Die Werke
Friedrichs des Großen
In deutscher Übersetzung
zehn Bände
Mit Illustrationen
von
Adolph v. Menzel
Verlag von Reimar Hobbing in Berlin 1914
<III>Die Werke
Friedrichs des Großen
Zehnter Band
Dichtungen
Zweiter Teil
Herausgegeben von
Gustav Berthold Volz
deutsch von
Georg Enders, Ludwig Fulda, Eberhard König, Reinhold Koser, Sigmar Mehring, Christian Morgenstern, Börries Freiherr von Münchhausen, Friedrich v.Oppel Bronikowski Thassilo von Scheffer und Gustav Berthold Volz Verlag von Reimar Hobbing in Berlin 1914
<IV><V>Einleitung des Herausgebers
Während die Oden und Episteln, die der 9. Band unserer Ausgabe enthält, den Charakter von Lehrgedichten tragen, bringt der vorliegende Band eine von Poesien, die einer besonderen Stimmung, einer bestimmten Situation Entstehung verdanken und sich so als Gelegenheitsdichtungen kennzeichnen. Die chronologische Anordnung der Gedichte gewährt uns die Möglichkeit, Friedrichs Entwicklung und seine Lebensschicksale von seiner Jugend bis in das hohe Alter zu verfolgen.
Soweit Erläuterungen sich als notwendig erwiesen, sind sie als Fußnote zu jeder einzelnen Dichtung hinzugefügt worden. Indes erscheint es wünschenswert, noch einige allgemeine Gesichtspunkte an dieser Stelle hervorzuheben.
In dem Zyklus der Jugendpoesien beansprucht die „Epistel über die Menschlichkeit“ (Nr. 13) durch das Bekenntnis, das Friedrich über seine Auffassung des Fürstenberufes ablegt, besonderes Interesse. So kündigt sich in ihr bereits der „Antimachiavell“ an. In den Gedankenkreis dieser Schrift gehören dann sowohl die Verse „An Algarotti“ (Nr. 16), wie die ebenfalls 1740 entstandene „Epistel über die Falschheit“ (Nr. 33), die zehn Jahre später einer Umarbeitung unterzogen wurde.
Den Höhepunkt erreicht die dichterische Tätigkeit des Königs während des Siebenjährigen Krieges.V-1 Zwei Epochen sind es, die besonders hervortreten: die erste nach der Niederlage bei Kolin, die seine stolzen Hoffnungen auf Österreichs Niederwerfung zertrümmerte und den Staat an den Rand des Verderbens führte. Zu den düsteren Poesien dieser Zeit stehen die Siegeslieder nach Roßbach und Leuthen in wirksamstem Kontraste. Das Gegenstück zu der Krisis des Herbstes 1757 bildet sodann der Ausgang des Jahres 1761. Trotz aller bisher errungenen Erfolge scheint abermals alles verloren; denn immer mehr versiegen die Kräfte Preußens. Todesgedanken beherrschen den König. Da bringt die Rettung der Tod der Kaiserin Elisabeth von Rußland und die Thronbesteigung Peters III., der dem Bunde mit Österreich und Frankreich entsagt.
Die Stürme und Schrecken des Krieges haben den Frohsinn aus der Seele des nicht ganz zu bannen vermocht. Gerade aus den Gedichten der nächsten<VI> Friedensjahre sprechen Heiterkeit und schalkhafter Humor, der mit launiger Selbstironie sich paart. Aber auch Friedrich zahlte dem Alter seinen Tribut. Immer seltener werden seine Gedichte. Eine „Epistel“ (Nr. 80) an den befreundeten Philosophen d'Alembert in Paris vom 22. Oktober 1776, in der er noch einen Rückblick auf sein Leben und Streben wirft, und einige melancholische Verse, die in einen Brief an Voltaire vom 9. Juli 1777 eingestreut sind (Nr. 81), schließen den poetischen Reigen. Nur noch ein einziges Mal, in den achtziger Jahren, hat der König auf die gebundene Form zurückgegriffen, in den Versen über „das Dasein Gottes“ (Nr. 82). Sie bilden gleichsam den feierlichen Epilog seines dichterischen Schaffens.
Die gleichen Grundsätze wie im 9. Bande sind bei dem vorliegenden beobachtet worden, sowohl für die Übersetzung wie für die äußere Form der Wiedergabe; denn auch hier sind Auslassungen durch drei Punkte angedeutet. Ebenso sind die Namen der Übersetzer im Inhaltsverzeichnis den einzelnen Titeln in Klammern beigefügt.
Der französische Text, der den Übersetzungen zugrunde liegt, ist abgedruckt in den „Œuvres de Frédéric le Grand“ (Bd. 11: Nr. 6.7. 23.27. 29. 31—33; Bd. 12: Nr. 39--42. 44—49. 51--53. 55--63; Bd. 13: Nr. 37. 38. 54. 64—70. 72—77; Bd. 14: Nr. 9—12.15.18. 26. 36. 43. 80. 82; Bd. 16: Nr. 3; Bd. 17:Nr. 14 und 21; Bd. 18: Nr. 16; Bd. 19: Nr. 50; Bd. 20: Nr. 30). Die weiteren Vorlagen sind veröffentlicht für Nr. 5 im „Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Grumbkow und Maupertuis“, hrsg. von R. Koser (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, Bd. 72; Leipzig 1898), für Nr. 17.19.20.22.24.28.34.35.71.78.79.81 im „Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Voltaire“, hrsg. von R. Koser und H. Droysen (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, Bd. 81.82 und 86; Leipzig 1908 bis 1911), für Nr. 1 und 2 in der „Zeitschrift für französische Sprache und Literatur“ (Bd. 38), für Nr. 8 und 13 im „Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen“ (Bd. 106), für Nr. 25 im Hohenzollern-Jahrbuch (Bd. 10). Und Nr. 4 endlich ist mitgeteilt nach der Handschrift im Königlichen Haus-Archiv zu Charlottenburg.
<VII>[Gedichte]
<1>Erstes Buch
Jugend
<2><3>1. Das Tabakskollegium
(um 1729)
Ich hab' mich aus der Tabagie gedrückt.
Sonst wär' ich ohne Hexerei erstickt;
Dort kann man herzlich Langeweile spüren,
Geredet wird allein vom Bataillieren.
Mir, der ich friedlicher Gemütsart bin,
Will dieses Thema gar nicht in den Sinn.
Die Flucht ergreifend, eile ich zum Mahl,
Nicht etwa, weil ich gar so hungrig bin,
Nein, um mit einem Zuge den Pokal
Zu leeren auf die teure Königin.
2. Grabschrift
(um 1729)
In dieser Stätte liegt begraben.
Des Geist voll lauter Unbesiand
Ging in das unbekannte Land,
Nur um Veränderung zu haben.
3. An Frau von Wreech4-1
(1731/32)
I
Geständnis
Durch Deine Huld, 0 Herrin, mög's mir verstattet sein,
In diese lautre Wahrheit Dich offen einzuweihn:
Seitdem ich Dich gesehen, dahin ist meine Ruh,
Durch Dich ist es geschehen, und dessen wert bist Du.
Mein Herz hat es erfahren, es traf zu gut der Pfeil,
Die Freiheit ist verloren, und Knechtschaft ist mein Teil.
Wiewohl mit jeder Stunde ich reife mehr zum Mann,
Sieht es die Welt als Schwäche und als verächtlich an.
Doch was als schwach sie tadelt, ich will es höher preisen
Als jene Herzen, fühllos wie Felsgestein und Eisen.
Und wenn man es auch Sünde und schlimmer nennen wollt,
Um Dich will ich sie tragen; denn Du bist allzu hold.
Ich fühle, daß ich selber nicht fähig bin, zu sagen,
Wie stürmisch meine Pulse für Dich allein nur schlagen.
Ein Glück, ein hohes, ist es, ein Unglück auch, zu lieben;
Bald macht die Liebe selig, bald muß sie uns betrüben.
Sei Du mein Schicksal! Reiß mich aus meiner Qual, der bangen!
Denn nur aus Deinen Händen will ich mein Los empfangen.
Dein Sklave will ich bleiben, in Deinen Banden schmachten
Und nie nach andrem Lose, nach andrem Titel trachten.
<5>Sagt' ich zuviel? Dann setze Du meiner Kühnheit Schranken!
Ich Hab' ja still geschwiegen, gefesselt die Gedanken,
In Anschaun ganz versunken, als ich Dich hier gesehn;
Du schienst mir eine Göttin — laß es mich Dir gestehn.
So nimm denn jetzt, o Herrin, ein Herz, das allzu zart
Und allzu ungeduldig nur der Erlaubnis harrt,
Dich oftmals zu begrüßen, Dir huldigend zu nahn,
Was noch zu dieser Stunde es zögernd nur getan.
Ich zähle die Minuten, ja jegliche Sekunde;
O, werde die Entscheidung mir bald aus Deinem Munde.
Dann will ich also handeln, wie Du es mir bestimmt.
Ich fürchte nur, mein Schicksal, es ist auf mich ergrimmt;
Doch mag es mir auch feindlich bereiten Not und Pein,
Trotz allem wirst Du sehen, ich kann auch standhaft sein.
Sollt“ ich auch schlechte Botschaft jetzund von Dir empfangen,
Es muß am letzten Ende Geduld zum Sieg gelangen.
Zuviel schon, was ich sagte, von Leidenschaft verführt;
Ich fürchte sehr, ich habe Dich gründlich ennuyiert.
Doch glaube mir das Eine: von Dir erfüllt und rein,
Wird sich mein Herz nicht wandeln und stets das gleiche sein.
II
Stanzen
Von Deiner Schönheit Reiz berückt,
Von Deiner Verse Kunst entzückt,
Kenn', Iris, ich, beim Zeus, kein Grauen,
Dem ich nicht trotzte, Dich zu schauen.
Mit Deinen Augen zwingst Du alle Herzen Dir —
So rühmt sie alle Welt als stolzes Siegspanier.
Da Du es Dir gemacht zur Pflicht,
Der Tugend sprenge Regeln nicht,
O strenge Schönheit, zu versehren,
Muß ich aufs höchste Dich verehren.
Da Tugend selten nur mit Schönheit sieht im Bunde,
Sing' ich Dir Lob und Preis heut und zu jeder Stunde.
III
Abschied (mit Übersendung seines Bildes)
Nimm als Gesandten dieses Bildnis hin.
Als zager Dolmetsch dient ihm dieses Lied:
Es sage Dir als meiner Siegerin,
Wie tief in Deine Fesseln ich geriet,
Wie mir Dein Reiz bestrickte Herz und Sinn:
O welche Lust, wenn mir mein Los beschied,
Daß ich nun, wie mein Bild, so glücklich bin —
Doch still, mein Bote! Sagt zuviel Dein Lied,
Trotz Brief und Vollmacht wirst Du fortgesandt,
Als Heimatloser irrst Du dann durchs Land.
Laß Dich erraten, aber bleibe stumm;
Sag' nicht, Du liebst und werdest immer lieben,
Und da dem Tode alle wir verschrieben,
Stirb, doch verberge Dein Martyrium.
4. An Prinzessin Wilhelmine
Zu lhrer Vermählung mit dem Erbprinzen Friedrich von Bayreuth7-1
(November 1731)
Wieder greif', 0 Muse, ich zur Leier,
Denn ich spür' in mir ein göttlich Feuer.
Ihr gelehrten Schwestern, laßt Euch bitten:
Führt die Feder mir, daß mutgestählt
Aller Mitwelt sie es frei erzählt,
Was an Kummer, Unglück ich erlitten.
Zweimal zog die Erntezeit vorüber,
Feuchte Nebel folgten, trüb und trüber.
Nach des Sommers heißen Sonnengluten;
Zweimal sah ich schmelzen schon den Schnee,
Und die Wasser, schwellend wie ein See,
Stiegen, alles Land zu überfluten.
Wie mit bangen Seufzern und mit Trauern,
Eingeschlossen hinter Kerkermauern,
Ich mir Trost gesucht in meinen Schmerzen —
Öd und leer nur kann den Trost ich nennen.
Wer auch sollte Gram und Leiden kennen,
Die ich berge still in meinem Herzen?
Bitter klage ich, Dir fern zu sein;
Traumverloren denke ich allein,
<8>Wie ich kürze diese Trennungsfrist.
Immer find' ich einzig mich, Dich suchend,
Und mein trauriges Geschick verfluchend,
Da mir fern, was mir das Liebste ist.
Gleichwie lauschend aus dem tiefen Hag
Wir vernehmen Nachtigallenschlag,
Sang und Lied der treuen Philomele,
Die, sich bergend scheu in ihrem Nesi,
Ihren Klageruf erschallen läßt
Ohne Unterlaß aus voller Kehle —
Also tönen Flur und Echo wieder
Meine Seufzer, meine Klagelieder,
Die ich sing' in meiner Leiden Nacht.
Und es ruft mir jeder Augenblick
Meiner Trennung Qual ins Herz zurück,
Wie der Liebe Glut sich neu entfacht.
Von dem Ebro bis zu Indiens Strand
Nie ein Unglückseliger sich fand,
Der gelitten solche große Not;
Da des Liebsien ich beraubt mich seh',
Sieche trauernd ich dahin vor Weh;
Ach, umsonst nur rufe ich den Tod.
Aber wie? Zu trauern mich gelüstet,
Da man sich zu frohen Festen rüstet?
Und statt frohgesitmmter Freudenweisen,
Wie es sich gebührt an solchen Tagen,
Hab' für meine Fürstin ich nur Klagen,
Weiß ich ihre Tugend nur zu preisen?
Fühl' ich mich als mäßigen Poeten,
Macht die Liebe doch mich zum Propheten,
Und so läßt sie denn voraus mich künden:
Dieser edlen Seele ist hienieden
Dennoch von dem Schicksal Glück beschieden;
Alles wird ein gutes Ende finden.
<9>Mut gefaßt! Ich fühle neues Leben!
Ihrem Dienst geweiht und ihr ergeben,
Führt Natur und Menschheit gleicherzeit
Sie zum Ruhme, sie zum Großen, Schönen,
Und es wird einst die Geschichte krönen
Ihren Namen mit Unsterblichkeit.
5. Epistel an Grumbkow10-1
(5. Februar 1732)
Des Landes und des Königs treuer Diener,
Anwalt der Schwachen, des Gesetzes Hort,
Ihr wißt, ich ziehe mehr wie ein verschriener
Landstreicher, denn als Prinz von Ort zu Ort.
Und meine jungen Tage rinnen hin
Auf Pfaden, deren Endziel mir verborgen.
Als ich hinauszog vor dem neuen Morgen,
War frostiges Erstarren mein Gewinn,
Und kaum lag hinter uns das alte Nest,
Da steckten wir in einem Sumpfe fest.
Der grobe Kutscher flucht wie'n Gottesstreiter,
Er fährt ins Haar sich, doch er fahrt nicht weiter,
Bis dann zuletzt mit Hilfe der Begleiter
Der Karren aus dem Loch sich schieben läßt,
Um uns recht unsanft auf den Weg zu bringen,
Wo Steine wieder zum Verzug uns zwingen.
Von neuem gilt's, mit Griff und Schulterkraft
Derb nachzuhelfen, und nun geht es fiott
So zwanzig Schritt, da plötzlich stürzt, 0 Gott!
Der Wagen um! Ich liege, schauderhaft
Durchrüttelt, unter Sack und Pack und Kisten.
Und wie ich mich erst wieder aufgerafft,
Seh' ich, wie jetzt mit rasenden Gelüsten
Die Pferde durchgehn, die durchrißnen Zügel
Nachschleppend. Und das Mannsvolk, arg zerbeult,
<11>Kriecht aus den Trümmern vor, beschimpft sich, heult,
Schreit durcheinander, schließlich setzt es Prügel —
Ein Bild, das wohl verdient hätt', festgebannt
Zu werden durch geschickte Künstlerhand.
Allmählich wird auf Zank und Streit verzichtet;
Man hat den Wagen wieder aufgerichtet
Und bastelt an zerbrochnen Deichselstangen.
Dann harrt man, bis die Pferde eingefangen;
Man knüpft die Stränge, schirrt die Gäule an,
Ich setze mich zurecht, so gut ich kann.
Beim Weiterfahren murrt noch jedermann,
Warum es grade ihm so schlecht ergangen.
Vorwärts! Der Weg verengt sich, und wir haben
Zur Seite einen tiefen Wassergraben.
Da taucht ein Leiterwagen vor uns auf
Und sperrt den Weg. Wir können nicht vorbei!
Doch jeder gibt dem andern etwas frei,
Die Gäule ziehn mit kräftigem Geschnauf,
Und wir sind durch! Da — bricht ein Rad entzwei,
Der Wagen kippt — ein neuer Aufenthalt!
Wir müssen nach Ersatz zum Dorfe schicken.
Nun aber meldet sich der Hunger bald.
Man möchte sich an Speis' und Trank erquicken
Und lugt hinaus mit sehnsuchtsvollen Blicken.
Drei Stunden und darüber hielt ich aus.
Das neue Rad kam endlich, und wir fuhren
Und hielten nun erst vor dem Einkehrhaus
Im nächsten Städtchen, ledig der Torturen.
Man sorgte rasch für einen bessern Wagen.
Inzwischen kam der Gastwirt und erklärte:
Das Essen sei bereit! Für unsern Magen
Ein Freudenrausch, der nur nicht lange währte,
Denn arg enttäuschte uns der Mittagstisch.
Drei Eier, die im Salz verborgen lagen,
Ein altes Huhn, dazu ein Krautgemisch
Verdarben uns sogleich den Appetit,
Und unberührt an uns vorüberzieht
<12>Der erste Gang, mit dem die Küchenweiber
Ihr Bestes für uns aufgeboten hatten.
Geringe Hoffnung blieb für unsre Leiber!
