt hätte, während der Kurfürst von der Pfalz, der kränklich und bereits hochbejahrt war, vielleicht starb153-4. Er hielt seine Anrechte auf die Erbfolge in Jülich153-5 für wohlbegründet und die Unternehmung gegen Polnisch-Preußen für rechtswidrig.
Der polnische Wahltag, der in Warschau zusammentrat, erwählte Stanislaus einstimmig zum König von Polen, trotz der Ränke des Wiener und Petersburger Hofes und trotzdem österreichische und russische Heere die Republik bedrohten. Einige Woywoden, die zu Sachsen hielten, gingen über die Weichsel nach dem Dorf Praga, versammelten sich dort in einem Gasthaus und wählten Kurfürst August von Sachsen zum König. Daraufhin rückten die moskowitischen Truppen gegen Warschau vor. Auf die Ruhe folgte der Sturm. Stanislaus stieg zum zweitenmal von Polens Thron, auf den ihn die Stimme einer freien Nation berufen hatte, und floh nach Danzig, wo Münnich ihn mit den Russen und Sachsen belagerte (1734). Eine polnische Dame namens Massalska feuerte den ersten Kononenschuß vom Wall auf die Belagerer ab, um die Bürgerschaft zu heldenmütiger Verteidigung fortzureißen. Ludwig XV. schickte seinem Schwiegervater drei Bataillone zu Hilfe: zu spät, um Dan zig zu retten, doch früh genug für das Unheil, das ihrer harrte. Ihr Führer, Marquis Plélo, fiel. Die drei Bataillone, die auf einer Insel gelandet waren, konnten ihre Schiffe nicht wieder erreichen. Da es ihnen an Lebensmitteln fehlte, wurden sie gefangen genommen und nach Petersburg gebracht.
Hierauf griffen die Russen die Befestigungen auf dem Hagelsberg an, wobei sie 4 000 Mann verloren. Die Stadt, die von inneren Zwistigkeiten zerrissen war und sonst keine Hilfe mehr zu erwarten hatte, stand dicht vor der Kapitulation. In allerletzter Stunde, am Vorabend der Übergabe, ergriff Stanislaus die Flucht. Unter<154>wegs hatte er das bitterste Elend zu erdulden. Die Russen verfolgten ihn. Unter den schrecklichsten persönlichen Gefahren und den seltsamsten Abenteuern langte er, als Bauer verkleidet, in Marienwerder an und begab sich von dort nach Königsberg, nachdem der König ihm seinen Schutz zugesichert hatte.
Die polnischen Wirren zogen ganz Europa in Mitleidenschaft. Sobald man in Versailles erfuhr, daß der Kaiser bei Glogau Truppen versammle und die Russen in Polen eingerückt seien, erklärte Frankreich dem Kaiser den Krieg154-1. Ein Manifest verkündete, der Krieg richte sich nur gegen den Kaiser und nicht gegen das Reich. Aber im Widerspruch dazu nahmen die französischen Heere, nachdem sie bei Straßburg über den Rhein gegangen waren, die Reichsfestung Kehl. Diesen Fehler, den Kardinal Fleury leicht hätte vermeiden können, benutzten Frankreichs Feinde und zogen schlimme Folgerungen daraus. Lag es doch in ihrem eigenen Interesse, Frankreich zu verdächtigen! Zugleich entbrannte der Krieg in Italien. Die französischen Truppen vereinigten sich bei Vercelli mit den sardinischen und nahmen Pavia, Mailand, Pizzighettone und Cremona ein. Der Marquis von Montemar stieß zu den Verbündeten, und die Spanier rüsteten sich zur Eroberung des Königreichs Neapel.
England war in diesen Krieg zwar nicht verwickelt, wurde aber durch innere Wirren erschüttert. Georg II. hatte den Plan gefaßt, sich zum völligen Selbstherrscher von Großbritannien zu machen. Das konnte er nicht mit offener Gewalt erreichen, sondern nur heimlich und auf Umwegen. Durch die Einführung der Akzise in England154-2 wollte er der Nation Fesseln anlegen. Wäre die Sache geglückt, so hätte der König ein festes, gesichertes Einkommen gehabt, durch das er das Militär verstärken und seine Macht befestigen konnte. Walpole schlug die Einführung der Akzise einigen Parlamentsmitgliedern vor, deren er sicher zu sein glaubte. Sie aber erklärten ihm: er bezahle sie zwar für die gewöhnlichen Dummheiten; das gelte aber nicht für die außerordentlichen, zu denen die Akzise gehöre.
Trotz dieser Vorstellungen brachte Walpole die Sache vor das Parlament und trat mit solchem Nachdruck dafür ein, daß seine Beredsamkeit über Pulteney und die dem Hofe feindliche Kabale siegte. Ja, sein Sieg schien so vollständig, daß die Akzisebill mit großer Stimmenmehrheit durchging. Am nächsten Tag drohte in der Stadt ein Aufruhr zu entstehen. Die Standesherren und die vornehmsten Kaufleute überreichten dem König eine Adresse, in der sie die Unterdrückung der Bill forderten. Obwohl das Parlament von Wachen umstellt war, rottete sich eine große Volksmenge zusammen, die aufrührerische Rufe ausstieß und die Leute des Königs zu beschimpfen begann. Es fehlte nur noch ein Führer, und der Aufstand war da.
