82. Das Dasein Gottes253-1
Unde? Ubi? Quo?
Wo kam ich her? Wo bin ich? Wohin geh' ich?
Ich weiß es nicht. Montaigne sagt: „Was versteh' ich?“
Jeder Gelehrte, wenn wir ihn befragen,
Kann frei von Eitelkeit nichts weiter sagen.
Von wo aus sah' ich auch die Dinge scharf,
Ich, den das Gestern in das Weltall warf,
Ein Wesen, das der Zufall nur gebar?
Ein Etwas ist, wie es von jeher war;
Sein muß es, wär' es Körper oder Geist:
Das ist das einz'ge, was sich klar erweist.
Ich armes Wesen, wenn auch eng beschränkt,
Erstaunt von allem und vor allem blind,
Bin etwas doch, das fühlt und will und denkt
Und sich ein Ziel setzt, was es auch beginnt.
Und der Allmächtige, der diese Welt
Und mich erschuf und alles rege hält,
Der sollte keinen Zweck und Willen haben?
Er könnte mich mit Geisteskraft begaben
Und sollte selbst vernunftlos sein?
Jedoch ihr fragt, ob Pest und Kriegespein,
Die Leiden all in Leibern und in Seelen,
Ob Durst und Hunger, Gicht und Stein,
Der Menschheit Henker, die uns grausam quälen,
Ob Hagel, Donnerschlage und Orkane,
Zahllose Gifte und der Erde Beben,
Taifune, Wirbelstürme und Vulkane
Ein Vater seinen Kindern zum Geschenk gegeben?
<254>Du solltest nicht die Weisheit Gottes zeihn,
Hochmüt'ger Mensch, rebellisches Atom:
Sieh deines eignen Geistes Schwäche ein!
Der Ew'ge hat durch diesen Damm den Strom
Vorwitz'ger Neugier in sein Bett gebannt.
Er wollte wohl durch solche Finsternisse
Beschämen deinen herrischen Verstand,
Der, weil er einen schwachen Lichtschein fand,
Wähnt, daß sich alle Wahrheit ihm erschließe.
Du meinst, es fehle dir zu deinem Glück,
Daß Gott vor deinem trüben Menschenblick
Enthüllt den ganzen weiten Weltenbau?
Damit sein Ratschluß deinen Beifall fände,
Heischst du von ihm die Überschau
Von aller Dinge Ziel und Ende.
Woher das Übel? Wie ich es auch wende,
Sein Ursprung bleibt mir immer schleierhaft.
Das eine nur ergibt sich, daß mein Geist
In seiner engumschränkten Sphäre kreist.
Doch anzunehmen, daß die blinde Kraft,
Der Stoff, der Ursprung aller Dinge sei,
Ist widersinnig, eitle Deutelei.
Sinnlos ist eins, das andre unerklärlich;
Zwei Klippen starren, beide gleich gefährlich.
Da gilt die Wahl: Sinnloses gibt es schwerlich;
Drum wend' ich selber mich zum Dunkeln hin
Und überlasse euch den Widersinn.
253-1 Vgl. dazu S. 32 ff. Das Gedicht stammt aus den letzten lebensjahren des Königs.