64. Epistel an d'Argens
nach der Einnahme von Schweidnitz1
(Oktober 1762)
Wär ich der biedere Homer,
In Griechenversen, hold von Laut,
Nicht trocken, holprig, schief gebaut,
Sang“ ich die große Tat! Und wär'
Ich gottbegnadet wie Voltaire,
Das Thema mit Geschmack zu meistern,
Und sicher füglich, zu begeistern,
Ich zählte alles haarklein her,
Wie Tauentziens, Lefebvres2 Hand
Aufs neue Schweidnitz an uns riß —
Und wie von ferne wutentbrannt
Sich Laudon in die Lippe biß.
Doch nehmt mich nicht für so betört,
'ne neue Ilias zu schneidern,
Weil Schweidnitz wieder uns gehört.
Ich überlass' es unsern Neidern,
In ihrem faden Geckentum
Zu prahlen mit dem eignen Ruhm!...
Ihr hört es von den Posiillonen,3
Was alles hier sich zugetragen
Durch Feuer, Bomben und Kanonen,
Laufgräben, Sappen, Parallelen.
Sie werden Euch auch vieles sagen
Von ausgerißnen Festungspfählen,
1 Schweidnitz, das am 1. Oktober 1761 in die Hände der Österreicher gefallen war, wurde am 9. Oktober 1762 von General Tauentzien wiedergenommen (vgl. Bd. IV, S. 156. 160 f.).
2 Major Lefebvre vom Ingenieurkorps hatte die Belagerungsarbeiten geleitet.
3 Postillone begleiteten den Kurier, der die Nachricht von der Einnahme von Schweidnitz nach Berlin brachte.