Walpole sah ein, daß die Sache ernst wurde. Er hielt es daher für geraten, nachzugeben. Er kassierte die Bill auf der Stelle und verließ das Parlament, in einen<155> schäbigen Mantel gehüllt, der ihn unkenntlich machte, mit dem Rufe: „Freiheit, Freiheit! Keine Akzise!“ Der König, den er in St. James fand, war dabei, sich von Kopf zu Fuß zu rüsten. Er hatte den Hut aufgesetzt, den er bei Malplaquet getragen, und prüfte sein Schwert, mit dem er bei Oudenaarde gefochten hatte. An der Spitze seiner Garden, die sich im Schloßhof versammelten, wollte er mit bewaffneter Hand die Akzisebill durchsetzen. Walpole hatte die denkbar größte Mühe, das Ungestüm des Königs zu dämpfen. Mit der hochherzigen Kühnheit des Engländers, der seinem Herrn ergeben ist, stellte er ihm vor, daß es nicht an der Zeit sei, zu kämpfen, sondern zwischen der Bill und der Krone zu wählen. Endlich fiel das Steuerprojekt. Der König war höchst unzufrieden mit seinem Parlament und verlor das Vertrauen zu seiner Machtvollkommenheit, mit der er beinahe eine trübe Erfahrung gemacht hätte. Diese inneren Unruhen hinderten ihn damals an der Einmischung in den deutschen Krieg.
Wie schon erwähnt, hatten die Franzosen Kehl eingenommen. Damit war der Bruch vollzogen. Der Kaiser, dem Frankreich das Spiel so leicht gemacht hatte, brachte das Reich ohne große Mühe auf seine Seite155-1. Er forderte den König von Preußen zu der Hilfeleistung auf, die im Bündnis von 1728 bestimmt worden war, und drohte, im Fall der Weigerung die Garantie für das Herzogtum Berg zurückzuziehen. Der König war bei den polnischen Wirren neutral geblieben, obgleich Stanislaus Leszczynskis Interessen auch die seinen waren. Jetzt trat er auf die Seite des Kaisers, wiewohl gegen sein eignes Interesse. Er kannte keine andere Politik als die der Rechtschaffenheit und kam seinen Verpflichtungen so gewissenhaft nach, daß bei ihrer Erfüllung sein Vorteil und sein Ehrgeiz niemals in Frage kamen. Dank diesen Grundsätzen ließ er 10 000 Mann an den Rhein marschieren. Sie fochten während des Kriegs unter Prinz Eugen von Savoyen.
Zu Beginn des Frühlings (1734) stürmte Marschall Berwick die Ettlinger Linien, die der Herzog von Bevern155-2 während des Winters hatte auswerfen lassen, und belagerte Philippsburg. Prinz Eugen, der kaum 20 000 Mann zur Hand hatte, zog sich auf Heilbronn zurück und erwartete dort die Ankunft der Hilfstruppen, die man ihm versprochen hatte. Dann kehrte er wieder um und lagerte bei dem Dorfe Wiesenthal, einen Kanonenschuß weit von der französischen Verschanzung.
Der König begab sich, vom Kronprinzen begleitet, zum kaiserlichen Heere, teils aus Neugier, teils wegen seiner außerordentlichen Anhänglichkeit an seine Truppen. Dort sah er, daß auch Helden wie die übrigen Menschen der Hinfälligkeit unterworfen sind: er fand bei dem Heere nur noch den Schatten des großen Eugen. Der Held hatte sich selbst überlebt. Er scheute sich, seinen wohlbefestigten Ruf dem Zufall einer achtzehnten Schlacht preiszugeben. Ein kühner Jüngling hätte die französische Verschanzung angegriffen; sie war kaum angefangen, als das Heer nach Wiesen<156>thal kam. Die französischen Truppen lagen so nahe bei Philippsburg, daß ihre Kavallerie nicht Platz genug hatte, um sich zwischen der Stadt und dem Lager in Schlachtordnung aufzustellen, ohne schwer unter dem Artilleriefeuer zu leiden. Auch hatte sie nur eine Verbindungsbrücke über den Rhein. Wäre also die Verschanzung überwältigt worden, so wäre das ganze französische Heer, da es keinen Rückzugsweg hatte, unfehlbar zugrunde gegangen. Aber das Schicksal der Reiche hatte es anders bestimmt. Die Franzosen eroberten Philippsburg unter den Augen des Prinzen Eugen, ohne daß jemand dagegen einschritt (18. Juli). Berwick wurde durch einen Kanonenschuß getötet, und Feldmarschall d'Asfeld übernahm das Kommando. Der König, dessen Gesundheit durch die Strapazen völlig erschüttert war, zog sich den Keim einer Wassersucht zu und mußte das Heer verlassen. Der Rest des Feldzugs verlief in ewigen Hin- und Hermärschen, die zu garnichts führten, zumal der Rhein die Franzosen und Kaiserlichen trennte.
In Italien nahmen die Franzosen Tortona, schlugen den Marschall Mercy bei Parma und bemächtigten sich fast der ganzen Lombardei. Indessen entwarf der Prinz von Hildburghausen156-1 einen Plan zur Überrumpelung des französischen Heeres, das am Secchia-Ufer lagerte. Der Plan wurde vom Feldmarschall Königsegg ausgeführt: Coigny und Broglie wurden bei Nacht angegriffen, überrumpelt und verjagt. Der König von Sardinien machte ihren Fehler durch seine Klugheit wett, und die Verbündeten siegten bei Guastalla über die Österreicher.