Was folgte, kam noch weniger zustatten:
Der Puter schwamm in einer ranz'gen Tunke,
Das Rindfleisch hart, mit Meerrettich, der roch!
Wenn ich dran denke, wird mir übel noch!
Wir flüchteten geschwind aus der Spelunke
Und hofften auf das nächste Nachtquartier.
Das nicht verzehrte Mahl bezahlten wir
Und machten dann drei Kreuze vor dem Hause.
Unser Gespann fuhr vor. Nach kurzer Pause
Setzten die Rosse langsam sich in Trott,
So langsam, als bestände ein Komplott,
Uns in die tiefste Finsternis zu jagen,
Denn immer dunkler ward es um uns her.
Längst schon in seiner Höhle lag der Bär,
In seinem Bau das Füchslein mit Behagen,
Der Hase schlief, so gut es ging, voll Zagen,
Und auch die Lämmer weideten nicht mehr,
Ihr Hirt zog's Laken über beide Ohren.
Wir aber hatten unser Ziel verloren
Und irrten durch das Dunkel kreuz und quer.
Schwer war's, durchs Heideland sich durchzuwinden,
Da man die Hand nicht vor den Augen sah.
Wir wendeten und tappten hier und da,
Bis es gelang, den rechten Weg zu finden,
Und übermüdet kommen wir ans Ziel.
Doch alles liegt hier nun im tiefsten Schlummer.
Wir klopfen, bis am Tor der Balken fiel,
Und jemand öffnet — ach, zu neuem Kummer.
Denn wie wir gleich nach einem Mahl begehrten,
Erhebt der gute Gastwirt ein Geschrei.
Er habe nichts für uns als trocknes Brot
Und dann von einem Truthahn noch zur Not,
Der grade gestern frisch geschlachtet sei,
Den Rest, den seine Leute übrig ließen.
<13>Die besten Stücke freilich gingen drauf!
Wir konnten zu dem Mahl uns nicht entschließen
Und suchten traurig unser Lager auf,
Um Müdigkeit und Hunger zu verschlafen.
Die Nacht nimmt, dacht' ich, ruhigen Verlauf:
Mein Unstern sollt' auch den Wunsch Lügen strafen!
Ein rücksichtsloser Lärm drang an mein Ohr,
Er kam aus einem nahen Holzverschlag,
In dem ein Köter an der Kette lag,
Ein Vieh, das nur ein Gastwirt gerne mag.
Er zog's sogar der Eheliebsten vor,
Die ihn in Sommerglut und Winterkälte
Durch vierzig Jahr an sich gefesselt hatte,
Und die nunmehr der liebenswürdige Gatte
Als rostige Flinte in die Ecke stellte.
Der dumme Hund nun knurrte, heulte, bellte,
Daß ich erschrocken aus dem Schlafe fuhr.
Ein neuer Lärm entstand im Treppenflur,
Ein Türenschlagen, Rufen und Gescheite;
Dann hörte ich, wie eine Glocke gellte,
Das grobe Schlagwerk einer Wirtshausuhr:
Sie kündete des neuen Tages Spur
So kräftig, daß ich aus dem Bette schnellte.
Vorbei war's mit der Ruhe! Macht Euch klar,
Mein lieber General, wie matt ich war!
Ihr werdet Ruh' in Ruhstädt auch nicht finden,
Doch suchet sie in Euch — dem besten Hort!
Dort such' ich selber sie — an welchem Ort
Mich sonst auch mögen andre Pflichten binden.
So läßt sich äußre Unruh überwinden!
Ihr, den das Schicksal an den Hof berief,
Dürft dort in ungestörter Ruhe leben.
Und Eure Feinde — sollt' es welche geben —
Sind's aus dem Grund nur, weil ihr Urteil schief.
Zeigt ihnen Euer Herz, ich möchte schwören,
Es muß Euch bald dann aller Gunst gehören.
Grumblows Rittergut in der Priegnitz.
<14>Befolgt denn, was mein Lied von Euch ersteht,
Wenn je mein Wort bei Euch in Achtung sieht:
Laßt Euch durch nichts in Euren Pflichten stören,
Daß das Gesetz den Gang des Rechtes geht.
Straft den Betrüger, helft den Witwen zart,
Seid treu in allen Dingen und besonnen
Und bleibt auf jener Bahn, die Ihr begonnen,
Und nie verleugnet, Grumbkow, Eure Art!
6. Ode auf den Ruhm
(1737)15-1
Der Odem eines Gotts entfachte
Die Seele mir zu hehrem Glühn:
O Ruhm, im tiefsten Herzensschachte
Fühl' ich dein himmlisch Feuer sprühn.
Berauscht von deinem starken Zwange,
Will ich mit holdem Leierklange
Besingen deine Segenskraft:
Du reichst dem wahren Wert die Krone;
Dein Lorbeer wird dem Erdensohne
Zum Sporn für alles, was er schafft.
Es ist die Tugend, die zum Ruhme,
Der Ruhm, der uns zur Tugend weist;
Er läßt den Sieg erstehn als Blume,
Entfesselt des Besiegten Geist;
Dank ihm fand Cicero die Worte,
Kam Seneca zum Weisheitshorte,
Entsprang der echten Helden Schar.
Steigt aus der Gräber finstrem Grunde
Und gebt uns, edle Schatten, Kunde:
Wer hieß euch trotzen der Gefahr?
Schon bei den Thermopylen schaue
Die Kämpfer ich, die kühn ihr Blut
Hinopfern, um die Heimatgaue
Zu schützen vor der Sieger Wut;
Ist deren Macht auch ohnegleichen,
Ihr Mut will vor der Zahl nicht weichen,
Steht unerschütterlich im Streit;
Derweil sie sterbend niedersinken,
<16>Sehn sie, vom Ruhm getröstet, winken
Als stolzen Preis Unsterblichkeit.
Unseliger Regulus, du Zierde
Von Rom in der Karthager Haft,
Als Opfer blinder Rachbegierde,
Nein, deiner Tugend, hingerafft.
Glorreiches Vorbild großer Taten,
Um deinen Ruhm nicht zu verraten
Und deines Ehrenworts Gebot,
Kehrst du, dein Vaterland zu retten,
Zurück in deine schweren Ketten
Und leidest dort den Martertod. 16-1
Wer ist der Held, in jedem Kriege
Triumphgekrönt? Es ist Eugen;
Die Ehren seiner stolzen Siege,
Der Ruhm läßt nimmer sie vergehn:
Dies strahlende Phantom, beschieden
Als Schutzgeleit schon dem Alkiden,
Läßt ihn zum Rhein, zur Donau ziehn,
Den Feind bedrohn in Ungarns Wäldern
Und auf Italiens blutigen Feldern,
Um ihn zu kränzen in Turin.16-2
Ihr, denen Kunst und Dichtung eigen,
Minervas und Apollos Brut,
Wer stößt, auf den Parnaß zu steigen,
Euch ein die Sehnsucht und die Glut?
Homer, Virgil, ja, laßt euch fragen,
Horaz, Voltaire, ihr sollt mir sagen:
Welch einem Gott singt ihr zu Dank?
Ihr alle seid dem Ruhm ergeben;
Um für die Nachwelt fortzuleben,
Feilt Ehrgeiz euch die Verse blank.
Der Frevler mit dem scheelen Auge
Sucht irrend stets der Ehre Pfad;
Es wähnt sein wilder Sinn, ihm tauge
Zum Ruhm die grimme Missetat.
<17>Sein Rausch dringt niemals durch zur Klarheit;
Verzerrt nur spiegelt ihm die Wahrheit
Sein Geist, entartet und verrucht;
Von seinem Selbstbetrug verblendet,
Erhofft er, daß man Lob ihm spendet,
Wenn sein Verbrechen man verflucht.
Mag, sich behaftend mit dem Stempel
Der Schmach, des Feuerlegers Hand
In den antiken Wundertempel
Verheerend schleudern hellen Brand;
Mag Thais glauben voll Betörung,
Daß durch Persepolis' Zerstörung
Sie der Unsterblichkeit sich naht:
In seines Ehrenbuches Rahmen
Schwärzt nachsichtslos der Ruhm die Namen
Von Thais und von Herostrat.
Erheb vor mir dich aus dem Schutte,
Du heidnisch Rom der alten Zeit;
Mit seinen Strebern in der Kutte
Beschäm'das Rom der Christenheit;
In deinem reichen Tugendsegen
Die Weltbezwinger stell' entgegen
Den Priestern all auf krummer Bahn,
Den Pfaffen all, die Ränke stiften,
Und die auf apokryphe Schriften
Gegründet ihren Kult und Wahn.
O Ruhm, dem ich zum Opfer bringe
All meine Kurzweil und Begier;
O Ruhm, du meines Glaubens Schwinge,
Gönn' meinen Taten deine Zier!
Du kannst, wenn ich ins Grab gesunken,
Bewahren einen schwachen Funken
Vom Geiste, der in mir geloht:
Die Schranken tu mir auf zum Siege,
Damit ich deine Bahn durchstiege,
Dir treu im Leben und im Tod.
7. Epistel an meine Schwester in Bayreuth
Zu ihrer Thronbesteigung18-1
(1735)
Du die ich trauter Freundschaft würdig achte,
O Schwester, deren rein Gemüte
Zum Abgott Dich dem Bruder machte,
Du, die seit unsrer Jugendblüte
Das harte Schicksal stets mit Leid bedachte,
Doch deren tiefe Herzensgüte
Ein Heer von Plagen nicht zu Falle brachte: —
Dich stach der scheele Neid mit Natterzungen;
Im ersten Lenz entlud vom Throne sich
Ein Wetter über Deinem Haupt, dem jungen:
Der Arglist war's mit falschem Rat gelungen,
Den eignen Vater gegen Dich,
Unschuldig Kind, zu reizen;18-2 da verblich
Des Lebens erster Sonnenschein.
Du trugst des Unglücks Joch gezwungen,
Und Wolken hüllten Dich in Dunkel ein.
Es schien, als hätten Schicksal nun und Neid
Längst ihre Pfeile gegen Dich verschossen;
Doch Krankheit kommt, und neues Leid
Ist Dir daraus entsprossen.
Ihr Götter, scheucht das grause Bild
Aus meinem Geist, daß Michs nicht länger quäle!
Von Gram bedrückt ist meine Seele;
Mein banges Herz von Trübsal schwillt.
Es bebt, daß mich der Tod mit seiner Schneide
<19>In dieser Stunde, wo es gilt,
Von meines Wesens Hälfte scheide.
Kehrt lieber gegen mich der Schläge Wucht,
Du Schicksal, Götter ihr voll Eifersucht,
Und muß es sein, trefft mich mit eurem blut' gen Eisen:
Ich biete mich als Opfer dar!
Doch trefft nur mich allein: ich will euch preisen!
Auf mich, ihr Götter, alles Mitleids bar,
Lenkt euren Zorn: für ihr geliebtes Leben
Will ich dann frohgemut das eigne geben!
Da wird mein Flehn erhört: des Schicksals Gunst
Vertreibt den grauen Wolkendunst,
Und heitre Bläue lacht von droben
Nach jenes Ungewitters Toben.
Beglückt schau' ich den Himmel offen.
Und gottbegeistert kann ich schon
Erfüllt sehn mein geheimstes Hoffen.
Der Kummer ist verbannt; dem Leid wird Lohn,
Und im Olymp die Götter alle schelten
Das Unglück, das so häufig Dich betroffen.
Sie wollen's reichlich Dir vergelten,
Und um die Wette wird bestimmt,
Daß seinen Teil ein jeder auf sich nimmt.
Mit Fug und Recht beiseite zwar
Bleibt von der ganzen Götterschar
Minerva, die stets treu Dir war!
Holdselig in der Schönheit Zier,
Entsendet Venus ihren Sohn
Hernieder auf die Erde schon
Und spricht: „Flieg leichtbeschwingt zu ihr!“
Und Amor war nicht falsch und flatterhaft,
Wie sonst, wenn er den Herzen Kummer schafft.
Nicht als der Gott, der alle Welt
Grausam in harten Banden hält,
Nein, als der keusche Gott der Ehe
Kam er zu Dir — Dein eignes Schicksal sage,
<20>Was ich im Reim zu schildern nicht verstehe!
Flugs kommt Diana nun aus ihrem Hage
Und spricht: „Zu ihrer Kurzweil trage
„Die Weidlust bei im keuschen Hain,
„Und es lustwandle nicht allein
„Die Fürstin dort: sie jage!“20-1
Da wimmelt es von Wild am Bergesrand;
Im Waldesdickicht rudeln sich die Hinden;
Den Hirsch erlegst Du mit geschickter Hand;
Der Eber muß ein jähes Ende finden.
Der Fuchs wird aufgestöbert und gestellt;
Von Deinen wohlgezielten Schüssen fällt
Aus freier Luft das Rebhuhn, der Fasan,
Und blitzgeschwind triffst Du den Auerhahn.
Als nun Apoll der Schwester Gaben sieht,
Will er Dir seine sanftre Lust bescheren,
Und mit der Schar der Musen zieht
Er in das Haus, das Du der Kunst zu Ehren
Erbautest. Melpomenes Spiel
Voll Gift und Dolch und wilder Leidenschaft
Gibt Deinem Blick ein neues Ziel
Und hält den Geist in banger Haft.
Nun kommt Thalia an die Reih',
Die streng bei aller Narretei
An Menschentorheit sich ergötzt
Und uns mit ihres Spottes Lauge ätzt.
Doch in Italiens Zauberklang
Tönt Polyhymnias Gesang
Zur süßen Harmonie der Saiten;
Zum Feenschlosse wird das Haus,
Und märchenhafte Schätze breiten
Sich vor den trunknen Augen aus.
Im Blumenflor schlingt nun den Reigen
Therpsichore zum Klang der Geigen,
<21>Und in der Kunst erhöhtem Glanz
Entschwebt der Grazien kühn verschlungner Tanz.
Kurz, Reigen, Töne, Schaugepränge,
Die ernste wie die heitre Kunst,
Sie streiten sich um Deine Gunst,
Und jede drängt es unter ihnen,
Sich Deinen Beifall zu verdienen.
Doch sieh, dort nahen die Gelehrten,
Die in Uraniens Geleit
Voll Würde und Gemessenheit
Mit ihren Gaben Dich beehrten.
In ihrer hehren Trunkenheit
Verkünden hohe Worte sie —
Auch meine Göttin Poesie
Hat ihren Weihrauch Dir geweiht!
Ein andrer Dichtersmann, ein Greis,
Verleugnend seines Alters Eis,
Sang schon zu Deiner Schönheit Preis.
Ich, der am Fuße des Parnaß
Kaum erst im dritten Lenze saß,
Bring' als ein Neuling in Apoll
Dir kühnlich dar des Liedes Zoll.
Nicht gab Minervas rasche Huld,
Nicht reifer Jahre späte Frucht
Dem Iugendschwunge Schliff und Wucht;
Doch, teure Schwester, mein Gefühl
Trotzt diesen weislichen Bedenken:
Es stammt zu heiß, um es so kühl
In meinen Busen zu versenken!
Wer, von so schöner Glut beseelt,
Zwar gegen Reim und Versbau fehlt,
Allein von Herz zu Herzen spricht,
Gilt mehr als mancher glatte Wicht,
Der kalt gemeßne Reime flicht!
8. Epistel über das wahre Glück
(5. Dezember 1736)
Hinter dem Glück rennt doch alles her!
Ach, und dabei, wie häufig nur sind es
Trügende Hoffnungen, die uns beseelen,
Ist es ein Tappen, ein Irren, ein blindes,
Daß wir das Wertvolle, Echte, verfehlen,
Nur ein Scheingut erwischen, nicht mehr.
Doch dem unbändigen Glücksbegehr
Ist nichts zu steil und nichts zu schwer.
Und so geben wir keine Ruh,
Setzen mit Wünschen den Göttern zu;
Nur wie das ausschaut, wonach wir streben —
Ja, wer vermöchte das anzugeben?...
Wer heißt den alten Kriegsmann dort
Sich schinden und placken fort und fort?
Wer heißt ihn, sich jedes stille Behagen,
Sich Ruhe und Rast so grausam versagen?
Er glaubt, er hätte es zu was gebracht,
Zu Lorbeer und Ehren, sein Glück sei gemacht;
An Jahren gebeugt, an Wunden reich,
Käme ihm keiner der Marsjünger gleich.
Dann, wie im Arsenal der Rost verzehrt
In Friedenszeiten Rüstung und Schwert,
So muß auch Belisar22-1 Hungers sterben —
Um sich Nachruhm zu erwerben.
Oder soll er, heimgekehrt vom Streit,
<23>Am Hofe in tiefster Ergebenheit,
Mit glatt- gewandter Höflingskunst
Buhlen um der Räte Gunst?...
Der Fürst, in seinen Gemächern verborgen,
Hat für den Frieden der Welt zu sorgen;
Von dort aus gebeut er der Heldenschar.
Denn Monseigneur ist ganz und gar
Politiker nur, und mit Seherblick
Ermißt er künftiger Tage Geschick.
Doch was er sich so fein erdichtet,
Sieht er durch Karl und Ludwig vernichtet,
Die auf eignen Wegen andres beschlossen. 23-1
Dann ist er natürlich enttäuscht und verdrossen.
Dann wettert und zankt er ganz lästerlich,
Gestikuliert und ereifert sich
Mit rotem Kopfe und großem Geschrei
Wider das ganze Menschengeschlecht,
Klagt, welch ein trauriger Deuter er sei
Der Zukunft Zeichen: nie träf' er's recht!
Da muß sich freilich die Frage erheben:
Was soll's überhaupt für ein Glück noch geben?
Wenn irdisch Gut, wenn Ruhm und Ehren
Der Menschenbrust kein Genügen gewähren,
Dann soll guter Rat wohl teuer sein ...
