49. An Lord Marschall154-1
Auf den Tod seines Bruders
(Dezember 1758)
Ihr weint, Mylord, und Eure Tränen rinnen
Um einen Helden, Bruder, Freund so wert,
Und selbst der Ruhm, der seinen Tod verklärt,
Gibt keinen Trost den trauervollen Sinnen.
Mehr durch Verdienst als gleiches Blut geschlungen,
Ward dennoch rauh gelöst ein edles Band.
Das Aug' erlosch, die Stimme ist verklungen,
Sein Lorbeer schmiegt sich um des Grabes Rand.
Sank er im wilden Kampf nicht todeswund,
Er hätte neuen Sieg gefügt zu Siegen,
So aber ließ der Blitz aus ehrnem Schlund
Den so Triumpfbereiten jach erliegen.
Traurige Ehrsucht, wieviel Freunde, Helden
Und edle Opfer streckst du roh und blind!
Und keine Stätte, wo nicht Tränen melden,
Wie elend Eltern, Witwen, Waisen sind.
Durch keine Klagen können neu genesen,
Die unsrer Heimat treuer Hort gewesen.
O Ruhm, dich kauft man nur um Qual und Pein:
Mit Tränen wasch' ich blut'gen Lorbeer rein.
<155>In aller Not, in meines Volkes Harm
Trifft auch zu Hause mich des Unglücks Arm.
O bittres Schicksal, kaum zwei Winter wichen,
Und wieviel Liebe ist im Tod verblichen!
Denn Mutter, Bruder, Schwester sah ich sterbend.155-1
O trübe Zeit, verödet ward mein Haus!
Den jungen Bruder traf es, meinen Erben,
Die hehre Mutter trug man tot hinaus,
Die Schwester, die so klug und tapfer war,
Mit der ich stets so inniglich verbunden:
Von solchen Schlägen könnte nur gesunden
Ein eisern Herz, das jeder Weichheit bar,
Das hart der Stimme der Natur verschlossen
Und nie der Freundschaft süßes Glück genossen.
Im Leidensabgrund und von übergroßen
Sorgen gequält, daß fast mein Auge bricht,
Kämpf' ich mit einem finsteren Gesicht,
Das ich schon tausendmal hinweggestoßen.
Man sagt: Gott Vater in des Himmels Wonnen
Sei gut, gerecht und mild, und doch — wir leiden.
Wie kann er sich an unserm Elend weiden,
Ist er uns wirtlich väterlich gesonnen?
Jung, töricht, schwach und rat, und ruhelos,
Ward ich von Anbeginn in Sorgen groß,
Und Lasier, Schmerz, Bedrängnis mich befiel.
Was ist des Weges Richtung, Sinn und Ziel?
In meiner Jahre engem Zirkeltanz
Wand mir der Schmerz so manchen Dornenkranz.
Und ist mein trüber Lauf ans Ziel geraten,
Naht Atropos, die ihre Schere hält:
Es finden Tugenden und finstre Taten
Das gleiche Ende in der bösen Welt.
Kein Opfer Gottes harten Sinn berückt,
Kein Weihrauchduft, taub bleibt er allem Flehen
Der Sterblichen, die sein Gesetz erdrückt:
Hier könnt enthüllt ihr sein Geheimnis sehen.
<156>Mylord, was nutzt mir denn der finstre Glaube
An jene Hand, die mich ins Elend stößt,
Wenn nur des Leidens Ende mich erlöst?
Doch kämpfen soll der Mensch auch noch im Staube;
Denn stoische Vernunft hat mich gelehrt,
Mich gegen die gemeine Not zu steifen,
Und wenn ein Unheil gegen mich sich kehrt,
Das Grausen von der Seele abzustreifen.
Wir wissen wohl, wie mancher hehre Mann
Verächtlich sich von Glück und Größe wandte,
Des irdischen Wesens Nichtigkeit erkannte
Und ruhig sah, wie sein Besitz zerrann.
Durch Trug, Verrat und Arg auf allen Wegen
Schritt klaren Augs er seinem Sturz entgegen.
Wähnt bitte nicht, Mylord, daß meine Rede
Aus Platos Traumen sich den Ton erschlich;
Mit falschem Pathos lieg' ich stets in Fehde.
Nein, hart erzogen, spricht mein eigen Ich!
