<1>

Erstes Buch
Jugend

<2><3>

1. Das Tabakskollegium
(um 1729)

Ich hab' mich aus der Tabagie gedrückt.
Sonst wär' ich ohne Hexerei erstickt;
Dort kann man herzlich Langeweile spüren,
Geredet wird allein vom Bataillieren.
Mir, der ich friedlicher Gemütsart bin,
Will dieses Thema gar nicht in den Sinn.
Die Flucht ergreifend, eile ich zum Mahl,
Nicht etwa, weil ich gar so hungrig bin,
Nein, um mit einem Zuge den Pokal
Zu leeren auf die teure Königin.

2. Grabschrift
(um 1729)

In dieser Stätte liegt begraben.
Des Geist voll lauter Unbesiand
Ging in das unbekannte Land,
Nur um Veränderung zu haben.

<4>

3. An Frau von Wreech4-1
(1731/32)

I
Geständnis

Durch Deine Huld, 0 Herrin, mög's mir verstattet sein,
In diese lautre Wahrheit Dich offen einzuweihn:
Seitdem ich Dich gesehen, dahin ist meine Ruh,
Durch Dich ist es geschehen, und dessen wert bist Du.
Mein Herz hat es erfahren, es traf zu gut der Pfeil,
Die Freiheit ist verloren, und Knechtschaft ist mein Teil.
Wiewohl mit jeder Stunde ich reife mehr zum Mann,
Sieht es die Welt als Schwäche und als verächtlich an.
Doch was als schwach sie tadelt, ich will es höher preisen
Als jene Herzen, fühllos wie Felsgestein und Eisen.
Und wenn man es auch Sünde und schlimmer nennen wollt,
Um Dich will ich sie tragen; denn Du bist allzu hold.
Ich fühle, daß ich selber nicht fähig bin, zu sagen,
Wie stürmisch meine Pulse für Dich allein nur schlagen.
Ein Glück, ein hohes, ist es, ein Unglück auch, zu lieben;
Bald macht die Liebe selig, bald muß sie uns betrüben.
Sei Du mein Schicksal! Reiß mich aus meiner Qual, der bangen!
Denn nur aus Deinen Händen will ich mein Los empfangen.
Dein Sklave will ich bleiben, in Deinen Banden schmachten
Und nie nach andrem Lose, nach andrem Titel trachten.
<5>Sagt' ich zuviel? Dann setze Du meiner Kühnheit Schranken!
Ich Hab' ja still geschwiegen, gefesselt die Gedanken,
In Anschaun ganz versunken, als ich Dich hier gesehn;
Du schienst mir eine Göttin — laß es mich Dir gestehn.
So nimm denn jetzt, o Herrin, ein Herz, das allzu zart
Und allzu ungeduldig nur der Erlaubnis harrt,
Dich oftmals zu begrüßen, Dir huldigend zu nahn,
Was noch zu dieser Stunde es zögernd nur getan.
Ich zähle die Minuten, ja jegliche Sekunde;
O, werde die Entscheidung mir bald aus Deinem Munde.
Dann will ich also handeln, wie Du es mir bestimmt.
Ich fürchte nur, mein Schicksal, es ist auf mich ergrimmt;
Doch mag es mir auch feindlich bereiten Not und Pein,
Trotz allem wirst Du sehen, ich kann auch standhaft sein.
Sollt“ ich auch schlechte Botschaft jetzund von Dir empfangen,
Es muß am letzten Ende Geduld zum Sieg gelangen.

Zuviel schon, was ich sagte, von Leidenschaft verführt;
Ich fürchte sehr, ich habe Dich gründlich ennuyiert.
Doch glaube mir das Eine: von Dir erfüllt und rein,
Wird sich mein Herz nicht wandeln und stets das gleiche sein.

II
Stanzen

Von Deiner Schönheit Reiz berückt,
Von Deiner Verse Kunst entzückt,
Kenn', Iris, ich, beim Zeus, kein Grauen,
Dem ich nicht trotzte, Dich zu schauen.
Mit Deinen Augen zwingst Du alle Herzen Dir —
So rühmt sie alle Welt als stolzes Siegspanier.

Da Du es Dir gemacht zur Pflicht,
Der Tugend sprenge Regeln nicht,
O strenge Schönheit, zu versehren,
Muß ich aufs höchste Dich verehren.
Da Tugend selten nur mit Schönheit sieht im Bunde,
Sing' ich Dir Lob und Preis heut und zu jeder Stunde.

<6>

III
Abschied (mit Übersendung seines Bildes)

Nimm als Gesandten dieses Bildnis hin.
Als zager Dolmetsch dient ihm dieses Lied:
Es sage Dir als meiner Siegerin,
Wie tief in Deine Fesseln ich geriet,

Wie mir Dein Reiz bestrickte Herz und Sinn:
O welche Lust, wenn mir mein Los beschied,
Daß ich nun, wie mein Bild, so glücklich bin —
Doch still, mein Bote! Sagt zuviel Dein Lied,

Trotz Brief und Vollmacht wirst Du fortgesandt,
Als Heimatloser irrst Du dann durchs Land.
Laß Dich erraten, aber bleibe stumm;

Sag' nicht, Du liebst und werdest immer lieben,
Und da dem Tode alle wir verschrieben,
Stirb, doch verberge Dein Martyrium.

<7>

4. An Prinzessin Wilhelmine
Zu lhrer Vermählung mit dem Erbprinzen Friedrich von Bayreuth7-1
(November 1731)

Wieder greif', 0 Muse, ich zur Leier,
Denn ich spür' in mir ein göttlich Feuer.
Ihr gelehrten Schwestern, laßt Euch bitten:
Führt die Feder mir, daß mutgestählt
Aller Mitwelt sie es frei erzählt,
Was an Kummer, Unglück ich erlitten.

Zweimal zog die Erntezeit vorüber,
Feuchte Nebel folgten, trüb und trüber.
Nach des Sommers heißen Sonnengluten;
Zweimal sah ich schmelzen schon den Schnee,
Und die Wasser, schwellend wie ein See,
Stiegen, alles Land zu überfluten.

Wie mit bangen Seufzern und mit Trauern,
Eingeschlossen hinter Kerkermauern,
Ich mir Trost gesucht in meinen Schmerzen —
Öd und leer nur kann den Trost ich nennen.
Wer auch sollte Gram und Leiden kennen,
Die ich berge still in meinem Herzen?

Bitter klage ich, Dir fern zu sein;
Traumverloren denke ich allein,
<8>Wie ich kürze diese Trennungsfrist.
Immer find' ich einzig mich, Dich suchend,
Und mein trauriges Geschick verfluchend,
Da mir fern, was mir das Liebste ist.

Gleichwie lauschend aus dem tiefen Hag
Wir vernehmen Nachtigallenschlag,
Sang und Lied der treuen Philomele,
Die, sich bergend scheu in ihrem Nesi,
Ihren Klageruf erschallen läßt
Ohne Unterlaß aus voller Kehle —

Also tönen Flur und Echo wieder
Meine Seufzer, meine Klagelieder,
Die ich sing' in meiner Leiden Nacht.
Und es ruft mir jeder Augenblick
Meiner Trennung Qual ins Herz zurück,
Wie der Liebe Glut sich neu entfacht.

Von dem Ebro bis zu Indiens Strand
Nie ein Unglückseliger sich fand,
Der gelitten solche große Not;
Da des Liebsien ich beraubt mich seh',
Sieche trauernd ich dahin vor Weh;
Ach, umsonst nur rufe ich den Tod.

Aber wie? Zu trauern mich gelüstet,
Da man sich zu frohen Festen rüstet?
Und statt frohgesitmmter Freudenweisen,
Wie es sich gebührt an solchen Tagen,
Hab' für meine Fürstin ich nur Klagen,
Weiß ich ihre Tugend nur zu preisen?

Fühl' ich mich als mäßigen Poeten,
Macht die Liebe doch mich zum Propheten,
Und so läßt sie denn voraus mich künden:
Dieser edlen Seele ist hienieden
Dennoch von dem Schicksal Glück beschieden;
Alles wird ein gutes Ende finden.
<9>Mut gefaßt! Ich fühle neues Leben!
Ihrem Dienst geweiht und ihr ergeben,
Führt Natur und Menschheit gleicherzeit
Sie zum Ruhme, sie zum Großen, Schönen,
Und es wird einst die Geschichte krönen
Ihren Namen mit Unsterblichkeit.

<10>

5. Epistel an Grumbkow10-1
(5. Februar 1732)

Des Landes und des Königs treuer Diener,
Anwalt der Schwachen, des Gesetzes Hort,
Ihr wißt, ich ziehe mehr wie ein verschriener
Landstreicher, denn als Prinz von Ort zu Ort.
Und meine jungen Tage rinnen hin
Auf Pfaden, deren Endziel mir verborgen.

Als ich hinauszog vor dem neuen Morgen,
War frostiges Erstarren mein Gewinn,
Und kaum lag hinter uns das alte Nest,
Da steckten wir in einem Sumpfe fest.
Der grobe Kutscher flucht wie'n Gottesstreiter,
Er fährt ins Haar sich, doch er fahrt nicht weiter,
Bis dann zuletzt mit Hilfe der Begleiter
Der Karren aus dem Loch sich schieben läßt,
Um uns recht unsanft auf den Weg zu bringen,
Wo Steine wieder zum Verzug uns zwingen.
Von neuem gilt's, mit Griff und Schulterkraft
Derb nachzuhelfen, und nun geht es fiott
So zwanzig Schritt, da plötzlich stürzt, 0 Gott!
Der Wagen um! Ich liege, schauderhaft
Durchrüttelt, unter Sack und Pack und Kisten.
Und wie ich mich erst wieder aufgerafft,
Seh' ich, wie jetzt mit rasenden Gelüsten
Die Pferde durchgehn, die durchrißnen Zügel
Nachschleppend. Und das Mannsvolk, arg zerbeult,
<11>Kriecht aus den Trümmern vor, beschimpft sich, heult,
Schreit durcheinander, schließlich setzt es Prügel —
Ein Bild, das wohl verdient hätt', festgebannt
Zu werden durch geschickte Künstlerhand.

Allmählich wird auf Zank und Streit verzichtet;
Man hat den Wagen wieder aufgerichtet
Und bastelt an zerbrochnen Deichselstangen.
Dann harrt man, bis die Pferde eingefangen;
Man knüpft die Stränge, schirrt die Gäule an,
Ich setze mich zurecht, so gut ich kann.
Beim Weiterfahren murrt noch jedermann,
Warum es grade ihm so schlecht ergangen.

