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73. Epistel an den Grafen Hoditz zu Roßwalde231-1
(26. März 1771)

Roßwalde, Euren Erbsitz muß ich preisen
Und was durch Eure Saat in Blüte schoß!
Dies Landhaus, das die Grazien umkreisen,
Vergleich' ich mit der Circe Zauberschloß.
Bisher mißachtet, ward's durch Eure Hand
Vom Tanais zum Ebro weltbekannt.
Nicht mehr die finstre Burg, die weltverloren,
Kaum als Ruine dünkte sehenswert,
Ein Göttersitz, uns Sterblichen beschert,
Ein Lustasyl für Augen ist's und Ohren!
Wohl könnt' auf solchen Bau in solchem Hain
Ein Ariosi, ein Tasso, neidisch sein.

Mit höchst erfinderischem Künstlergeist
Wird das Erstaunlichste dem Gast geboten.
Und alles lebt und atmet. Aus dem toten
Gehölz erstand ein Park, der Wunder weist,
Der schönste Garten, und im rosenroten
Gebüsch ein Mal, drauf ein Orakel gleißt.
Als Eure Dienerin schafft die Natur
<232>Und ordnet, schmiegt sich Euren Wünschen nur.
Wer hier spaziert, dem wandelt wie im Traum
Ein schönes Bild sich rasch ins Neugeschaffne:
Wie jene von Apoll verfolgte Daphne
Urplötzlich schmolz in einen Lorbeerbaum.
Hier darf Rinaldo bei Armiden ruhn.
Hier ziehn Ovids Gottheiten hoheitsvoll
An uns vorüber: Venus, Mars, Neptun,
Diana, Pallas, Jupiter, Apoll,
Merkur und Pluto, der nicht fehlen soll.

Die Götter all, von denen Dichter träumen,
Hier ragen ihnen klassische Altäre.
Es bringen Priester in geweihten Räumen
Die Opferspende dar zur Götterehre.
Die Färse wird geschlachtet, und ihr Blut
Besprengt das Heiligtum; aus roter Glut
Entloht die Flamme, draus der Weihrauch steigt.
Ich glaube fast, es wär' bei solchen Spielen
Der Römer Symmachus232-1 Euch wohlgeneigt,
Da Ihr Euch nähert seinen schönern Zielen,
Indes manch andre Kulte ihm mißfielen.

Ihr liebt die Mythe und könnt doch als Christ
In Eurem Herzen echten Glauben bergen,
Und so berieft ihr einen Trupp von Zwergen.
Wenn plötzlich man in ihrer Mitte ist,
Dann glaubt man sich — so kommt uns Schein zunutz! —
Mt Gulliver im Reiche Liliputs.
Ich meinte, als das Völklein mich umstand,
Typhoeus, Geryon oder der Gigant
Enkelados232-2 zu sein. Ein Glockentürmchen
Entragte dem Quartiere dieser Würmchen,
Das nicht die Höhe meines Scheitels fand.
So ähnlich sehn wir in Birgits Gedichten
<233>Das Kleinvolk unter Didos Riesenhand
Karthagos mächtiges Mauerwerk errichten.

Bald lockt uns andere Überraschung an!
Horch auf! Gesang und Saitenspiel erklingen,
Draus süße Melodien das Ohr umschwingen;
Vergessen ist, was eben uns gewann!
So drängt der Mensch nach immer neuen Dingen!
Bald zieht die Oper uns, ein Trauerstück
Und bald ein Lustspiel an mit größerm Glück,
Die Pantomime auch will uns durch neuen,
Abwechslungsreichen Zeitvertreib zerstreuen.

Doch soll ich von den Priesterinnen schweigen,
Die sich der Kunst geweiht, doch ihr zu eigen
Sich, hoff' ich, nicht allein ergeben haben!
Wie ihre Anmut, ihren Reiz sie zeigen,
Ist's nicht, als wollten sie mit reichen Gaben
Ihr holdes Sein in Eurem Arm begraben?...

Und als am schönen Schluß durch Busch und Hecken
Des Tags Rivalin schritt, in schwarzem Flor
Den bunten Glanz der Blumen zu verstecken,
Brach auf ein Wort von Euch das Licht hervor.
So durft' ein Schöpfer sich der Welt entdecken,
Als sein „Es werde Licht!“ den Tag beschwor.
Roßwalde ward umfunkelt von Raketen,
Die blitzschnell hundertfach emporgepufft,
Mit Flammenglut erfüllten rings die Luft,
Als wollten sie an Phaetons Stelle treten...

Doch wie vermag ich alles herzuzählen!
Die reichen Wonnen, die uns hier erfassen,
Nur halb zu schildern! Ach! die Worte fehlen,
Des Himmels Seligkeit muß hier verblassen!

Und nicht gepeinigt von den Ienseitsdingen,
Drum andre Sterbliche so töricht ringen,
Habt Ihr erwählt das allerschönste Los!
<234>Epistel an den Grafen Hoditz zu Roßwalde
Von Sorgen frei, in stillen Friedens Schoß
Gedeiht Ihr unter Schaffen und Genießen.
Und heißer Lebensfreuden Sonnenglanz
Läßt würzige Blumen eines Wunderlands
Auf Eures Weges Spuren lieblich sprießen ....


231-1 Graf Albert Joseph Hoditz, Herr von Roßwalde (1706—1778). Der König war bei ihm am 2. und 3. September 1770 in Roßwalde zu Gaste gewesen, als er zur Begegnung mit Kaiser Joseph II. nach Mährisch-Neustadt reiste (vgl. Bd. V, S. 22 f.). Auf seine Einladung wellte Hodttz im März und April 1771 zu Besuch in Potsdam. Der Anfang der „Epistel“ ist fortgelassen.

232-1 Quintus Aurelius Avianus Symmachus, 384 Präfett vonRom, hatte sein Bestreben auf die Aufrechterhaltung des Heidentums gerichtet.

232-2 Typhoeus, ein Gigant; Geryon, ein Riese mit drei Leibern, den Herakles erschlug: auf den hundertarmigen Enkelados schleuderte Zeus den Ätna.