Ich sah die Feinde mir mein Land verwüsten,
Oft lähmte mir Fortuna Schwert und Arm;
Die sich die Nächsten nennen müßten,
Sah schweigend ich in meiner Gegner Schwarm; 156-1
Wie oft der Tod mir nahte, wild erbittert,
Ich bebte niemals in der tiefsten Brust,
Und aller Gram, den ich ertragen mußt',
Er hat doch nie mein standhaft Herz erschüttert.
Selbst Glanz und Pomp und unumschränkte Macht,
Mein stolzer Sinn hat sie wie Tand verlacht.
Wie oft stand Land und Leben auf dem Spiel,
Fürsien bekämpften mich unzählig viel,
Und doch sah mich das Schicksal nie gebrochen,
Nur, wenn die Freundschaft ihm zum Opfer fiel,
Dann hat es mich ins tiefste Herz gestochen ...
Für ewig, Schwester, sankst du mir in Schlaf,
Und Gottes hatte Hand ob meinem Haupt,
<157>Die oft mich schlug und mir soviel geraubt,
Sie wußte, wo sie mich am schlimmsten traf.
Geliebter Schatten, tausendmal gerufen,
Was mahnst du mich an meiner Jugend Land?
Seit ich erklomm des Lebens erste Stufen,
War treue Liebe uns ein einend Band.
Gemeinsam zog uns ein beglücktes Fühlen
Zum heiligen Licht der hehren Tugend hin;
Selbst die Vernunft mit ihren ernsten, kühlen
Händen verband noch fester unfern Sinn.
So einte immer uns die Kraft der Liebe;
Schon an der Wiege sproßten ihre Triebe.
Erhabner Eltern treugemeintes Sorgen
Wies uns, wie man die wahre Pflicht erkennt.
Der eine hielt dem andern nichts verborgen,
Als schlügen unsre Herzen ungetrennt.
Wie oft, ihr treuen Hände, barg ich nicht
In euch mein tränenfeuchtes Angesicht.
Wie zarte Pflanzen in des Gartens Grün
Die jungen Stiele aneinander stützen,
Um vor den Winden klammernd sich zu schützen,
Sah man uns zärtlich zueinander fliehn.
Wie oft seitdem in ärgrer Sturmesnot
Hat sich mein Mut an ihrem aufgerichtet,
Wie oft, wo List und Fallstrick mich bedroht,
Hat sie mir wieder meinen Weg gelichtet.
Das Laster selbst, dem ich mich fast verpflichtet,
Verlor vor ihrem Blick sein arges Spiel;
Denn nur die Tugend war^s, die ihr gefiel ...
Sie starb. Verhaßt ward mir des Tages Licht!
Schon wollt' ich Hand ans eigne Leben legen,
Doch da, 0 höchstes Leid! gebot die Pflicht,
Aufs neu zu trotzen des Geschickes Schlägen.
Du eitler Traum von Stolz und Majestät!
Ist freier doch ein Volk als sein Gebieter.
Mein schwacher Arm ist jetzt der einzige Hüter
Des schwanken Staats, der hart am Abgrund sieht.
Von ganz Europa wurden wir bedroht,
<158>Dem Lande mußt' ich mich zum Opfer geben,
Eilen zum Kampf, für Streit und Rache leben,
Und meine Losung hieß Gefahr und Tod.
Und doch, wie schwer für ein gequältes Herz,
In der Verzweiflung kummervollen Banden,
Zu helfen und zu retten allerwärts,
Wo stets aufs neu Gefahr und Not entstanden.
Wie schwierig, wider all die wilden Scharen
Mit rasch gerafftem Kriegsvolk loszufahren,
Zugleich an hundert weit getrennten Plätzen
Zu raten, rüsten, ordnen und entsetzen!
Ich fühle, wie die Bürde mich erdrückt.
Nur wer das Glück verlacht, ist wahr beglückt.
In engem Kreise lebt er stillverborgen
Und zeugenlos erträgt er Not und Sorgen.
Wann darf ich froh die wahre Freiheit grüßen,
Die Welt verlassen, die so elend scheint,
Beschleunigen den Augenblick, den süßen,
Der, selige Schwester, mich mit dir vereint?
Dann können unsre Schatten, gottgeliebt,
Elnsium in der Seligen Schar durchstreifen.
Die Hand des Schicksals kann sie nicht mehr greifen,
Und aller Schmerz in eitel Lust zerstiebt.