Wohlan denn, nach all diesen Lebensbildern
Versuchen wir schließlich, mit leichter Hand
Einmal das vollkommene Glück zu schildern,
Das ungetrübte, wie wir's erkannt:
Das wahre Glück, das ihr ausgeschlagen,
Um einem Trugbild nachzujagen!
Seht Varro: mit seinesgleichen in Frieden,
Ist ihm Ruh und Behagen beschieden.
Er sucht sein Glück in der eignen Brust,
Gönnt sich mit Maßen jede Lust.
<24>Er ist den Freuden des Daseins hold,
Dem Wein und der Liebe, der Kunst und dem Gold,
Ist vergnügt in geselligem Kreise.
Erst das ist Leben: das nenne ich weise.
Nie hat ihn Leidenschaft übermocht,
Auch nie der Ehrgeiz ihn unterjocht,
Vom Tagesstreite bleibt er unberührt.
So ist das Ziel, zu dem die Weisheit führt.
9. Ländliches und höfisches Leben
Ein Vergleich
(30. Oktober 1737)
Daheim in meiner selbstgewählten Klause,
In der ich dank besondrer Gunst nun Hause,
Das Schicksal aller derer mir betrachtend,
Die, eingeschläfert völlig von Chimären,
Des Irrtums voll und wie die Sklaven schmachtend,
Der Erdengötter eitle Größe ehren,
Vermess' ich mich, das Leben zu genießen,
Furchtlos vor Neid, nicht von dem Gift geschreckt,
Das tückisch, von der Großen Gunst gedeckt,
Verleumdung dürft' auf meine Unschuld gießen.
Erwach' ich früh zur schönen Jahreszeit,
Seh' Phöbus ich am Horizonte strahlen,
Die Früchte, Reben rings mit Gold bemalen;
Da sehe ich die Bienen werkbereit,
Den Honig naschend, summend überm Beet,
Das tausendfache Blumenpracht besät.
Den Schatten suche ich des dichten Hains,
Den Rand des Bachs und schöpf' aus alten Werken,
<26>Aus Griechen und aus Meistern des Lateins,
Mein Wissen zu vermehren, mich zu stärken.
Horaz les' ich, Catull und Lucian,
Hortensius' Nebenbuhler,26-1 Julian.
Stets aber ist's der herrliche Voltaire,
Der meine Langeweile mir zerstreut;
Du glücklicher Virgil! Und du, Homer!
Daß ihr nicht erst nach ihm geboren seid.
Dann folgt ein einfach Mahl in schattiger Laube,
Das Jonard26-2 artig zu kredenzen weiß.
Der Fleck, im reichen Schmuck von Frucht und Traube,
Er sieht an Preis wohl, doch an Schönheit nimmer
Dem prunkvoll kostbarsten Palaste nach.
Wie schwindet da des Thrones Glanz und Schimmer,
Vergleichst du ihn mit einem Silberbach!
Von Freunden eine Schar, ganz auserkoren.
Abhold der Heuchelei und wie geboren
Zu Ernst und Scherz: die bildet meinen Kreis.
Da füllt Philosophie gar manche Stunde;
Bald fesselt Newton und die Sternenkunde,
Bald Dichtkunst, Malerei uns ganz,
Bald freun wir uns an der Geschichte Themen,
Bald sinnen wir ob den Problemen
Der Größe Roms und Griechenlands.
Drauf, voll von Liebe, Versen und von Lust
Und von der holden Tollheit ganz bezwungen,
Die Ernst und Herbe scheucht aus jeder Brust,
Sprühn die von edlem Wein gelösten Zungen,
Lebendig zwar, doch Maß und Grenze wahrend,
Ein Feuerwerk, mit Geist die Laune paarend;
An diesem stillen Fleckchen, von Banausen
Und Gecken unbehelligt, sehe ich
Die zarte, unverfälschte Freundschaft Hausen.
In unser Heiligtum drängt nimmer sich
Ein einstudiert Gesicht; Verstellung, List,
Sie bleiben ausgeschlossen: was er ist,
<27>Ein jeder kann es sein, von Furcht befreit,
Daß böse Hand ihm böse Züge leiht.
Das Lachen ist hier völlig unverwehrt;
Jedoch zum Schutze vor den scharfen Bissen,
Mit denen die Satire gern versehrt,
Sind ihr die argen Zähne ausgerissen.
Wird's Abend, so verschmelzen ihre Klänge
Euterpe, Polnhymnia, die hehren,
Die süße Harmonien uns bescheren.
Noch tönen in den Ohren die Gesänge,
Das Echo weckend von dem neuen Orpheus,
Da weiht uns schon die Ruh dem Reich des Morpheus.
Und so, von tiefem Frieden rings umhegt,
Vollende hier ich meine Lebensbahn,
Erwarte stolzen Sinnes, unbewegt
Der Schere Schnitt, von Atropos getan.
Dem Sklaven weh, der nicht die Stadt verläßt,
Den schwächlich an den Hof die Kette fest
Gefesselt hält, aus Liebe oder Pflicht!
Er lernt, daß, wechselnd wie des Mondes Licht,
Das Schicksal oft die Günstlinge erhebt
Und dann in jähem Sturze sie begräbt.
Der flüchtigen Laune Opfer ist er heute
Und morgen eines leichten Argwohns Beute.
Geschäftig stets, fällt ihn sein Feind mit Tücke,
Errichtet aus dem wandelbaren Glücke
Für seine Bosheit sich ein Siegeszeichen.
Erliegt er nicht — ein Glück ist's sondergleichen —
So wird ihn bald der Ehrgeiz ganz verblenden
Und alles nur zu seinem Unheil wenden.
Des Höflings feiler, niedrer Eigennutz,
Die Politik mit ihrem Schutz und Trutz
Gebieten auf die Freundschaft ihm Verzicht.
Den macht sophistische Moral zum Wicht,
Der sich zu seines Feindes Füßen windet,
Feig, unterwürfig, angstvoll und erpicht,
Wo Vorteil er und wo er Rache findet.
Die Unterwürfigkeit, der äußre Schliff:
<28>Sie sind für ihn der einzige Inbegriff
Der Götter, die ihm die Gesetze geben.
Die dürre Klugheit, die ein jedes Wort
Erst wägt, begleitet ihn von Ort zu Ort.
Ach, Unglückseliger! Lerne erst zu leben!
Wie lang noch willst du langsam so verderben?
Die Größe schützt dich nicht vor Leid und Sterben,
Und unsrer Tage kurz bemeßne Spannen,
Sie fliehen, ach! nur allzu schnell von bannen.
Und ist die Frist, die einzige Frist vergangen,
Vergebens wirst du sie zurückverlangen.
Auf! Zu den heitern Freuden, die entzücken,
Durch Frohsinn, Spiel und Liebe hold beglücken!
Fort mit den Göttern, die von Schranzen blind,
Von Hochmut, Ehrgeiz angebetet sind!
Nie werd' ich, ihre Gnade zu erringen,
Nur das geringste Opfer ihnen bringen.
O der du meine einzige Gottheit bist,
Du Gott der Freude, lohne meine Treu!
Gib mir, was Gipfel aller Freuden ist,
O gib, daß mitten im Genusse neu
Ein seliges Vergessen und Entrücken
Zu immer neuen Wünschen mich entzücken!
10. An Antoine Pesne29-1
(November 1737)
Welch Wunder trifft mein Auge! Pesne, dich hebt
Zum Rang der Götter deines Pinsels Stärke.
Alles in deinen Bildern lacht und lebt,
Dein Können übertrifft der Schöpfung Werke.
Aus deiner Hintergründe Schatten steigt
Dein Gegenstand, geklärt von deinen Händen.
Dies ist der Zauber, den die Kunst uns zeigt;
Du weißt durch Skizzen wie Porträts zu blenden.
Wenn einen Helden,29-2 den das Volk verehrt,
Du malst mit Augen, die lebendig glänzen,
Sieht man ihn feurig, wie mit Lorbeerkränzen
Er einst aus Schlachten siegreich heimgekehrt.
Wenn du der jungen Iris29-3 frische Pracht
Darstellst und ihrer Schönheit seltne Gaben,
Fühl' ich an deinen Farben, welche Macht
Bei meiner Jugend Reiz und Anmut haben.
<30>Doch kann am Stoff dein Werk man wachsen sehn;
Des Urbilds Schönheit lebt in deinen Bildern.
Um unsre hehre Königin zu schildern,
War kein Geringrer gut genug als Pesne.
Die Hoheit ihrer Stirn, ihr fürstlich Wesen,
Ihr sanfter Reiz, ihr Blick, der Zutraun weckt,
Dies all' ist in dem Meisterbild zu lesen,
Bis auf die Tugend, die den Frevler schreckt,
Dem Schuldigen verzeiht und edelmütig
Den Tränen des Bedrückten Halt gebeut;
Ich glaube diese Hand zu sehn, die gütig,
Auch aus der Ferne, Segen rings verstreut.
Bei solchem Anblick, der mir göttlich deucht,
Fühl' Andacht ich und Rührung mich durchdringen,
Wird vor Ergriffenheit mein Auge feucht.
Wie? Kann uns bloße Farbe so bezwingen,
Daß durch die Täuschung deiner Kunst sogleich
Nach kurzem Blick der Geist gerät ins Feuer?
Pesne, wenn nicht Tugend, auch im Bild uns teuer,
Ied'Konterfei dir schmückte doppelt reich,
Dann würd' ich, hadernd mit des Urbilds Fehlern,
Mein Lob für deine Pinselführung schmälern.
Der schöne Stoff läßt deine Kunst erstrahlen,
Apelles nur kann Alexander malen.
Mag auch mit ganzen Könnens Aufgebot
Ein Künstler eines Kaisers Standbild prägen,
Das des Tiberius stürzt man, wenn er tot,
Das des Augusius wird die Liebe hegen.
So schätzte man des Marmors Kunsivollendung,
Nur wenn er guter Kaiser Züge trug.
Für Götzen hielt die wütende Verblendung
Siegreicher Christen, was ihr Haß zerschlug,
Und um des Phidias Namen unbekümmert
Zerbrach man jede Büste, die man fand;
So ward in jener Zeiten Sturm und Brand
Die hehrste Kunst des Altertums zertrümmert.
Die Wahl des Stoffs entscheidet deine Siege;
Glaub' nicht, daß ich verklage dein Talent,
<31>Und daß ich üblen Launen unterliege,
Verkleinernd, was der Ruhm dir zuerkennt.
Doch malte Lancret mir der Hölle Graus,
Meinst du, mich würde sein Geschmack ergetzen,
Mein Auge hielte Greuel und Entsetzen
Des finstren Tartarus befriedigt aus?
Der Architekt braucht gut Gestein zum Bauen;
Den Maler, wenn ein guter Stoff ihm fehlt,
Trifft Hohn; du, von den Grazien auserwählt,
Laß uns verführerische Reize schauen,
Damit des weilenden Betrachters Blicke
Vor deinem Bild geheime Lust bestricke.
Solch holder Vorwurf bringt Gemälden Heil,
Wenn auch nicht dort, wo Weihrauch ihnen streuen
Die falschen Eiferer, die Sonnenscheuen,
Beschränktheit, Aberglaube, Vorurteil.
Ja, deiner Kunst muß ich Bewundrung spenden;
Doch sie vergöttern? Lachend sag' ich nein.
Laß deine Heiligen mit dem Glorienschein
Und übe dich an lichtren Gegenständen;
Mal' uns der Amaryllis keuschen Tanz,
Halbnackte Grazien, Nymphen waldumsponnen,
Und denk', daß deine Kunst, so reich an Wonnen,
Einzig der Liebe Dasein dankt und Glanz.
11. Rechtfertigung der Güte Gottes
(4. Dezember 1737)
Der Du in scheu verehrtem Walten
Das Weltenganze ausgedacht,
Der Du, aus Nichts es zu gestalten,
Nur brauchtest eines Wortes Macht —
Göttlicher Schöpfer dieser Erde!
Daß meinem Dank Genüge werde,
Laß mich, von reiner Glut erfüllt,
Bis aufwärts zu des Himmels Pforten
Verkünden laut an allen Orten,
Wie Du so gütig und so mild.
Nur Du in nimmermüder Gnade
Erfandest würdig mich des Seins
Und riefest mich, nach ewigem Rate,
Zum Leben in die Welt des Scheins.
Auf gingen meine Augensterne
Durch Dich allein der Strahlenferne;
Doch ohne Dich, im Urnachtschoß,
In geist- und körperloser Stille,
Empfing ich niemals Wesensfülle,
Der Liebe nimmer ich entsproß.
Wie mir das ungetrübte Denken
Die besten Deiner Gaben nennt,
So weiß es auch den Sinn zu lenken
Vom Erdenstaub zum Firmament.
Noch im geringsten Deiner Werke
Enthüllt es mir des Gottes Stärke,
Den Abglanz seiner Schöpferpracht.
<33>Mein Knie will sich vor einem Wurme
Fast tiefer als im Donnersturme
Anbetend beugen Deiner Macht.
Die Welt, das herrliche Gebilde,
Das alle Wünsche uns gewährt,
Die Güter, die uns Deine Milde
Zu Brauch und Freude hat beschert,
Die ungezählte Lebenswonne,
Durchstrahlt von Deiner Gnadensonne —
Ein jedes schufst Du uns zulieb.
Und Deine Weisheit ohne Ende
Gibt fort und fort in meine Hände,
Was noch zu wünschen übrig blieb.
Dem Überflüsse sieht entsteigen
Man aller schönen Künste Schar.
Die Wissenschaft führt an den Reigen.
Sie ist der Pfeiler. Wunderbar
Wölbt sich auf ihm zum Dom das Ganze.
Hier stellt die Kunst mit farbigem Glanze
Entfernte Dinge vor mich hin;
Indes die hohen Schwestern beide,
Musik und Dichtung, dort mit Freude
Zugleich erfüllen jeden Sinn.
Urewiger! Wer kann erkennen
Der unsagbaren Gaben Zahl?
Die wir am tiefsten elend nennen,
Trifft noch Dein voller Segenssirahl.
Und wenn dereinst mit einem Schlage
Der grausen Hippe unsre Tage
Der Tod für sich zur Ernte will,
Niemals ist es sein blindes Wüten,
Nur Du, uns väterlich zu hüten,
Setzt unsern Leiden da ein Ziel.
Es kann der Mensch, aus Ton geschassen,
An Gliedern und an Sinnen reich,
Sich sieghaft nie der Zeit entraffen,
<34>Ihn bildete Natur zu weich.
Stets müssen ihm die Jahre fliehen.
Sie treibt der zarten Jugend Glühen,
Sie treibt das stumpfe Alter fort,
Daß sein vergängliches Erscheinen
Zerstießt in dunklen Schattenhainen,
Wie jener Rauch im Winde dort.
Wenn meine hüllenschwere Seele
Dem irdischen Gesetz sich neigt
Und über seine düstre Schwelle
Zum Totenreich hinuntersteigt,
Du großer Gott! Dein Allerbarmen
Hält dann uns noch in seinen Armen.
Was mich dem Untergange weiht,
Läßt Deine Weisheit neu erkennen.
Darf man das Nichtsein Unglück nennen?
Ach! Wer nicht ist, fühlt nimmer Leid.
Wenn aber meine ew'ge Seele
Der Parzen Schere sich entringt
Und aus des Grabes Schreckenshöhle
Zu neuem Sein geläutert dringt,
Wie herrlich dünkt mich dieses Leben;
Entzücken will mich still durchbeben,
Mir wird ein Gott voll Güte kund;
Er läßt in seine Ewigkeiten
Die Seele, so zerbrechlich, gleiten
Nach göttlichem Erkenntnisgrund.
Schon nahe ich den Himmelshöhen
Und sehe Gottes Angesicht;
Die Schleier, die ihn dicht umwehen,
Verbergen ihn dem Herzen nicht.
Nur Güte, Güte ist sein Wille,
Und angestrahlt von solcher Fülle
Des Lichtes ist mein Herz erglüht.
Ja, dieser Gott liebt seine Kinder,
Sie, deren reiner Geist nicht minder
In Leid wie Freude ihn nur sieht.
<35>Mag ein Scholastiker verbissen,
Unduldsam, grausam von Natur,
Voll falschem Eifer, hohnbestissen,
Gott schildern als Tyrannen nur!
Doch borgt aus diesen Bitterkeiten,
Die ihm die Galle muß bereiten,
Sein Schwachsinn alle Farben aus:
Das Gift, das unrein solche Zungen
Hervorgespien zu Lästerungen,
Brandmarkt nur ihres Herzens Graus.
12. An Jordan36-1
(Bei Übersendung eines Schreibzeugs)
(Mai 1738)
Jordan, ein guter Maler oder Dichter
Soll glänzen durch den Reiz der Ähnlichkeit
Der kühnen Züge, der genauen Lichter
Mit jenem Urbild, dem sein Werk sich weiht.
Der Maler muß, wenn er gewissenhaft,
Im Bilde spiegeln Farben, Mienen, Haltung
Und jeden Eindruck, den Natur verschafft;
Der Dichter, frei von hohler Prunkentfaltung,
Muß auf das Beiwort sehn, damit es ganz
Ihm für die Kunst getreuer Schildrung tauge:
Des einen Urteil ist des andern Auge.
Man malt nicht Cato mit 'nem Rosenkranz,
Petrus im Wams, die Jungfrau voller Flitter;
Die Mode wechselt wie die Jahreszeit.
Ein jedes Alter trägt sein eignes Kleid;
Eins ist voll Lust, das andre trüb und bitter;
Weil jedes andre Neigungen beseelen,
Muß man für jedes andern Ausdruck wählen.