Vorwärts! Der Weg verengt sich, und wir haben
Zur Seite einen tiefen Wassergraben.
Da taucht ein Leiterwagen vor uns auf
Und sperrt den Weg. Wir können nicht vorbei!
Doch jeder gibt dem andern etwas frei,
Die Gäule ziehn mit kräftigem Geschnauf,
Und wir sind durch! Da — bricht ein Rad entzwei,
Der Wagen kippt — ein neuer Aufenthalt!
Wir müssen nach Ersatz zum Dorfe schicken.
Nun aber meldet sich der Hunger bald.
Man möchte sich an Speis' und Trank erquicken
Und lugt hinaus mit sehnsuchtsvollen Blicken.
Drei Stunden und darüber hielt ich aus.
Das neue Rad kam endlich, und wir fuhren
Und hielten nun erst vor dem Einkehrhaus
Im nächsten Städtchen, ledig der Torturen.

Man sorgte rasch für einen bessern Wagen.
Inzwischen kam der Gastwirt und erklärte:
Das Essen sei bereit! Für unsern Magen
Ein Freudenrausch, der nur nicht lange währte,
Denn arg enttäuschte uns der Mittagstisch.
Drei Eier, die im Salz verborgen lagen,
Ein altes Huhn, dazu ein Krautgemisch
Verdarben uns sogleich den Appetit,
Und unberührt an uns vorüberzieht
<12>Der erste Gang, mit dem die Küchenweiber
Ihr Bestes für uns aufgeboten hatten.
Geringe Hoffnung blieb für unsre Leiber!
Was folgte, kam noch weniger zustatten:
Der Puter schwamm in einer ranz'gen Tunke,
Das Rindfleisch hart, mit Meerrettich, der roch!
Wenn ich dran denke, wird mir übel noch!
Wir flüchteten geschwind aus der Spelunke
Und hofften auf das nächste Nachtquartier.
Das nicht verzehrte Mahl bezahlten wir
Und machten dann drei Kreuze vor dem Hause.

Unser Gespann fuhr vor. Nach kurzer Pause
Setzten die Rosse langsam sich in Trott,
So langsam, als bestände ein Komplott,
Uns in die tiefste Finsternis zu jagen,
Denn immer dunkler ward es um uns her.
Längst schon in seiner Höhle lag der Bär,
In seinem Bau das Füchslein mit Behagen,
Der Hase schlief, so gut es ging, voll Zagen,
Und auch die Lämmer weideten nicht mehr,
Ihr Hirt zog's Laken über beide Ohren.
Wir aber hatten unser Ziel verloren
Und irrten durch das Dunkel kreuz und quer.

Schwer war's, durchs Heideland sich durchzuwinden,
Da man die Hand nicht vor den Augen sah.
Wir wendeten und tappten hier und da,
Bis es gelang, den rechten Weg zu finden,
Und übermüdet kommen wir ans Ziel.

Doch alles liegt hier nun im tiefsten Schlummer.
Wir klopfen, bis am Tor der Balken fiel,
Und jemand öffnet — ach, zu neuem Kummer.
Denn wie wir gleich nach einem Mahl begehrten,
Erhebt der gute Gastwirt ein Geschrei.
Er habe nichts für uns als trocknes Brot
Und dann von einem Truthahn noch zur Not,
Der grade gestern frisch geschlachtet sei,
Den Rest, den seine Leute übrig ließen.
<13>Die besten Stücke freilich gingen drauf!
Wir konnten zu dem Mahl uns nicht entschließen
Und suchten traurig unser Lager auf,
Um Müdigkeit und Hunger zu verschlafen.
Die Nacht nimmt, dacht' ich, ruhigen Verlauf:
Mein Unstern sollt' auch den Wunsch Lügen strafen!

Ein rücksichtsloser Lärm drang an mein Ohr,
Er kam aus einem nahen Holzverschlag,
In dem ein Köter an der Kette lag,
Ein Vieh, das nur ein Gastwirt gerne mag.
Er zog's sogar der Eheliebsten vor,
Die ihn in Sommerglut und Winterkälte
Durch vierzig Jahr an sich gefesselt hatte,
Und die nunmehr der liebenswürdige Gatte
Als rostige Flinte in die Ecke stellte.
Der dumme Hund nun knurrte, heulte, bellte,
Daß ich erschrocken aus dem Schlafe fuhr.
Ein neuer Lärm entstand im Treppenflur,
Ein Türenschlagen, Rufen und Gescheite;
Dann hörte ich, wie eine Glocke gellte,
Das grobe Schlagwerk einer Wirtshausuhr:
Sie kündete des neuen Tages Spur
So kräftig, daß ich aus dem Bette schnellte.
Vorbei war's mit der Ruhe! Macht Euch klar,
Mein lieber General, wie matt ich war!

Ihr werdet Ruh' in Ruhstädt auch nicht finden,
Doch suchet sie in Euch — dem besten Hort!
Dort such' ich selber sie — an welchem Ort
Mich sonst auch mögen andre Pflichten binden.
So läßt sich äußre Unruh überwinden!
Ihr, den das Schicksal an den Hof berief,
Dürft dort in ungestörter Ruhe leben.
Und Eure Feinde — sollt' es welche geben —
Sind's aus dem Grund nur, weil ihr Urteil schief.
Zeigt ihnen Euer Herz, ich möchte schwören,
Es muß Euch bald dann aller Gunst gehören.
Grumblows Rittergut in der Priegnitz.
<14>Befolgt denn, was mein Lied von Euch ersteht,
Wenn je mein Wort bei Euch in Achtung sieht:
Laßt Euch durch nichts in Euren Pflichten stören,
Daß das Gesetz den Gang des Rechtes geht.
Straft den Betrüger, helft den Witwen zart,
Seid treu in allen Dingen und besonnen
Und bleibt auf jener Bahn, die Ihr begonnen,
Und nie verleugnet, Grumbkow, Eure Art!

<15>

6. Ode auf den Ruhm
(1737)15-1

Der Odem eines Gotts entfachte
Die Seele mir zu hehrem Glühn:
O Ruhm, im tiefsten Herzensschachte
Fühl' ich dein himmlisch Feuer sprühn.
Berauscht von deinem starken Zwange,
Will ich mit holdem Leierklange
Besingen deine Segenskraft:
Du reichst dem wahren Wert die Krone;
Dein Lorbeer wird dem Erdensohne
Zum Sporn für alles, was er schafft.

Es ist die Tugend, die zum Ruhme,
Der Ruhm, der uns zur Tugend weist;
Er läßt den Sieg erstehn als Blume,
Entfesselt des Besiegten Geist;
Dank ihm fand Cicero die Worte,
Kam Seneca zum Weisheitshorte,
Entsprang der echten Helden Schar.
Steigt aus der Gräber finstrem Grunde
Und gebt uns, edle Schatten, Kunde:
Wer hieß euch trotzen der Gefahr?

Schon bei den Thermopylen schaue
Die Kämpfer ich, die kühn ihr Blut
Hinopfern, um die Heimatgaue
Zu schützen vor der Sieger Wut;
Ist deren Macht auch ohnegleichen,
Ihr Mut will vor der Zahl nicht weichen,
Steht unerschütterlich im Streit;
Derweil sie sterbend niedersinken,
<16>Sehn sie, vom Ruhm getröstet, winken
Als stolzen Preis Unsterblichkeit.

Unseliger Regulus, du Zierde
Von Rom in der Karthager Haft,
Als Opfer blinder Rachbegierde,
Nein, deiner Tugend, hingerafft.
Glorreiches Vorbild großer Taten,
Um deinen Ruhm nicht zu verraten
Und deines Ehrenworts Gebot,
Kehrst du, dein Vaterland zu retten,
Zurück in deine schweren Ketten
Und leidest dort den Martertod. 16-1

Wer ist der Held, in jedem Kriege
Triumphgekrönt? Es ist Eugen;
Die Ehren seiner stolzen Siege,
Der Ruhm läßt nimmer sie vergehn:
Dies strahlende Phantom, beschieden
Als Schutzgeleit schon dem Alkiden,
Läßt ihn zum Rhein, zur Donau ziehn,
Den Feind bedrohn in Ungarns Wäldern
Und auf Italiens blutigen Feldern,
Um ihn zu kränzen in Turin.16-2

Ihr, denen Kunst und Dichtung eigen,
Minervas und Apollos Brut,
Wer stößt, auf den Parnaß zu steigen,
Euch ein die Sehnsucht und die Glut?
Homer, Virgil, ja, laßt euch fragen,
Horaz, Voltaire, ihr sollt mir sagen:
Welch einem Gott singt ihr zu Dank?
Ihr alle seid dem Ruhm ergeben;
Um für die Nachwelt fortzuleben,
Feilt Ehrgeiz euch die Verse blank.

Der Frevler mit dem scheelen Auge
Sucht irrend stets der Ehre Pfad;
Es wähnt sein wilder Sinn, ihm tauge
Zum Ruhm die grimme Missetat.
<17>Sein Rausch dringt niemals durch zur Klarheit;
Verzerrt nur spiegelt ihm die Wahrheit
Sein Geist, entartet und verrucht;
Von seinem Selbstbetrug verblendet,
Erhofft er, daß man Lob ihm spendet,
Wenn sein Verbrechen man verflucht.

Mag, sich behaftend mit dem Stempel
Der Schmach, des Feuerlegers Hand
In den antiken Wundertempel
Verheerend schleudern hellen Brand;
Mag Thais glauben voll Betörung,
Daß durch Persepolis' Zerstörung
Sie der Unsterblichkeit sich naht:
In seines Ehrenbuches Rahmen
Schwärzt nachsichtslos der Ruhm die Namen
Von Thais und von Herostrat.

Erheb vor mir dich aus dem Schutte,
Du heidnisch Rom der alten Zeit;
Mit seinen Strebern in der Kutte
Beschäm'das Rom der Christenheit;
In deinem reichen Tugendsegen
Die Weltbezwinger stell' entgegen
Den Priestern all auf krummer Bahn,
Den Pfaffen all, die Ränke stiften,
Und die auf apokryphe Schriften
Gegründet ihren Kult und Wahn.

O Ruhm, dem ich zum Opfer bringe
All meine Kurzweil und Begier;
O Ruhm, du meines Glaubens Schwinge,
Gönn' meinen Taten deine Zier!
Du kannst, wenn ich ins Grab gesunken,
Bewahren einen schwachen Funken
Vom Geiste, der in mir geloht:
Die Schranken tu mir auf zum Siege,
Damit ich deine Bahn durchstiege,
Dir treu im Leben und im Tod.

<18>

7. Epistel an meine Schwester in Bayreuth
Zu ihrer Thronbesteigung18-1
(1735)

Du die ich trauter Freundschaft würdig achte,
O Schwester, deren rein Gemüte
Zum Abgott Dich dem Bruder machte,
Du, die seit unsrer Jugendblüte
Das harte Schicksal stets mit Leid bedachte,
Doch deren tiefe Herzensgüte
Ein Heer von Plagen nicht zu Falle brachte: —

Dich stach der scheele Neid mit Natterzungen;
Im ersten Lenz entlud vom Throne sich
Ein Wetter über Deinem Haupt, dem jungen:
Der Arglist war's mit falschem Rat gelungen,
Den eignen Vater gegen Dich,
Unschuldig Kind, zu reizen;18-2 da verblich
Des Lebens erster Sonnenschein.
Du trugst des Unglücks Joch gezwungen,
Und Wolken hüllten Dich in Dunkel ein.