Gleichzeitig drang Don Carlos ins Königreich Neapel ein und nahm die Huldigung des Landes entgegen. Montemar befestigte dessen Thron durch den Sieg bei<157> Bitonto. Visconti157-1 und die Österreicher wurden aus Neapel vertrieben, und Montemar schritt nach der Eroberung des Königreichs zu der von Sizilien. Er nahm Syrakus und machte sich zum Herrn von Messina, das nach ziemlich tapferer Verteidigung kapitulierte.
In der Lombardei wurden die Österreicher noch bei Parma geschlagen. Am Rhein verlief der Feldzug noch ergebnisloser als im Jahre zuvor. Das kaiserliche Heer wurde durch einen Nachschub von 10 000 Russen verstärkt. Der ruhelose Seckendorff erhielt vom Prinzen Eugen ein Detachement von 40 000 Mann, mit dem er an die Mosel marschierte. Bei der Abtei Klausen stieß er auf das französische Heer. Die Nacht rief Verwirrung und Aufregung in beiden Lagern hervor. Auf beiden Seiten wurde geschossen, ohne daß der Feind sich zeigte157-2. Am folgenden Tag ging Coigny wieder über die Mosel und bezog sein Lager unter den Mauern von Trier. Seckendorff folgte ihm. Beide Feldherren erfuhren in ihrem dortigen Lager, daß die Friedenspräliminarien zwischen dem Kaiser und Frankreich unterzeichnet seien157-3.
Die Unterhandlungen waren insgeheim zwischen dem Grafen von Wied157-4 und du Theil geführt worden. Beide hatten sich dahin geeinigt, daß August III. von seiten Frankreichs als König von Polen anerkannt werde. Stanislaus sollte auf all seine Ansprüche an die polnische Krone verzichten und dafür das Herzogtum Lothringen erhalten, das nach seinem Tod an Frankreich fallen würde. Als Entschädigung für diese Abtretung erhielt der Herzog von Lothringen157-5, Karls VI. Schwiegersohn, das Großherzogtum Toskana. Ferner erkannte der Kaiser Don Carlos als König beider Sizilien an und erhielt zur Entschädigung die Herzogtümer Parma und Piacenza. Außerdem verpflichtete er sich zur Abtretung des Gebiets von Vigevano an den König von Sardinien. Dafür garantierte ihm Ludwig XV. die Pragmatische Sanktion157-6.
Der Kaiser und Frankreich schlossen Frieden, ohne ihre Verbündeten zu befragen, deren Interessen sie vernachlässigten. Der König von Preußen beklagte sich, daß der Wiener und Versailler Hof kein Abkommen zur Sicherung seiner Erbfolge in Berg getroffen hätten.
Von der Wassersucht hatte sich der König erholt. Allein seine Kräfte waren so geschwächt, daß sein Körper seine Willensregungen nicht mehr unterstützte. Indes hatte er noch die Freude, die neue Kolonie, die er seit 1732 in Ostpreußen geschaffen hatte, gedeihen zu sehen. Mehr als 20 000 Protestanten hatten das Bistum Salzburg verlassen. Der Erzbischof Firmian hatte einige dieser Unglücklichen mit mehr Fanatismus als Klugheit verfolgt: die Lust, ihr Vaterland zu verlassen, gewann<158> Macht über das Volk und ward epidemisch. Die Auswanderung vollzog sich zuguterletzt mehr aus Freiheitsdrang als aus Anhänglichkeit an eine Sekte. Der König siedelte die Salzburger in Ostpreußen an. Ohne die Motive ihrer Landesflucht zu untersuchen, bevölkerte er mit ihnen Gegenden, die unter der Regierung seines Vaters die Pest verheert hatte.
Der europäische Krieg war kaum beendet, als sofort ein neuer aufflammte, diesmal an den Grenzen Europas und Asiens. Die Tartaren, die unter türkischer Schutzherrschaft leben, machten häufig Einfälle in Rußland. Die Beschwerden der Zarin in Konstantinopel setzten den Feindseligkeiten kein Ziel. Schließlich ward sie dieser Kränkungen überdrüssig und schaffte sich selber ihr Recht. Lacy rückte gegen die Tartaren vor und nahm Azow. Münnich drang in die Krim ein, erstürmte die Befestigungen von Perekop und bemächtigte sich der Stadt, eroberte Bachtschisarai und verwüstete die ganze Tartarei mit Feuer und Schwert (1736). Doch bei dem Mangel an Wasser und Lebensmitteln und der sengenden Hitze jenes Klimas kamen viele Moskowiter ums Leben. In seinem Ehrgeiz achtete Münnich die Zahl der Soldaten, die er seinem Ruhm opferte, für nichts. Aber seine Armee schmolz zusammen, und das Übermaß des Elends, das die Russen erdulden mußten, machte die Sieger den Besiegten gleich.
Zu jener Zeit (1737) starb der letzte Herzog von Kurland aus dem Hause Kettler. Die Stände wählten zum zweitenmal den Grafen von Sachsen158-1, aber die Kaiserin von Rußland erhob Biron158-2 zum Herzog. Das war ein kurländischer Edelmann, der in persönlichen Beziehungen zur Kaiserin stand und kein anderes Verdienst hatte als das Glück, ihr zu gefallen.
