28. An Voltaire
(24. April 1747)
Du gabst dem Tod so frohe Mienen,
In Anmut strahlte Hades gar,
Daß sie uns beide reizvoll schienen,
Und diesem Truggebild zu dienen
Mein Geist bereits erbötig war.87-1
Doch aus dem dunklen Schattenland,
Wo ungezählten Totenheeren
Gebeut des Hades harte Hand,
Von Phlegethons lichtlosem Strand
Sah ich noch niemand wiederkehren.
Dort mögen kaum so fein und zart
Die schönen Geister sich betragen;
Auch ist die Reise solcher Art,
Daß uns nach Sharons Nachenfahrt
Schwerlich die Schritte heimwärts tragen.
Die Einbildung mag ungestört
Sich jener andern Welt erfreuen.
Ihr sei es künftig unverwehrt,
Stets ihre Bilder zu erneuen.
Sie braucht sich nimmermehr zu scheuen,
Wenn sie, zu locken und zu dräuen,
Dies Land des Wahnes uns beschert.
Mag dort des frommen Eifrers Geist
Aufs neue seine Hoffnung bauen,
<88>Mag dort der Fieberkranke schauen
Die ewige Heimat, die er preist,
Wenn Labsal ihm der Trank verheißt,
Um so, getröstet und gestillt,
Nach heiliger Ölung, fromm und mild,
Wie im Triumphe zu dem Schweigen
Des Totenreichs hinabzusteigen.
Mag er! Doch mich, den dieser Wahn
Der Theologen nie umfangen,
Ich liebe statt des Glaubens Bangen
Des Lebens klare, frische Bahn
Und unsres Tages Lust und Freuden.
Mag sich der Starrkopf denn bescheiden
Mit jener dort verhießnen Lust;
Mag er in der erstorbnen Brust
Sich weiter an der Wonne weiden,
Die nur der Ewigkeit bewußt!
Sie bleibt dem traurigen Gezücht,
Des Malebranche88-1 ergebnen Scharen!
Bei all dem Tiefsinn, der aus ihnen spricht,
Ist die Vernunft mit ihrem Licht
In alle Winde aufgefahren,
Bis daß ein neuer Astolf kommt
Und wiederbringt, was ihnen frommt,88-2
Was ihrem armen Hirn gebricht!
Ich aber lache solcher Narren,
Statt schwach in Bängnis zu verharren;
Froh tu' ich, was die Lust mich heißt.
Und überkommt mich dann der Geist,
Dort an der Musen Hellem Quell,
Schöpf' ich aus ihm noch gern und schnell.
Doch fühl' ich schon der Jahre Hand
Mir Runzeln auf die Stirne malen.
Bald wert/ ich den Tribut bezahlen
Dem Alter, das mich übermannt.
<89>Lebt wohl, ihr ausgelaßnen Stunden,
Du nimmermüde Phantasie,
Du Witz, so keck und ungebunden,
Den blendend mir die Jugend lieh!
Der Zauber ist nun längst verflogen;
Man sagt, die Weisheit kommt gezogen
Und formt aus Platos Angesicht
Des Cato eisia-strenge Mienen.
Nun kann ich ihr nicht länger dienen,
Der Lust, die Vers an Verse sticht.
Apollos Hof sei nun gemieden,
Ihr Stätten, wo in süßem Frieden
Der Geist dem Purpur sich verband.
Geachtet aus des Pindus Land,
Flieht meine Muse gottverlassen.
Bald lenk' ich selbst auf öde Straßen
Den Lauf, der einst so siegbereit.
Doch will ich gern mit vollen Händen
Euch, die ihr dort noch tätig seid,
Im Zuschaun reichen Beifall spenden.
87-1 Am 13. Februar 1747 hatte der König einen leichten Schlaganfall gehabt, von dem er sich nur allmählich erholte
88-1 Vgl. Bd. VIII, S. 40 f.; IX, S. 286.
88-2 In Aliosis „Rasendem Roland“ geht Asiolf auf den Mond, um den Verstand zu suchen. Vgl. Bd. IX, S. 133 f.