Es schien, als hätten Schicksal nun und Neid
Längst ihre Pfeile gegen Dich verschossen;
Doch Krankheit kommt, und neues Leid
Ist Dir daraus entsprossen.

Ihr Götter, scheucht das grause Bild
Aus meinem Geist, daß Michs nicht länger quäle!
Von Gram bedrückt ist meine Seele;
Mein banges Herz von Trübsal schwillt.
Es bebt, daß mich der Tod mit seiner Schneide
<19>In dieser Stunde, wo es gilt,
Von meines Wesens Hälfte scheide.

Kehrt lieber gegen mich der Schläge Wucht,
Du Schicksal, Götter ihr voll Eifersucht,
Und muß es sein, trefft mich mit eurem blut' gen Eisen:
Ich biete mich als Opfer dar!
Doch trefft nur mich allein: ich will euch preisen!
Auf mich, ihr Götter, alles Mitleids bar,
Lenkt euren Zorn: für ihr geliebtes Leben
Will ich dann frohgemut das eigne geben!

Da wird mein Flehn erhört: des Schicksals Gunst
Vertreibt den grauen Wolkendunst,
Und heitre Bläue lacht von droben
Nach jenes Ungewitters Toben.
Beglückt schau' ich den Himmel offen.
Und gottbegeistert kann ich schon
Erfüllt sehn mein geheimstes Hoffen.
Der Kummer ist verbannt; dem Leid wird Lohn,
Und im Olymp die Götter alle schelten
Das Unglück, das so häufig Dich betroffen.
Sie wollen's reichlich Dir vergelten,
Und um die Wette wird bestimmt,
Daß seinen Teil ein jeder auf sich nimmt.
Mit Fug und Recht beiseite zwar
Bleibt von der ganzen Götterschar
Minerva, die stets treu Dir war!

Holdselig in der Schönheit Zier,
Entsendet Venus ihren Sohn
Hernieder auf die Erde schon
Und spricht: „Flieg leichtbeschwingt zu ihr!“

Und Amor war nicht falsch und flatterhaft,
Wie sonst, wenn er den Herzen Kummer schafft.
Nicht als der Gott, der alle Welt
Grausam in harten Banden hält,
Nein, als der keusche Gott der Ehe
Kam er zu Dir — Dein eignes Schicksal sage,
<20>Was ich im Reim zu schildern nicht verstehe!
Flugs kommt Diana nun aus ihrem Hage
Und spricht: „Zu ihrer Kurzweil trage
„Die Weidlust bei im keuschen Hain,
„Und es lustwandle nicht allein
„Die Fürstin dort: sie jage!“20-1

Da wimmelt es von Wild am Bergesrand;
Im Waldesdickicht rudeln sich die Hinden;
Den Hirsch erlegst Du mit geschickter Hand;
Der Eber muß ein jähes Ende finden.
Der Fuchs wird aufgestöbert und gestellt;
Von Deinen wohlgezielten Schüssen fällt
Aus freier Luft das Rebhuhn, der Fasan,
Und blitzgeschwind triffst Du den Auerhahn.

Als nun Apoll der Schwester Gaben sieht,
Will er Dir seine sanftre Lust bescheren,
Und mit der Schar der Musen zieht
Er in das Haus, das Du der Kunst zu Ehren
Erbautest. Melpomenes Spiel
Voll Gift und Dolch und wilder Leidenschaft
Gibt Deinem Blick ein neues Ziel
Und hält den Geist in banger Haft.

Nun kommt Thalia an die Reih',
Die streng bei aller Narretei
An Menschentorheit sich ergötzt
Und uns mit ihres Spottes Lauge ätzt.

Doch in Italiens Zauberklang
Tönt Polyhymnias Gesang
Zur süßen Harmonie der Saiten;
Zum Feenschlosse wird das Haus,
Und märchenhafte Schätze breiten
Sich vor den trunknen Augen aus.
Im Blumenflor schlingt nun den Reigen
Therpsichore zum Klang der Geigen,
<21>Und in der Kunst erhöhtem Glanz
Entschwebt der Grazien kühn verschlungner Tanz.

Kurz, Reigen, Töne, Schaugepränge,
Die ernste wie die heitre Kunst,
Sie streiten sich um Deine Gunst,
Und jede drängt es unter ihnen,
Sich Deinen Beifall zu verdienen.

Doch sieh, dort nahen die Gelehrten,
Die in Uraniens Geleit
Voll Würde und Gemessenheit
Mit ihren Gaben Dich beehrten.
In ihrer hehren Trunkenheit
Verkünden hohe Worte sie —
Auch meine Göttin Poesie
Hat ihren Weihrauch Dir geweiht!

Ein andrer Dichtersmann, ein Greis,
Verleugnend seines Alters Eis,
Sang schon zu Deiner Schönheit Preis.
Ich, der am Fuße des Parnaß
Kaum erst im dritten Lenze saß,
Bring' als ein Neuling in Apoll
Dir kühnlich dar des Liedes Zoll.
Nicht gab Minervas rasche Huld,
Nicht reifer Jahre späte Frucht
Dem Iugendschwunge Schliff und Wucht;
Doch, teure Schwester, mein Gefühl
Trotzt diesen weislichen Bedenken:
Es stammt zu heiß, um es so kühl
In meinen Busen zu versenken!

Wer, von so schöner Glut beseelt,
Zwar gegen Reim und Versbau fehlt,
Allein von Herz zu Herzen spricht,
Gilt mehr als mancher glatte Wicht,
Der kalt gemeßne Reime flicht!

<22>

8. Epistel über das wahre Glück
(5. Dezember 1736)

Hinter dem Glück rennt doch alles her!
Ach, und dabei, wie häufig nur sind es
Trügende Hoffnungen, die uns beseelen,
Ist es ein Tappen, ein Irren, ein blindes,
Daß wir das Wertvolle, Echte, verfehlen,
Nur ein Scheingut erwischen, nicht mehr.
Doch dem unbändigen Glücksbegehr
Ist nichts zu steil und nichts zu schwer.
Und so geben wir keine Ruh,
Setzen mit Wünschen den Göttern zu;
Nur wie das ausschaut, wonach wir streben —
Ja, wer vermöchte das anzugeben?...

Wer heißt den alten Kriegsmann dort
Sich schinden und placken fort und fort?
Wer heißt ihn, sich jedes stille Behagen,
Sich Ruhe und Rast so grausam versagen?
Er glaubt, er hätte es zu was gebracht,
Zu Lorbeer und Ehren, sein Glück sei gemacht;
An Jahren gebeugt, an Wunden reich,
Käme ihm keiner der Marsjünger gleich.
Dann, wie im Arsenal der Rost verzehrt
In Friedenszeiten Rüstung und Schwert,
So muß auch Belisar22-1 Hungers sterben —
Um sich Nachruhm zu erwerben.
Oder soll er, heimgekehrt vom Streit,
<23>Am Hofe in tiefster Ergebenheit,
Mit glatt- gewandter Höflingskunst
Buhlen um der Räte Gunst?...

Der Fürst, in seinen Gemächern verborgen,
Hat für den Frieden der Welt zu sorgen;
Von dort aus gebeut er der Heldenschar.
Denn Monseigneur ist ganz und gar
Politiker nur, und mit Seherblick
Ermißt er künftiger Tage Geschick.
Doch was er sich so fein erdichtet,
Sieht er durch Karl und Ludwig vernichtet,
Die auf eignen Wegen andres beschlossen. 23-1
Dann ist er natürlich enttäuscht und verdrossen.
Dann wettert und zankt er ganz lästerlich,
Gestikuliert und ereifert sich
Mit rotem Kopfe und großem Geschrei
Wider das ganze Menschengeschlecht,
Klagt, welch ein trauriger Deuter er sei
Der Zukunft Zeichen: nie träf' er's recht!

Da muß sich freilich die Frage erheben:
Was soll's überhaupt für ein Glück noch geben?
Wenn irdisch Gut, wenn Ruhm und Ehren
Der Menschenbrust kein Genügen gewähren,
Dann soll guter Rat wohl teuer sein ...

Wohlan denn, nach all diesen Lebensbildern
Versuchen wir schließlich, mit leichter Hand
Einmal das vollkommene Glück zu schildern,
Das ungetrübte, wie wir's erkannt:
Das wahre Glück, das ihr ausgeschlagen,
Um einem Trugbild nachzujagen!
Seht Varro: mit seinesgleichen in Frieden,
Ist ihm Ruh und Behagen beschieden.
Er sucht sein Glück in der eignen Brust,
Gönnt sich mit Maßen jede Lust.
<24>Er ist den Freuden des Daseins hold,
Dem Wein und der Liebe, der Kunst und dem Gold,
Ist vergnügt in geselligem Kreise.
Erst das ist Leben: das nenne ich weise.
Nie hat ihn Leidenschaft übermocht,
Auch nie der Ehrgeiz ihn unterjocht,
Vom Tagesstreite bleibt er unberührt.
So ist das Ziel, zu dem die Weisheit führt.

<25>

9. Ländliches und höfisches Leben
Ein Vergleich
(30. Oktober 1737)

Daheim in meiner selbstgewählten Klause,
In der ich dank besondrer Gunst nun Hause,
Das Schicksal aller derer mir betrachtend,
Die, eingeschläfert völlig von Chimären,
Des Irrtums voll und wie die Sklaven schmachtend,
Der Erdengötter eitle Größe ehren,
Vermess' ich mich, das Leben zu genießen,
Furchtlos vor Neid, nicht von dem Gift geschreckt,
Das tückisch, von der Großen Gunst gedeckt,
Verleumdung dürft' auf meine Unschuld gießen.

Erwach' ich früh zur schönen Jahreszeit,
Seh' Phöbus ich am Horizonte strahlen,
Die Früchte, Reben rings mit Gold bemalen;
Da sehe ich die Bienen werkbereit,
Den Honig naschend, summend überm Beet,
Das tausendfache Blumenpracht besät.

Den Schatten suche ich des dichten Hains,
Den Rand des Bachs und schöpf' aus alten Werken,
<26>Aus Griechen und aus Meistern des Lateins,
Mein Wissen zu vermehren, mich zu stärken.
Horaz les' ich, Catull und Lucian,
Hortensius' Nebenbuhler,26-1 Julian.
Stets aber ist's der herrliche Voltaire,
Der meine Langeweile mir zerstreut;
Du glücklicher Virgil! Und du, Homer!
Daß ihr nicht erst nach ihm geboren seid.

Dann folgt ein einfach Mahl in schattiger Laube,
Das Jonard26-2 artig zu kredenzen weiß.
Der Fleck, im reichen Schmuck von Frucht und Traube,
Er sieht an Preis wohl, doch an Schönheit nimmer
Dem prunkvoll kostbarsten Palaste nach.
Wie schwindet da des Thrones Glanz und Schimmer,
Vergleichst du ihn mit einem Silberbach!
Von Freunden eine Schar, ganz auserkoren.
Abhold der Heuchelei und wie geboren
Zu Ernst und Scherz: die bildet meinen Kreis.