Die Heere der Zarin blieben auch weiterhin siegreich gegen die Türken. Münnich belagerte Oczakow, das von 3 000 Janitscharen und 7 000 Bosniaken verteidigt wurde. Durch eine der Bomben, die er schleudern ließ, geriet zufällig das große Pulvermagazin der Stadt in Brand. Es flog augenblicklich in die Luft, und zugleich stürzten die meisten Häuser ein. Diesen Augenblick benutzte Münnich zum Hauptsturm auf die Stadt. Die Türken hatten sich von ihrer Bestürzung noch nicht erholt und konnten sich auf den engen Wällen dicht bei den brennenden Gebäuden nicht verteidigen. Sie wußten nicht, sollten sie erst die Feuersbrunst löschen oder den Sturm der Moskowiter abschlagen. In diesem Wirrwarr wurde die Stadt mit der blanken Waffe genommen, und die zügellose Soldateska verübte jegliche Grausamkeit, deren blinde Wut fähig ist.
Die ersten Erfolge der Russen über die Türken erweckten den Ehrgeiz der Österreicher. Man redete dem Kaiser ein, das sei der gegebene Augenblick, um die Türken von Ungarn aus anzugreifen. Wenn die Russen sie gleichzeitig vom Schwarzen Meer aus bedrängten, sei es um das osmanische Reich geschehen. Man setzte sogar<159> Prophezeiungen in Umlauf, nach denen die Schicksalsstunde des Halbmonds gekommen sei. Der Aberglaube tat das seine: der Beichtvater hielt dem Kaiser vor, es sei Pflicht eines katholischen Herrschers, den Feind der Christenheit auszurotten. All diese verschiedenen Einflüsterungen gingen eigentlich nur von der Kaiserin159-1, von Bartenstein159-2, Seckendorff und dem Prinzen von Hildburghausen aus, die sich zusammengetan hatten und insgeheim alle Hebel in Bewegung setzten. Haß und höfische Ränke führten den Entschluß zu diesem Krieg ohne jeden stichhaltigen Grund herbei. Der Kaiser selbst war einigermaßen erstaunt, sich in ihn verwickelt zusehen.
Der Großherzog von Toskana und frühere Herzog von Lothringen wurde zum Generalissimus der kaiserlichen Heere ernannt. Seckendorff kommandierte unter ihm oder, besser gesagt, er hatte das eigentliche Kommando. Zu Beginn des Feldzuges (1737) nahmen die Kaiserlichen Nissa; darauf beschränkte sich aber ihr ganzes Kriegsglück. Der Prinz von Hildburghausen ließ sich mit seinem Detachement bei Banjaluka schlagen. Khevenhüller hob die Belagerung von Widdin auf. Die Türken überschritten den Timok, bedrängten ihn heftig und griffen seine Nachhut an. Dost Pascha159-3 gewann Nissa zurück, und der Kaiser ließ Doxat enthaupten, der den Platz übergeben hatte, ohne ernsten Widerstand zu leisten.
Gegen Ende des Jahres starb die Königin von England159-4, die sich als Beschützerin der Gelehrten eines guten Rufes erfreute.
Der Feldzug von 1738 war für die Russen und Österreicher gleich unglücklich. Umsonst versuchte Münnich, in der Richtung von Bender nach Bessarabien vorzudringen. Das Land war durch die Tartaren verwüstet; er wagte sich nicht tiefer hinein, da er für seine Truppen dasselbe Unheil befürchtete, das den Schweden dort widerfahren war159-5. In Oczakow richtete die Pest außerordentliche Verheerungen an und zwang ihn, die Stadt zu verlassen. In der Krim vermochte Lacy keine Fortschritte zu machen.
Die schlimme Wendung, die der Krieg in Ungarn nahm, machte den Kaiser verzagt. Er trauerte um den großen Eugen, der im Jahr 1736 gestorben war, und dem er den Ruhm seiner Regierungszeit verdankte. „Ist denn das Glück des Staates“, sagte er, „mit dem Helden gestorben?“ Da er indessen über den unglücklichen Verlauf des Krieges erbittert war, so hielt er sich an seine Heerführer. Seckendorff wurde auf der Festung Graz gefangen gesetzt, und den Befehl über das Heer in Ungarn erhielt Königsegg.
Die Kaiserlichen wurden in mehreren Treffen geschlagen. Die Türken nahmen Alt-Orsowa und Mehadia. Sie schritten auch zur Belagerung von Neu-Orsowa, hoben sie aber wieder auf, da sie bei Kornia zurückgeschlagen wurden. Da jedoch<160> Königsegg sich nach seinem Siege ungeschickterweise zurückzog, so konnten sie die Belagerung wieder aufnehmen. Neu-Orsowa hielt sich nicht lange; die Türken eroberten dort das ganze schwere Geschütz des Kaisers. Es kam dann noch zu einer zweiten Schlacht bei Mehadia, die aber ebensowenig eine Entscheidung brachte wie die erste, in der die Österreicher den kürzeren zogen. Der Kaiser war über seine Verluste empört, wußte aber nicht, wen er dafür verantwortlich machen sollte. Er strafte seine Generale, während er doch die Feldzugspläne von vornherein hätte verwerfen müssen.