Daß ich nur keinen tollen Reimer finde,
Der faul und roh Fortuna ohne Binde
Und standhaft darzustellen sich erlaubt,
Der Zeit die Schwingen und die Sichel raubt,
Dem Tod verleiht ein frisches Mönchsgesicht,
Statt Nektar Antimon uns wagt zu reichen;
Denn sachgemäßen Zierat kennt er nicht,
<37>Läßt einen Zwerg er einem Riesen gleichen,
Den Zoilus dem rühmlichen Voltaire,
Broglie,37-1 den Unglückswurm, Conde, dem großen.
Ein Maler und ein Dichter darf vielmehr
Nie gegen Wahrheit stumpf und blind verstoßen.
Er zeig' uns durch geschärfte Sehergabe
Ein jedes Ding an seinen Platz gestellt;
Der König throne mit dem Herrscherstabe,
Cäsar sei angetan als Römerheld;
Erasmus, Jordan sei mit Lebenswahrheit
Der Haltung über Studien gebückt,
Auf einen Arm gestützt, im Auge Klarheit,
Den Geist der niedren Sinnenwelt entrückt,
Nachgrübelnd irgend einer Redezier
Und vor ihm Feder, Schreibzeug und Papier —
Halt, Muse! Weiser Jordan, liebenswerter
Noch als Erasmus, ja, wohl noch gelehrter,
Jedoch viel ärmer durch des Schicksals Haß,
Das Reichtum zu erwerben dir versagte;
Nur Bücher hast du, die der Wurm zernagte,
Bist ohne Dach, selbst ohne Tintenfaß —
Die Nachwelt wäre hinters Licht geführt,
Wenn meine Muse wagte zu besingen
Dein Schreibzeug; doch weil Ehre dir gebührt,
Drum will sie sich als Plutus dir verdingen.
Nimm hin das Ruhmgerät von meiner Hand,
Die Speiseschüssel für Apollos Sprossen,
Jeglichen Autors treuen Kampfgenossen,
Das Werkzeug aller, die gern viel genannt
Im Amte sind, als Anwalt, beim Gerichte;
Ein Bernard,37-2 Fleury,37-3 Réaumur, Voltaire
Ergießen glorreich draus ein Tintenmeer,
Und Rollin schöpft draus Bände voll Geschichte.
Aus deinem Geist schon seh' ich mit Getos
Sturzbäche deiner hohen Weisheit quellen
Und aufgereiht auf meinen Buchgestellen
Dein Lebenswerk in dicken Folios,
<38>Das wie ein Kindersegen unterdessen
In neuen Bänden wimmelnd sich vermehrt;
Seh dich von ihrer Zentnerlast beschwert
Hans Carvels wundersamen Ring38-1 vergessen.
O Jordan! Denk', daß alle Forscherpein
Und Kraft und Zeit umsonst vergeudet werden,
Kurz, daß man nichts vollbringt, wenn man auf Erden
Nicht das Geheimnis lernt, beglückt zu sein.
13. Epistel über die Menschlichkeit
(10. Oktober 1738)
Wir finden Glück nur auf der Tugend Pfaden,
Ein Glück, dem stets das Lasier sucht zu schaden.
Ehrsucht und Liebe, Eigennutz und Ruhm,
Sie äffen uns mit Spuk- und Truggestalten;
Dem Irrwischfeuer gleich, dem dunstgeballten:
Verräterisch treibt's uns im Kreis herum!
Ihr kennt das Märchenschloß, den Sinn berückend,
Durch jeden Zauber holder Kunst entzückend,
Ein Glanzgebild, aus Wundern auferbaut.
Armida schuf's, doch Trug war all sein Prangen;
Kaum, daß ein Auge seinen Glanz erschaut,
War er erloschen, war's in Nichts zergangen.
Fürwahr, ein Abbild lebendigster Art
Des Truges, der ewig die Leidenschaft narrt!
Ein täuschend Äußres, ein lockender Schein
Wird immer aufs neue ihr Schicksal sein.
Ihr Gold ist nur Flitter, ihr Demantschimmer
Ist Fälschung; wohl spricht die Verheißung immer
Von Gütern, von lauter Herrlichkeit —
Was aber herauskommt, ist Herzeleid.
Nein, eins nur ist not, uns allen zumal:
Die Tugend! Sie ist uns Bollwerk und Wall,
Unser Schirm und Schild; in ihrer Hut
Verschränken Lorbeer und Myrte sich
Mit des Ölbaums Zweigen geschwisterlich.
Doch sagt, worin denn eigentlich
Ihr göttlich Wesen und Wirken beruht!
Erleuchte du, Gott, mich, der uns gelehrt
Menschenwürde und -Wert!
<40>In der Menschen Zusammenleben
Ward uns die Quelle des Glücks gegeben,
Und aus dem Geiste der Menschlichkeit stießt
Jedwedes Glück, das die Welt genießt.
Ohn' ihn ist die Tugend ein dürres Land,
Wie's auch mit Blumen allerhand
Sich schmücken mag — wertloser Putz!
Ist es doch keiner Seele nutz.
Was frommes, wenn ein unerschrockener Held
Für seinen Ruhm, seine Eitelkeit fällt?
Was macht es aus, wenn wirklich Arist —
Mag Cato auch seine Mäßigkeit feiern —
Am Tage ausgekommen ist
Mit baren fünf Dreiern?
Mehrt das mein Wohlsein etwa? Sprecht,
Kommt's mir zugute? Das Menschengeschlecht,
Die Gesellschaft hat keinen Deut davon!
Seht jenes Volk, das kaum erstanden
Aus der Drachensaat, aus der Scholle Banden,
Da erhebt es die Waffen des Krieges schon;
Vor Kadmus' staunenden Augen sofort
Rast's wider sich selber mit Haß und Mord.
Da habt ihr ein Bild,
Wie die Menschheit entartet in Wahnwitz wild,
Wo das Gebot der Natur nicht gilt;40-1
Treu bleib' es in unsrer Brust behütet!
Wär' wohl ein Reich zu denken, darinnen
Das Lasier Herrenrecht könnte gewinnen?
Müßt's nicht, in allen Tiefen zerrüttet,
An sich selber zugrunde gehn?
Wie kann es bestehn?
In seinen Eingeweiden wütet
Verderben; Gift und Galle zersetzt
Das eigne Lebensblut zuletzt;
Ein jeder wollte der Herr dort sein,
Und der Herrscherthron
Wär'' schließlich der Lohn
<41>Für straflosen Frevel und Mord allein.
Verschwörung riefe zu den Waffen
Alle Roheit verwilderter Seelen;
An hundert Mitteln sollt' es nicht fehlen,
Die ihnen trotzen, beiseite zu schaffen.
Erliegend der Faust, erliegend dem Grimme
Des mächtigen Nachbarn, erhübe der Schwache
Vergebens seine stehende Stimme,
Ein Herz, ein fühlendes Herz zu rühren.
Die Wollust der Rache —
Wie gerne stillte sie ihre Wut
Mit zügellosem Übermut
In der Unschuld Blut!
Haß! Haß, der keine Versöhnung kennt,
Allerenden wie eine Kriegsfackel brennt,
In allen Herzen gärt es von Gift.
Und wie eine unverlöschbare Schrift
Auf Marmelstein,
So bliebe die kleinste Beleidigung schon,
Vererbt vom Vater auf den Sohn,
Und müßte gerochen sein.
Wer hätte da noch der Gerechtigkeit acht?
In Staub getreten von der Gewalt,
Ihr zürnender Einspruch kraftlos verhallt
Zu Füßen des Räubers der Macht;
Vorm Frevel, den das Glück gekrönt,
Sänke sie nieder, von Frechheit verhöhnt!
Allein das Glück, eh' man's gedacht,
Hat sich's gewandt: dem Tyrannen, dem dreisten,
Mag es nicht länger Gefolgschaft leisten,
Und schon ist er selber in Not gebracht!
Ein anderer Schurke,41-1 gewandter, gewitzter,
Ein Meisterschelm, hat schnell den Sejan
Im Rausch seiner Schandtaten abgetan
Der erntet, was jener gesät; schon sitzt er
Im Reichtum, den jener so schändlich gewann,
Und tritt seiner Lasier Erbe an!
<42>Nicht wahr, euch schaudert bei diesen Worten?
Was gilt's, es beut die Unmenschlichkeit
Dergleichen Frevel allerorten.
Wohin mit eurem Weh und Herzeleid,
Wenn ihr verkannt vom eignen Vater seid?
Wenn ihr, in eurer Verdammnis und Schmach,
Trübselig eure Tage spinnt?
Wer sagt, wo die Freunde, die Helfer sind?
Ach, keine Seele fragt euch nach!
O Elend, dem kein zweites gleicht,
Wenn Krankheit leise euch beschleicht,
An eurem Leben nagt und nagt!
Wenn ihr, an Leib und Seele zerschlagen,
Zugleich bedrängt von hundert Plagen,
Dahinsiecht, trüb und unbeklagt!
Ein Elternloser, ein Entblößter
Von jedem Helfer, jedem Tröster,
Sterbt ihr vor Gram und Herzeleid
In Elend und Bedürftigkeit.
Unwürdige Menschen, deren starres Herz
Nicht zu erschüttern ist von fremdem Leide,
Ihr gleicht den Götzen, die der blinde Heide
Vergebens ansteht — sie sind Stein, sind Erz!
Ihr Niegerührten! Unglückselige Art,
Die menschlich nicht gezeugt, geboren ward,
Tisiphone und Kerberos, der wilde.
Die haben euch geformt nach ihrem Bilde!
Errötet, Sterbliche: das Tigertier
Ist menschlicher als Menschen so wie ihr,
Menschen wie Kaiser Nero, wie Tiber,
Wie Sulla, jener fürchterliche Würger,
Der sich am Blut berauscht der röm' schen Bürger!
Fürwahr, ein Schrecken der Natur war er
Und eine Geißel Roms. Und sieh, hierher
Gehörst auch du in deinen jungen Tagen,
Ottavian,42-1 von dem Ovid
Später gerühmt in seinem Lied,
<43>Wie sanft doch deine Herrschaft sei zu tragen.
Ein Ungeheuer an Undank warst du
An Cicero, ein feiger Freund dazu;
Der Ehrsucht gabst du die Ehre preis!
Und du erst, schreckliches Triumvirat,
Abscheu meiner Seele! Ein Fluch für die Stadt,
Für euer Geschlecht, für den Erdenkreis!
Entartete Verräterseelen,
Die ihr mit euren Achtbefehlen
Euer Heldentum ganz in Schatten gestellt.
Ihr Herren der Menschheit, Richter der Erden,
Erhaben wie Götter mußtet ihr werden,
Gerecht wie Götter, gnädig wie sie!
Ihr, denen der Himmel das Amt verlieh,
Glück zu bringen der ganzen Welt —
Ja ihr! Vor deren Missetaten
Die eignen Enkel ein Grauen hatten,
Wie habt ihr das Bild der Gottheit entstellt!
Soll denn der Mensch dem Frevler, dem Schuldigen,
In Andacht huldigen?
Väter euerer Untertanen?
Nein, ihre Tyrannen!
Nimmermehr soll mein Weihrauch brennen
Für Götter, die keine Tugend kennen!
Als einst im Louvre mit rasendem Sinn
Die schreckliche Medizäerin
Jenes Blutbad befahl in Paris,43-1
Unschuldiges Volk hinschlachten ließ,
Als den Vorwand für Wut und Rache
Der Glauben hergab: Gottes Sache,
Für Taten der Herrschsucht, der Grausamkeit;
Als Blut den Boden färbte weit und breit —
Sagt, welch ein Dämon, der Nacht entstammt,
Hat damals die blinde Wut entstammt?
Sagt, wäre denn das Menschenherze
Erfüllt von solcher Höllenschwärze?
Fiel's dem Verbrechen erst einmal zum Raub,
Bald ist's verhärtet, fühllos und taub
Wider den Ruf der Natur.
<44>Darum heg' ich Bewunderung nur
Für jene Fürsten, mild und gerecht,
Die einem glücklichen Geschlecht
Als Sterne der Huld sind aufgegangen.
Pompejus war im Kampfe gefällt,
Bezwungen lag vor Cäsar die Welt;
Mit Zittern und Bangen
In seine Hand gegeben waren
All seiner Feinde zersprengte Scharen,
Ihr Los seiner Gnade anheimgestellt;
Und seht, da pries man weit und breit
In Rom nur Cäsars Menschlichkeit.
Nicht durch Gewalt seiner Waffen allein
Wollt' er ein Herr über Seelen sein:
Die Gegner selbst, durch Milde nur bezwungen,
Sie nahten ihm beschämt mit Huldigungen.
So hat's auch der große Heinrich44-1 gehalten:
Wohl dürft' er als herrischer Sieger schalten,
Allein was tat er?
Mild wie ein Vater,
Mit Wohltaten hat er sie überschüttet!
Er kannte den Jammer einer Stadt,
Wo Hungersnot wütet,
Und als großmütiger Gegner hat
Er Hilfteich vor dem Ärgsten sie behütet;
Mehr als das Hochgefühl, Herr zu sein,
Galt's ihm, zu lieben, zu verzeihn.
Wie hörte man den Frankenkönig44-2 sprechen?
Ein Königswort, drin hoher Sinn sich bekundet,
Den keine Unbill versehrt und verwundet!
„Meint ihr“, sprach er, „ich wollte als König rächen
„Die Kränkung, die man mir angetan
„Als Herzog von Orleans?“
Seht Titus, dessen Ruhmgedächtnis
Die Welt als köstliches Vermächtnis
Im Herzen hegt: Beweinenswert,
Verloren deucht' ihn jedesmal
<45>Der Tag, an dem er nicht die Zahl
Der Glücklichen vermehrt!
Doch muß ich wirklich denkenden Wesen
Erst einmal die Leviten lesen
Über die Tugend, die ihnen allein
Wert und Würde kann verleihn?
Unmenschlichkeit! Schon der Name lehrt,
Wie sie hassenswert!
Sie, die uns bei andern ein Entsetzen,
Wir sollten im eigenen Innern sie schätzen?
Ja, diese Strenge, die die Last
Eurer Herrschaft so drückend macht und verhaßt,
Sie sollte nur ein andrer mal
Hochmütig üben euch zur Qual:
Die Hölle riefet ihr zu den Waffen,
Euch Rache zu schassen!
Die Welt ist einem Meere gleich,
An Stürmen und Gefahren reich,
Wo tausendfältig die Klippe ragt;
Am Ufer zu bleiben ist uns versagt.
Im Wogenaufruhr nimmst du wahr,
Wie alles Glück so wandelbar:
Der arme Teufel und der Reiche,
Der König und der Untertan —
Für alle ist die Fahrt die gleiche,
Und gleich gebrechlich jeder Kahn.
Schein's mal, dem sei das Glück gewogen —
Eh er's gedacht, ist er betrogen.
Mag dich ein Weilchen durch die Weiten
Ein Glücksstern leiten,
Ein Weilchen dir ein Glückswind wehn,
Dein Segel blähn —
Schon packt der Sturm dich, an den Klippen
Zerschellt er deines Schissleins Rippen,
Da ist's um deinen Stolz geschehn!
Schickt dann in deiner Angst und Not
Den Retter dir ein gnäd'ger Gott,
Nimmt sich ein wackrer Schiffer dann
<46>Aus warmem Herzen deiner an,
Der auf dein Schrein dir unverweilt
Zu Hilfe eilt,
Der deine Trümmer, der dein Gut
Herausfischt aus der tollen Flut —
Ob du nicht freudig immerdar
Den Tag wirst segnen, der ihn gebar,
Ihn, der dir dein Alles wiedergegeben,
Dein Hab und Gut, dein Sein und Leben?
Der Mensch, bedrängt von Not und Pein,
Wüßt' in der Welt nicht aus noch ein,
Lernt' er nicht, sich mit seinesgleichen
In seiner Schwäche die Hände zu reichen.
Wenn schließlich den Segen der helfenden Tugend
Die Menschheit nicht lernte,
Schutzlos wäre das Alter; die Jugend
Sänke dahin, schon des Todes Ernte!
Im Lebensganzen der großen Gemeinschaft
Bedeutet an seinem Teile ein jeder
Soviel wie ein Rädlein, eine Feder;
Wenn da aus Eigensinn oder Feindschaft
Ein einzelner nicht mittun mag —
Hin ist die Einheit mit einem Schlag!
Doch bleibt sie in allen Nöten bestehn,
Was kann da dem einzelnen Schlimmes geschehn?
Die Welt ist aller Menschenwesen
Großes, gemeinsames Heimatland:
Ob sie entstammt von Iberiens Strand,
Ob Lappen, Syrer oder Chinesen,
Ob Juden, in Aberglauben verrannt,
Ob götzendienerische Heiden —
Sie alle sind mir blutverwandt,
Und tief empfind' ich's, wie sie leiden,
Und zwingend mahnt's: Da hilf, da sei zur Hand!
Wohl dem, der, ganz erfüllt von Menschlichkeit,
Sich selber ehrt im Nächsten allezeit,
Und der den Leidenden, in Nacht gebannt,
Zum Lichte hebt mit treuer Helferhand,
<47>So sehr besorgt um andrer Wohl und Wehe,
Wie er nur wünscht, daß es ihm selbst geschehe!
Das Tagsgestirn auf seinen lichten Pfaden
Seht wärmespendend ihr den Stoff begnaden
Mit Lebenskraft; wenn je es schwände,
Sänk' alles hin, war' Sang und Klang zu Ende.
So waltet durch die Schöpfung allerwegen
Sorgender Weisheit väterlicher Segen,
Kommt allem Leben gleicherweis zugut:
Der liebevollen Turteltaube,
Der gift'gen Natter unterm Laube —
Alles gedeiht in ew'ger Güte Hut.
14. An Jordan48-1
(9. Mai 1739)
Ach, meine Muse ist noch jung,
Was kümmert sie das Sterbelied von Schwänen?