Da füllt Philosophie gar manche Stunde;
Bald fesselt Newton und die Sternenkunde,
Bald Dichtkunst, Malerei uns ganz,
Bald freun wir uns an der Geschichte Themen,
Bald sinnen wir ob den Problemen
Der Größe Roms und Griechenlands.
Drauf, voll von Liebe, Versen und von Lust
Und von der holden Tollheit ganz bezwungen,
Die Ernst und Herbe scheucht aus jeder Brust,
Sprühn die von edlem Wein gelösten Zungen,
Lebendig zwar, doch Maß und Grenze wahrend,
Ein Feuerwerk, mit Geist die Laune paarend;
An diesem stillen Fleckchen, von Banausen
Und Gecken unbehelligt, sehe ich
Die zarte, unverfälschte Freundschaft Hausen.
In unser Heiligtum drängt nimmer sich
Ein einstudiert Gesicht; Verstellung, List,
Sie bleiben ausgeschlossen: was er ist,
<27>Ein jeder kann es sein, von Furcht befreit,
Daß böse Hand ihm böse Züge leiht.
Das Lachen ist hier völlig unverwehrt;
Jedoch zum Schutze vor den scharfen Bissen,
Mit denen die Satire gern versehrt,
Sind ihr die argen Zähne ausgerissen.

Wird's Abend, so verschmelzen ihre Klänge
Euterpe, Polnhymnia, die hehren,
Die süße Harmonien uns bescheren.
Noch tönen in den Ohren die Gesänge,
Das Echo weckend von dem neuen Orpheus,
Da weiht uns schon die Ruh dem Reich des Morpheus.
Und so, von tiefem Frieden rings umhegt,
Vollende hier ich meine Lebensbahn,
Erwarte stolzen Sinnes, unbewegt
Der Schere Schnitt, von Atropos getan.

Dem Sklaven weh, der nicht die Stadt verläßt,
Den schwächlich an den Hof die Kette fest
Gefesselt hält, aus Liebe oder Pflicht!
Er lernt, daß, wechselnd wie des Mondes Licht,
Das Schicksal oft die Günstlinge erhebt
Und dann in jähem Sturze sie begräbt.
Der flüchtigen Laune Opfer ist er heute
Und morgen eines leichten Argwohns Beute.
Geschäftig stets, fällt ihn sein Feind mit Tücke,
Errichtet aus dem wandelbaren Glücke
Für seine Bosheit sich ein Siegeszeichen.
Erliegt er nicht — ein Glück ist's sondergleichen —
So wird ihn bald der Ehrgeiz ganz verblenden
Und alles nur zu seinem Unheil wenden.
Des Höflings feiler, niedrer Eigennutz,
Die Politik mit ihrem Schutz und Trutz
Gebieten auf die Freundschaft ihm Verzicht.
Den macht sophistische Moral zum Wicht,
Der sich zu seines Feindes Füßen windet,
Feig, unterwürfig, angstvoll und erpicht,
Wo Vorteil er und wo er Rache findet.
Die Unterwürfigkeit, der äußre Schliff:
<28>Sie sind für ihn der einzige Inbegriff
Der Götter, die ihm die Gesetze geben.
Die dürre Klugheit, die ein jedes Wort
Erst wägt, begleitet ihn von Ort zu Ort.

Ach, Unglückseliger! Lerne erst zu leben!
Wie lang noch willst du langsam so verderben?
Die Größe schützt dich nicht vor Leid und Sterben,
Und unsrer Tage kurz bemeßne Spannen,
Sie fliehen, ach! nur allzu schnell von bannen.
Und ist die Frist, die einzige Frist vergangen,
Vergebens wirst du sie zurückverlangen.
Auf! Zu den heitern Freuden, die entzücken,
Durch Frohsinn, Spiel und Liebe hold beglücken!
Fort mit den Göttern, die von Schranzen blind,
Von Hochmut, Ehrgeiz angebetet sind!
Nie werd' ich, ihre Gnade zu erringen,
Nur das geringste Opfer ihnen bringen.

O der du meine einzige Gottheit bist,
Du Gott der Freude, lohne meine Treu!
Gib mir, was Gipfel aller Freuden ist,
O gib, daß mitten im Genusse neu
Ein seliges Vergessen und Entrücken
Zu immer neuen Wünschen mich entzücken!

<29>

10. An Antoine Pesne29-1
(November 1737)

Welch Wunder trifft mein Auge! Pesne, dich hebt
Zum Rang der Götter deines Pinsels Stärke.
Alles in deinen Bildern lacht und lebt,
Dein Können übertrifft der Schöpfung Werke.
Aus deiner Hintergründe Schatten steigt
Dein Gegenstand, geklärt von deinen Händen.
Dies ist der Zauber, den die Kunst uns zeigt;
Du weißt durch Skizzen wie Porträts zu blenden.
Wenn einen Helden,29-2 den das Volk verehrt,
Du malst mit Augen, die lebendig glänzen,
Sieht man ihn feurig, wie mit Lorbeerkränzen
Er einst aus Schlachten siegreich heimgekehrt.
Wenn du der jungen Iris29-3 frische Pracht
Darstellst und ihrer Schönheit seltne Gaben,
Fühl' ich an deinen Farben, welche Macht
Bei meiner Jugend Reiz und Anmut haben.
<30>Doch kann am Stoff dein Werk man wachsen sehn;
Des Urbilds Schönheit lebt in deinen Bildern.
Um unsre hehre Königin zu schildern,
War kein Geringrer gut genug als Pesne.
Die Hoheit ihrer Stirn, ihr fürstlich Wesen,
Ihr sanfter Reiz, ihr Blick, der Zutraun weckt,
Dies all' ist in dem Meisterbild zu lesen,
Bis auf die Tugend, die den Frevler schreckt,
Dem Schuldigen verzeiht und edelmütig
Den Tränen des Bedrückten Halt gebeut;
Ich glaube diese Hand zu sehn, die gütig,
Auch aus der Ferne, Segen rings verstreut.

Bei solchem Anblick, der mir göttlich deucht,
Fühl' Andacht ich und Rührung mich durchdringen,
Wird vor Ergriffenheit mein Auge feucht.
Wie? Kann uns bloße Farbe so bezwingen,
Daß durch die Täuschung deiner Kunst sogleich
Nach kurzem Blick der Geist gerät ins Feuer?
Pesne, wenn nicht Tugend, auch im Bild uns teuer,
Ied'Konterfei dir schmückte doppelt reich,
Dann würd' ich, hadernd mit des Urbilds Fehlern,
Mein Lob für deine Pinselführung schmälern.
Der schöne Stoff läßt deine Kunst erstrahlen,
Apelles nur kann Alexander malen.
Mag auch mit ganzen Könnens Aufgebot
Ein Künstler eines Kaisers Standbild prägen,
Das des Tiberius stürzt man, wenn er tot,
Das des Augusius wird die Liebe hegen.
So schätzte man des Marmors Kunsivollendung,
Nur wenn er guter Kaiser Züge trug.
Für Götzen hielt die wütende Verblendung
Siegreicher Christen, was ihr Haß zerschlug,
Und um des Phidias Namen unbekümmert
Zerbrach man jede Büste, die man fand;
So ward in jener Zeiten Sturm und Brand
Die hehrste Kunst des Altertums zertrümmert.

Die Wahl des Stoffs entscheidet deine Siege;
Glaub' nicht, daß ich verklage dein Talent,
<31>Und daß ich üblen Launen unterliege,
Verkleinernd, was der Ruhm dir zuerkennt.
Doch malte Lancret mir der Hölle Graus,
Meinst du, mich würde sein Geschmack ergetzen,
Mein Auge hielte Greuel und Entsetzen
Des finstren Tartarus befriedigt aus?
Der Architekt braucht gut Gestein zum Bauen;
Den Maler, wenn ein guter Stoff ihm fehlt,
Trifft Hohn; du, von den Grazien auserwählt,
Laß uns verführerische Reize schauen,
Damit des weilenden Betrachters Blicke
Vor deinem Bild geheime Lust bestricke.
Solch holder Vorwurf bringt Gemälden Heil,
Wenn auch nicht dort, wo Weihrauch ihnen streuen
Die falschen Eiferer, die Sonnenscheuen,
Beschränktheit, Aberglaube, Vorurteil.
Ja, deiner Kunst muß ich Bewundrung spenden;
Doch sie vergöttern? Lachend sag' ich nein.
Laß deine Heiligen mit dem Glorienschein
Und übe dich an lichtren Gegenständen;
Mal' uns der Amaryllis keuschen Tanz,
Halbnackte Grazien, Nymphen waldumsponnen,
Und denk', daß deine Kunst, so reich an Wonnen,
Einzig der Liebe Dasein dankt und Glanz.

<32>

11. Rechtfertigung der Güte Gottes
(4. Dezember 1737)

Der Du in scheu verehrtem Walten
Das Weltenganze ausgedacht,
Der Du, aus Nichts es zu gestalten,
Nur brauchtest eines Wortes Macht —
Göttlicher Schöpfer dieser Erde!
Daß meinem Dank Genüge werde,
Laß mich, von reiner Glut erfüllt,
Bis aufwärts zu des Himmels Pforten
Verkünden laut an allen Orten,
Wie Du so gütig und so mild.

Nur Du in nimmermüder Gnade
Erfandest würdig mich des Seins
Und riefest mich, nach ewigem Rate,
Zum Leben in die Welt des Scheins.
Auf gingen meine Augensterne
Durch Dich allein der Strahlenferne;
Doch ohne Dich, im Urnachtschoß,
In geist- und körperloser Stille,
Empfing ich niemals Wesensfülle,
Der Liebe nimmer ich entsproß.

Wie mir das ungetrübte Denken
Die besten Deiner Gaben nennt,
So weiß es auch den Sinn zu lenken
Vom Erdenstaub zum Firmament.
Noch im geringsten Deiner Werke
Enthüllt es mir des Gottes Stärke,
Den Abglanz seiner Schöpferpracht.
<33>Mein Knie will sich vor einem Wurme
Fast tiefer als im Donnersturme
Anbetend beugen Deiner Macht.

Die Welt, das herrliche Gebilde,
Das alle Wünsche uns gewährt,
Die Güter, die uns Deine Milde
Zu Brauch und Freude hat beschert,
Die ungezählte Lebenswonne,
Durchstrahlt von Deiner Gnadensonne —
Ein jedes schufst Du uns zulieb.
Und Deine Weisheit ohne Ende
Gibt fort und fort in meine Hände,
Was noch zu wünschen übrig blieb.

Dem Überflüsse sieht entsteigen
Man aller schönen Künste Schar.
Die Wissenschaft führt an den Reigen.
Sie ist der Pfeiler. Wunderbar
Wölbt sich auf ihm zum Dom das Ganze.
Hier stellt die Kunst mit farbigem Glanze
Entfernte Dinge vor mich hin;
Indes die hohen Schwestern beide,
Musik und Dichtung, dort mit Freude
Zugleich erfüllen jeden Sinn.