Wie die Erfahrung in den Kriegen in Ungarn gezeigt hat, sind alle Heere, die sich von der Donau fortbegeben, dem Mißerfolg ausgesetzt, weil sie sich damit von ihrem Lebensunterhalt entfernen. Als Eugen mit den Türken Krieg führte, tellte er sein Heer niemals. Seitdem ward das anders. Das Verlangen der bei Hofe gut angeschriebenen Generale, getrennte Korps zu befehligen, brachte es dahin, daß das ganze Heer in Detachements zersplittert wurde und nirgends mehr machtvoll auftrat. Die alten Grundsätze wurden vernachlässigt, und die Generale waren um so mehr zu beklagen, als der Hof sie durch die ewigen widerspruchsvollen Befehle, die er ihnen sandte, von einer Ungewißheit in die andere warf. Königsegg wurde ebenso wie sein Vorgänger des Kommandos enthoben; zum Troste machte man ihn zum Oberhofmeister der Kaiserin. Olivier Wallis trat an seine Stelle. Er schrieb an den König von Preußen: „Der Kaiser hat mir den Oberbefehl über sein Heer anvertraut. Der erste, der ihn vor mir führte, sitzt im Gefängnis; der, dem ich nachfolge, ist Eunuch des Serails geworden; für mich bleibt am Schluß meines Feldzugs nur eins: geköpft zu werden.“
Die kaiserliche Armee versammelte sich, 60 000 Mann stark, bei Belgrad (1739). Das türkische Heer war mehr als doppelt so zahlreich. Wallis marschierte auf den Feind los, ohne dessen Stärke genau zu kennen. Ohne irgend einen Schlachtplan zu entwerfen, griff er mit seiner Kavallerie eine starke Janitscharenabteilung durch einen Hohlweg an. Der Feind war in Weinbergen und Hecken bei dem Dorfe Grocka postiert. Wallis ward in dem Engpaß geschlagen, bevor seine Infanterie herauskommen konnte. Sie wurde mit der gleichen Unbesonnenheit zur Schlachtbank geführt. Die Türken konnten aus gedeckter Stellung auf sie schießen. Bei Sonnenuntergang zogen sich die Kaiserlichen zurück und ließen 20 000 Mann auf dem Platze. Hätte das türkische Heer sie verfolgt, so wäre Wallis mit seiner ganzen Truppenmacht verloren gewesen. Der Feldmarschall war ob seines Unglücks so bestürzt, daß er, statt sich zu besinnen, Fehler über Fehler machte. Wiewohl Neipperg mit einem großen Detachement zu ihm gestoßen war, glaubte er sich erst hinter den Wällen von Belgrad in Sicherheit, und auch Belgrad gab er noch auf und ging über die Donau zurück, als der Großwesir nahte. Die Türken fanden auf ihrem Weg keinen Widerstand mehr und belagerten Belgrad.
<161>Den Mißerfolgen der Kaiserlichen hielten die Fortschritte der Russen das Gegengewicht. Das moskowitische Heer hatte unter Münnichs Führung mehr Glück. Es schlug die Türken bei Chozim, eroberte die Stadt und drang durch die Moldau in die Walachei ein, um sich mit den kaiserlichen Heeren in Ungarn zu vereinigen. Aber der Kaiser war der Unglücksfälle und des Krieges, der ihn mit Schmach bedeckte, überdrüssig; er nahm seine Zuflucht zu Frankreichs Vermittlung, um den Frieden in die Wege zu leiten. Villeneuve, der französische Gesandte an der Pforte, begab sich ins türkische Lager, und die Russen, die durch diesen Schritt in Besorgnis gerieten, sandten einen Italiener namens Cagnoni dorthin.
Karl VI. beauftragte Feldmarschall Neipperg mit den Unterhandlungen. Der Kaiser und der Großherzog von Toskana drangen beide auf rasche Beendigung. Der Feldmarschall hatte Befehl, um jeden Preis Frieden zu schließen. Er war so unvorsichtig, sich ohne jede Sicherheit zu den Türken zu begeben, selbst ohne die Pässe, die man bei solchen Anlässen stets verlangt. Er wurde gefangen genommen und unterzeichnete aus Angst einen voreiligen Frieden, der dem Kaiser das Königreich Serbien und die Stadt Belgrad kostete161-1. Cagnonis festes Auftreten dagegen machte Eindruck auf den Wesir. Der Italiener war so geschickt, gleichzeitig den Frieden für die Moskowiter zustande zu bringen. Die Bedingung war, daß die Zarin Azow und alle übrigen Eroberungen herausgab.
Olivier Wallis hatte sich in seiner Vorhersage nicht sehr geirrt. Er wurde auf der Festung Brunn gefangen gesetzt. Feldmarschall Neipperg, der noch weniger schuldig war, wurde auf die Zitadelle von Raab gebracht. Außer den Befehlen des Kaisers hatte er positive Weisungen vom Großherzog erhalten, das Friedenswerk zu beschleunigen. Der Großherzog fürchtete, der Kaiser, sein Schwiegervater, werde vor Beendigung des Krieges sterben und das werde ihm wegen der strittigen Thronfolge in den Erblanden neue Feinde auf den Hals Hetzen, denen er dann nicht mehr standhalten könnte.
Alsbald brach im Süden ein neuer Krieg zwischen England und Spanien aus, und zwar wegen des Schleichhandels, den die englischen Kaufleute in den unter spanischer Herrschaft stehenden Häfen trieben. Der Streitgegenstand entsprach ungefähr einer Summe von jährlich 50 000 Pistolen. Um sie sich zu wahren, gab jede von beiden Parteien mehr als zehn Millionen aus.
