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39. Epistel an meine Schwester in Bayreuth111-1
(Juli 1757)

Du meines Erdenwandels holder Stern,
O Schwester, die mir Freundin nah und fern,
Du kennst mein Leid, begreifst, was mich auch quäle,
Dein Blick beschwört den Sturm in meiner Seele!
Was tut's, wenn mich das Schicksal jagt in Not,
Was tut's, wenn eine Welt von Feinden droht!
Die Erde öffne sich, mich zu verschlingen,
Die Könige mögen ihre Waffen schwingen —
Was tut's, wenn Du mir gütig bist gesinnt!
Du sprichst ein Wort, und alles Leid zerrinnt!

Ich sah die Wolken sich zusammenballen
Und sah die Blitze auf mich niederfallen, —
Du weißt, ich sah es und blieb ruhig doch,
Als die Verschwörung111-2 heimlich mich umkroch.
Ein bös Verhängnis! Dem Gewitterbeben
War ich urplötzlich schutzlos preisgegeben.
Die Zwietracht schnellte aus dem Höllenschlund
Und ließ erzittern rings das Erdenrund.

Des Krieges Fackel schwingt das Ungeheuer,
Das hitzige England fängt als erstes Feuer.
Und ferne Zonen trifft's: hart ringen da
Europas Mächte in Amerika. 111-3
Das Meer wird aufgewühlt an allen Enden,
Und England reißt Neptun die Macht aus Händen.
<112>Der Irokese, dieser Kämpfe Preis,
Sieht in dem Fremdling giftiges Geschmeiß.

Die Zwietracht ist mit ihrem Werk zufrieden,
Mit all den Greueln, die sie schuf hienieden:
Sie lacht der Menschen, die von Blutgier toll
Ziehn durch den Ozean, der sie trennen soll!
Ihr Ziel geht weiter: daß die ganze Erde
Von ihr beherrscht, von ihr durchrüttelt werde.
Frech dringt sie auf Europas Fürsten ein:
„Wollt ihr nur Sklaven des Gesetzes sein?
„Und seid ihr von den blinden Vorurteilen —
„Gerechtigkeit und Duldung — nicht zu heilen?
„Der Gott, der herrscht, ist Mars! Macht geht vor Recht!
„Sie übe, wer von fürstlichem Geschlecht!“

Cäsarentochter! Solche Blutgedanken,
Wie bringen sie so leicht dein Herz in Schwanken!
Dich packt die Gier nach Macht! Gewissen, Pflicht,
Verträge binden nun dich länger nicht,
Und deine Leidenschaft stürzt alle Schranken.

Ha, der Germane, stolz und ungezähmt,
Ob seines Freiheitsdrangs von dir verfemt,
Soll die Rivalen mörderisch vernichten
Und auf den Trümmern dir den Thron errichten.

Gewalt'ge Mittel heischt das große Ziel,
Die höchsten Fürsten wirbst du für dein Spiel.
Schlau weißt du sie mit Ränken zu umstellen,
Mit Trug und Golde fängst du dir Gesellen,
Und jede Falschheit, jede Freveltat
Erhöhn und stärken dein Triumvirat.
Wie konntest du so rasch Europa packen!
Nun fühlt es deinen Fuß auf seinem Nacken.
Freund voller Scheu sucht sich zurückzuziehn, —
Freund ohne Treu eilt zum Verrat nach Wien.
Vom Pyrenäenhang bis zu den Steppen,
Wo Rußlands Völker Sklavenketten schleppen,
Schart alles sich um Österreich zum Kampfe,
Der mich vernichte und mein Recht zerstampfe!
<113>Und die Cäsarentochter triumphiert
Im voraus, jubelt laut und phantasiert
Von Sieg und Länderraub und kostet schon
Die süßen Früchte ihrer Illusion.
So geht's den Großen, die den Trieb nicht hemmen!
Im Glück voll Dünkel und im Unglück Memmen,
Berauschen sie sich an dem giftigen Wahn
Und folgen haltlos ihrer Schreckensbahn!

Schmähliche Selbstsucht hat die Bundesstaaten
Erbärmlich dem Triumvirat verraten, 113-1
Das, zu verbrecherischem Tun geschürzt,
Gewissenlos sich auf das Opfer stürzt.