Urewiger! Wer kann erkennen
Der unsagbaren Gaben Zahl?
Die wir am tiefsten elend nennen,
Trifft noch Dein voller Segenssirahl.
Und wenn dereinst mit einem Schlage
Der grausen Hippe unsre Tage
Der Tod für sich zur Ernte will,
Niemals ist es sein blindes Wüten,
Nur Du, uns väterlich zu hüten,
Setzt unsern Leiden da ein Ziel.

Es kann der Mensch, aus Ton geschassen,
An Gliedern und an Sinnen reich,
Sich sieghaft nie der Zeit entraffen,
<34>Ihn bildete Natur zu weich.
Stets müssen ihm die Jahre fliehen.
Sie treibt der zarten Jugend Glühen,
Sie treibt das stumpfe Alter fort,
Daß sein vergängliches Erscheinen
Zerstießt in dunklen Schattenhainen,
Wie jener Rauch im Winde dort.

Wenn meine hüllenschwere Seele
Dem irdischen Gesetz sich neigt
Und über seine düstre Schwelle
Zum Totenreich hinuntersteigt,
Du großer Gott! Dein Allerbarmen
Hält dann uns noch in seinen Armen.
Was mich dem Untergange weiht,
Läßt Deine Weisheit neu erkennen.
Darf man das Nichtsein Unglück nennen?
Ach! Wer nicht ist, fühlt nimmer Leid.

Wenn aber meine ew'ge Seele
Der Parzen Schere sich entringt
Und aus des Grabes Schreckenshöhle
Zu neuem Sein geläutert dringt,
Wie herrlich dünkt mich dieses Leben;
Entzücken will mich still durchbeben,
Mir wird ein Gott voll Güte kund;
Er läßt in seine Ewigkeiten
Die Seele, so zerbrechlich, gleiten
Nach göttlichem Erkenntnisgrund.

Schon nahe ich den Himmelshöhen
Und sehe Gottes Angesicht;
Die Schleier, die ihn dicht umwehen,
Verbergen ihn dem Herzen nicht.
Nur Güte, Güte ist sein Wille,
Und angestrahlt von solcher Fülle
Des Lichtes ist mein Herz erglüht.
Ja, dieser Gott liebt seine Kinder,
Sie, deren reiner Geist nicht minder
In Leid wie Freude ihn nur sieht.
<35>Mag ein Scholastiker verbissen,
Unduldsam, grausam von Natur,
Voll falschem Eifer, hohnbestissen,
Gott schildern als Tyrannen nur!
Doch borgt aus diesen Bitterkeiten,
Die ihm die Galle muß bereiten,
Sein Schwachsinn alle Farben aus:
Das Gift, das unrein solche Zungen
Hervorgespien zu Lästerungen,
Brandmarkt nur ihres Herzens Graus.

<36>

12. An Jordan36-1
(Bei Übersendung eines Schreibzeugs)
(Mai 1738)

Jordan, ein guter Maler oder Dichter
Soll glänzen durch den Reiz der Ähnlichkeit
Der kühnen Züge, der genauen Lichter
Mit jenem Urbild, dem sein Werk sich weiht.
Der Maler muß, wenn er gewissenhaft,
Im Bilde spiegeln Farben, Mienen, Haltung
Und jeden Eindruck, den Natur verschafft;
Der Dichter, frei von hohler Prunkentfaltung,
Muß auf das Beiwort sehn, damit es ganz
Ihm für die Kunst getreuer Schildrung tauge:
Des einen Urteil ist des andern Auge.
Man malt nicht Cato mit 'nem Rosenkranz,
Petrus im Wams, die Jungfrau voller Flitter;
Die Mode wechselt wie die Jahreszeit.
Ein jedes Alter trägt sein eignes Kleid;
Eins ist voll Lust, das andre trüb und bitter;
Weil jedes andre Neigungen beseelen,
Muß man für jedes andern Ausdruck wählen.
Daß ich nur keinen tollen Reimer finde,
Der faul und roh Fortuna ohne Binde
Und standhaft darzustellen sich erlaubt,
Der Zeit die Schwingen und die Sichel raubt,
Dem Tod verleiht ein frisches Mönchsgesicht,
Statt Nektar Antimon uns wagt zu reichen;
Denn sachgemäßen Zierat kennt er nicht,
<37>Läßt einen Zwerg er einem Riesen gleichen,
Den Zoilus dem rühmlichen Voltaire,
Broglie,37-1 den Unglückswurm, Conde, dem großen.
Ein Maler und ein Dichter darf vielmehr
Nie gegen Wahrheit stumpf und blind verstoßen.
Er zeig' uns durch geschärfte Sehergabe
Ein jedes Ding an seinen Platz gestellt;
Der König throne mit dem Herrscherstabe,
Cäsar sei angetan als Römerheld;
Erasmus, Jordan sei mit Lebenswahrheit
Der Haltung über Studien gebückt,
Auf einen Arm gestützt, im Auge Klarheit,
Den Geist der niedren Sinnenwelt entrückt,
Nachgrübelnd irgend einer Redezier
Und vor ihm Feder, Schreibzeug und Papier —
Halt, Muse! Weiser Jordan, liebenswerter
Noch als Erasmus, ja, wohl noch gelehrter,
Jedoch viel ärmer durch des Schicksals Haß,
Das Reichtum zu erwerben dir versagte;
Nur Bücher hast du, die der Wurm zernagte,
Bist ohne Dach, selbst ohne Tintenfaß —
Die Nachwelt wäre hinters Licht geführt,
Wenn meine Muse wagte zu besingen
Dein Schreibzeug; doch weil Ehre dir gebührt,
Drum will sie sich als Plutus dir verdingen.
Nimm hin das Ruhmgerät von meiner Hand,
Die Speiseschüssel für Apollos Sprossen,
Jeglichen Autors treuen Kampfgenossen,
Das Werkzeug aller, die gern viel genannt
Im Amte sind, als Anwalt, beim Gerichte;
Ein Bernard,37-2 Fleury,37-3 Réaumur, Voltaire
Ergießen glorreich draus ein Tintenmeer,
Und Rollin schöpft draus Bände voll Geschichte.
Aus deinem Geist schon seh' ich mit Getos
Sturzbäche deiner hohen Weisheit quellen
Und aufgereiht auf meinen Buchgestellen
Dein Lebenswerk in dicken Folios,
<38>Das wie ein Kindersegen unterdessen
In neuen Bänden wimmelnd sich vermehrt;
Seh dich von ihrer Zentnerlast beschwert
Hans Carvels wundersamen Ring38-1 vergessen.
O Jordan! Denk', daß alle Forscherpein
Und Kraft und Zeit umsonst vergeudet werden,
Kurz, daß man nichts vollbringt, wenn man auf Erden
Nicht das Geheimnis lernt, beglückt zu sein.

<39>

13. Epistel über die Menschlichkeit
(10. Oktober 1738)

Wir finden Glück nur auf der Tugend Pfaden,
Ein Glück, dem stets das Lasier sucht zu schaden.
Ehrsucht und Liebe, Eigennutz und Ruhm,
Sie äffen uns mit Spuk- und Truggestalten;
Dem Irrwischfeuer gleich, dem dunstgeballten:
Verräterisch treibt's uns im Kreis herum!
Ihr kennt das Märchenschloß, den Sinn berückend,
Durch jeden Zauber holder Kunst entzückend,
Ein Glanzgebild, aus Wundern auferbaut.
Armida schuf's, doch Trug war all sein Prangen;
Kaum, daß ein Auge seinen Glanz erschaut,
War er erloschen, war's in Nichts zergangen.
Fürwahr, ein Abbild lebendigster Art
Des Truges, der ewig die Leidenschaft narrt!
Ein täuschend Äußres, ein lockender Schein
Wird immer aufs neue ihr Schicksal sein.
Ihr Gold ist nur Flitter, ihr Demantschimmer
Ist Fälschung; wohl spricht die Verheißung immer
Von Gütern, von lauter Herrlichkeit —
Was aber herauskommt, ist Herzeleid.

Nein, eins nur ist not, uns allen zumal:
Die Tugend! Sie ist uns Bollwerk und Wall,
Unser Schirm und Schild; in ihrer Hut
Verschränken Lorbeer und Myrte sich
Mit des Ölbaums Zweigen geschwisterlich.
Doch sagt, worin denn eigentlich
Ihr göttlich Wesen und Wirken beruht!
Erleuchte du, Gott, mich, der uns gelehrt
Menschenwürde und -Wert!
<40>In der Menschen Zusammenleben
Ward uns die Quelle des Glücks gegeben,
Und aus dem Geiste der Menschlichkeit stießt
Jedwedes Glück, das die Welt genießt.
Ohn' ihn ist die Tugend ein dürres Land,
Wie's auch mit Blumen allerhand
Sich schmücken mag — wertloser Putz!
Ist es doch keiner Seele nutz.
Was frommes, wenn ein unerschrockener Held
Für seinen Ruhm, seine Eitelkeit fällt?
Was macht es aus, wenn wirklich Arist —
Mag Cato auch seine Mäßigkeit feiern —
Am Tage ausgekommen ist
Mit baren fünf Dreiern?
Mehrt das mein Wohlsein etwa? Sprecht,
Kommt's mir zugute? Das Menschengeschlecht,
Die Gesellschaft hat keinen Deut davon!
Seht jenes Volk, das kaum erstanden
Aus der Drachensaat, aus der Scholle Banden,
Da erhebt es die Waffen des Krieges schon;
Vor Kadmus' staunenden Augen sofort
Rast's wider sich selber mit Haß und Mord.
Da habt ihr ein Bild,
Wie die Menschheit entartet in Wahnwitz wild,
Wo das Gebot der Natur nicht gilt;40-1
Treu bleib' es in unsrer Brust behütet!