Sie hebt die Hand, und sie versteckt ein Gähnen
Und singt sich lieber zur Erheiterung
Ein tändelnd Schäferlied voll süßem Sehnen —
Denn meine Muse ist noch jung!
Mag doch Voltaire, in dessen Fach das schlägt,
Pathetisch auf zu Iovis Himmel brausen
Und gleich dem Adler, der die Blitze trägt,
Mit seinen Versen bei den Göttern Hausen —
Ich gönn' ihm gern die tragische Gebärde,
Mein Liedchen bleibt bescheiden auf der Erde!
Ich bin ein Zeisig, der im Käfig singt;
Was hilft's, daß er die schwache Kraft vergeude,
Die doch die Gitterstäbe nie bezwingt!
Denn die bescheidne Freude, die er bringt,
Bringt dann auch ihm in sein Gefängnis Freude!
15. Epistel an Lord Baltimore49-1
Über die Freiheit
(Oktober 1739)
Der freie Geist, den man in England ehrt,
— In London heimisch, in Berlin ein Schrecken —
Er, der die Weisheit mannesstark bewehrt,
Betrug und Irrtum in den Staub zu strecken —
Der edle Geist, Mylord, der Sie entstammt,
Er ist's, von dem Ihr großer Fortschritt stammt!
Sonst seufzte ja, frei vom Tyrannenjoch,
Im Bann der Vorurteile London noch;
Der Künste Freistatt und der Weisheit Schule
Säh' in entweihten Hallen blöde Toren
Statt Lockes auf dem Philosophenstuhle,
Und Newtons Ruhmgestalt wär' nie geboren.
In Zeiten, deren Größe uns beschämt,
Da sich der Geist unsterblich hochgeschwungen,
Forschte der Denker kühn und unbezähmt,
Bis er zur Wahrheit sich hindurchgerungen.
Hellas, der schönen Künste Mutterschoß,
Das erste Land, darin die Weisheit blühte,
Das tastend noch um Wahrheit sich bemühte,
Zog der Gedanken hehre Freiheit groß.
Sie war es, die den Held, den Redner machte;
In ihrem Schutz errang der Weise Klarheit.
Geist stand in Ehren; jeder Grieche dachte
Und wollte schöpfen aus dem Born der Wahrheit.
<50>Als Macht und Geist dann wurde von Athen
Nach Rom verpflanzt, sah man in Latium
Der großen Männer viel erstehn:
So Cicero, verfolgter Unschuld Hort,
Der die Bedrücker mit dem Donnerwort
Zerschmetterte, er, der in Tuskulum
Den Irrtum niederschlug, in Zweifel stellte
Und prüfend wog, eh' er sein Urteil fällte.
Cato, der unbeugsame Stoiker,
War Cäsars Feind, doch seines Dolches Herr.50-1
Und du, machtvoller Geist, Bezwinger stets
Des Vorurteils, unsterblicher Lukrez,
Dem Wahrheit ihre Fackel anvertraute,
Du, der die Binde frommen Wahns zerriß
Und sich zu Füßen tot den Drachen schaute
Des Schwärmertums, gehüllt in Finsternis —
Ihr dankt es alle, drangt so weit ihr vor,
Der Freiheit, die der Enkel blöd verlor!
Heut kriecht im Staube Rom vor andren Mächten;
Von Kaisern nicht, von Priestern läßt sich's knechten.
Ein dreister Pfaff, bald trotzig, bald verbuhlt,
Besorgt im Vatikan die Glaubenssachen;
Des frommen Bannsirahls Donner läßt er krachen,
Verquickt mit Politik des Himmels Huld.
Die tollste Ehrsucht ist bei ihm zu Haus;
Mit Märchen, Ränkespiel und Höllengraus
Lehrt schlauer Geiz und nackter Eigennutz
Der irrgeführten Welt des Glaubens Pflicht,
Und tut es not, so leiht ein Blutgericht,
Inquisition, ihm seinen Höllenschutz.
Dies schnöde Tribunal verurteilt dreist
Und blöd die Unschuld und verfemt den Geist,
Straft Logik mit dem Feuertod, verbrennt
Den Denker und mit ihm sein Argument.
Doch blind beugt sich Europa und bewundert
Des Papstes Machtspruch; noch ertragen hundert
Völker und Könige sein Regiment...
<51>Geht nach Madrid zur „Glaubensfeier“, seht,
Wie man zur Ehre Gottes Menschen brät!
Hört in Paris das wütende Gezeter
Der Glaubenssireiter, die den Schwarm der Beter,
Die blöde Masse Hetzen auf den Denker!
Der Franken freier Geist, das kühne Wort
Verkommt im Joch der Mönche und der Zänker.
Seht Deutschland: blinde Pfaffen herrschen dort;
Loyola ist ihr Mann und Augustin!
Seht Deutschlands Kaiser vor den Türken fliehn!51-1
Dem Schlachtgott untreu, zu Maria fleht er,
Auf Heilige hofft er und auf Wundertäter.51-2
Jedoch der Diwan spottet sein;
Der Halbmond siegt trotz allem Beten,
Und über Christus stellt er den Propheten.
Doch gaben jene Pfaffen nicht allein
Den Völkern und den Herrschern ihr Gesetz:
Mit weniger Prunk und schönem Schein
Zieht sie der Calvinismus in sein Netz.
In falschen Hüllen, frommer Demut Kleid,
Verbirgt er Hochmut, Ehrsucht, Eitelkeit.
Es wankte Petri Thron, als bäurisch grob
Er einst im Sturm sich wider ihn erhob.
Sein Anhang wuchs; vom Joch der Klerisei
Rang allerorten sich die Menschheit frei.
Verfolgung kam; man trotzte jedem Zwang;
Der Unterdrückten Schrei zum Himmel drang.
Doch die Verfolgten, andren Sinnes bald,
Verfolgten selbst, mißbrauchten die Gewalt;
Von ihren Feinden liehen sie die Waffen,
Um sich in Bruderfehden hinzuraffen.
Zeloten, des Verstandes spottend, wandten
Zu ihrem Vorteil stets, was sie bekannten;
In schwülstigen Phrasen und im Wortgeklaube
Verwirrte sich der Streit, ward trüb der Glaube.
Von jedem Geist, der neue Bahnen bricht,
Befürchten sie nun selbst ein Strafgericht.
<52>So reich ist an Getier und an Insekten
Nicht Afrika, wie sie an neuen Sekten,
Gleich giftgeschwollen und gleich rachbereit,
Gleich morderpicht in ihrem Glaubensstreit!...
Sind das die Christen, die Europa ehrt,
Der Glaube, der uns Lieb' und Eintracht lehrt?
In einem Meer von Blute schwimmt die Welt;
Zur Macht erhebt sich, wer die andren knechtet.
Oft wird dem freien Denker nachgestellt:
Als Atheist wird er verfemt, geächtet...
So wird die Freiheit, die uns angestammt,
In Genf verstoßen und in Rom verdammt;
So wird der Mensch, dem Geist der Himmel schenkt,
Gezüchtigt von der Kirche, weil er denkt...
O Hort der Freiheit, überglücklich Land,
Darin die Kunst, der Geist, die Wahrheit blüht,
O holdes Land, für das mein Herz erglüht,
Wann, England, schau' ich deinen heil'gen Strand?
Du weises Volk, das wachsam stets sich regt,
Jedes Talent und jede Tugend pflegt,
Das alle Künste, jede Leistung ehrt
Und jedem Ruhm gibt, der des Ruhmes wert —
Hellas und Rom sind überholt von dir,
Und deine Weisen, die das Licht entzünden
Im Weltendunkel und Natur ergründen
In Rätseltiefen, sind der Menschheit Zier:
Newton, des Weltalls tiefer Rechengeist,
Der aus des Schöpfers Hand die Hebel reißt,
Verborgne Federn, die im weiten Raum
Dem Menschenwitz entgingen, faßbar kaum;
Der weise Locke, der an des Zweifels Hand,
Stets Schlingen fürchtend, tiefste Wahrheit fand,
Und Sie, Mylord, die Sie mit Geistesgaben
Geburt und Rang geadelt haben,
Sie, die sich kühn dem Wissensdrang vertrauen,
Stets selbst entscheiden, eignen Auges schauen,
Sie, dessen Haus zum Weisheitstempel ward
— O, schwebte das bei uns als Muster vor —
<53>Sie nehmen unsre Herzen mit zur Fahrt,
Und unsre Lust umhüllt ein Trauerflor.
Wann seh' ich dich, mein karges Vaterland,
Dem alten rauhen Ungeschmack entsagen,
Im Busen die verschmähten Künste tragen
Und schirmend schüren ihren heil'gen Brand?
Wann blüht von Geisiesgaben neu dein Sinn,
Der Kunst zum Ruhm, dem Leben zum Gewinn?
16. An Algarotti54-1
(26. Februar 1740)
Furchtsam und zitternd bietet meine Feder
Dem Publikum ihr Erstlingswerkchen dar —
Ach, Kritikus ist heutzutage jeder!
Du, die den Schreibern stets gewogen war,
Minerva, schirme du mich vor Gefahr!
Da ist gar tiefgekränkt manch ein Gesell,
Den ich in meines Witzes Salz gepökelt,
Und der, als Freund des alten Machiavell,
Mir gar zu gern mein junges Buch verekelt,
Er schlüg' am liebsten gegen mich Alarm
Für jenen von der Bank gefallnen Sprossen
Von einem Vater, den des Henkers Arm
Am besten hätte in den Stock geschlossen!
Der Kardinal Fleury im Meßgewand
Umpanzert schon die Brust mit schwarzem Eisen,
Und die noch eben kelchgewöhnte Hand
Läßt probeweise schon die Klinge kreisen,
Und Alberoni54-2 erst (auch Kardinal
Und auch verdammt von diesen „Literaten“)
Schreibt fiugs nach Rom und richtet schon den Pfahl,
Um diesen Antimachiavell zu braten!
Doch hier, in unfern nördlich trüben Zonen,
Wo Hund und Katze gute Nacht sich sagen
Und wo nur ungeleckte Bären wohnen,
<55>Wie soll mein Werk hier Lob zu finden wagen —
In einem Land, für dessen Vorgeschichte
Äsop als Schreiber der Geschichte gilt!
Hier wird Betrug und aller Bösewichte
Verruchter Hochmut, der aus Selbstsucht quillt,
Dem Werk, das ich geschaffen, widerstreben —
Doch wird das Werk, gleich Hydras Schlangenhaupt,
Wenn einen Kopf zu fällen sie geglaubt,
Die hundert andern gegen sie erheben.
17. An Voltaire
(26. Februar 1740)
Dies anzusehn! Ein Vater in Todesnot!
Von Sterbenspein gequält erbarmungslos,
Sein Leben jeden Augenblick bedroht
Vom Scherenschnitt der Atropos!
Wie dieser Anblick doch mich übermannt,
Dagegen hält Philosophie nicht stand!
Wie einer Rieseneiche zarter Schößling
So fühl' ich mich: Nun hält der Baum, der stolze,
Im Sturm nicht mehr;
Verdorren schleicht, der Tod sitzt ihm im Holze
Vom Wipfel bis zum Grund! Der arme Sprößling,
Wo nimmt er Kraft und Saft und Nahrung her?
Nun spricht in mir die Stimme der Natur,
Beredter denn mein Ehrgeiz je gesprochen:
Mein Herz ist trüb, mein Mut gebrochen,
Nichts fühl' und weiß ich mehr, ich sehe nur
Im Geiste vor mir meines Vaters Schatten,
Die Totenfeier, da sie ihn bestatten,
Und fühl' den bangsten Augenblick voraus,
Wo alles aus!
Nun, da der Herr ich heißen soll,
Erleb' ich's tief in Herz und Sinn,
Wie so gebrechlich doch ich bin;
Mein Los, so stolz und hoheitsvoll,
Mit zager Hand nur nehm' ich's an:
Ein Scheinglück ist's, es ist ein Wahn!
O selig, dürft' ich weiterleben,
Wo mir so mild der Himmel schien,
<57>Wo ich in Freiheitsglück gediehn!
Aus diesem Erdreich mich zu heben!
Mich zu verpflanzen in dies Feld,
Die rauhe, die unholde Welt,
Ungangbar und verseucht zumeist
Von Machiavellis Frevelgeist!
Fern all den leeren Herrlichkeiten
Am Hof wie in der Königsstadt,
Fern all dem Schimmer, all dem Staat,
Den Thron und Hoheit rings verbreiten
Wie liebend gern,
In meinem friedlichen Asyle,
All diesem flücht'gen Glanze fern,
Tauscht' ich die holde Arbeitssiille,
Wie gern für all den stolzen Schein
Tauscht' ich mein ruhmlos Dunkel ein!
18. An Jordan
(März 1740)
Mein guter Jordan, schnell von dannen
In flatterhafter Ungeduld
Steh' ich dich fliehn von deinem Pult,
Chasot,58-1 den pfiffigen Normannen
Zu suchen, ihn, der seine Zeit
Dianen oder Venus weiht,
Und den zurückbehält in Haft,
Von Labetränken ganz erschlafft,
Des heiligen Bacchus Jüngerschaft.
Ich sehe, ihr verlaßt zu zweit
Das Paradies der Seligkeit
Und wollt ins Fegefeuer eilen.
Ach, dürft' ich meinem Wunsche blind
Willfahren, ewig würd' ich weilen
In dem Bezirk, dem ihr entrinnt,
Zu heiß von Blut, zu welterfahren,
Mich um den eitlen Ruhm zu kümmern,
In Klios Buch nach hundert Jahren
Zu siehn auf meiner Ahnen Trümmern.
Ich fürchte jene schalen Ehren,
Die Etikette und den Tand,
Der prunkvoll schmückt den Fürsiensiand;
<59>Ich fliehe die bedrohten Sphären,
Wo Sieg uns lockend reicht die Hand,
Und jener schroffen Klüfte Rand,
Wo Menschen, die nach Ruhm verlangen,
Sich im Erinnrungstempel blähn
Und drin mit dünkelhaftem Prangen
Aufrichten prahlende Trophän.
Ein Herz, erfüllt von echtem Hange
Zu holdem Frieden, milder Rast,
Und glücklich in bescheidnem Range,
Beut nicht in ungestümer Hast
Dem Meere Trotz und seinem Toben,
Damit von Stürmen wild umschnoben
Den Heldentitel es erlange.
Was hilft's, ob für die Welt auch glänze
Ein Ruhm, erkauft mit hundert Mühn?
Ihr Unbestand kennt keine Grenze.
Sie will, daß täglich neu erblühn
Geister und Herzen, stark und kühn,
Und immer reichre Lorbeerkränze.
Man lasse Göttern ihre Rechte,
Hoheit und Weihrauch und Gebet;
Wird man doch um so mehr zum Knechte,
Je höher man im Range sieht.
Freundschaft wiegt mehr als Huldigung
Und Freude mehr als Majestät;
Wer froh ist, lebhaft, herzensjung,
Bei guter Laune früh und spät,
Nur der, wenn er sein Glück erkennt,
Verdient, daß man ihn weise nennt.
Der Lärm, die Sorgen, das Gedränge
Sind für die Freiheit kein Entgelt,
Und der gehäuften Bürden Menge,
Die eitler Ehrsucht sich gesellt,
<60>Kann nicht das stille Glück ersetzen,
Das, in den Schatten gern gestellt,
Der Geist empfangt von seinen Schätzen.
Beglückt, wer ungekannt hienieden
Lebt unabhängig und zufrieden,
Wer mit vernünftigem Entschluß
Dem anspruchsvollen Überfluß
Vorzog das Maß und das Genügen,
Wer Reichtum lernte zu verschmäht,
Und wen Erkenntnis und Vergnügen
Läßt zu dem Gott des Zartsinns flehn,
Dem Gotte des Gefühls, dem Meister
Des Edlen, das wir wachsen sehn,
Dem einz'gen Gott für freie Geister!
Weh mir! Von einer rauhen Hand
Fühl' ich bereits mich fortgetragen;
Zu steigen auf Fortunens Wagen
Zwingt mich des Schicksals eisern Band.
Leb' wohl, du friedvoll schöne Zeit,
Leb' wohl, du einst so hold Behagen,
Leb' wohl, gelehrte Einsamkeit;
Von jetzt an muß ich euch entsagen.
Doch nein, ein Herz voll Stärke beugt
Sich nicht vor blinden Schicksalsmächlen,
Die heimlich Heil und Unheil flechten,
Just wie der Zufall es erzeugt!
Der Grimm Tisiphones, die Fülle
Des Glanzes fürstlicher Gewalt
Gibt mir nicht andere Gestalt.
Der Hoheit angestaunte Hülle,
Sie läßt das Herz mir stoisch kalt.
Doch zärtlicher als Philomele,
Den Freunden treu mit ganzer Seele
Und minder Fürst und Herr im Staat
Als Bürger, Bruder, Kamerad,
Getreu der Philosophen Lehren
Und allem Köstlichen im Leben,
<61>Will ich mich stets als Mensch bewähren,
Mit schlichtem Wort und schlichter Tat
Der Menschenwelt den Frieden geben.
Zweites Buch
Der König
<64><65>19. An Voltaire
(12. Juni 1740)
Nicht vom Remusberge mehr,
Wo ein stiller, holder Frieden
Meinem Fleiße war beschieden,
Rührt dies Versgestammel her;
Denn der König und der Dichter
Sind in diesem Augenblick
Eines nur: mein herb Geschick
Hebt mich auf die Höhe jetzt,
Wo der Herrscher ward zum Richter
Über Hader und Verbrechen
Von den Völkern eingesetzt,
Streng des Frevlers Schuld zu rächen
Und den armen Menschenkindern
Alle Sorg' und Not zu lindern.