O Tag der Schmach! Weh' den verruchten Schritten!
An Frankreich gibt Theresia preis den Briten,
Den Freund, der einzig ihr zur Seite stand,
Als der Erobrer beutegierige Hand
Die mächtige Erbschaft, die ihr ward verheißen,
Gleich nach des Vaters Tod ihr wollt' entreißen.
Der Brite nur half ihr zu Reich und Thron!
Wer Kön'gen dient, der erntet schnöden Lohn!

Und du, der mürrisch trägt des Purpurs Falten,
Vergißt du, wer das Elsaß dir erhalten?113-2
Wie sah ich doch, das Herz von Grimm geschwellt.,
Des Adlers Flügelschlag im Lilienfeld.
So Schimpf als Dank kommt leicht bei dir zum Schweigen.
Wie rühmlich, sich als Weiberknecht zu zeigen!
Der Liebsten Gnade hat dir Glanz verliehn.
Hof und Mätresse richten sich nach Wien;
Die Pompadour verkauft dich ohne Zucken,
Dein Frankreich muß sich unter Östreich ducken,
Und Kanada wird Englands Eigentum.
Doch was gilt Ludwig seines Landes Ruhm?
<114>Therese fühlt sich vom Erfolg gehoben
Und will die Fülle ihrer Macht erproben:
In ihren Ländern regt sich's sonderbar,
Östreich gebiert Soldaten, Schar auf Schar,
Und Böhmen, von des Feldzugs blutigen Spuren
Noch rot, sieht neues Kriegsvolk auf den Fluren.
Not folgt dem Schreck, der durch die Lande jagt,
Der Friede stirbt, und das Gesetz versagt.
Für Mord und Totschlag ist die Zeit geschaffen,
Das Feld liegt brach, das Volk sieht unter Waffen.

Und jener Geist, der alle Schlachten lenkt,
Er, der des Todes Sense hebt und senkt,
Der uns verderben kann und Siege bahnen,
Gab eine schwanke Stütze unsern Fahnen.
Er straft die Tapferkeit durch Überzahl:
Der Feind, den wir besiegt so manches Mal,
Besetzt die schroffen Höhn mit seinen Rotten
Und wagt es, unsrer tapfern Wehr zu spotten.
Was jemals Heldensinn und Todesmut
Vermocht hat, reizte das Soldatenblut
In meinem Heer. Nie war ein Kampf verwegner!
Der Sturm gelingt, schon weichen unsre Gegner,
Doch fehlt der Nachschub, der zu Hilfe stiegt —
Der Feind erholt sich, seine Masse siegte!114-1

Man glaubte, Preußen stürb' an dieser Wunde,
Und prophezeite schon die Todesstunde.
Die Fürsien, die bis zu dem schlimmen Streich
Dem Kampf noch müßig zusahn, wurden gleich
Von schändlicher Begehrlichkeit geblendet
Und haben rasch dem Feind sich zugewendet,
Mit ihm zu teilen unsre arme Haut.

Selbst die sich nah dem Nordpol angebaut,
Die einst um Kriegsruhm heldenhaft geworben
Doch jetzt vom käuflichen Senat verdorben:
Die Schweden sieht man schon gerüstet siehn,
Um nun bei uns auf Beute auszugehn.
<115>Noch schlimmer! Meine eigene Sippe schändet
Ihr Blut — sie gibt, ob feige, ob verblendet,
Betrogen oder bösen Sinns, wer weiß!
Widernatürlich ihren Bruder preis
Und bietet, ganz der Heuchelei verfallen,
Sich meinem ärgsten Feinde zu Vasallen. 115-1
Wer kennt des Schicksals heimliches Gebot,
Das plötzlich unser Glück verkehrt in Not!
O falsche Göttin, deinem raschen Rade
Stürmt blinder Ehrgeiz nach auf steilstem Pfade!
Entweihung wär's der Dichtkunst, buhlt' ich hier
Um deine Gunst und drängte mich zu dir.
Ich weiß, ich bin ein Mensch, muß Leid ertragen,
Und deine Abkehr läßt mich nicht verzagen.

Doch du, mein Volk, für das mein Herz erglüht,
Um dessen Glück sich meine Seele müht,
Vor deinem Elend, unverdient und traurig
Und aussichtslos, in tiefster Brust erschaur' ich.
Der Prunk des Purpurs dünkt mich schal und hohl,
Mein Herzblut gab' ich für des Volkes Wohl.
Hör' du's, mein Volk! Ich opfre frohen Mutes
Dem Vaterland den letzten Tropfen Blutes!
Dein treuer Schirmherr, will ich vorwärts gehen.
Du sollst dem Feinde trotzig widerstehen,
Ich führe dich! Und wo nicht Sieg uns werde,
So bettet mich in der verlornen Erde!