Wär' wohl ein Reich zu denken, darinnen
Das Lasier Herrenrecht könnte gewinnen?
Müßt's nicht, in allen Tiefen zerrüttet,
An sich selber zugrunde gehn?
Wie kann es bestehn?
In seinen Eingeweiden wütet
Verderben; Gift und Galle zersetzt
Das eigne Lebensblut zuletzt;
Ein jeder wollte der Herr dort sein,
Und der Herrscherthron
Wär'' schließlich der Lohn
<41>Für straflosen Frevel und Mord allein.
Verschwörung riefe zu den Waffen
Alle Roheit verwilderter Seelen;
An hundert Mitteln sollt' es nicht fehlen,
Die ihnen trotzen, beiseite zu schaffen.
Erliegend der Faust, erliegend dem Grimme
Des mächtigen Nachbarn, erhübe der Schwache
Vergebens seine stehende Stimme,
Ein Herz, ein fühlendes Herz zu rühren.
Die Wollust der Rache —
Wie gerne stillte sie ihre Wut
Mit zügellosem Übermut
In der Unschuld Blut!
Haß! Haß, der keine Versöhnung kennt,
Allerenden wie eine Kriegsfackel brennt,
In allen Herzen gärt es von Gift.
Und wie eine unverlöschbare Schrift
Auf Marmelstein,
So bliebe die kleinste Beleidigung schon,
Vererbt vom Vater auf den Sohn,
Und müßte gerochen sein.
Wer hätte da noch der Gerechtigkeit acht?
In Staub getreten von der Gewalt,
Ihr zürnender Einspruch kraftlos verhallt
Zu Füßen des Räubers der Macht;
Vorm Frevel, den das Glück gekrönt,
Sänke sie nieder, von Frechheit verhöhnt!
Allein das Glück, eh' man's gedacht,
Hat sich's gewandt: dem Tyrannen, dem dreisten,
Mag es nicht länger Gefolgschaft leisten,
Und schon ist er selber in Not gebracht!
Ein anderer Schurke,41-1 gewandter, gewitzter,
Ein Meisterschelm, hat schnell den Sejan
Im Rausch seiner Schandtaten abgetan
Der erntet, was jener gesät; schon sitzt er
Im Reichtum, den jener so schändlich gewann,
Und tritt seiner Lasier Erbe an!
<42>Nicht wahr, euch schaudert bei diesen Worten?
Was gilt's, es beut die Unmenschlichkeit
Dergleichen Frevel allerorten.
Wohin mit eurem Weh und Herzeleid,
Wenn ihr verkannt vom eignen Vater seid?
Wenn ihr, in eurer Verdammnis und Schmach,
Trübselig eure Tage spinnt?
Wer sagt, wo die Freunde, die Helfer sind?
Ach, keine Seele fragt euch nach!
O Elend, dem kein zweites gleicht,
Wenn Krankheit leise euch beschleicht,
An eurem Leben nagt und nagt!
Wenn ihr, an Leib und Seele zerschlagen,
Zugleich bedrängt von hundert Plagen,
Dahinsiecht, trüb und unbeklagt!
Ein Elternloser, ein Entblößter
Von jedem Helfer, jedem Tröster,
Sterbt ihr vor Gram und Herzeleid
In Elend und Bedürftigkeit.

Unwürdige Menschen, deren starres Herz
Nicht zu erschüttern ist von fremdem Leide,
Ihr gleicht den Götzen, die der blinde Heide
Vergebens ansteht — sie sind Stein, sind Erz!
Ihr Niegerührten! Unglückselige Art,
Die menschlich nicht gezeugt, geboren ward,
Tisiphone und Kerberos, der wilde.
Die haben euch geformt nach ihrem Bilde!
Errötet, Sterbliche: das Tigertier
Ist menschlicher als Menschen so wie ihr,
Menschen wie Kaiser Nero, wie Tiber,
Wie Sulla, jener fürchterliche Würger,
Der sich am Blut berauscht der röm' schen Bürger!
Fürwahr, ein Schrecken der Natur war er
Und eine Geißel Roms. Und sieh, hierher
Gehörst auch du in deinen jungen Tagen,
Ottavian,42-1 von dem Ovid
Später gerühmt in seinem Lied,
<43>Wie sanft doch deine Herrschaft sei zu tragen.
Ein Ungeheuer an Undank warst du
An Cicero, ein feiger Freund dazu;
Der Ehrsucht gabst du die Ehre preis!
Und du erst, schreckliches Triumvirat,
Abscheu meiner Seele! Ein Fluch für die Stadt,
Für euer Geschlecht, für den Erdenkreis!
Entartete Verräterseelen,
Die ihr mit euren Achtbefehlen
Euer Heldentum ganz in Schatten gestellt.
Ihr Herren der Menschheit, Richter der Erden,
Erhaben wie Götter mußtet ihr werden,
Gerecht wie Götter, gnädig wie sie!
Ihr, denen der Himmel das Amt verlieh,
Glück zu bringen der ganzen Welt —
Ja ihr! Vor deren Missetaten
Die eignen Enkel ein Grauen hatten,
Wie habt ihr das Bild der Gottheit entstellt!
Soll denn der Mensch dem Frevler, dem Schuldigen,
In Andacht huldigen?
Väter euerer Untertanen?
Nein, ihre Tyrannen!
Nimmermehr soll mein Weihrauch brennen
Für Götter, die keine Tugend kennen!
Als einst im Louvre mit rasendem Sinn
Die schreckliche Medizäerin
Jenes Blutbad befahl in Paris,43-1
Unschuldiges Volk hinschlachten ließ,
Als den Vorwand für Wut und Rache
Der Glauben hergab: Gottes Sache,
Für Taten der Herrschsucht, der Grausamkeit;
Als Blut den Boden färbte weit und breit —
Sagt, welch ein Dämon, der Nacht entstammt,
Hat damals die blinde Wut entstammt?
Sagt, wäre denn das Menschenherze
Erfüllt von solcher Höllenschwärze?
Fiel's dem Verbrechen erst einmal zum Raub,
Bald ist's verhärtet, fühllos und taub
Wider den Ruf der Natur.
<44>Darum heg' ich Bewunderung nur
Für jene Fürsten, mild und gerecht,
Die einem glücklichen Geschlecht
Als Sterne der Huld sind aufgegangen.
Pompejus war im Kampfe gefällt,
Bezwungen lag vor Cäsar die Welt;
Mit Zittern und Bangen
In seine Hand gegeben waren
All seiner Feinde zersprengte Scharen,
Ihr Los seiner Gnade anheimgestellt;
Und seht, da pries man weit und breit
In Rom nur Cäsars Menschlichkeit.
Nicht durch Gewalt seiner Waffen allein
Wollt' er ein Herr über Seelen sein:
Die Gegner selbst, durch Milde nur bezwungen,
Sie nahten ihm beschämt mit Huldigungen.
So hat's auch der große Heinrich44-1 gehalten:
Wohl dürft' er als herrischer Sieger schalten,
Allein was tat er?
Mild wie ein Vater,
Mit Wohltaten hat er sie überschüttet!
Er kannte den Jammer einer Stadt,
Wo Hungersnot wütet,
Und als großmütiger Gegner hat
Er Hilfteich vor dem Ärgsten sie behütet;
Mehr als das Hochgefühl, Herr zu sein,
Galt's ihm, zu lieben, zu verzeihn.
Wie hörte man den Frankenkönig44-2 sprechen?
Ein Königswort, drin hoher Sinn sich bekundet,
Den keine Unbill versehrt und verwundet!
„Meint ihr“, sprach er, „ich wollte als König rächen
„Die Kränkung, die man mir angetan
„Als Herzog von Orleans?“
Seht Titus, dessen Ruhmgedächtnis
Die Welt als köstliches Vermächtnis
Im Herzen hegt: Beweinenswert,
Verloren deucht' ihn jedesmal
<45>Der Tag, an dem er nicht die Zahl
Der Glücklichen vermehrt!

Doch muß ich wirklich denkenden Wesen
Erst einmal die Leviten lesen
Über die Tugend, die ihnen allein
Wert und Würde kann verleihn?
Unmenschlichkeit! Schon der Name lehrt,
Wie sie hassenswert!
Sie, die uns bei andern ein Entsetzen,
Wir sollten im eigenen Innern sie schätzen?
Ja, diese Strenge, die die Last
Eurer Herrschaft so drückend macht und verhaßt,
Sie sollte nur ein andrer mal
Hochmütig üben euch zur Qual:
Die Hölle riefet ihr zu den Waffen,
Euch Rache zu schassen!

Die Welt ist einem Meere gleich,
An Stürmen und Gefahren reich,
Wo tausendfältig die Klippe ragt;
Am Ufer zu bleiben ist uns versagt.
Im Wogenaufruhr nimmst du wahr,
Wie alles Glück so wandelbar:
Der arme Teufel und der Reiche,
Der König und der Untertan —
Für alle ist die Fahrt die gleiche,
Und gleich gebrechlich jeder Kahn.
Schein's mal, dem sei das Glück gewogen —
Eh er's gedacht, ist er betrogen.
Mag dich ein Weilchen durch die Weiten
Ein Glücksstern leiten,
Ein Weilchen dir ein Glückswind wehn,
Dein Segel blähn —
Schon packt der Sturm dich, an den Klippen
Zerschellt er deines Schissleins Rippen,
Da ist's um deinen Stolz geschehn!
Schickt dann in deiner Angst und Not
Den Retter dir ein gnäd'ger Gott,
Nimmt sich ein wackrer Schiffer dann
<46>Aus warmem Herzen deiner an,
Der auf dein Schrein dir unverweilt
Zu Hilfe eilt,
Der deine Trümmer, der dein Gut
Herausfischt aus der tollen Flut —
Ob du nicht freudig immerdar
Den Tag wirst segnen, der ihn gebar,
Ihn, der dir dein Alles wiedergegeben,
Dein Hab und Gut, dein Sein und Leben?

Der Mensch, bedrängt von Not und Pein,
Wüßt' in der Welt nicht aus noch ein,
Lernt' er nicht, sich mit seinesgleichen
In seiner Schwäche die Hände zu reichen.
Wenn schließlich den Segen der helfenden Tugend
Die Menschheit nicht lernte,
Schutzlos wäre das Alter; die Jugend
Sänke dahin, schon des Todes Ernte!
Im Lebensganzen der großen Gemeinschaft
Bedeutet an seinem Teile ein jeder
Soviel wie ein Rädlein, eine Feder;
Wenn da aus Eigensinn oder Feindschaft
Ein einzelner nicht mittun mag —
Hin ist die Einheit mit einem Schlag!
Doch bleibt sie in allen Nöten bestehn,
Was kann da dem einzelnen Schlimmes geschehn?
Die Welt ist aller Menschenwesen
Großes, gemeinsames Heimatland:
Ob sie entstammt von Iberiens Strand,
Ob Lappen, Syrer oder Chinesen,
Ob Juden, in Aberglauben verrannt,
Ob götzendienerische Heiden —
Sie alle sind mir blutverwandt,
Und tief empfind' ich's, wie sie leiden,
Und zwingend mahnt's: Da hilf, da sei zur Hand!

Wohl dem, der, ganz erfüllt von Menschlichkeit,
Sich selber ehrt im Nächsten allezeit,
Und der den Leidenden, in Nacht gebannt,
Zum Lichte hebt mit treuer Helferhand,
<47>So sehr besorgt um andrer Wohl und Wehe,
Wie er nur wünscht, daß es ihm selbst geschehe!
Das Tagsgestirn auf seinen lichten Pfaden
Seht wärmespendend ihr den Stoff begnaden
Mit Lebenskraft; wenn je es schwände,
Sänk' alles hin, war' Sang und Klang zu Ende.
So waltet durch die Schöpfung allerwegen
Sorgender Weisheit väterlicher Segen,
Kommt allem Leben gleicherweis zugut:
Der liebevollen Turteltaube,
Der gift'gen Natter unterm Laube —
Alles gedeiht in ew'ger Güte Hut.