Der König von Preußen hatte an all diesen Kriegen nicht teilgenommen, weder Truppen gestellt noch Subsidien von irgend jemand empfangen. Im übrigen lebte er seit dem Anfall von Wassersucht, den er 1734 erlitten hatte, nur noch durch die Kunst der Ärzte. Gegen Ende des Jahres 1739 verfielen seine Kräfte immer mehr. In diesem kränklichen Zustand traf er ein Abkommen mit Frankreich161-2, das<162> ihm das Herzogtum Berg garantierte, ausgenommen die Stadt Düsseldorf nebst einem Streifen von einer Meile Breite am ganzen Rheinufer entlang. Er begnügte sich mit dieser Teilung um so eher, als seine schwindende Lebenskraft ihm keine Hoffnung mehr ließ, ansehnlichere Erwerbungen zu machen.
Die Wassersucht, die ihn plagte, nahm erheblich zu. Am 31. Mai 1740 starb er mit der Festigkeit eines Philosophen und der Ergebung eines Christen. Bis zum letzten Atemzuge bewahrte er eine bewundernswerte Seelenstärke. Er ordnete seine Angelegenheiten als Staatsmann, verfolgte die Fortschritte seiner Krankheit wie ein Arzt und triumphierte als ein Held über den Tod.
Er hatte im Jahre 1706 Sophie Dorothea geheiratet, eine Tochter Georgs von Hannover, des späteren Königs von England. Dieser Ehe entsprossen Friedrich II., der sein Nachfolger ward; die drei Prinzen August Wilhelm, Heinrich und Ferdinand; Wilhelmine, Markgräfin von Bayreuth; Friederike, Markgräfin von Ansbach; Charlotte, Herzogin von Braunschweig; Sophie, Markgräfin von Schwedt; Ulrike, Königin von Schweden; Amalie, Äbtissin von Quedlinburg.
Die Minister veranlaßten Friedrich Wilhelm, vierzig Verträge oder Abkommen zu unterzeichnen, deren Aufzählung wir uns erspart haben; weil sie zu nichtig sind. Von der maßvollen Art des Königs waren die Minister so weit entfernt, daß sie weniger an die Würde ihres Herrn dachten als an die Mehrung der Einkünfte aus ihren Ämtern.
Ebenso haben wir die häuslichen Kümmernisse dieses großen Fürsten mit Stillschweigen übergangen: um der Tugenden eines solchen Vaters willen muß man einige Nachsicht mit den Fehlern seiner Kinder haben.
Die Politik des Königs war stets untrennlich von seiner Gerechtigkeit. Er war weniger auf Mehrung seines Besitzes bedacht als auf dessen gute Verwaltung, stets zu seiner Verteidigung gerüstet, aber niemals zum Unheil Europas. Das Nützliche zog er dem Angenehmen vor. Er baute im Überfluß für seine Untertanen und wandte nicht die bescheidenste Summe an seine eigene Wohnung. Er war bedachtsam im Eingehen von Verbindlichkeiten, treu in seinen Versprechungen, streng von Sitten, streng auch gegen die Sitten der anderen. Unnachsichtig wachte er über die militärische Disziplin, und den Staat regierte er nach denselben Grundsätzen wie sein Heer. Von der Menschheit hatte er eine so hohe Meinung, daß er von seinen Untertanen den gleichen Stoizismus verlangte wie von sich selbst.
Friedrich Wilhelm hinterließ bei seinem Tod ein Heer von 66 000 Mann162-1, das er durch seine sparsame Wirtschaft unterhielt, gesteigerte Staatseinkünfte, einen woh gefüllten Staatsschatz und in all seinen Geschäften eine wunderbare Ordnung.
<163>Wenn es wahr ist, daß wir den Schatten der Eiche, der uns umfängt, der Kraft der Eichel verdanken, die den Baum sprossen ließ, so wird die ganze Welt darin übereinstimmen, daß in dem arbeitreichen Leben dieses Fürsten und in der Weisheit seines Wirkens die Urquellen des glücklichen Gedeihens zu erkennen sind, dessen sich das königliche Haus nach seinem Tode erfreut hat.
120-1 11. April 1713.
121-1 Auf Johann Wilhelm, der 1716 kinderlos starb, folgte sein Bruder Karl Philipp († 1742).
121-2 Nach preußischer Auffassung lebten die Ansprüche auf Jülich und Berg, denen der Große Kurfürst 1666 entsagt hatte (vgl. S. 67), mit dem Aussterben der Neuburgischen Linie wieder auf, während nach pfälzischer Ansicht die weibliche Deszendenz galt.
122-1 Vgl. S. 113.
122-2 In Demotika bei Adrianopel.
123-1 Herzog Christian August von Holstein-Gottorp, Administrator von Lübeck, der für seinen minderjährigen Neffen, Herzog Karl Friedrich von Holstein, die Regentschaft führte. Falls Karl XII. kinderlos starb, hatte das Haus Gottorp Ansprüche auf die Erbfolge in Schweden.
123-2 In der ersten Niederschrift des Königs folgt der Satz: „Dies Heilmittel war seltsam; es glich der Turteltaube, die zum Adler fiüchtet, damit er sie vor dem Geier schütze.“
123-3 Vertrag vom 22. Juni 1713.
123-4 Generalleutnant Georg Abraham von Arnim.
