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60. Rede des Kaisers Otho an seine Freunde
nach der Niederlage bei Bedriacum190-1
(1. Dezember 1761)

Ihr Freunde, tretet näher! Das Geschick
War taub und fühllos gegen unser Sehnen.
Seht — denn mein Herz enthüll ich eurem Blick —
Seht euch zu Füßen tief den Abgrund gähnen!
Vitellius triumphiert, wir sind geschlagen:
Ach! selten hat die Tugend Lohn getragen!
In euren Zügen kündend Gram und Wut,
Ihr seid zu rächen meinen Schimpf gewillt.
Ich weiß, was eures Muts Versprechen gilt!
Ihr wärt bereit, mit eurem Herzensblut
Mir die gesunkne Macht emporzuheben:
Des habt ihr sichre Pfänder mir gegeben!

Doch Hab' ich noch ein Recht auf euer Leben?
Nach Herrschaft lechzt' ich, Ehrgeiz packte mich
Wie jeden Menschen — doch der Taumel wich.
Wie? Jene Macht, die andre mir bestritten,
Mit eurem Blut nur ist ihr Bau zu kitten?
Und soll sich Rom mit eigner Hand zerfetzen,
Das Vaterland wollt ihr zu Tod verletzen,
Um einen Einzigen zu beglücken? Nein!
Muß jemand fallen, soll es Otho sein!
Mein Sterben wird den Bürgerzwist beenden:
So kann ich euch dies eine Mal noch nützen,
Mit einem Streich vor Acht und Bann euch schützen,
<191>Des Haders blut'ge Folgen von euch wenden.
Das Elend, das der Welt Verderben brächte,
Trat mir vor Augen — lang befragt' ich mich
Und drang in meines Herzens tiefste Schächte,
Doch jenes Bild erschien mir fürchterlich!
Der einst'gen Größe Schimmer ist verblaßt,
Nur Trümmer seh' ich rings und Flucht und Hast.
Dem Tod entgegen blick' ich ohne Schauer,
Was raubt er mir? Ein Reich von kurzer Dauer,
Ein Gut, das als vergänglich mir bewußt,
Und das noch jeder Herrscher lassen mußt'.

Mag denn Vitellius eine kurze Weile
Sich sein erfreun und sich mit Lorbeer kränzen,
Ich werde seinen Namen überglänzen!
Steigt er zum Thron durch Frevel auf: ich teile
Wohltaten aus, indem ich ihm entsage.
Die Götter sind mir Zeugen: seit dem Tage,
Da ihre Gunst und euer treuer Mut
Die Macht mir gab, wünscht' ich mit heißer Glut
Nur eins: Rom und die Freunde zu beglücken.
Zuschanden wurde durch des Schicksals Tücken
Der segensreiche Plan. Doch ein Begehren
Vermag des Himmels Zorn mir nicht zu wehren:
Die Mitbürger und Freunde zu behüten!
Drum soll Vitellius gegen euch nicht wüten;
Er sieg' und herrsche; ich entsage frei!
Das Reich braucht einen Kaiser, doch nicht zwei.
Bekleid' er denn ein Amt, oft ohne Segen,
Und sei nach dem Gewaltsireich mild und gnädig;
Durch Wohltun werd' er seines Frevels ledig
Und führe Rom dem höchsten Glück entgegen.
Die grausen Schwerter, gegen euch gezückt,
Reiß' ich durch meinen Tod aus Feindesarm —

Doch welche Tränenflut, welch bittrer Harm?
Gilt mir dies edle Trauern? Tiefbeglückt
Fühl' ich's: ich herrschte über eure Herzen!
Nur düstre Mienen seh' ich, dumpfe Schmerzen:
So edler Freunde macht sich Otho wert;
<192>Die schrankenlose Macht, die mir gewährt,
Erstickte nicht die Freundschaft im Gemüt.
War schon ein schlichter Bürger heiß erglüht
Fürs Vaterland und gab sein Leben hin.
Bewies ein Decius solchen Opfersinn —
Was heischt dann Rom von einem Kaiser gar?
Er muß sein Haupt dem Staat zum Opfer bringen,
Um Sturm und Ungewitter zu bezwingen.
Mein Leben schuld' ich Rom, das mich gebar;
Euch schuld' ich's, ist mein Herz nicht undankbar!

Die Seelenstärke glänzt in der Gefahr;
Dem harten Schicksal setzt ein Ziel der Held,
Denn seine Laufbahn mißt sich nicht nach Tagen,
Die er in Muße zwecklos hingetragen.
Ich lebte lang genug, erfährt die Welt,
Weshalb ich dieses Ende mir erkoren!
Sie sage: Otho sah den Staat verloren;
Um ihn zu retten, wählt' er frei den Tod.

Kein Zaudern, Freunde, in der höchsten Not!
Zum Sieger eilt: mein letzter Wille sei's.
Ich sprecht euch los von Treueschwur und Eid.
Flieht! Nutzt den Augenblick, 's ist höchste Zeit!
Zum letztenmal folgt eures Herrn Geheiß!
Mein Ende naht, schon bin ich fast nicht mehr.
Wenn ich des Leibes Hülle nun zerstöre,
Ins Herz euch schließend, bleibt nur ein Begehr:
O daß der Himmel mein Gebet erhöre!
Die Götter mögen euch nach meinem Scheiden
Für eure Lieb' und Treue reich bedenken
Und euch vor Kummer schirmen und vor Leiden:
Was Otho nicht vermocht, sie können's schenken!

Einst preist ihr noch mein Los! Ist's denn so schwer,
Den Zoll zu zahlen, dem uns nichts entrückt?
Wohl jedem, der die Welt verläßt, wenn er
Der Tugend Siegel auf sein Scheiden drückt!
Erlischt der Geist, sobald mein Leib verblich,
Gibt's nicht mehr Sorge, Schmerz und Not für mich;
<193>Doch hat der Streich, der hin den Körper rafft,
Die Seele zu zerstören nicht die Kraft,
So find' ich Götter, unbekannt den Bösen,
Die uns für unsre schwache Tugend lohnen.
Lebt wohl, ich will vom Erdenstaub mich lösen,
Um in des Himmels Herrlichkeit zu wohnen!


190-1 Nachdem Kaiser Otho im Jahre 69 bei Bedriacum von den Legalen des zum Kaiser ausgerufenen Vitellius geschlagen war, gab er sich selbst den Tod. Vgl. S. 141. 159.