57. Epistel an d'Argens179-1
(8. November 1761)
In Euer Herz ergießt sich meine Seele!
Nie hat Gewinnsucht oder Ehrgeiz nur
Macht über mich gehabt, und frei von Fehle
Fühl' ich mich hier! Auf einer höhern Spur
Behüt' und schüre ich Zeit meines Lebens
Die edle Flamme meines reinen Strebens.
Ihr kennt mich, wißt es, wie zu leerem Schimmer
Des äußern Prunks mein Sinn so garnicht neigt!
Fern ist mir Eitelkeit. Hab' ich nicht immer
Mich mehr als Bürger denn als Fürst gezeigt?
Philosophie indes und Gleichmut kann
Mich gegen Unbill nicht gefühllos machen,
Die meiner Feinde Ränkespiel ersann,
Um mich zu stürzen in den Höllenrachen.
Wer keinen Stolz zeigt, erntet Schmach und Hohn,
Wer Kränkung duldet, gilt als ehrlos allen.
Ich will, bin ich besiegt, von meinem Thron
Freiwillig steigen, doch nicht kampflos fallen.
Einst hab' ich wohl, vom Spiegel der Geschichte
Geblendet, allzu stark nach Ruhm begehrt.
Wie jene großen Helden, allverehrt,
hätt' ich mich gern gezeigt in vollem Lichte.
Philosophie hat anders mich belehrt.
Mein Leben formte ich nach ihrem Rat:
Den Irrtum meiden, und die Wahrheit suchen!
Mein Aug' erkannte den verfehlten Pfad,
Denn, was ich auch begonnen, jede Tat
<180>War schließlich als Enttäuschung nur zu buchen.
Nur Eitelkeit wächst aus der Ruhmsucht Saat.
Nun von dem Wahn erlöst, der mich befangen,
Sagt' ich zu mir: so endet nun das Leben!
Bald küßt der kalte Tod die bleichen Wangen;
Und dies das hohe Ziel, dem ich ergeben
Mit soviel Kummer war, mit Sorgen, Plagen,
Qualvollen Nächten, leidbedrückten Tagen!
Die Stunde schlägt, und klanglos untergeht
Der Name, und die Asche wird verweht.
Befiehlt der Tod uns, alles abzutun,
Warum mit Plänen unnütz sich beladen?
Nie wird in Menschenhand das Schicksal ruhn!
Drum ist es besser, wenn's zum Ende geht,
Man zieh' auf ebnen Straßen, sanften Pfaden.
Nur wem der Sinn noch nach Erobrung sieht,
Dem kann ein steiler Dornenweg nicht schaden.
O nichtige Hoffnung, törichte Begierde,
Laßt mich nun endlich frei von eurem Trug!
Ein andres Joch sei meines Nackens Zierde,
In das die Pflicht ums Vaterland mich schlug!
Frech hat man seine Ehre angetastet,
Habgierige Feinde wüten schonungslos
Und rauben arme Bürger nackt und bloß.
Grimm ist die Not, die auf dem Volke lastet,
Und nur Verwüstung seh' ich um mich her.
O Vaterland, du teures, das so schwer
Daniederliegt, mein ganzes Herz ist dein!
Und keine andre Sehnsucht Hab' ich mehr,
Als dir des Lebens kargen Rest zu weihn!
Nicht unfruchtbarer Kummer soll mich drücken,
Zur blutigen Walstatt stürme ich hinaus,
Ein neuer Mut treibt mich ins Kriegsgebraus,
Und morgen muß ein Heller Sieg mir glücken!
Auf! Rächet euer Land und macht es stark!
Vergeßt die Sorgen, denkt nur an das Eine:
Den Staat zu schützen, braucht es Kraft und Mark,
<181>Und jeder opfert sich fürs Allgemeine!
Dem Strom entgegen geht's! Nun haltet stand:
Tod oder Rettung unserm Vaterland!
Wär' einer, voll Verlangen nach Gefahr,
Ehrgeizig so, die Last mir abzunehmen,
Die jetzt auf meinen Schultern ruht, fürwahr,
Marquis, ich würde wahrlich mich nicht schämen,
Ihm ehrlich Rang und Pflicht zu überlassen.
Ich wollte in bescheidner Ruh mich fassen,
Fern allen, die auf mich ihr Auge haben,
Mich in die tiefste Einsamkeit vergraben.
Und eh' ich, diesem Wirbel erst entrückt,
Noch einmal laß von Ruhmsucht mich entstammen,
Eh' es der falschen, schnöden Menschheit glückt,
Zum Wagnis neuen Kampfs mich zu verdammen,
Eh' stürzt zum Chaos diese Welt zusammen.
O Glück der Ruhe, die sich gern bescheidet!
Auf allen Glanz des Throns wollt' ich verzichten
Und brünstig, nicht gefürchtet, noch beneidet,
Dem Gott der Freundschaft einen Dom errichten.
Das schönste Erdenlos wär' mir beschieden:
Ein reines Herz im allertiefsten Frieden!
Ob mir das Schicksal gönn' ein langes Leben,
Ob bald erreicht sei meiner Tage Zahl,
Die Einsicht soll den vollen Trost mir geben,
Daß mit dem Tod auch endet alle Qual,
Daß aller Jammer mit des Lebens Schluß
Im letzten Atemzug verwehen muß.
Ich kehr' zum Nichts und werde, was ich war,
Eh' mich das dunkle Los zum Licht gebar.
All', die der Tag sah in die Grube sinken,
All', denen einst der Tod zur Gruft wird winken,
Sie sind dem ewigen Gesetz geweiht;
Unwiderruflich fordert sie die Zeit.
179-1 Der Anfang ist fortgelassen.