I
Innere Verfassung

Als Brandenburg heidnisch war, wurde es von Druiden regiert, wie ganz Deutschland in alter Zeit. Die Herrscher der Vandalen, Teutonen und Sueben waren eigentlich die Feldherren ihrer Völker; man nannte sie „Fürsten“, was „Führer“ bedeutet. Die Kaiser, die diese Barbaren unterwarfen, setzten an den Grenzen Statthalter ein, „Markgrafen“ genannt, um das kriegerische und auf seine Freiheit stolze Volk im Zaum zu halten. Aus jenen fernen Zeiten sind so wenige Überlieferungen auf uns gekommen, daß wir, um nicht Sage und Geschichte zu vermengen, uns hier nur mit der Verfassung der Kurmark unter den Hohenzollern beschäftigen wollen. Als die Burggrafen von Nürnberg in die Mark kamen (1412), verweigerten ihnen die unter den früheren Herrschern zügellos gewordenen Edelleute die Huldigung. Von dem Adel, dessen Unabhängigkeit die pommerschen Herzöge unterstützten, drohte dem Kurfürsten Gefahr. Die großen Geschlechter waren mächtig. Sie bewaffneten ihre Untertanen, bekriegten einander und beraubten die Reisenden auf den Landstraßen. Starke, mit Gräben umzogene Burgen dienten ihnen als Schlupfwinkel. Diese kleinen Tyrannen teilten sich in die Herrschermacht und bedrückten ungestraft die Bauern. Da es niemanden gab, dessen Autorität fest genug gestanden hätte, um den Gesetzen Geltung zu verschaffen, herrschte allgemeine Anarchie und größtes Elend im Lande. Die Hauptaufsässigen waren die Familien Quitzow, Putlitz, Bredow, Holtzendorff, Uchtenhagen, Torgow, Arnim, Rochow und Hohenstein. Mit ihnen hatte es Kurfürst Friedrich I. zu tun.

Obgleich Friedrich sich die Stände unterwarf, blieben sie doch stets Herren der Regierung. Sie bewilligten Gelder, setzten die Abgaben fest, bestimmten die Zahl der Truppen, die nur im Notfalle ausgehoben wurden, und besoldeten sie. Sie wurden bei allen Maßnahmen zur Landesverteidigung zu Rate gezogen, und unter ihrem Einfluß stand die Übung der Gesetze und die innere Verwaltung.

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Die Geschichte liefert uns mehr als ein Beispiel von der Macht Her Stände. Kurfürst Albrecht Achilles brauchte 100 000 Dukaten. Er ersuchte die Stände, diese Summe aufzubringen. Zu dem Zweck belegten sie das Bier mit einer Steuer, die sie jedoch nur auf sieben Jahre bewilligten165-1. Später wurde sie erhöht. Sie wurde der Anfang dessen, was wir die „Landschaft“ oder „Allgemeine Bank“ nennen165-2.

Zur Zeit des Kurfürsten Joachim I. erhoben die Stände eine Steuer von den Mühlen, Meierhöfen und Schäfereien zur Ausrüstung von 200 Reitern, die der Kurfürst dem Kaiser für den Türkenkrieg stellte.

Unter Joachim II. war die Macht der Stände so groß, daß sie einige Ämter, auf die der Kurfürst Anleihen aufgenommen hatte, unter der Bedingung einlösten, daß weder er noch seine Nachfolger sie künftig beleihen oder veräußern dürften. Der Kurfürst holte in allen Fragen ihren Rat ein und versprach ihnen sogar, ohne ihre Zustimmung nichts zu unternehmen. Die Stände setzten sich mit Karl V. in Verbindung und erklärten es für unangebracht, daß der Kurfürst sich zum Reichstag begäbe, und Joachim II. verzichtete auf die Reise.

Johann Sigismund und Georg Wilhelm verhandelten mit ihnen über die Frage der Erbfolge in Jülich und Berg165-3. Die Stände ernannten vier Abgeordnete, die den Hof begleiteten, um ihm beratend zur Seite zu stehen und an den Unterhandlungen teilzunehmen, wie auch zur Unterstützung der Kurfürsten, wenn es die Umstände verlangten.

Georg Wilhelm berief die Stände zum letztenmal, um sie zu befragen, ob sie es für gut hielten, daß er sich mit den Schweden verbündete und ihnen die festen Plätze auslieferte, oder ob er sich der Partei des Kaisers anschließen sollte165-4. Seitdem riß Schwarzenberg, der allmächtige Minister eines schwachen Fürsten, alle Autorität des Herrschers und der Stände an sich. Er legte aus eigener Machtvollkommenheit Steuern auf. Den Ständen blieb von ihrem Einfluß, den sie niemals mißbraucht hatten, nichts als das Verdienst einer blinden Unterordnung unter die Befehle des Hofes.

