24. An Voltaire78-1
(September 1743)
I
Bei Übersendung der „Denkwürdigkeiten“78-2
Da Ihr es wollt, biet' ich das Wert Euch dar:
Es soll Euch ungeschminkt der Menschheit Sünden,
Unsel'gen Irrtum vieler Herrscher künden,
Die Leiden, die ihr blut'ger Ruhm gebar.
Da seht das blinde Schicksal walten,
Mit hundert Herrschern wie mit Spielzeug schalten,
Hier Sieg, dort Untergang bereiten
Und Pläne, riesengroß, erhaben,
Von einem Nichts zerschellt begraben.
Und bei den Fürsten seht die Grundgescheiten,
Die gut und weise sie beraten sollen:
Sie gleichen Ignoranten, Schwätzern, Tollen,
Berauscht von ihrem Wahn und ihrer Größe.
Das Staatsschiff sollen sie regieren,
Mit ihrer Hand das Steuer führen —
Groß stehn sie da, kennt man nicht ihre Blöße.
So närrisch geht es zu auf Erden,
So närrisch lenkt sich diese Welt;
Der Fürst, der heute seinen Nachbar prellt,
Ist morgen nicht gefeit, geprellt zu werden.
II
Als Antwort auf Voltaires poetischen Dank für die Übersendung der „Denkwürdigkeiten“
Indes Ihr Verse macht vorzüglich,
Schreib ich in Prosa mit Beschwerde;
Stets sinne, spintisiere, klügl' ich,
Was just vonnöten unsrer Erde.
So fiel das Los uns allen beiden.
Wie muß das Eure ich beneiden!
Dieweil ich ewig die Maschine
Der hohen Politik bediene,
Und an Gefahren fehlt es nicht,
Ist der alleinige Beruf,
Wozu das Schicksal Euch erschuf,
Ein unverändert froh Gesicht.
78-1 Voltaire weilte damals am Berliner Hofe zu Besuch.
78-2 Vgl. Bd. II, S. 1 ff.