20. Die Reise nach Straßburg66-1
(Anfang September 1740)
Ich habe soeben eine Reise beendigt, die mit merkwürdigen, zuweilen unangenehmen und öfters spaßhaften Abenteuern verquickt war. Sie wissen, daß ich nach Bayreuth gereist war, um eine Schwester wiederzusehen, die ich liebe und hochschätze. Unterwegs zogen Algarotti und ich die Landkarte zu Rat, zur Feststellung des Weges, den wir einzuschlagen hätten, um nach Wesel zu gelangen. Man sprach von Frankfürt am Main, und da es uns auf der Karte so erschien, als ob der Umweg über Straßburg nicht allzu groß sein könnte, gaben wir ihm den Vorzug. Wir entschlossen uns zum Inkognito, wählten die Namen, machten uns eine Fabel zurecht; kurzum, nachdem alles aufs beste geordnet und abgeredet war, glaubten wir in drei Tagen nach Straßburg zu kommen.
Doch gab des Himmels Allgewalt
Dem Ding veränderte Gestalt.
Mit magren Kleppern, die entstammt
In grader Linie von Rosinanten,
Mit Bauern, die sich Kutscher nannten
Und freche Tölpel waren insgesamt,
Im Wagen, der beständig stecken blieb
Und stieß an alle Felsenkanten,
Schwerfällig trottend, nahmen wir fürlieb.
Die Luft, von Blitz durchzuckt und Donnergrollen,
Das Regenmeer, zur Sintflut angeschwollen,
Schien uns den Untergang der Welt zu drohn;
So gingen uns vier gute Tage
All unsrer Ungeduld zum Hohn,
Schmerzlich verloren durch des Weges Plage.
Außerdem aber erwarteten uns noch schrecklichere Herbergen.
<67>Denn Wirte voll Gewinnbegier,
Die uns, schon nahe dem Verschmachten,
So schlecht wie möglich unterbrachten
In einem greulichen Quartier,
Brandschatzten uns, vergiftend unsern Magen.
Lukull, wie anders war's in deinen Tagen!
Unser Aufzug muß sicherlich einen höchst seltsamen Eindruck gemacht haben, da man uns an jedem Ort, wo wir durchkamen, für etwas anderes hielt.
Wir mochten Könige den einen,
Den andern Strolche feinster Art,
Den Dritten Wohlbekannte scheinen;
Das Volk war manchmal dicht geschart,
Um in die Augen uns zu gaffen
Mit kecker Neugier wie Schlaraffen.
Mein forscher Italiener67-1 fluchte,
Dieweil ich's mit Geduld versuchte,
Der jugendliche Graf67-2 mit Scherzen,
Der große Graf67-3 sich räkelte
Und als ein Christ in tiefstem Herzen
Am Reiz der Fahrt nach Frankreich mäkelte.
Endlich erreichten wir den Ort,
Wo die Besatzung, schlaff und schwach,
So kläglich öffnete die Tore
Gleich nach dem allerersten Krach
Französischer Kanonenrohre.67-4
Sie erkennen ohne Zweifel Kehl an meiner Beschreibung. Hier fragte uns der Postmeister, umsichtiger als wir, ob wir mit Passen versehen wären.
Nein, sprach ich, den Erwerb von Pässen
Verschmähten wir als Narrenstreich.
Man darf sie, glaub' ich, nicht vergessen,
Wenn man den Weg aus Plutos Reich
Zurück ins Leben will durchmessen;
Doch wer aus Deutschland zu der losen
Und heitren Liebesinsel reist
Von euren flotten Herrn Franzosen,
<68>Dem wird ein Antlitz, rund und dreist
Und bacchisch rotgefärbt, genügen
Als Paß, wie er sich in den Zügen
Unsrer Gesellschaft Ihnen weist.
Nein, meine Herren, sagte er uns, kein Heil ohne Paß. Da entschlossen wir uns, selbst uns welche zu verfertigen, wobei das preußische Wappen in meinem Siegel-
ring uns glänzenden Beistand leistetet.68-1 Wir trafen in Straßburg ein, und der Grenzhauptmann und der Zollbeamte schienen von unseren Beweisstücken beftiedigt.
Das Diebszeug spionierte scharf,
Indem's ein Aug' nach unfern Pässen
Und eins auf unsre Börse warf.
Das Gold, auf das man bauen darf
In jedem Fall, mit Hilfe dessen
Jupiter Danae besessen,
Das Gold, das Cäsarn Völkermassen
Zu eigen gab, die Göttermacht
Von Mars und Amor läßt erblassen,
Das Gold, es hat uns vor der Nacht
In Straßburgs Mauern eingelassen.
Hier sah ich die Franzosen endlich,
Die klangvoll Ihre Leier preist,
Ein Volk, den Briten unverständlich,
Die gallig macht ihr trockner Krämergeist;
Diese Franzosen, die ohn' Unterschied
In deutschen Augen der Vernunft entbehren,
Sie, deren Liebe könnt' Geschichte lehren,
Nicht Liebe, die verweilt, nein, die entflieht;
Dies Volk, so toll, galant und jäh,
Sangwütig bis zum Überdruß,
Im Glück anmaßend stolz, geduckt im Weh,
Von unbarmherz'gem Redefluß,
Um seiner Bildung Hohlheit zu verstecken;
In lauter Firlefanz vergafft,
Der einzig sein Gehirn kann wecken,
Leichtsinnig, unklug, plauderhaft
Und Wetterfahn' in jedem Windgetose.