124-1 Vertrag von Schwedt zwischen Preußen und Rußland, 6. Oktober 1713.
125-1 Vgl. S. 100. Anmerkung des Königs: „Volrad, der es besaß, starb, und mit ihm erlosch sein Haus.“
125-2 Vgl. S. 100.
125-3 Hannover (vgl. S. 98).
125-4 Vgl. S. 131.
125-5 Königin Anna starb am 1. August 1714.
125-6 Jakob Eduard, Sohn König Jakobs II. und Stiefbruder der Königin Anna.
125-7 Elisabeth, Gemahlin Kurfürst Friedrichs V. von der Pfalz, des Winterkönigs.
126-1 22. November 1714.
126-2 Schon am 12. Juni 1714 war der geheime Garantievertrag mit Rußland abgeschlossen, durch den sich Friedrich Wilhelm den Gegnern Schwedens anschloß und sich die Erwerbung von Stettin und des Landes bis zur Peene sicherte. Im November 1714 folgte die Verständigung mit Hannover, im Februar 1715 mit Sachsen und im April mit Dänemark.
127-1 Vgl. S. 102.
128-1 Auch in der „Geschichte meiner Zeit“ (vgl. Bd. II, S. 192 f.) schreibt der König das Verdienst an dem Erfolg des Sturmangriffs in der Nacht vom 4. zum 5. November 1715 dem bei Habelschwerdt 1745 gefallenen Obersten Andreas Eduard von Gaudy zu. Die zeitgenössischen Berichte nennen statt dessen den Generaladjutanten Oberstleutnant Maximilian August von Köppen.
129-1 15. November 1715.
129-2 Graf Heinrich Friedrich Christian von Wartensleben, Major im Infanterieregiment Finckenstein, fiel vor Stralsund am 18. Dezember 1715; er war nicht Oberst des Regiments Gensdarmes.
130-1 Die Huldigung der ostpreußischen Städte empfing Friedrich Wilhelm am 11. September 1714.
131-1 Der Prinz (geb. 1710) bestieg den Thron als Ludwig XV.
131-2 Herzog Philipp, Neffe Ludwigs XIV.
131-3 Vgl. S. 140.
131-4 Vgl. G. 125. Die Festungsbarriere in den spanischen Niederlanden, die durch den Frieden von Rastatt und Baden in österreichischen Besitz übergegangen waren, diente den Holländern als Schutz gegen Frankreich.
132-1 Elisabeth Farnese, Gemahlin König Philipps V. (vgl. Bd. II, S. 25 f.).
133-1 Dem Verlangen Englands entsprechend, hatte Karl VI. bei seinem Eintritt in die Quadrupelallianz das Erbrecht des Infanten Don Carlos, des ältesten Sohnes König Philipps V. aus seiner Ehe mit Elisabeth Farnese, auf Toskana und die Herzogtümer Parma und Piacenza anerkennen müssen.
133-2 Viktor Amadeus II. (1675 — 1730).
133-3 Schlacht am Kap Passaro, 11. August 1718.
133-4 Der spanische Botschafter in Paris. Vgl. Bd. II, S. 26.
134-1 Seit 1718 stand Ormond (vgl. S. 116) in spanischen Diensten.
134-2 Erbprinz Friedrichs erste Gemahlin, Luise Dorothea Sophie, war 1705 gestorben (vgl. S. 117).
134-3 11. Dezember 1718.
135-1 Vgl. S. 125.
135-2 Freiherr Andreas Göttlich von Bernstorff war hannoverscher Minister ln London; er wurde bereits 1717 gestürzt.
135-3 Katharina Iwanowna.
136-1 Vgl. S. 18.
136-2 Vgl. die erste Fassung dieses Absatzes im Anhang (Nr. 1).
136-3 Die Kontribution war im wesentlichen eine Grundsteuer, die von den Bauern entrichtet wurde. In den Städten dagegen wurde die Akzise, eine indirekte Steuer, bezahlt.
138-1 Friedrich Wilhelm von Grumbkow.
139-1 Alberonis Entlassung und Verbannung erfolgte am 5. Dezember 1719.
139-2 Vgl. S. 125.
140-1 Die von dem Schotten John Law 1716 errichtete Notenbank wurde erst 1718 in eine „Banque royale“ umgewandelt. Deren Bankrott führte 1720 zu einer allgemeinen Katastrophe.
141-1 Vgl. S. 100.
141-2 Diese Abtretung erfolgte bereits im Frieden von Utrecht (1713).
142-1 Das 1724 in Potsdam gestiftete „Große Militärwaisenhaus“ war für „verwaiste hilflose Unteroffizier- und Soldatenkinder beiderlei Geschlechts“ bestimmt.
142-2 Vgl. Bd.VIII, S. VIII.
142-3 Oberst Karl Ludwig Erbtruchseß Graf zu Waldburg.
143-1 Die Ostendische Handelsgesellschaft war 1722 begründet worden.
143-2 Vgl. S. 133.
143-3 Am 15. Januar 1724 hatte Philipp V. abgedankt, sein Sohn Ludwig starb am 31. August, und Philipp übernahm am 6. September des Jahres die Regierung wieder.
143-4 Gleichzeitig mit dem Handelsvertrag wurde im Mai 1725 die weiter unten erwähnte Allianz geschlossen.
144-1 3.September 1725. Gewöhnlich Bündnis vonHerrenhausen genannt.