Meinem Volk, an dem ich hänge,
Diesem Gotte will ich dienen.
Lebt denn wohl, ihr heitren Klänge,
Verse, Flöte, fort mit ihnen!
Alle Kurzweil, selbst Voltaire,
Sei verbannt: die Pflicht allein
Soll mein Gott, mein höchster, sein!
Ach wie drückt die Krone schwer!
Welche Mühsal, Sorg' und Pein!
Doch geschah dem Gott genug,
Eil' ich, mein Voltaire, im Flug
Wiederum an Deine Brust:
Du getreuer Freund, Du mußt
Dann den Jünger unterrichten
In den hehren Königspfiichten.
20. Die Reise nach Straßburg66-1
(Anfang September 1740)
Ich habe soeben eine Reise beendigt, die mit merkwürdigen, zuweilen unangenehmen und öfters spaßhaften Abenteuern verquickt war. Sie wissen, daß ich nach Bayreuth gereist war, um eine Schwester wiederzusehen, die ich liebe und hochschätze. Unterwegs zogen Algarotti und ich die Landkarte zu Rat, zur Feststellung des Weges, den wir einzuschlagen hätten, um nach Wesel zu gelangen. Man sprach von Frankfürt am Main, und da es uns auf der Karte so erschien, als ob der Umweg über Straßburg nicht allzu groß sein könnte, gaben wir ihm den Vorzug. Wir entschlossen uns zum Inkognito, wählten die Namen, machten uns eine Fabel zurecht; kurzum, nachdem alles aufs beste geordnet und abgeredet war, glaubten wir in drei Tagen nach Straßburg zu kommen.
Doch gab des Himmels Allgewalt
Dem Ding veränderte Gestalt.
Mit magren Kleppern, die entstammt
In grader Linie von Rosinanten,
Mit Bauern, die sich Kutscher nannten
Und freche Tölpel waren insgesamt,
Im Wagen, der beständig stecken blieb
Und stieß an alle Felsenkanten,
Schwerfällig trottend, nahmen wir fürlieb.
Die Luft, von Blitz durchzuckt und Donnergrollen,
Das Regenmeer, zur Sintflut angeschwollen,
Schien uns den Untergang der Welt zu drohn;
So gingen uns vier gute Tage
All unsrer Ungeduld zum Hohn,
Schmerzlich verloren durch des Weges Plage.
Außerdem aber erwarteten uns noch schrecklichere Herbergen.
<67>Denn Wirte voll Gewinnbegier,
Die uns, schon nahe dem Verschmachten,
So schlecht wie möglich unterbrachten
In einem greulichen Quartier,
Brandschatzten uns, vergiftend unsern Magen.
Lukull, wie anders war's in deinen Tagen!
Unser Aufzug muß sicherlich einen höchst seltsamen Eindruck gemacht haben, da man uns an jedem Ort, wo wir durchkamen, für etwas anderes hielt.
Wir mochten Könige den einen,
Den andern Strolche feinster Art,
Den Dritten Wohlbekannte scheinen;
Das Volk war manchmal dicht geschart,
Um in die Augen uns zu gaffen
Mit kecker Neugier wie Schlaraffen.
Mein forscher Italiener67-1 fluchte,
Dieweil ich's mit Geduld versuchte,
Der jugendliche Graf67-2 mit Scherzen,
Der große Graf67-3 sich räkelte
Und als ein Christ in tiefstem Herzen
Am Reiz der Fahrt nach Frankreich mäkelte.
Endlich erreichten wir den Ort,
Wo die Besatzung, schlaff und schwach,
So kläglich öffnete die Tore
Gleich nach dem allerersten Krach
Französischer Kanonenrohre.67-4
Sie erkennen ohne Zweifel Kehl an meiner Beschreibung. Hier fragte uns der Postmeister, umsichtiger als wir, ob wir mit Passen versehen wären.
Nein, sprach ich, den Erwerb von Pässen
Verschmähten wir als Narrenstreich.
Man darf sie, glaub' ich, nicht vergessen,
Wenn man den Weg aus Plutos Reich
Zurück ins Leben will durchmessen;
Doch wer aus Deutschland zu der losen
Und heitren Liebesinsel reist
Von euren flotten Herrn Franzosen,
<68>Dem wird ein Antlitz, rund und dreist
Und bacchisch rotgefärbt, genügen
Als Paß, wie er sich in den Zügen
Unsrer Gesellschaft Ihnen weist.
Nein, meine Herren, sagte er uns, kein Heil ohne Paß. Da entschlossen wir uns, selbst uns welche zu verfertigen, wobei das preußische Wappen in meinem Siegel-
ring uns glänzenden Beistand leistetet.68-1 Wir trafen in Straßburg ein, und der Grenzhauptmann und der Zollbeamte schienen von unseren Beweisstücken beftiedigt.
Das Diebszeug spionierte scharf,
Indem's ein Aug' nach unfern Pässen
Und eins auf unsre Börse warf.
Das Gold, auf das man bauen darf
In jedem Fall, mit Hilfe dessen
Jupiter Danae besessen,
Das Gold, das Cäsarn Völkermassen
Zu eigen gab, die Göttermacht
Von Mars und Amor läßt erblassen,
Das Gold, es hat uns vor der Nacht
In Straßburgs Mauern eingelassen.
Hier sah ich die Franzosen endlich,
Die klangvoll Ihre Leier preist,
Ein Volk, den Briten unverständlich,
Die gallig macht ihr trockner Krämergeist;
Diese Franzosen, die ohn' Unterschied
In deutschen Augen der Vernunft entbehren,
Sie, deren Liebe könnt' Geschichte lehren,
Nicht Liebe, die verweilt, nein, die entflieht;
Dies Volk, so toll, galant und jäh,
Sangwütig bis zum Überdruß,
Im Glück anmaßend stolz, geduckt im Weh,
Von unbarmherz'gem Redefluß,
Um seiner Bildung Hohlheit zu verstecken;
In lauter Firlefanz vergafft,
Der einzig sein Gehirn kann wecken,
Leichtsinnig, unklug, plauderhaft
Und Wetterfahn' in jedem Windgetose.
Die Cäsarn stehn den Ludwigen im Licht,
Vor Rom versinkt Paris ins Wesenlose.
<69>Nein, Sie sind kein gewöhnlicher Franzose:
Sie denken; jene denken nicht.
Verzeihen Sie mir, lieber Voltaire, diese Definition der Franzosen; zum mindesten sind es nur die von Straßburg, von denen ich spreche. Um Bekanntschaften zu machen, ließ ich gleich nach unserer Ankunft einige Offiziere einladen, die mir unbekannt waren.
Und richtig, drei auf einmal nahten,
Vergnüglicher als Potentaten;
Mit heisrer Stimme sangen sie
In Versen ihre Liebestaten
Nach einer Walzermelodie.
Herr de la Crochardiere und Herr Malosa69-1 kamen gerade von einem Diner, wo man mit dem Wein nicht gespart hatte.
Auflodern sah ich ihrer Freundschaft Brand,
Als Busenfreunde mußten wir erscheinen;
Der Abschied aber riß entzwei das Band,
Die Freundschaft, nicht von uns betrauert, schwand
Mitsamt dem Spiel, den Speisen und den Weinen.
Am Tage darauf wollte der Herr Gouverneur der Stadt und der Provinz, Marschall von Frankreich, Ritter hoher Orden usw.
Der stets erwischte General,69-2
Der zu des jungen Ludwig Qual
Sich hosenlos beiseite stahl,
Um in Italien sich zu wahren
Vor Östreichs rauhen Kriegerscharen,
dieser General wollte wissen, was es mit diesem Grafen Dufour für eine Bewandtnis hätte, diesem Fremden, der kaum angelangt, sich mit der Einladung einer Gesellschaft von Leuten befaßte, die er nicht kannte. Er hielt den armen Grafen für einen Beutelschneider und riet Herrn de la Crochardiere wohlweislich, ihm nicht auf den Leim zu gehen. Unglücklicherweise tat dies der gute Marschall selbst.
Sein Los war, überrascht zu werden.
Mit grauem Bart und weißem Haupt
Wußt' er sich würdig zu gebärden.
Doch täuscht sich, wer dem Anschein glaubt;
Wer eines Werks und Autors Wesen
Wähnt aus dem Einband zu verstehn,
<70>Braucht eine Seite nur zu lesen,
Um seinen Irrtum einzusehn.
Davon konnte ich mich überzeugen; denn seine Bedeutung bestand nur in seinen grauen Haaren und seiner baufälligen Erscheinung. Seine erste Anrede verriet ihn; es ist wirklich nicht viel Staat zu machen mit diesem Marschall,
Der, von der eignen Größe trunken,
Mit seiner unbegrenzten Macht
Und seinen Titeln liebt zu prunken.
Er nannte mir die Seitenzahlen,
Wo seines Namens wird gedacht,
Ward müde nicht, mir vorzuprahlen,
Wie seine Gaben sich erprobt
Und Frankreich Heil durch ihn erfahren,
Uneingedenk, daß vor drei Jahren
Man seine Klugheit nicht gelobt.
Nicht zufrieden, den Marschall gesehen zu haben, sah ich auch die Wache aufziehen,
Franzosen, die nach Glorie dürsten,
Besoldet mit vier Sous den Tag,
Den Helden Nachruhm spendend und den Fürsten,
Vom Sieg gekrönte Sklaven, arme Herden,
Bestimmt, vom Hof gelenkt zu werden
Mit einem bloßen Trommelschlag.
Das war der Augenblick meines Verhängnisses. Ein Deserteur von unseren Truppen bemerkte mich, erkannte mich und gab mich an.
Ich fiel dem Galgenvogel auf:
Da war's vorbei, man roch den Braten;
Blind nahm das Schicksal seinen Lauf,
Und das Geheimnis war verraten.
21. An Jordan
(10. Juni 1742)
Als ich geboren ward, ward ich der Kunst geboren,
Die heiligen neun Schwestern reichten mir die Brust,
Und für des Herrschers Hochmut schien dies Herz verloren,
Das voller Mitleid war und kindlich unbewußt.
Die ganze Welt war mir ein Garten duft'ger Blumen,
Die voller Zärtlichkeit mein durstig Aug' umfing,
Und Kränze wand ich, streute Vögeln Krumen,
Und dachte Mädchen, wo ich stand und ging.
Da riß das Schicksal mich aufs große Welttheater,
In der Tragödie „Krieg“ ward mir der Heldenpart;
Mein Ruhm brach auf wie Lava aus umwölktem Krater
Und riß mich sonnenwärts in unerhörter Fahrt,
Und als ich einmal erst geopfert am Altare,
Darauf das süße, heiße Ruhmesfeuer glomm,
Da schwieg das Schäferlied vorm Gellen der Fanfare,
Und immer schnellern Schritts ich aufwärts klomm.
Doch bald erkannte ich des Ruhmes wahres Wesen:
Ein Leviathan schwamm er in dem Meere Blut,
Zerfetzte Leiber sah ich rings um ihn verwesen,
Die seinem grausen Dienst geschlachtet als Tribut.
Sein Schlummerlied blies ihm betäubend die Drommete,
Sein Denkmal türmte er aus dem, was er geraubt;
Als Weihrauch schlürfte er den Rauch verbrannter Städte,
Aus Tränenkraut fiocht er den Kranz ums wilde Haupt.
Nein, meinem Herzen fremd sind Neros Grausamkeiten,
Und meiner Freunde Blut ist diesem Herzen Gift.
<72>Schreibt denn auch Ablaßbriefe für dies Streiten,
Der für die Ewigkeit aufzeichnet, Klios Stift?!
Ach, für die Ewigkeit? Was bleibt wohl noch in Ehren
Von all den tausend Heldentoden dieser Zeit?
Glaubt ihr, der Heldentod von jenen alten Heeren
Erlosch vorm Ruhm der Welt, in der ihr seid?!
Ihr sterbt, und mit euch stirbt der lorbeerreiche Name,
Den schon bei Lebenszeit der gelbe Neid bekriegt!
Auf eurem Grabe wuchert wild wie Unkrautsame
Verleumdung, die ihr Haupt in giftgen Blumen wiegt.
Nein, glücklich ist nur der, der sich als Los erkoren
Ein stillverborgnes Glück und stillzufriednen Sinn;
Man kannte mich doch nicht, eh' ich zur Welt geboren,
Was tut's, ob man mich kennt, wenn ich gestorben bin?
22. An Voltaire73-1
Über die unbilligen Urteile der Welt über die Staatslenker
(25. Juli 1742)
Wie lange noch, sag' an, wird sich die Leier dein,
Der Ewigkeit geweiht, für Österreich entweihn?
Sag' an, welch falscher Gott ergriff dich statt des wahren?
Als Kämpe frondest du der Tochter der Cäsaren!
Ward denn in diesem Rausche
Die Liebe dir zum Tausche,
Als die Vernunft dahingefahren?
Hört ihr den feilen Schwarm? Gewinnsucht läßt sie schreien.
Schamlose Schwätzer sind's, der Lüge Papageien.73-2
Dies Hohepriestertum, bestellt von Mammons Gnaden,
Verpestet alle Welt mit seinen Opferfiaden.
Und alle Winde eilen,
Die Düfte zu verteilen,
Mit Lug und Fabeln schwer beladen.
Der Pöbel hängt am Schein. Leichtfertig allezeit,
Schwimmt er im breiten Strom der Oberflächlichkeit.
Im Spiel der Leidenschaft läßt er dahin sich treiben
Und wird sich allemal dem Überschwang verschreiben.
Was gestern hat gegolten,
Wird heute schon gescholten —
Der Tadel aber wird dir bleiben . . .
<74>Ich ruf' euch, Richelieu! Don Haro!74-1 Große Seelen!
Hellt auf, was Nacht und Graun bedecken und verhehlen.
Laßt dringen unfern Blick bis in die Herzensfalten
Der Männer, welche heut' an eurer Stelle walten.
Laßt unser Auge schauen,
Was eure Jünger brauen
Und was sie tief verborgen halten.
Schon hat den Mann des Trugs mit ihrer sichern Hand
Die Wahrheit zum Gericht aus Nacht hervorgebannt.
Wie täuschte uns das Bild, das sich von außen bot!
Wer unterdrückt erschien, erweist sich als Despot;
Entlarvt wird der Verbrecher,
Der eben noch mit frecher
Gewalt die Unschuld hat bedroht.
Doch horch! Wer ruft mir zu? Ich höre Pallas' Stimme:
„Belehre, kläre auf sie alle, die die schlimme
Verleumdung hat berückt. Den Trug gilt's aufzudecken.
Das Preußenbanner will die Hölle dir bestecken.
Dein Vaterland zu rächen,
Laß laut die Wahrheit sprechen,
Laß sie die Lüge niederstrecken.“
Du stolzes Österreich, vom Römeraar getragen,
In Eisen möchtest du die armen Deutschen schlagen.
Der Schmied ist schon am Werk, die Sklavenkette droht,
Doch anders ordnet es des Schicksals Machtgebot.
Um Hilfe uns zu schaffen.
Steht eine Welt in Waffen;
Ringsum bist du von Glut umloht.
Ein altes Erbe war an dein Gebiet gebunden,
Der Väter Schwäche einst durch Übermacht entwunden,
Dein Zepter drückte hart das mir selbeigne Land.
Jedoch der Unschuld Recht lieh Stärke meiner Hand:
Für Ungarns Königin
Fuhr Schlesien dahin
In zweier harten Schlachten74-2 Brand.
<75>Im alten Königsbau, des Louvre Prachtpalast,
Trägt Frankreichs Atlas75-1 stark des großen Reiches Last.
Unsterblich ist sein Leib, die Seele göttlich hell,
Dank Isis und Apoll und dank Machiavell.75-2
Mit gleißender Gebärde
Täuscht Himmel er und Erde,
Der Falschheit unergründter Quell.
Des Bunds Gefährten hält er hundertfach umsponnen,
Lohn lockt und Ehrgeiz sie; der Sieg scheint ihm gewonnen,
Europa sieht er schon im Bann der Dienstbarkeit.
Da wendet sich das Glück, und schnell ist er bereit,
Wie Spanien noch eben75-3
So heute preiszugeben
Des Kaisers75-4 Thron im Massenstreik.
Ich sah voraus! Und eh' der Blitzstrahl niederfuhr,
Begegn' ich dem Verrat auf seiner finstern Spur.
Auf Fargis75-5 dort in Wien kann zum Beweis ich zeigen —
Ich scheid' aus Fleurys Bund und aus dem blut'gen Reigen;
Im Kampfe um die Beute
Laß ich die grimme Meute,
Mir ward des Friedens Los zu eigen.
Triebfedern spielten hier, profanem Blick verhüllt,
Chimären wirr und wild, Entwürfe trugerfüllt.
Ihr armen Sterblichen! Als dieser Erde Götter
In Anbetung verehrt, und doch das Ziel der Spötter!
Den Lästerzungen allen
Als Opfer heimgefallen,
Harrt ihr umsonst auf einen Retter . . .
23. An Jordan
Über den Kometen, der 1743 erschien
(27. Juni 1743)
Bebst Du noch immer, Jordan? Schreckensbleich
Macht Hektor Dich, der grausige Komet?
Zerstörte ihn der Himmel doch sogleich,
Eh' diese Welt durch ihn zugrunde geht!
Um Dich, ach, wäre es mir herzlich leid —
Noch prangst Du in der Blüte Deiner Jahre;
Mehr Wohltat dantt die arme Christenheit
Dir als dem Kardinal,76-1 an dessen Bahre
Lobrednerei sein Herz und seinen Geist
So maßlos und so überschwenglich preist.
Wo Du gewirkt, in jeglichem Revier76-2
Hat immer sich Dein gutes Herz bewährt:
Aufklärung dankt die hohe Schule Dir;
Die Armen all hat Deine Hand genährt;
Als Vater alle Narren Dich begrüßen,
Als Gatten alle Mägdlein, die da büßen.