Bis zur Regierung Joachim Friedrichs hatten die Kurfürsten keine andern Berater gehabt als die Stände. Joachim Friedrich schuf einen Geheimen Rat165-5 aus den bisherigen Verwesern der Justiz und der Finanzen, der Reichsgeschäfte und dem Hofmarschall; den Vorsitz führte ein Statthalter. Dieser Geheime Rat war die oberste Instanz für die Gerichtsbarkeit, für Zivil- und Militärangelegenheiten wie für Polizeiverordnungen. Er setzte die Instruktionen für die Gesandten an den auswärtigen Höfen auf. Zwang eine Reise oder ein Krieg den Kurfürsten zum Verlassen seines Landes, so versah der Geheime Rat alle Obliegenheiten des Herrschers. Er<166> erteilte fremden Ministern Audienzen. Mit einem Wort, er besaß die gleiche Macht wie eine Vormundschaftsregierung während der Minderjährigkeit eines Fürsten.

Die Macht des Premierministers und des Geheimen Rates war fast unumschränkt. Unter Georg Wilhelm hatte Graf Schwarzenberg seine Autorität derart gesteigert, daß sie derjenigen der Hausmeier unter den merovingischen Königen gleichkam. Aber er trieb so ungeheuerlichen Mißbrauch damit, daß Kurfürst Friedrich Wilhelm von keinem Premierminister mehr wissen wollte. In der Instruktion von 1651 teilte er jedem Minister seinen besonderen Wirkungskreis zu und stellte zwei Räte in jeder Provinz an, die diese zu verwalten und Rechenschaft zu legen hatten.

Friedrich Wilhelm residierte während der ersten Jahre seiner Regierung in Königsberg in Preußen. Er versah den Geheimen Rat, der in Berlin blieb, mit weitgehenden Instruktionen, der Zeit und den Umständen gemäß. Die Truppen erhielten ihre Befehle von den rangältesten Generalen der Provinz. Die Festungskommandanten unterstanden unmittelbar dem Herrscher.

Beim Tode des Kanzlers Götze166-1 wurde diese Würde abgeschafft, und Otto von Schwerin wurde Oberpräsident des Geheimen Rats (1658)166-2. Die Staatsgeschäfte waren derart verteilt, daß alles, was die Gesetze betraf, vor den Justiz-Staatsrat kam, an dessen Spitze ein Präsident stand. Die Rechtsprechung über die Hofbeamten lag dem Schloßhauptmann ob. Die Finanzen des Kurfürsten wurden von der Domänenkammer verwaltet, die in verschiedene Abteilungen zerfiel; ihre Oberleitung hatte Baron Meinders166-3 und nach ihm Jena166-4.

Ein Konsistorium, das zur Hälfte aus Geistlichen, zur Hälfte aus Laien bestand, verwaltete die kirchlichen Angelegenheiten. Außer den genannten Körperschaften gab es noch eine Lehnskanzlei, die über alle Lehnssachen entschied.

Unter Friedrich I.166-5 blieb so ziemlich alles beim alten, nur mit dem Unterschied, daß er sich stets von seinen Ministem beherrschen ließ. Danckelman, sein früherer Erzieher, wurde Herr des Staates. Nach seinem Sturze folgte ihm Graf Wartenberg in Gunst und Macht166-6. Und ihn hätte Kameke166-7 als Oberkammerherr abgelöst, hätte der Tod des Königs seinem Aufstieg nicht ein Ende gemacht.

Friedrich Wilhelm I. änderte die Form des Staates und der Regierung vollständig. Er beschränkte die Macht der Minister. Nachdem sie zu Lebzeiten seines Vaters die Rolle des Herrn gespielt hatten, wurden sie seine Untergebenen. Die auswärtigen Angelegenheiten wurden Jlgen166-8 und Knyphausen166-9 übertragen. Sie unterhielten den Verkehr mit den fremden Gesandten und korrespondierten mit den preußischen Vertretern an den verschiedenen europäischen Höfen. Sie hatten vor allem die Reichsangelegenheiten, die Grenzfragen zu erledigen und die Rechtsansprüche des Herrscher<167>Hauses zu vertreten. Der Minister von Coccej167-1 stand als Großkanzler ander Spitze der Justiz. Unter ihm leitete Arnim167-2 das Appellationsgericht und die Zivilgerichtsbarkeit in Preußen und Ravensberg, Ratsch167-3 die Kriminaljusiiz.

Oberhofmarschall Printzen167-4 wurde Präsident des Oberkonsistoriums und führte die Aufsicht über Universitäten, fromme Stiftungen, Domkapitel und die Angelegenheiten der Juden.