Dann leuchten unsre Herzen wie zwei Flammen
In Ewigkeit, und treuer Freundschaft Band
Halt friedlich sie für alle Zeit zusammen.
Weh! Hab' ich in ein Trugbild mich verrannt?
Laß ich von Ammenmärchen mich betören?
O, nur im Schlummer mag mit Schmeichelchören
Solch süßer Traum beherrschen Herz und Sinn;
Vor Licht und Wahrheit sinkt er rasch dahin.
Ja, die Vernunft zerstört mit hellen Blicken
Die holden Bilder der Unsterblichkeit.
Mit ewigem Schlaf nur, mit Vergessenheit
Kann Atropos allein das Herz beglücken.
Der Tod entreißt uns aus der Götter Macht,
Dann folgen wir den ehernen Gesetzen;
Kein blindes Wirrsal kann uns mehr verletzen,
<159>Das lebend uns zu seinem Spielball macht.
Der stolze Siegeslauf von hundert Fürsten,
Er hält vor den entseelten Leibern ein.
Und stillte auch im Leben unser Dürsten
Der Schmerz allein mit seiner bittern Pein,
Doch einen Leichnam kann er nicht mehr kränken;
Der Grimm des Himmels tut ihm nichts zuleid,
Die Ruhestatt der Toten ist gefeit,
Hier kann das Elend endlich Anker senken.
O, es ist schön, aus dieser Welt zu scheiden,
Ein Augenblick löst uns von allen Leiden,
Und wenn an Lethes Quellen wir genesen,
Ist alles aus, als wär' es nie gewesen.
Manch edler Römer wählte frei den Tod,
Ward er vom Schicksal gar zu hart bedroht.
Sind Cato, Brutus, Otho denn nicht Namen
Von edlem Klang, die uns ein Beispiel geben?159-1
Ihm folgt der Brite: fest und ohne Beben,
Zersprengt er selbst des Lebens engen Rahmen.
Ein Sklave nur, den seine Fessel schändet,
Mag mehr den Tod als alle Kränkung scheun.
Er weiß nur, wie ein Feigling lebt und endet,
Und fühlt in Schmach sich unwert und gemein.
Er birgt sich scheu, wo Dunkel ihn umnachtet,
Sein Beispiel wird von jedermann verachtet.
Doch Helden folgen anderen Gesetzen,
Des Ruhmes Stimme ist ihr hehr Gebot.
Es lehrt sie, nie der Ehre Pflicht verletzen
Und zähmen alle Furcht vor Not und Tod;
Denn wie das Schicksal uns auch immer führt:
Ein Schächer ist, wer Furcht und Angst verspürt.
Die Götter wollten unsern Wunsch erfüllen
Und unsern Tag in Glück und Sonne hüllen.
Erkennt man, daß dies Glück kein Glück mehr sei,
Entsagt man ihm, es sieht ja jedem frei.
Verlaß dies öde Dasein ohne Glück
Und gib den Göttern ihr Geschenk zurück!
<160>Ja, mitten in des Schicksals finsterm Dräuen
Heg' ich im Herzen solch geheime Brunst.
Ich will dem Himmel keinen Weihrauch streuen,
Und nicht erbetteln mag ich seine Gunst.
Müd seines Jochs, enttäuscht vom Einerlei,
Soll mich die eine Hoffnung nur betören,
Mein Land zu retten; meiner Pflicht dann frei,
Kann ich mir selber angehören.
154-1 George Keith, Lord Marschall von Schottland, war 1748 nach Preußen übergesiedelt. Nachdem er preußischer Gesandter in Paris, Madrid und Gouverneur von Neuchâtel gewesen war, schlug er 1764 seinen dauernden Wohnsitz in Potsdam auf. Sein Bruder, Ialob Keith, preußischer Feldmarschall, fiel am 14. Oktober 1758 bei dem Überfall von Hochkirch (vgl.Bd.III, S.144: IX, S. 124).
155-1 Am 28. Juni 1757 war die Königin-Mutter Sophie Dorothea gestorben (vgl. S. 115), am 12. Juni 1758 August Wilhelm Prinz von Preußen (vgl. Bd. III, S. 152) und am 14. Oktober 1758 Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (vgl. S. III und Bd. III, S. 152).
156-1 Vgl. S. 115.
159-1 Vgl. S. 141. 190 und 194.