144-2 Vgl. S. 121.
144-3 Viel-
mehr der Zarin Katharina I., der Nachfolgerin des am 8. Februar 1725 gestorbenen Zaren Peter I
146-1 Maria Leszczynska.
146-2 Karoline.
146-3 André Herkules de Fleury (vgl. Bd. II, S. 23 f.).
147-1 Schon 1725 hatten die Stände den Grafen Moritz zum präsumptiven Nachfolger des letzten Herzogs von Kurland, Ferdinand von Kettler, gewählt, doch Ferdinand starb erst 1737.
147-2 Schon 1726 war Graf Friedrich Heinrich Seckendorff nach Berlin gekommen und hatte den Abschluß des Vertrags von Wusterhausen zwischen Friedrich Wilhelm I. und dem Kaiser am 12. Ottober 1726 herbeigeführt.
148-1 Verschrieben für Berlin. Der geheime Berliner Vertrag gelangte am 23. Dezember 1728 zum Abschluß.
148-2 In der ersten Fassung schreibt ber König: „Ein Krieg drohte in Deutschland auszubrechen, dessen Anlaß so bedeutungslos war, wie der zu dem von Homer besungenen Froschmäusekrieg.“
148-3 Dubislav Gneomar von Natzmer.
149-1 Vgl. S. 133.
149-2 Vgl. die Vorrede des Königs zum Auszug aus den Kommentaren des Chevalier Folard zur Geschichte des Polybios (Bd. VI).
150-1 König Viktor Amadeus II. dankte 1730 zugunsten seines Sohnes Karl Emanuel III. (1730 bis 1773) ab; er starb 1732.
150-2 Anna Iwanowna (1730 — 1740). Vgl. S. 113.
152-1 Im Berliner Vertrage von 1728 (vgl. S. 148) hatte Karl VI. gegen die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion (vgl. S. 153) dem König die Nachfolge im Herzogtum Berg verbürgt. In Prag wurde ihm erklärt, daß er sich mit einem Teil des Herzogtums zu begnügen habe und auf die Hauptstadt Düsseldorf verzichten müsse.
152-2 Graf Philipp Ludwig Sinzendorff, Oberster Hofkanzler.
152-3 Die Vermählung des Kronprinzen Friedrich mit der Prinzessin Elisabeth Christine erfolgte am 12. Juni 1733.
152-4 August II. war schon am 1. Februar 1733 gestorben.
152-5 Es handelt sich um den sogenannten Löwenwoldischen Vertrag von 1732.
153-1 Die Pragmatische Sanktion vom 12. April 1713 bestimmte die weibliche Erbfolge und die Unteilbarkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie.
153-2 Vgl. S. 107.
153-3 Vgl. S. 123 s.
153-4 Karl Philipp, der letzte männliche Sproß des Hauses Neuburg, starb erst 1742.
153-5 Gemeint ist Berg (vgl. S. 121). Auf Jülich hatte Friedrich Wilhelm im Berliner Vertrage von 1728 verzichtet.
154-1 Im Oktober 1733.
154-2 Die Akzise bestand bereits seit 1643 für eine Reihe von Waren; Robert Walpole wollte sie 1733 vor allem auf Wein und Tabak ausdehnen. Vgl. Bd. II, S. 28.
155-1 Im Januar 1734 wurde in Regensburg der Reichskrieg beschlossen.
155-2 Reichsfeldmarschall Ferdlnand Albrecht von Braunschweig-Bevern, der Schwiegervater König Friedrichs.
156-1 Joseph von Sachsen-Hildburghausen, österreichischer Feldmarschall.
157-1 Der österreichische Vizeönig ln Neapel.
157-2 20. Oktober 1735.
157-3 Die Zeichnung der Wiener Präliminarien erfolgte am 3. Oktober 1735. der definitive Friedensschluß erst 1738.
157-4 Reichsgraf Johann Friedrich Alexander von Wied zu Neuwied (vgl. Bd. VII, S. 109).
157-5 Franz Stephan.
157-6 Vgl. für den Polnischen Erbfolgekrieg und den Friedensschluß die im Anhang (Nr. 2) mitgeteilte Flugschrift des Kronprinzen Friedrich „Betrachtungen über den gegenwärtigen politischen Zustand Europas.“
158-1 Diese Angabe beruht auf einem Irrtum des Königs. Vgl. S. 147, Anm. 1.
158-2 Ernst Johann Biron.
159-1 Elisabeth.
159-2 Johann Christoph von Bartenstein war Geheimer Staatssekretär.
159-3 Vielmehr Achmed Köprili, der Statthalter von Rumelien.
159-4 Karoline, geborene Markgräfin von Ansbach, starb am 1. Dezember 1737.
159-5 Vgl. S. 112.
161-1 Miede von Belgrad, 1739.
161-2 Der Vertrag wurde im Haag am 5. April 1739 abgeschlossen.
162-1 Die Angaben des Königs schwanken. Er berechnet die Gesamtstärke einmal auf 60 000 (vgl. S. 137), oben auf 66 000, im Abschnitt über das Heerwesen auf 72 000 (vgl. S. 184) und in der „Geschichte meiner Zeit“ (Bd. II, S. 18) auf 76 000 Mann. Nach einem Verpflegungsetat vom Oktober 1739 beträgt die Sollstarke 81 034 Mann (einschließlich der Neuen Garnisonen, vgl. S. 183).