<88>Mag dort der Fieberkranke schauen
Die ewige Heimat, die er preist,
Wenn Labsal ihm der Trank verheißt,
Um so, getröstet und gestillt,
Nach heiliger Ölung, fromm und mild,
Wie im Triumphe zu dem Schweigen
Des Totenreichs hinabzusteigen.
Mag er! Doch mich, den dieser Wahn
Der Theologen nie umfangen,
Ich liebe statt des Glaubens Bangen
Des Lebens klare, frische Bahn
Und unsres Tages Lust und Freuden.
Mag sich der Starrkopf denn bescheiden
Mit jener dort verhießnen Lust;
Mag er in der erstorbnen Brust
Sich weiter an der Wonne weiden,
Die nur der Ewigkeit bewußt!
Sie bleibt dem traurigen Gezücht,
Des Malebranche1 ergebnen Scharen!
Bei all dem Tiefsinn, der aus ihnen spricht,
Ist die Vernunft mit ihrem Licht
In alle Winde aufgefahren,
Bis daß ein neuer Astolf kommt
Und wiederbringt, was ihnen frommt,2
Was ihrem armen Hirn gebricht!
Ich aber lache solcher Narren,
Statt schwach in Bängnis zu verharren;
Froh tu' ich, was die Lust mich heißt.
Und überkommt mich dann der Geist,
Dort an der Musen Hellem Quell,
Schöpf' ich aus ihm noch gern und schnell.
Doch fühl' ich schon der Jahre Hand
Mir Runzeln auf die Stirne malen.
Bald wert/ ich den Tribut bezahlen
Dem Alter, das mich übermannt.
1 Vgl. Bd. VIII, S. 40 f.; IX, S. 286.
2 In Aliosis „Rasendem Roland“ geht Asiolf auf den Mond, um den Verstand zu suchen. Vgl. Bd. IX, S. 133 f.