Drum wünsch' ich sehr, daß dieses Ungeheuer,
Daß dieser ungeziemliche Komet
Mit seinem langen Schweif aus Höllenfeuer
Dich zu versengen sich nicht untersieht.
Doch müßt' i ch scheiden, stürbe eine Seele
Nicht ohne Wildheit und nicht ohne Fehle.
<77>Du weißt ja, daß ich, noch ein junger Fant,
Systeme umzustoßen mich erfrechte,
Die eigennützig und von Neid entbrannt,
Errichteten Europas alte Mächte,
Die unsre Ahnen, selbst noch halbe Wilde,
Anbeteten gleich einem Götzenbilde.
Du weißt auch, daß mit frevlerischer Hand
Ich mehr als einen greulichen Panduren
Zur Hölle und zum Teufel heimgesandt
Beim mörderischen Kampf in Schlesiens Fluren.
Wenn Hektor, dieser gräßliche Komet,
Auf mich Erbärmlichen nun niederbricht,
Sein Feuer auf mein schuldig Haupt entlädt —
Ja, meiner Treu, so unrecht tät' er nicht.
24. An Voltaire78-1
(September 1743)
I
Bei Übersendung der „Denkwürdigkeiten“78-2
Da Ihr es wollt, biet' ich das Wert Euch dar:
Es soll Euch ungeschminkt der Menschheit Sünden,
Unsel'gen Irrtum vieler Herrscher künden,
Die Leiden, die ihr blut'ger Ruhm gebar.
Da seht das blinde Schicksal walten,
Mit hundert Herrschern wie mit Spielzeug schalten,
Hier Sieg, dort Untergang bereiten
Und Pläne, riesengroß, erhaben,
Von einem Nichts zerschellt begraben.
Und bei den Fürsten seht die Grundgescheiten,
Die gut und weise sie beraten sollen:
Sie gleichen Ignoranten, Schwätzern, Tollen,
Berauscht von ihrem Wahn und ihrer Größe.
Das Staatsschiff sollen sie regieren,
Mit ihrer Hand das Steuer führen —
Groß stehn sie da, kennt man nicht ihre Blöße.
So närrisch geht es zu auf Erden,
So närrisch lenkt sich diese Welt;
Der Fürst, der heute seinen Nachbar prellt,
Ist morgen nicht gefeit, geprellt zu werden.
II
Als Antwort auf Voltaires poetischen Dank für die Übersendung der „Denkwürdigkeiten“
Indes Ihr Verse macht vorzüglich,
Schreib ich in Prosa mit Beschwerde;
Stets sinne, spintisiere, klügl' ich,
Was just vonnöten unsrer Erde.
So fiel das Los uns allen beiden.
Wie muß das Eure ich beneiden!
Dieweil ich ewig die Maschine
Der hohen Politik bediene,
Und an Gefahren fehlt es nicht,
Ist der alleinige Beruf,
Wozu das Schicksal Euch erschuf,
Ein unverändert froh Gesicht.
25. Abschiedsgruß an Ulrike80-1
Auli 1744)
Leb' wohl denn, Schwester, Schweden wartet Dein!
So wende Dich von unfern Tränen fort:
Ich weiß, daß Du in allen Herzen dort
Gebieterin wirst sein!
Besteig den Hochsitz, den ein Volk Dir weist!
Du wirst dem Norden Tugendglanz und Denken,
Der Venus Reiz, Minervas Gaben schenken,
Christines80-2 starken Geist.
Die Welt bewundert Deine Huldgestalt;
Durch Deiner Reize zarte Lieblichkeit
Erwürbst Du Dir auch ohne Purpurkleid
Hienieden Herrschgewalt!
Auf neuer Bühne schon mein Geist Dich sieht:
Dort übst Du Gnade in der Größe Schoß;
Dein reiches Herz beschert ein glücklich Los
Dem Volk, das vor Dir kniet.
Von ferne will ich Deine Siege preisen.
So sieht ein Mensch in stummer Andacht Bann
Und staunt die Wunderwerke Gottes an
Hoch über unsern Kreisen.
<81>Doch weh! Die Zeit entflieht, und eilends nimmt
Sie Dich hinweg, führt Dich ins Brautgemach.
Die Stunde naht, die mir das Schicksal, ach!
Zu meiner Qual bestimmt.
O Scheidestunde voller Angst und Pein!
Wer kann die Stimme der Natur ersticken,
Blutbande lösen, die so fest umstricken
Zwei Herzen, keusch und rein!
O Schwester, Du mein Liebstes allezeit,
Du hundertfach mir teurer als mein Herz —
Nimm hin den Abschiedsgruß, erstickt von Schmerz,
Der Seele, Dir geweiht!
Was auch das Schicksal Dir bestimmt — nicht dreist
Laß uns der dunkeln Zukunft Schleier heben!
Vielleicht, daß unser Unstern nun fürs Leben
Uns auseinanderreißt!
26. An die Königin-Mutter
(Weihnacht 1744)
Drei Könige brachten einst, 0 Königin,
Dem Chrisiuskind mit andachtsvollem Sinn
Als Gaben Weihrauch, Myrte, lautres Gold.
O daß Ihr gnädig mir gestatten wollt,
Wenn ich Euch ebenso zum gleichen Tage
Die gleichen Gaben darzubieten wage.
Die Myrte stellt die zarte Liebe dar,
Die Ehrfurcht, die ich allzeit Euch bewahr';
Der Weihrauch ist mein inniges Gebet,
Der Euer Leben zu verlängern steht.
Und dient Euch das Metall in diesem Schrein
Zum Zeitvertreib, wird's überglücklich sein.
27. Den Manen Cäsarions83-1
(August 1745)
Was hör' ich? Gott, welch schreckensvolles Wort:
Cäsarion ist nicht mehr! Casarion ist fort!
Du hast den treusten, besten Freund verloren!
Als wenn mich Dolche tausendfach durchbohren,
So zuckt mein Herz
In wildem Schmerz.
Du bist nicht mehr! so wird mir's ewig klingen;
Dir nach zum Nichts wird meine Liebe dringen.
Wie ich Dich im Leben geachtet, geehrt,
So bleibst Du mir inniger Liebe wert.
Wie fest hast Du dem Tod ins Aug' geschaut,
Vor dem doch jedes Menschen Herze graut!
Von Mannesmut gestützt, geführt,
Blieb Deine reine Seele unberührt
Von jenem Hirngespinst von einer Hölle
Und einer dunkeln Zukunft unsrer Seele.
Du hast in Deinen frohen Lebensstunden
Den Halt beim Meister Epikur gefunden;
Wie stolz hast Du im Tod Dich aufgerafft:
Da überbotst Du Zenos Geisteskraft!
Weh mir, dies Herz, das so erhaben schlug,
Was ward aus ihm? Wer sagt mir's? Wer?
Der Geist, der adlige Gedanken trug,
Lebt er wohl noch? O sagt, ist er nicht mehr?
<84>Gott, welch ein Abgrund! Alles ist vernichtet,
Sein Geist und seine Güte! Wenn er lebt,
Gewiß, sein Schatten, sein Gedanke strebte
Aus Nacht und Tod zu mir, ja, er umschwebte
Mein wehes Haupt: er hätt' mich aufgerichtet!
Leidvoll Erinnern, bittrer Kelch der Trauer!
Und bildest dir, törichte Stoa, ein,
Du könntest Menschenseelen auf die Dauer
Wider die Schläge des Geschickes fein?
Wie leidgewappnet glaubt' ich mich,
Wie stark — wie unerschütterlich —
Und nun, was muß ich nun an mir erleben!
Wehrlos bin ich dem Schmerze preisgegeben,
Zerstört, vernichtet fast in Seelennot
Durch Deinen Tod. —
Still, still! Was ist denn der Verstand noch wert,
Wenn er sich gegen das Empfinden kehrt
Und meinen Gram mit Bitternissen mehrt?
Er sagt zu mir, mein Alles sei dahin.
So weit die Welt, so leer! Und ich, ich bin
Verwaist, allein! Ich Hab' Dich so geliebt —
Wie schattenhaft verwehten doch die Tage,
Da wir, was uns erfreut, was uns betrübt,
Wie Brüder teilten; da in gleichem Schlage
Dein Herz und meines schlug. Mein Glück war Deins.
Wie waren wir in all und jedem eins.
Im Großen und im Kleinen; ungetrübt und klar
Blieb uns der Freundschaft Himmel immerdar.
Der Frohsinn hat Dich stets begleitet,
Dein Geist, durch schöne Bücher wohl geleitet,
Hat gern gebändigt, ritterlich und zart.
Die Fröhlichkeit, die sich oft wild gebart.
Dich machte Deine edle Sitte wert,
Dich den erlauchten Geistern zu gesellen,
Die Hellas und Paris mit Glanz erhellen,
Ach, und Dein Herz: Dich unter die zu stellen,
Von deren Freundschaft uns die Lieder melden,
<85>Die kleine Schar von hochgesinnten Helden,
Die man um ihrer Treue willen ehrt.
Wüßt' ich die Leier des Horaz zu schlagen,
Fürwahr, das Echo sollte vom Parnaß
Hier dieses Herzens Sehnsucht mit mir klagen,
Das Dir verbunden bleibt ohn' Unterlaß;
Mehr denn Achates warst Du, würd' ich sagen,
Mehr denn ein Pylades, Pirithous;85-1
So in der Liebe feurigstem Erguß
Unsterblich werden sollte im Gesang,
Was Dich geziert Dein Leben lang.
Ich darf die Sonne sehn, und Du nicht mehr!
So ist's denn wahr, ach, nur zu wahr, daß er,
Der Unerbittliche, ohn' Unterschied
Das Schönste in das Nichts herunterzieht.
Ob Wert, ob Unwert! . Ehre oder Schande!
Wer fragt danach noch am Cocntusstrande:
Was hat Achill, was Hektor dem Thersites
Voraus? Auch ich geh schleunigen Schrittes
Der Heimstatt zu, der dunklen; Tage, Stunden
Sind, wie sie kamen, mir im Flug entschwunden.
Halb schon durchmessen ist die Lebensbahn,
Und nah und näher rückt das Ziel heran.
Geduld! Nicht lang mehr währt's, so grüß' ich Dich
Im dunklen Schattenreich, um inniglich
Mit Dir in düstrer Friedensfreistatt dort
Die Freundschaft zu erneun und fort und fort
Dir liebend nah zu sein.
Indeß solang' in dieser Welt
Das Schicksal mich gefesselt hält,
Bleibt mir Dein Bildnis unvergessen.
So lang gibt's auch kein Glück, das je
Mir lindern mag mein brennend Weh.
Laß unter Deinen Grabzypressen
Mein Haupt mich senken; ungemessen
Laß meine Schmerzenswollust sein!
Dort will ich heiße Herzenstränen
<86>Und Seufzer Dir aus nie gestilltem Sehnen
Und tiefempfundne Lieder weihn,
Mit Myrten dann und Blumen — sieh, es glänzen
Noch meine Tränen drauf — Dein Grab bekränzen.
Und doch, glückselig preis' ich den,
Der heitrer Stirn mit Seelenadel
Dem Tode kann entgegen sehn,
Ein Ritter ohne Furcht und Tadel.
28. An Voltaire
(24. April 1747)
Du gabst dem Tod so frohe Mienen,
In Anmut strahlte Hades gar,
Daß sie uns beide reizvoll schienen,
Und diesem Truggebild zu dienen
Mein Geist bereits erbötig war.87-1
Doch aus dem dunklen Schattenland,
Wo ungezählten Totenheeren
Gebeut des Hades harte Hand,
Von Phlegethons lichtlosem Strand
Sah ich noch niemand wiederkehren.
Dort mögen kaum so fein und zart
Die schönen Geister sich betragen;
Auch ist die Reise solcher Art,
Daß uns nach Sharons Nachenfahrt
Schwerlich die Schritte heimwärts tragen.
Die Einbildung mag ungestört
Sich jener andern Welt erfreuen.
Ihr sei es künftig unverwehrt,
Stets ihre Bilder zu erneuen.
Sie braucht sich nimmermehr zu scheuen,
Wenn sie, zu locken und zu dräuen,
Dies Land des Wahnes uns beschert.
Mag dort des frommen Eifrers Geist
Aufs neue seine Hoffnung bauen,
<88>Mag dort der Fieberkranke schauen
Die ewige Heimat, die er preist,
Wenn Labsal ihm der Trank verheißt,
Um so, getröstet und gestillt,
Nach heiliger Ölung, fromm und mild,
Wie im Triumphe zu dem Schweigen
Des Totenreichs hinabzusteigen.
Mag er! Doch mich, den dieser Wahn
Der Theologen nie umfangen,
Ich liebe statt des Glaubens Bangen
Des Lebens klare, frische Bahn
Und unsres Tages Lust und Freuden.
Mag sich der Starrkopf denn bescheiden
Mit jener dort verhießnen Lust;
Mag er in der erstorbnen Brust
Sich weiter an der Wonne weiden,
Die nur der Ewigkeit bewußt!
Sie bleibt dem traurigen Gezücht,
Des Malebranche88-1 ergebnen Scharen!
Bei all dem Tiefsinn, der aus ihnen spricht,
Ist die Vernunft mit ihrem Licht
In alle Winde aufgefahren,
Bis daß ein neuer Astolf kommt
Und wiederbringt, was ihnen frommt,88-2
Was ihrem armen Hirn gebricht!
Ich aber lache solcher Narren,
Statt schwach in Bängnis zu verharren;
Froh tu' ich, was die Lust mich heißt.
Und überkommt mich dann der Geist,
Dort an der Musen Hellem Quell,
Schöpf' ich aus ihm noch gern und schnell.
Doch fühl' ich schon der Jahre Hand
Mir Runzeln auf die Stirne malen.
Bald wert/ ich den Tribut bezahlen
Dem Alter, das mich übermannt.
<89>Lebt wohl, ihr ausgelaßnen Stunden,
Du nimmermüde Phantasie,
Du Witz, so keck und ungebunden,
Den blendend mir die Jugend lieh!
Der Zauber ist nun längst verflogen;
Man sagt, die Weisheit kommt gezogen
Und formt aus Platos Angesicht
Des Cato eisia-strenge Mienen.
Nun kann ich ihr nicht länger dienen,
Der Lust, die Vers an Verse sticht.
Apollos Hof sei nun gemieden,
Ihr Stätten, wo in süßem Frieden
Der Geist dem Purpur sich verband.
Geachtet aus des Pindus Land,
Flieht meine Muse gottverlassen.
Bald lenk' ich selbst auf öde Straßen
Den Lauf, der einst so siegbereit.
Doch will ich gern mit vollen Händen
Euch, die ihr dort noch tätig seid,
Im Zuschaun reichen Beifall spenden.
29. An Fräulein von Schwerin zu ihrer Vermählung mit dem Schultheiß Lentulus90-1
(Januar 1748)
Empfahn Sie dieses Käses Gabe,
Womit, als ihrer besten Habe,
Die dreizehn Bünde Sie beschenken.
Fürwahr, wir sind nicht schnell im Denken;
Doch ob auch unsre Seele träumt,
Die Liebe weckt sie ungesäumt.
O, wir auch können sie empfinden;
Auch wir lobpreisen Lieb' und Kuß,
Den Tag, da Sie durch Lentulus
Zur Schweizerin gemacht sich finden.
Schweizerin ist ein Ehrentitel,
Der mehr als Hoheit, Exzellenz,
Äbtissin (und so weiter) ehrt.
So mancher schiene wohl kein Mittel,
Ihn sich zu sichern, zu verkehrt —
Denn junge Schweizer in ihrem Lenz
Sind mehr als alte Prinzen wert.
Doch hüten Sie sich Ihrerseits,
Zu altern hier, in unsrer Schweiz;
Und da Sie in dies Ländchen kommen,
So machen wir zu Ihrem Frommen
Mit den Gesetzen Sie bekannt.
Sei Ihnen kund, daß wir die Schönen,
Sie, deren himmlisch holder Reiz
<91>So Hirt wie König übermannt,
Mit Privilegien verwöhnen,
Weil wir gefällig und galant.
So derb und schwer auch unser Wesen,
Man findet, traun, in keinem Land
Vom Franzmann bis zum Irokesen,
Ein Volk, so treu im Ehestand
Wie uns, das soviel Zärtlichkeit
(Nur Ziererei wird streng verbannt)
Den jungen Ehehälften weiht.
Doch wenn Geliebte oder Frauen
Sich fühlen von des Alters Klauen
Zu ihrem Ach und Weh gepackt,
Dann freilich schelten wir voll Grauen
Die Ärmsten wüst und abgeschmackt.
Ein rotumrändert Augenpaar,
Vergilbte Haut, verwelkter Hals,
Wackelnde Zähne, graues Haar,
Ein zitternd Knie, ein Rücken krumm
Sind Ware, die wohl keinesfalls
Liebhaber findet, das ist klar,
Im ganzen Schweizer Publikum.
Und hätten so viel Reize Sie,
Daß Venus müßte drob erbleichen
Und Menelaos' Schatz desgleichen,
Ja, unsre liebe Frau Marie: —
Beginnt die Jugend zu entweichen,
Entweicht auch unsre Sympathie.
Noch mehr, die hohe Polizei
Nebst löblicher Justiz, die zwei,
Sie heften sich an Ihre Sohlen,
Eröffnen Ihnen unverhohlen,
Daß es nur Gift und Galle sei,
Was Ihnen Reiz und Jugend stahl.
Ja, die profunde Geistergilde
Der Schweiz in Physik und Moral:
Was lehrt sie? Bosheit, Bosheit bilde
Der Frauen Hauptcharaktermal.