Die Cäsarn stehn den Ludwigen im Licht,
Vor Rom versinkt Paris ins Wesenlose.
<69>Nein, Sie sind kein gewöhnlicher Franzose:
Sie denken; jene denken nicht.
Verzeihen Sie mir, lieber Voltaire, diese Definition der Franzosen; zum mindesten sind es nur die von Straßburg, von denen ich spreche. Um Bekanntschaften zu machen, ließ ich gleich nach unserer Ankunft einige Offiziere einladen, die mir unbekannt waren.
Und richtig, drei auf einmal nahten,
Vergnüglicher als Potentaten;
Mit heisrer Stimme sangen sie
In Versen ihre Liebestaten
Nach einer Walzermelodie.
Herr de la Crochardiere und Herr Malosa69-1 kamen gerade von einem Diner, wo man mit dem Wein nicht gespart hatte.
Auflodern sah ich ihrer Freundschaft Brand,
Als Busenfreunde mußten wir erscheinen;
Der Abschied aber riß entzwei das Band,
Die Freundschaft, nicht von uns betrauert, schwand
Mitsamt dem Spiel, den Speisen und den Weinen.
Am Tage darauf wollte der Herr Gouverneur der Stadt und der Provinz, Marschall von Frankreich, Ritter hoher Orden usw.
Der stets erwischte General,69-2
Der zu des jungen Ludwig Qual
Sich hosenlos beiseite stahl,
Um in Italien sich zu wahren
Vor Östreichs rauhen Kriegerscharen,
dieser General wollte wissen, was es mit diesem Grafen Dufour für eine Bewandtnis hätte, diesem Fremden, der kaum angelangt, sich mit der Einladung einer Gesellschaft von Leuten befaßte, die er nicht kannte. Er hielt den armen Grafen für einen Beutelschneider und riet Herrn de la Crochardiere wohlweislich, ihm nicht auf den Leim zu gehen. Unglücklicherweise tat dies der gute Marschall selbst.
Sein Los war, überrascht zu werden.
Mit grauem Bart und weißem Haupt
Wußt' er sich würdig zu gebärden.
Doch täuscht sich, wer dem Anschein glaubt;
Wer eines Werks und Autors Wesen
Wähnt aus dem Einband zu verstehn,
<70>Braucht eine Seite nur zu lesen,
Um seinen Irrtum einzusehn.
Davon konnte ich mich überzeugen; denn seine Bedeutung bestand nur in seinen grauen Haaren und seiner baufälligen Erscheinung. Seine erste Anrede verriet ihn; es ist wirklich nicht viel Staat zu machen mit diesem Marschall,
Der, von der eignen Größe trunken,
Mit seiner unbegrenzten Macht
Und seinen Titeln liebt zu prunken.
Er nannte mir die Seitenzahlen,
Wo seines Namens wird gedacht,
Ward müde nicht, mir vorzuprahlen,
Wie seine Gaben sich erprobt
Und Frankreich Heil durch ihn erfahren,
Uneingedenk, daß vor drei Jahren
Man seine Klugheit nicht gelobt.
Nicht zufrieden, den Marschall gesehen zu haben, sah ich auch die Wache aufziehen,
Franzosen, die nach Glorie dürsten,
Besoldet mit vier Sous den Tag,
Den Helden Nachruhm spendend und den Fürsten,
Vom Sieg gekrönte Sklaven, arme Herden,
Bestimmt, vom Hof gelenkt zu werden
Mit einem bloßen Trommelschlag.
Das war der Augenblick meines Verhängnisses. Ein Deserteur von unseren Truppen bemerkte mich, erkannte mich und gab mich an.
Ich fiel dem Galgenvogel auf:
Da war's vorbei, man roch den Braten;
Blind nahm das Schicksal seinen Lauf,
Und das Geheimnis war verraten.
66-1 Nach einem Besuch bei seinen Schwestern in Bayreuth und Ansbach hatte König Friedrich auf dem Wege nach Wesel einen Abstecher nach Straßburg gemacht, wo er am Abend des 23. August 1740 eintraf und bis zum Spätnachmittag des 25. blieb. Die obige Schilderung sandte er an Voltaire.
67-1 Algarotti.
67-2 Prinz August Wilhelm, der älteste Bruder Friedrichs.
67-3 Der Oberst und Generaladjutant Graf Leopold Alexander von Wartensleben (vgl. Bd. VII, S.275).
67-4 Kapitulation von Kehl am 28. Oktober 1733 (vgl. Bd. I, S.154).
68-1 Der König nannte sich Graf Dufour.
69-1 Offiziere des Regiments Piemont.
69-2 Graf Broglie (vgl. S. 37) war am 15. September 1734 von den Österreichern an der Secchia überfallen worden.