<48>

14. An Jordan48-1
(9. Mai 1739)

Ach, meine Muse ist noch jung,
Was kümmert sie das Sterbelied von Schwänen?
Sie hebt die Hand, und sie versteckt ein Gähnen
Und singt sich lieber zur Erheiterung
Ein tändelnd Schäferlied voll süßem Sehnen —
Denn meine Muse ist noch jung!

Mag doch Voltaire, in dessen Fach das schlägt,
Pathetisch auf zu Iovis Himmel brausen
Und gleich dem Adler, der die Blitze trägt,
Mit seinen Versen bei den Göttern Hausen —
Ich gönn' ihm gern die tragische Gebärde,
Mein Liedchen bleibt bescheiden auf der Erde!

Ich bin ein Zeisig, der im Käfig singt;
Was hilft's, daß er die schwache Kraft vergeude,
Die doch die Gitterstäbe nie bezwingt!
Denn die bescheidne Freude, die er bringt,
Bringt dann auch ihm in sein Gefängnis Freude!

<49>

15. Epistel an Lord Baltimore49-1
Über die Freiheit
(Oktober 1739)

Der freie Geist, den man in England ehrt,
— In London heimisch, in Berlin ein Schrecken —
Er, der die Weisheit mannesstark bewehrt,
Betrug und Irrtum in den Staub zu strecken —
Der edle Geist, Mylord, der Sie entstammt,
Er ist's, von dem Ihr großer Fortschritt stammt!
Sonst seufzte ja, frei vom Tyrannenjoch,
Im Bann der Vorurteile London noch;
Der Künste Freistatt und der Weisheit Schule
Säh' in entweihten Hallen blöde Toren
Statt Lockes auf dem Philosophenstuhle,
Und Newtons Ruhmgestalt wär' nie geboren.

In Zeiten, deren Größe uns beschämt,
Da sich der Geist unsterblich hochgeschwungen,
Forschte der Denker kühn und unbezähmt,
Bis er zur Wahrheit sich hindurchgerungen.
Hellas, der schönen Künste Mutterschoß,
Das erste Land, darin die Weisheit blühte,
Das tastend noch um Wahrheit sich bemühte,
Zog der Gedanken hehre Freiheit groß.
Sie war es, die den Held, den Redner machte;
In ihrem Schutz errang der Weise Klarheit.
Geist stand in Ehren; jeder Grieche dachte
Und wollte schöpfen aus dem Born der Wahrheit.
<50>Als Macht und Geist dann wurde von Athen
Nach Rom verpflanzt, sah man in Latium
Der großen Männer viel erstehn:
So Cicero, verfolgter Unschuld Hort,
Der die Bedrücker mit dem Donnerwort
Zerschmetterte, er, der in Tuskulum
Den Irrtum niederschlug, in Zweifel stellte
Und prüfend wog, eh' er sein Urteil fällte.
Cato, der unbeugsame Stoiker,
War Cäsars Feind, doch seines Dolches Herr.50-1
Und du, machtvoller Geist, Bezwinger stets
Des Vorurteils, unsterblicher Lukrez,
Dem Wahrheit ihre Fackel anvertraute,
Du, der die Binde frommen Wahns zerriß
Und sich zu Füßen tot den Drachen schaute
Des Schwärmertums, gehüllt in Finsternis —
Ihr dankt es alle, drangt so weit ihr vor,
Der Freiheit, die der Enkel blöd verlor!

Heut kriecht im Staube Rom vor andren Mächten;
Von Kaisern nicht, von Priestern läßt sich's knechten.
Ein dreister Pfaff, bald trotzig, bald verbuhlt,
Besorgt im Vatikan die Glaubenssachen;
Des frommen Bannsirahls Donner läßt er krachen,
Verquickt mit Politik des Himmels Huld.
Die tollste Ehrsucht ist bei ihm zu Haus;
Mit Märchen, Ränkespiel und Höllengraus
Lehrt schlauer Geiz und nackter Eigennutz
Der irrgeführten Welt des Glaubens Pflicht,
Und tut es not, so leiht ein Blutgericht,
Inquisition, ihm seinen Höllenschutz.
Dies schnöde Tribunal verurteilt dreist
Und blöd die Unschuld und verfemt den Geist,
Straft Logik mit dem Feuertod, verbrennt
Den Denker und mit ihm sein Argument.
Doch blind beugt sich Europa und bewundert
Des Papstes Machtspruch; noch ertragen hundert
Völker und Könige sein Regiment...
<51>Geht nach Madrid zur „Glaubensfeier“, seht,
Wie man zur Ehre Gottes Menschen brät!
Hört in Paris das wütende Gezeter
Der Glaubenssireiter, die den Schwarm der Beter,
Die blöde Masse Hetzen auf den Denker!
Der Franken freier Geist, das kühne Wort
Verkommt im Joch der Mönche und der Zänker.
Seht Deutschland: blinde Pfaffen herrschen dort;
Loyola ist ihr Mann und Augustin!
Seht Deutschlands Kaiser vor den Türken fliehn!51-1
Dem Schlachtgott untreu, zu Maria fleht er,
Auf Heilige hofft er und auf Wundertäter.51-2
Jedoch der Diwan spottet sein;
Der Halbmond siegt trotz allem Beten,
Und über Christus stellt er den Propheten.

Doch gaben jene Pfaffen nicht allein
Den Völkern und den Herrschern ihr Gesetz:
Mit weniger Prunk und schönem Schein
Zieht sie der Calvinismus in sein Netz.
In falschen Hüllen, frommer Demut Kleid,
Verbirgt er Hochmut, Ehrsucht, Eitelkeit.
Es wankte Petri Thron, als bäurisch grob
Er einst im Sturm sich wider ihn erhob.
Sein Anhang wuchs; vom Joch der Klerisei
Rang allerorten sich die Menschheit frei.
Verfolgung kam; man trotzte jedem Zwang;
Der Unterdrückten Schrei zum Himmel drang.
Doch die Verfolgten, andren Sinnes bald,
Verfolgten selbst, mißbrauchten die Gewalt;
Von ihren Feinden liehen sie die Waffen,
Um sich in Bruderfehden hinzuraffen.
Zeloten, des Verstandes spottend, wandten
Zu ihrem Vorteil stets, was sie bekannten;
In schwülstigen Phrasen und im Wortgeklaube
Verwirrte sich der Streit, ward trüb der Glaube.
Von jedem Geist, der neue Bahnen bricht,
Befürchten sie nun selbst ein Strafgericht.
<52>So reich ist an Getier und an Insekten
Nicht Afrika, wie sie an neuen Sekten,
Gleich giftgeschwollen und gleich rachbereit,
Gleich morderpicht in ihrem Glaubensstreit!...

Sind das die Christen, die Europa ehrt,
Der Glaube, der uns Lieb' und Eintracht lehrt?
In einem Meer von Blute schwimmt die Welt;
Zur Macht erhebt sich, wer die andren knechtet.
Oft wird dem freien Denker nachgestellt:
Als Atheist wird er verfemt, geächtet...
So wird die Freiheit, die uns angestammt,
In Genf verstoßen und in Rom verdammt;
So wird der Mensch, dem Geist der Himmel schenkt,
Gezüchtigt von der Kirche, weil er denkt...

O Hort der Freiheit, überglücklich Land,
Darin die Kunst, der Geist, die Wahrheit blüht,
O holdes Land, für das mein Herz erglüht,
Wann, England, schau' ich deinen heil'gen Strand?
Du weises Volk, das wachsam stets sich regt,
Jedes Talent und jede Tugend pflegt,
Das alle Künste, jede Leistung ehrt
Und jedem Ruhm gibt, der des Ruhmes wert —
Hellas und Rom sind überholt von dir,
Und deine Weisen, die das Licht entzünden
Im Weltendunkel und Natur ergründen
In Rätseltiefen, sind der Menschheit Zier:
Newton, des Weltalls tiefer Rechengeist,
Der aus des Schöpfers Hand die Hebel reißt,
Verborgne Federn, die im weiten Raum
Dem Menschenwitz entgingen, faßbar kaum;
Der weise Locke, der an des Zweifels Hand,
Stets Schlingen fürchtend, tiefste Wahrheit fand,
Und Sie, Mylord, die Sie mit Geistesgaben
Geburt und Rang geadelt haben,
Sie, die sich kühn dem Wissensdrang vertrauen,
Stets selbst entscheiden, eignen Auges schauen,
Sie, dessen Haus zum Weisheitstempel ward
— O, schwebte das bei uns als Muster vor —
<53>Sie nehmen unsre Herzen mit zur Fahrt,
Und unsre Lust umhüllt ein Trauerflor.

Wann seh' ich dich, mein karges Vaterland,
Dem alten rauhen Ungeschmack entsagen,
Im Busen die verschmähten Künste tragen
Und schirmend schüren ihren heil'gen Brand?
Wann blüht von Geisiesgaben neu dein Sinn,
Der Kunst zum Ruhm, dem Leben zum Gewinn?

<54>

16. An Algarotti54-1
(26. Februar 1740)

Furchtsam und zitternd bietet meine Feder
Dem Publikum ihr Erstlingswerkchen dar —
Ach, Kritikus ist heutzutage jeder!
Du, die den Schreibern stets gewogen war,
Minerva, schirme du mich vor Gefahr!

Da ist gar tiefgekränkt manch ein Gesell,
Den ich in meines Witzes Salz gepökelt,
Und der, als Freund des alten Machiavell,
Mir gar zu gern mein junges Buch verekelt,
Er schlüg' am liebsten gegen mich Alarm
Für jenen von der Bank gefallnen Sprossen
Von einem Vater, den des Henkers Arm
Am besten hätte in den Stock geschlossen!

Der Kardinal Fleury im Meßgewand
Umpanzert schon die Brust mit schwarzem Eisen,
Und die noch eben kelchgewöhnte Hand
Läßt probeweise schon die Klinge kreisen,
Und Alberoni54-2 erst (auch Kardinal
Und auch verdammt von diesen „Literaten“)
Schreibt fiugs nach Rom und richtet schon den Pfahl,
Um diesen Antimachiavell zu braten!
Doch hier, in unfern nördlich trüben Zonen,
Wo Hund und Katze gute Nacht sich sagen
Und wo nur ungeleckte Bären wohnen,
<55>Wie soll mein Werk hier Lob zu finden wagen —
In einem Land, für dessen Vorgeschichte
Äsop als Schreiber der Geschichte gilt!

Hier wird Betrug und aller Bösewichte
Verruchter Hochmut, der aus Selbstsucht quillt,
Dem Werk, das ich geschaffen, widerstreben —
Doch wird das Werk, gleich Hydras Schlangenhaupt,
Wenn einen Kopf zu fällen sie geglaubt,
Die hundert andern gegen sie erheben.