Von allen Verwaltungszweigen war das Finanzwesen am meisten vernachlässigt. Der König schuf hier eine ganz neue Ordnung. Im Jahre 1723 errichtete er das Generaldirektorium. Diese Behörde zerfällt in vier Abteilungen, deren jeder ein Staatsminisier vorsteht. Ostpreußen, Pommern und die Neumark bildeten nebst dem Postwesen die erste Abteilung unter Grumbkow167-5. Die Kurmark, das Herzogtum Magdeburg, die Grafschaft Ruppin und das Kriegskommissariat bildeten die zweite Abteilung unter Kraut167-6. Die dritte unter Görne167-7 bestand aus den Rhein- und Weserlanden nebst den Salinen. Die vierte endlich, unter Viereck167-8 umfaßte das Fürstentum Halberstadt, die Grafschaft Mansfeld, die Manufakturen, das Stempel-und Münzwesen.

Der König vereinigte das Kommissariat mit dem Finanzdepartement167-9. Früher hatten diese Behörden vierzig Advokaten beschäftigt, um die Prozesse in Gang zu halten, die sie miteinander führten. Dabei wurden die Geschäfte selbst vernachlässigt. Seit ihrer Vereinigung arbeiteten sie gemeinschaftlich zum Wohle des Staates.

Unter diesen Hauptdepartements errichtete der König in jeder Provinz ein Justiz-und ein Finanzkollegium167-10, die den Ministem unterstellt waren. Die Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Justiz und der Finanzen erstatteten täglich Bericht an den König, der als oberste Instanz in allen Fragen entschied. Während seiner ganzen Regierung wurde nicht das kleinste Edikt ohne seine Unterschrift veröffentlicht; auch die kleinste Instruktion verfaßte er selbst.

Er verwandelte alle Lehen in freien Besitz, wofür die Inhaber eine jährliche Abgabe an den Staat zu zahlen hatten167-11.

Friedrich Wilhelm verwandte 4 500 000 Thaler auf die Wiederherstellung Litauens, 6 Millionen auf den Wiederaufbau der Städte seines Landes, auf die Vergrößerung Berlins und die Gründung Potsdams. Er kaufte für 5 Millionen Landgüter, die er zu seinen Domänen schlug.

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Wie Du aus diesem Auszug ersehen kannst168-1, bedarf es der Zeit, um zu etwas Gescheitem zu kommen. Wie viele Jahrhunderte mußten verfließen, bis das preußische Staatsgebiet günstige Gestalt gewann und Ordnung und Gerechtigkeit herrschten! Prüfen wir nun den Ursprung von Preußens Wachstum und die Ursachen, die am meisten dazu beitrugen. Um zu einem sicheren Urteil zu gelangen, will ich im folgen, den die Entwicklung des Finanzwesens von Zeitalter zu Zeitalter, von Regierung zu Regierung ausführlich darlegen. Das soll im nächsten Abschnitt geschehen.


165-1 Die „Bierziese“ wurde erst 1488 auf sieben Jahre bewilligt und im Jahre 1513 für dauernd erklärt.

165-2 Vgl. Bd. VII, S. 130.

165-3 Vgl. S. 32 ff.

165-4 Außer der im Text erwähnten Beratung von 1630 wurden die Stände von Georg Wilhelm noch in den Jahren 1634 und 1635 berufen.

165-5 1604. Vgl. S. 31.

166-1 Sigismund von Götze starb 1650.

166-2 Vor Schwerin hatte schon Joachim Friedrich von Blumenthal diese Stellung inne gehabt.

166-3 Vgl. S. 83.

166-4 Friedrich von Jena.

166-5 Anmerkung des „Königs: Seit 1688.“

166-6 Vgl. S. 100.

166-7 Vgl. S. 115.

166-8 Vgl. S. 100.

166-9 Freiherr Friedrich Ernst von Knyphausen.

167-1 Freiherr Samuel von Cocceji.

167-10 Das Appelationsgericht (auch als „Regierung“ bezeichnet) und die Kriegs- und Domänenkammer.

167-11 Gemeint ist die „Allodification der Lehen“, mit der 1717 begonnen wurde.

167-2 Georg Dietloff von Arnim-Boytzenbug.

167-3 Christoph von Katsch.

167-4 Vgl. S. 110.

167-5 Friedrich Wilhelm von Grumbkow (vgl. S. 152).

167-6 Johann Andreas von Krautt.

167-7 Friedrich von Görne.

167-8 Adam Otto von Viereck.

167-9 Das Generaldirekkorium vereinigte in sich die beiden bisherigen Zentralbehörden, das Generalfinanzdirekktorium und das Generalkriegskommissariat.

168-1 Hier und auf den folgenden Selten wendet sich der König persönlich an den Prinzen August Wilhelm, dem die „Denkwürdigkeiten“ gewidmet sind.