Gerüstet schon, um in die Schlacht zu ziehn,
Welch Trauerklagen hör' ich aus Berlin!
Ertragen muß ich noch den Ruf, den herben,
Grausamen: „Deine Mutter liegt im Sterben115-2
„Und ist vielleicht nun schon dahin!“ — O Tag,
Du bringst des Unheils allerschwersien Schlag.
Will alles Leid auf meinem Haupt sich häufen?
<116>Weh mir, auf den nur Qualen niederträufen —
Zu lange trag' ich dieses Lebens Pein!

Mußt' ich auch deinem Arm entzogen sein,
O Mutter, und den letzten Kuß entbehren!
Mein Herz erzittert unter heißen Zähren,
Mein Herz, das, längst von Bangigkeit erfüllt,
Vorahnte, was die Stunde rauh enthüllt.
Wohl hoffte ich, daß meinem Flehn zum Lohne
Die Parze deiner edlen Seele schone
Und meinen Lebensfaden nur durchriss' —
Es hat nicht sollen sein! O Bitternis!
So ist, erhabne Frau, dein Licht verglommen,
Du bist ins Reich der Schatten aufgenommen!
Dir danke ich mein Sein, dir dank' ich mehr:
Warst meinem Geist ein Vorbild, hoch und hehr!
Und dies bleibt unvergänglich mir gerettet.
Mir heilig sei die Gruft, drin du gebettet!
Sofern nicht alles ganz und gar versinkt
Und noch ein Seufzer zu den Toten dringt,
Sofern dir fühlbar meines Herzens Jammer,
Laß meine Tränen ein in deine Kammer
Und nimm als Gruß hin meiner Blumen Duft,
Die ich ausbreiten will auf deiner Gruft.

Was mir vom Leben bleibt, sind Schicksalstücken;
Endlose Martern werden mich bedrücken.
Die Gegenwart ist schrecklich — und was wird?
Ist mir der Herrgott denn ein gütiger Hirt?
Wär' er so gut und lieb zu seinen Kindern,
Er müßte, was sie kränlt und plagt, verhindern.

Ihr biedern Wächter eines frommen Trugs,
Mit dessen Wirrwarr euer Ansehn wuchs,
Ihr lockt die Menschenbrut, die voll Bedrängnis,
In eures Irrgangs düsteres Gefängnis.
Mir schwand der Zauber, und der Schleier fiel:
Ich seh's! Das Schicksal treibt mit uns ein Spiel.
Doch lebt ein Geist in unerforschten Sphären,
Verächtlich läßt er das Gewürm sich mehren.
<117>Gleichgültig ist's ihm, ob die Menge krönt
Den Phalaris und Sokrates verhöhnt,
Ihn rührt nicht Tugend, Laster, Kriegsbeschwerde
Und alle Schmach und Greuel dieser Erde.
So, liebste Schwester, seh' ich meiner Not
Beschluß und die Erlösung nur im Tod.


111-1 Vgl. S. 7 ff. 18 ff. und Bd. IX, S. 94 ff.

111-2 Der Dreibund Österreich, Rußland und Frankreich.

111-3 Der Streit um die Kolonien in Nordamerika führte 1755 zum Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen England und Frankreich, dem im Mai 1756 die englische Kriegserklärung folgte (vgl. Bd. III, S. 29 ff.).

113-1 Wie im folgenden näher ausgeführt wird, opferte Maria Theresia ihren alten Alliierten England den Franzosen und Ludwig XV. seinen bisherigen Verbündeten Preußen den Österreichern.

113-2 Durch seinen Einmarsch in Böhmen 1744 hatte König Friedrich Maria Theresia gezwungen, ihre Truppen, die bereits im Elsaß standen, zurückzurufen.

114-1 Schlacht bei Kolin, 18. Juni 1757 (vgl. Bd. III, S. 78 ff.).

115-1 Der Vorwurf richtet sich gegen den Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach, den Schwager des Königs.

115-2 Die Königin-Mutter Sophie Dorothea starb am 28. Juni 1757 (vgl. Bd. III, S. 121). Die Todesnachricht erreichte den König am 1. Juli in Leitmeritz.