<56>

17. An Voltaire
(26. Februar 1740)

Dies anzusehn! Ein Vater in Todesnot!
Von Sterbenspein gequält erbarmungslos,
Sein Leben jeden Augenblick bedroht
Vom Scherenschnitt der Atropos!
Wie dieser Anblick doch mich übermannt,
Dagegen hält Philosophie nicht stand!
Wie einer Rieseneiche zarter Schößling
So fühl' ich mich: Nun hält der Baum, der stolze,
Im Sturm nicht mehr;
Verdorren schleicht, der Tod sitzt ihm im Holze
Vom Wipfel bis zum Grund! Der arme Sprößling,
Wo nimmt er Kraft und Saft und Nahrung her?

Nun spricht in mir die Stimme der Natur,
Beredter denn mein Ehrgeiz je gesprochen:
Mein Herz ist trüb, mein Mut gebrochen,
Nichts fühl' und weiß ich mehr, ich sehe nur
Im Geiste vor mir meines Vaters Schatten,
Die Totenfeier, da sie ihn bestatten,
Und fühl' den bangsten Augenblick voraus,
Wo alles aus!
Nun, da der Herr ich heißen soll,
Erleb' ich's tief in Herz und Sinn,
Wie so gebrechlich doch ich bin;
Mein Los, so stolz und hoheitsvoll,
Mit zager Hand nur nehm' ich's an:
Ein Scheinglück ist's, es ist ein Wahn!

O selig, dürft' ich weiterleben,
Wo mir so mild der Himmel schien,
<57>Wo ich in Freiheitsglück gediehn!
Aus diesem Erdreich mich zu heben!
Mich zu verpflanzen in dies Feld,
Die rauhe, die unholde Welt,
Ungangbar und verseucht zumeist
Von Machiavellis Frevelgeist!
Fern all den leeren Herrlichkeiten
Am Hof wie in der Königsstadt,
Fern all dem Schimmer, all dem Staat,
Den Thron und Hoheit rings verbreiten
Wie liebend gern,
In meinem friedlichen Asyle,
All diesem flücht'gen Glanze fern,
Tauscht' ich die holde Arbeitssiille,
Wie gern für all den stolzen Schein
Tauscht' ich mein ruhmlos Dunkel ein!

<58>

18. An Jordan
(März 1740)

Mein guter Jordan, schnell von dannen
In flatterhafter Ungeduld
Steh' ich dich fliehn von deinem Pult,
Chasot,58-1 den pfiffigen Normannen
Zu suchen, ihn, der seine Zeit
Dianen oder Venus weiht,
Und den zurückbehält in Haft,
Von Labetränken ganz erschlafft,
Des heiligen Bacchus Jüngerschaft.

Ich sehe, ihr verlaßt zu zweit
Das Paradies der Seligkeit
Und wollt ins Fegefeuer eilen.
Ach, dürft' ich meinem Wunsche blind
Willfahren, ewig würd' ich weilen
In dem Bezirk, dem ihr entrinnt,
Zu heiß von Blut, zu welterfahren,
Mich um den eitlen Ruhm zu kümmern,
In Klios Buch nach hundert Jahren
Zu siehn auf meiner Ahnen Trümmern.

Ich fürchte jene schalen Ehren,
Die Etikette und den Tand,
Der prunkvoll schmückt den Fürsiensiand;
<59>Ich fliehe die bedrohten Sphären,
Wo Sieg uns lockend reicht die Hand,
Und jener schroffen Klüfte Rand,
Wo Menschen, die nach Ruhm verlangen,
Sich im Erinnrungstempel blähn
Und drin mit dünkelhaftem Prangen
Aufrichten prahlende Trophän.

Ein Herz, erfüllt von echtem Hange
Zu holdem Frieden, milder Rast,
Und glücklich in bescheidnem Range,
Beut nicht in ungestümer Hast
Dem Meere Trotz und seinem Toben,
Damit von Stürmen wild umschnoben
Den Heldentitel es erlange.

Was hilft's, ob für die Welt auch glänze
Ein Ruhm, erkauft mit hundert Mühn?
Ihr Unbestand kennt keine Grenze.
Sie will, daß täglich neu erblühn
Geister und Herzen, stark und kühn,
Und immer reichre Lorbeerkränze.

Man lasse Göttern ihre Rechte,
Hoheit und Weihrauch und Gebet;
Wird man doch um so mehr zum Knechte,
Je höher man im Range sieht.
Freundschaft wiegt mehr als Huldigung
Und Freude mehr als Majestät;
Wer froh ist, lebhaft, herzensjung,
Bei guter Laune früh und spät,
Nur der, wenn er sein Glück erkennt,
Verdient, daß man ihn weise nennt.

Der Lärm, die Sorgen, das Gedränge
Sind für die Freiheit kein Entgelt,
Und der gehäuften Bürden Menge,
Die eitler Ehrsucht sich gesellt,
<60>Kann nicht das stille Glück ersetzen,
Das, in den Schatten gern gestellt,
Der Geist empfangt von seinen Schätzen.
Beglückt, wer ungekannt hienieden
Lebt unabhängig und zufrieden,
Wer mit vernünftigem Entschluß
Dem anspruchsvollen Überfluß
Vorzog das Maß und das Genügen,
Wer Reichtum lernte zu verschmäht,
Und wen Erkenntnis und Vergnügen
Läßt zu dem Gott des Zartsinns flehn,
Dem Gotte des Gefühls, dem Meister
Des Edlen, das wir wachsen sehn,
Dem einz'gen Gott für freie Geister!

Weh mir! Von einer rauhen Hand
Fühl' ich bereits mich fortgetragen;
Zu steigen auf Fortunens Wagen
Zwingt mich des Schicksals eisern Band.
Leb' wohl, du friedvoll schöne Zeit,
Leb' wohl, du einst so hold Behagen,
Leb' wohl, gelehrte Einsamkeit;
Von jetzt an muß ich euch entsagen.

Doch nein, ein Herz voll Stärke beugt
Sich nicht vor blinden Schicksalsmächlen,
Die heimlich Heil und Unheil flechten,
Just wie der Zufall es erzeugt!
Der Grimm Tisiphones, die Fülle
Des Glanzes fürstlicher Gewalt
Gibt mir nicht andere Gestalt.
Der Hoheit angestaunte Hülle,
Sie läßt das Herz mir stoisch kalt.
Doch zärtlicher als Philomele,
Den Freunden treu mit ganzer Seele
Und minder Fürst und Herr im Staat
Als Bürger, Bruder, Kamerad,
Getreu der Philosophen Lehren
Und allem Köstlichen im Leben,
<61>Will ich mich stets als Mensch bewähren,
Mit schlichtem Wort und schlichter Tat
Der Menschenwelt den Frieden geben.

<62>

10-1 Friedrich Wilhelm von Grumblow (1678—1738), Minister und General. der Vertrauens­-, mann des Königs, bekleidete seit November 1730 gewissermaßen die Stellung eines Mentors bei Kronprinz Friedrich.

15-1 Die für die Ausgabe der „CEvres du philosophe de Sanssouci“ 1750 umgearbeitete Fassung ist zugrunde gelegt.

16-1 Vgl. Bd. IX, S. l6.

16-2 Schlacht bei Turin, 7. September 1706.

18-1 Am 17. Mai 1735 hatte Erbprinz Friedrich von Bayreuth (vgl. S. 7) die Regierung angetreten.

18-2 Anspielung auf die Jugendschicksale Wilhelminens, auf das gescheiterte Projekt ihrer Vermählung mit dem Prinzen von Wales und auf den dem Könige eingeflößten Verdacht, daß sie zu Leutnant von Katte in unerlaubten Beziehungen gestanden habe.

20-1 Zur Stärkung ihrer Gesundheit war der Markgräfin von den Ärzten die Jagd verordnet.

22-1 Vgl. Bd. IX, S. 6 und 16.

23-1 Anspielung auf König Friedrich Wilhelm I. und seinen vergeblichen Widerstand gegen die Erhebung Augusts III. auf den erledigten polnischen Thron, die 1735 im Wiener Präliminarfrieden zwischen Österreich und Frankreich vereinbart wurde.

26-1 Cicero.

26-2 Der Haushofmeister Friedrichs.

29-1 Vgl. Bd. VIII, S. 222.

29-2 Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (vgl. das Bild in Bd. II, S. 256).

29-3 Elisabeth Dorothea Juliane von Walmoden, Hofdame der Kronprinzessin, seit 1740 mit Major Hans Jobst Heinrich Wilhelm von Buddenbrock vermählt.

36-1 Vgl. Bd. VII, S. 275: VIII, S. 211 ff.; IX, S. 163 ff.

37-1 Franz Maria Graf Broglie (vgl. Bd. II, S. 94; V, S. 173 f.).

37-2 Anmerkung Friedrichs: „Der Bankier“ (vgl. Bd. I, S. 93; VII, S. 66).

37-3 Claude Fleury, der Verfasser der Kirchengeschichte (vgl. Bd. VIII, S. 103 ff.).

38-1 „Hans Carvels Ring,“ Erzählung von Lafontaine.

4-1 In die dunklen Küstriner Tage fällt das heitere Idyll, dessen Mittelpunkt die junge Schloßherrin von Tamsel, Luise Eleonore von Wreech (1708—1764), die Gemahlin des Obersien Adam Friedrich von Wreech, bildet. In den letzten Augusttagen 1731 war Kronprinz Friedrich zum erstenmal in Tamsel. Das „Geständnis“ ist etwa Mitte Ottober abgefaßt, etwas später die „Stanzen“. Mit einem Abschiedsbrief vom 10. Februar 1732 sandte er ihr sein Miniaturbild, das ein „Sonett“ begleitete. Am 26. Februar erfolgte die Rückkehr des Prinzen nach Berlin.

40-1 Vgl. Bd. VII, S. 98.

41-1 Kaiser Tiberius.

42-1 Vgl. Bd. VII, S. 34; IX, S. 36.

43-1 Gemeint ist Katharina von Medici und die Bartholomäusnacht (1572).

44-1 König Heinrich IV. von Frankreich bei der Belagerung von Paris (1594).

44-2 König Ludwig XII. von Frankreich, bei seiner Thronbesteigung.

48-1 Anfang und Schluß des Gedichts sind fortgelassen.

49-1 Lord Friedrich Baltimore hatte Ende September 1739 in Rheinsberg zu Besuch geweilt.

50-1 Vgl. weiter unten S. 194 ff.

51-1 Anspielung auf die unglückliche Heerführung der Österreicher im Kriege gegen die Türken (1736 bis 1739). Vgl. Bd. I, S. 158 ff.

51-2 Vgl. Bd. II, S. 22.

54-1 Mit obigem Gedichte kündet Kronprinz Friedrich dem Grafen Algarotti (vgl. Bd. IX, S. III) die bevorstehende Zusendung des „Antimachiavell“ an.

54-2 Vgl. Bd. I, S. 132 ff.; II, S. 26.

58-1 Vgl. Bd. IX, S. 160.

7-1 Da Kronprinz Friedrich anfänglich nicht darauf rechnete, die Erlaubnis seines Vaters zur Teilnahme an der Vermählung seiner Schwester, die am 23. November 1731 in Berlin stattfand, zu erhalten, sandte er ihr aus Küstrin das obige Gedicht.