25. Abschiedsgruß an Ulrike80-1
Auli 1744)
Leb' wohl denn, Schwester, Schweden wartet Dein!
So wende Dich von unfern Tränen fort:
Ich weiß, daß Du in allen Herzen dort
Gebieterin wirst sein!
Besteig den Hochsitz, den ein Volk Dir weist!
Du wirst dem Norden Tugendglanz und Denken,
Der Venus Reiz, Minervas Gaben schenken,
Christines80-2 starken Geist.
Die Welt bewundert Deine Huldgestalt;
Durch Deiner Reize zarte Lieblichkeit
Erwürbst Du Dir auch ohne Purpurkleid
Hienieden Herrschgewalt!
Auf neuer Bühne schon mein Geist Dich sieht:
Dort übst Du Gnade in der Größe Schoß;
Dein reiches Herz beschert ein glücklich Los
Dem Volk, das vor Dir kniet.
Von ferne will ich Deine Siege preisen.
So sieht ein Mensch in stummer Andacht Bann
Und staunt die Wunderwerke Gottes an
Hoch über unsern Kreisen.
<81>Doch weh! Die Zeit entflieht, und eilends nimmt
Sie Dich hinweg, führt Dich ins Brautgemach.
Die Stunde naht, die mir das Schicksal, ach!
Zu meiner Qual bestimmt.
O Scheidestunde voller Angst und Pein!
Wer kann die Stimme der Natur ersticken,
Blutbande lösen, die so fest umstricken
Zwei Herzen, keusch und rein!
O Schwester, Du mein Liebstes allezeit,
Du hundertfach mir teurer als mein Herz —
Nimm hin den Abschiedsgruß, erstickt von Schmerz,
Der Seele, Dir geweiht!
Was auch das Schicksal Dir bestimmt — nicht dreist
Laß uns der dunkeln Zukunft Schleier heben!
Vielleicht, daß unser Unstern nun fürs Leben
Uns auseinanderreißt!
80-1 Am 17. Juli 1744 hatte die Vermählung der Prinzessin Ulrike mit dem schwedischen Thronfolger, Herzog Adolf Friedrich von Holsiein-Gottorp, der durch den Bruder der Braut, Prinz August Wilhelm, vertreten wurde, in Berlin stattgefunden (vgl. Bd. II, S. 154 und 162 f.). Bei ihrer Abreise nach Stockholm am 26. sandte ihr König Friedrich den obigen Abschiedsgruß.
80-2 Königin Christine von Schweden (1626—1689), die Tochter Gustav Adolfs, folgte diesem 1632 auf dem Thron; sie dankte jedoch 1654 ab und verließ Schweden.