Wie könnten sie, die Jungen, Zarten,
Zu alten Hexen sonst entarten?
<92>Noch mehr, was gilt's, verwundert Sie:
Man trifft bei uns den Typus nie
Der lächerlichen Schwätzerinnen;
Denn wenn ein Weib, das jung zuvor,
Die Jugend eines Tags verlor,
Verbrennt es ohne viel Besinnen
Der Richter mitleidloser Chor.
Denn wer als Hexe erst erkannt,
Die wird verbrannt, die wird verbrannt —
Bis eines Tags Ihr Himmelsreiz
Besiegen wird die strenge Schweiz
Und in der Schatten dunkles Reich
Die letzte Hexe und zugleich
Den Herenaberglauben bannt.
Ja, unsre Schweiz, durch Sie verschönt,
Wird sich von ihrem Irrtum kehren;
Als Ketzer siehn fortan verpönt,
Die jenen Wahn noch fürder lehren.
Sie stimmt aus vollem Herzen bei:
Es gibt nur eine Hexerei,
Und sie besieht zu Fug und Recht —
Sie, der mit Strahlenaugen frönt
Das ewig siegreiche Geschlecht.
30. An Darget93-1
(Mai 1749)
Ihr endesunterzeichneter Gebieter,
Wortplundersammler, Versezüchter, Reimausbrüter,
Läßt Ihnen kaum zum Atemholen Zeit,
Und seine ewig trächt'ge Leier
Legt in das Nest (ein Folioband ist breit!)
Mit immer neuem Gackern neue Eier!...
Nein wirklich: dieses sei das letzte,
Das ich als Abschluß zu dem Bande setzte!
Verzeihen Sie's: ein jeder Dichter ist,
Wenn er nur glaubt, daß es kein andrer merke,
Ja selbst, wenn er's versteckt mit aller List,
Doch ganz vernarrt in seine eignen Werke!
Und jedes Iammerverschen, kaum geraten
In dürrer Stirn, begrüßt er mit hallo
Und brennt vor Eitelkeit so lichterloh,
Als wär' es über Alexanders Taten!
Hier also, wie gesagt, das Schlußgericht
Von dem Menu, in dem sich süße, saure
Und hundert andre Schüsseln drängen dicht —
Und dessen Koch zu sein ich frank und frei bedaure!
31. Epigramm
Vom Großherrn feierlich geschickt, erschien
Ein türkischer Gesandter jüngst in Wien.
Als Ehrengaben hat er dort verehrt —
Nur Irrtum war's, so will es das Gemunkel —
Der Kaiserin ein Schwert,
Dem Kaiser eine Kunkel.
32. Reime wider einen Arzt, der einen armen Gichtkranken durch eine Schwitzkur umzubringen gedachte94-1
(Juni 1749)
Nein, jetzt widerruf' ich alles,
Was mein Spott gesündigt hat: Nah und fern, in Dorf und Stadt — „Ehre der Arzneikunst!“ schall' es! Groß, ja groß ist Hippokrat! Denkt, was seine Allmacht kann, Wahrlich, es ist ein Mirakel: Dieser Leib hier, er zerrann, Neue Formen nimmt er an, Fließt, o grausiges Spektakel, Wie ein Bächlein mir hindann! Seht, schon werd' ich eine Quelle, Und ich sickre und ich rinne, Bis ich mir im Tal gewinne Meinen Strom so klar und helle. Ja, hinein! Für immer sollen Meine Wellen mit den seinen Sich vereinen, Selig mit ihm weiterrollen. Mag's durch Wiesenlande sein, Oder auch durch Himmelsstriche So wie Libyens fürchterliche, Glutendürre Wüstenein — Meint ihr, daß ich von ihm wiche? Ob er niederwärts von steilen<95> Bergen schäumt in Donnerfällen, Oder seine raschen Wellen Zu des Weltmeers Schoße eilen; Oder ob ein Fürst sich endlich Schlau den Wanderburschen einfängt Und mit Künsten gar umständlich Seiner Wasser Triebkraft einzwängt, Daß er mannigfach verzweigt, Als ein lust'ger Springquell steigt — Mir soll's gleich sein — immerhin Segn' ich meines Schicksals Gunst: Meiner Wandlung Hochgewinn Bleibt, daß ich jetzt sicher bin Vor der Ärzte Kunst!
<96>33. Epistel über die Falschheit
(Februar 1750)96-1
Verflucht sei jener erste Schuldbefleckte,
Der vormals arge Ränke spielen ließ,
Der in den Staub die hehre Wahrheit stieß
Und Falschheit mit der Tugend Firnis deckte!
Den Sonnenstrahl, das helle Licht
Ertrug sein blinzelnd Auge nicht;
Sein schlimmes Werk, im Schutz der Nacht,
Lichtscheu und heimlich ward's vollbracht.
Die Welt nahm sich den Frevler zum Exempel
Und ließ die Wahrheit ohne Kult und Tempel.
Seitdem war bei den Menschen nichts mehr echt:
Die Tugend ward dem Lasier preisgegeben;
Der Lump verlangte Achtung wie ein Recht
Und ließ zum „Höhren Geist“ sich frech erheben.
Freundschaft ward selten; Doppelzüngigkeit
Trug das Gewand treuherz'ger Biederkeit.
In dieser Maske, schwer erkenntlich, barg
Sich wie ein Freund der Schurke, der Verräter.
Und so nasführt die Welt ein Übeltäter
Und meint, sie hätte seines Trugs kein Arg.
Mit Abgefeimtheit, wähnt er, werd's ihm glücken,
Und sicher fühlt er sich durch seine Tücken...
Weh dem, der einem falschen Freunde traut!
Ein grimmer Leu steckt in der Lammeshaut;
<97>Er wechselt gleichwie Proteus die Gestalt,
Schillert in hundert Farben mannigfalt:
Woran erkennst du, wie er dir gesinnt,
Ob er dich liebt, ob haßt und Ränke spinnt?
Leicht läßt sich in der Tiere Mienen lesen,
Ob sie uns freund, ob feindlich und verstellt.
Das sanfte Lamm grast blökend auf dem Feld,
Der Löwe brüllt und zeigt ein stolzes Wesen,
Der wilde Eber schäumt vor Wut,
Der Hase läuft davon in blinder Scheu;
Falsch, tückisch blickt der Tiger, lechzt nach Blut,
Der Hund liebkost den Herrn und ist ihm treu.
Doch uns, geformt von gleicher Schöpferhand,
Uns merkt man weder Tugend an noch Fehle;
Im Engelsleib wohnt eine Teufelsseele:
Der Augenschein narrt ewig den Verstand.
In diesem grausen Zweifel: was ist echt?
Mißtraust du wohl dem ganzen Staubgeschlecht.
Ein finstrer Menschenfeind — nicht ohne Grund —
Fliehst du Gesellschaft, fluchst auf deinesgleichen;
Der Boden scheint bei jedem Schritt zu weichen,
Dich dünkt die Welt ein zweiter Höllenschlund;
Und lebtest du auch bei den Kannibalen,
Nicht schlimmer könntest du dein Loos dir malen.
Ja, die Gesellschaft ist dem Sturz geweiht
Und alles wankt, gebricht's an Redlichkeit.
So wie am Spieltisch schändliche Gesellen
Mit Gaunerkniffen ihre Börse schwellen,
Wär' auch bei uns stets Ebbe oder Flut:
Bald prellten wir, bald würden wir geprellt,
Und brächten wechselnd uns um Hab und Gut.
Du Tor, der viel auf seine Falschheit hält.
Du schmeichelst deinem Lasier, ziehst es groß!
Erschrick! Du sagst dich von der Weisheit los
Und endest noch als ausgemachter Schächer!
Des Bösen Grenzen sind gar leicht verwischt;
Ins Ränkespiel ist schon Verrat gemischt.
<98>In diesem Labyrinth, wo immer schwächer
Vernunft dir leuchtet und zuletzt verlischt,
Verirrst du dich und endest als Verbrecher!
So löst vom Berghaupt sich im Sonnenstrahl
Ein wenig Schnee und rollt hinab ins Tal;
Doch wie es rollt, so wächst es dichtgeballt,
Und die Lawine stürzt mit Allgewalt.
So zeugt das erste Unrecht rasch das zweite
Und reißt uns stürmisch weiter, schwer und schwerer;
Unsre Verderbtheit drängt hinaus ins Weite,
Der Schüler des Verbrechens wird zum Lehrer,
Und überall das Lasier übend, enden
Wir abgrundtief, umstarrt von Felsenwänden!
Jedoch in dieser bösen Welt — so lehrt
Uns Machiavell — ist Tugend ganz verkehrt.
Umringt von Schurken, tut uns Arglist not;
Betrug verdient, wer mit Betrug uns droht.
Doch der beschönigt nur sein arges Herze,
Und was ihm Unschuld, mir ist's Höllenschwärze.
Er bildete sein schändliches Idol
An Borgia,98-1 an Cartouche98-2 und Mohammed.98-3
Gewunden spricht er, trügerisch-beredt,
Zeigt sich als Frömmler bald und bald frivol.
Und Heuchlermienen weiß er aufzusetzen,
Um dreist den blöden Pöbel zu verhetzen.
Wohlweislich bettet seine Schurkenhand
In Blumenzier die Schlingen, die er spannt.
Doch ist des Schelmes Glück nicht von Bestand!
Mit ränkevollem und verlognem Sinn
Strebt er versteckt zu jedem Ziele hin;
Allein der Zauber ist gar bald verblaßt:
Die Gaunerkniffe treten rasch zutage,
Die Augen gehen auf mit einem Schlage:
Mag er denn dunkel, seinem Volt verhaßt,
Ein Aussatz von Florenz, im Staube kriechen
<99>Und bettelarm, verfemt zu Tode siechen —
Bis diese Schlange, die das Licht erschreckt,
Im Schlamm verkommt, mit eklem Kot bedeckt!
Doch ihr, die ihr der Welt Gesetze gebt,
Die eure Macht zur Götterhöhe hebt —
Wie duldet ihr's, daß euer hoher Rat
Zur Freistatt wird für Treubruch und Verrat?
O Zeiten, Sitten! Frevler auf dem Throne!
So dankt dem Himmel ihr für Glanz und Krone?
Die Ehre müßte, aus der Welt verstoßen,
In euren Herzen noch ein Obdach finden,
Die Wahrheit heimisch sein bei allen Großen
Und jede Himmelstugend sie umwindend99-1
Die guten Fürsten sind der Gottheit Spiegel,
Doch Falschheit drückt auf Königsstirn ihr Siegel,
Bricht aus der Krone ihren hellsten Stein:
Dämonen freveln, Götter bleiben rein!
Entschließt euch denn: wollt ihr die Welt bedrücken,
Wollt ihr durch eure Güte sie entzücken?
Ein Drittes gibt es nicht! Mit halber Kraft
Erwies kein Fürst sich noch als tugendhaft!
Luchsäugig schaut ein ganzes Volk euch zu,
Und mächtig wirkt das Vorbild, das ihr gebt.
Die leichtverführte Menge tritt im Nu
In eure Spur, wenn ihr in Lastern lebt —
Allein was sag' ich? Wohin schweif' ich? Kronen
Und Herrscherpurpur laßt uns hier verschonen!
Die Tugend strahlt in tausend Farben hell ...
Seht jenen Kurfürst, unsres Ruhmes Quell,
So groß im Frieden wie im Schoß der Siege!
Als starker Feind bewies er sich im Kriege,
Doch zeigt' er auch an Edelmut sich groß.
Als sich ein Meuchelmörder, ein Franzos,99-2
Erbot, Turenne, den Feldherrn, umzubringen,
Fiel Friedrich Wilhelm nicht in seine Schlingen:
Mit Graus erfüllt' ihn dieser Schurkenplan;
<100>Den Anschlag zeigt' er selbst dem Gegner an.
„Zu siegen weiß ich,“ lautete sein Spruch,
„Doch nicht versteh' ich mich auf Treuebruch!“
Wahrhaft'ger Sinn schämt sich der Gaunerkniffe;
In seinen Worten spiegelt sich die Seele.
Doch trachtet er, wie sich mit feinem Schlisse,
Mit Reiz und Anmut Redlichkeit vermähle.
Sagt drum nicht fürder, ihr verworfnen Geister,
Die in der Hölle finden ihre Meister,
Die Lebenskunsi sei Falschheit, schlaue Lüge,
Die Wahrheit aber sei der Welt zuwider,
Ein alter Kauz mit struppigem Gefieder,
Dem bald sein letztes Stündlein schlüge!
34. An Voltaire101-1
(26. Juni 1750)
Ihr Renner vor der Post, ihr steifen,
Ihr Schinder, heut gilt's auszugreifen!
Zu Rossen, die im Liebe leben,
Verwandl' ich eure Niedrigkeit;
Ein Schwingenpaar soll euch erheben,
Das gern der Pegasus euch leiht.
Euch ward das Amt heut übertragen
Der edlen Rosse, die den Wagen
Des Gottes aller Künste ziehn,
Und seltne Würde euch verliehn.
Apollos Bruder, einen Gott,
Dürft ihr Gebenedeiten
Nach Potsdam von Versailles geleiten,
Trabt zu, ihr Rößlein, frisch und flott!
Hei, Rabikan! Hei Parangon!101-2
Wie würden die vor Neide schäumen,
Sähn sie, wie ihr vom Helikon
Mit kecken Sprüngen, stolzem Bäumen
Den Gott der Kunst, der Geisteskraft
So fiott in unsre Heimat schafft!
Ruhmvoll Geschick, das eurer harrt!
Der Gott, gerührt, er macht euch gnädig
Der Stränge und der Deichsel ledig,
Daran ihr jahrelang gekarrt,
Euch vor der Menschheit Blicken
Als Sternbild zu entrücken
Zum Himmelszelt empor.
Wenn dann in böser Stunde
Der Astronom mit seinem Rohr
Absucht die nächt'ge Runde
Und er auf einmal euch erblickt,
Denkt er mit offnem Munde:
Das Fernrohr ist verrückt!
35. An Voltaire
(8. September 1751)
Ein Fünklein war es, das entglimmt;
Ein heilig Feuer schien's dem jungen Toren;
Er hielt sich selber hochgestimmt
Für einen Dichter auserkoren.
Der Dichtkunst sklavisch Untertan,
Hab' ruhelos ich Reim um Reim gepaart.
Als ich erwacht aus meinem Wahn,
Erkannt' ich, daß ein Irrlicht mich genarrt.
Streng hat mich die Vernunft nun aufgeklärt;
Ihr Blick, durchdringend, klar und hehr,
Hat von dem Wahn und Dünkel mich bekehrt.
So laß ich denn dem strahlenden Voltaire
Apollos Reich, das Zepter des Homer.
Kein andrer Wunsch ist mir zu eigen,
Als ihm zu lauschen und zu schweigen.
36. Epigramm gegen Voltaire103-1
(1753)
Keiner, dem die Musen mehr,
All die Schwestern neun, gewogen,
Keiner, der unwürd'ger war:
Endlich wurde dem Voltaire
Seine Maske abgezogen!
Sein Paris verabscheut ihn,
Rom hat ihn verflucht, gebannt;
Schmählich hat man ihn verbrannt
In Berlin.
Wenn es, um in beiden Welten
Als ein großer Mann zu gelten,
Schon genügt,
Daß man sich als Schuft erweist,
Als ein Mensch, der schamlos dreist
Lügt und trügt —
Nun, dann ist er auf derselben Höh'
Wie Madame de Brinvilliers.104-1
37. Zu d'Argens' Geburtstag104-2
(1754)
An diesem großen Tag Johann Baptist
Geboren ward, der nicht der Täufer ist,
Der Pred'ger nicht, den es zur Wüste trieb —
Nein, Marquis d'Argens ist's, der Großes schrieb.
Die Einsamkeit nicht sucht' er; seine Statte
Wählt' er als weiser Mann im Federbette.104-3
Die Trägheit ließ ihn alle Arbeit fiiehn,
Und sanft und weich umfangt der Schlummer ihn.
Bei Philippsburg stritt er gar ritterlich,104-4
Dann lieh er eines Juden Maske104-5 sich,
Um arg die Toren, Frömmler durchzuhecheln.
O möge stets der Schlaf sein Haupt umfächeln
Und ohne daß ihn Honig, Heuschreck nähren,
Sein Leben bis ins höchste Alter währen.
Von seinem ergebenen und gehorsamen Diener, seinem Hofpoeten
Friderich.
38. Epistel an das Bett des Marquis d'Argens105-1
(7. Februar 1754)
O du, geschaffen süßer Rast zum Lohn,
Gerät, umschattet von des Morpheus Mohn,
Dem holden Schlaf als Helfer treu ergeben,
Dem herben Leid zur Sänftigung beschert,
Laß durch mein Lied ein Weilchen dich beleben
Und fühl', 0 Bette, deinen ganzen Wert.
Die Einsicht hat bis heut sich dir verschleiert,
Welch hehrem Geist dein Pfühl den Rücken deckt;
's ist d'Argens, der die Dunkelmänner schreckt,
Den ganz Paris als großen Isaak feiert,105-2
Der Vorurteil und Dummheit niederstreckt.
Sein fruchtbar Hirn ersinnt auf deinem Kissen
Gar manchen Plan, läßt reifen manchen Band,
Der bald darauf der ganzen Welt bekannt,
Weil die Verleger ihn zu schätzen wissen.
Doch, liebes Bett, was dir dein Glück beschied,
Wie könnte das dein stumpfer Sinn ermessen!
Denn niemals für Corinna war Ovid
Von solcher heißen Liebesglut besessen,
Nie von so wilder Leidenschaft durchdrungen,
Wie dein Marquis für deine Reize zeigt.
So oft er von dir scheidet schmerzbezwungen,
Umsonst, daß seine Qual er uns verschweigt:
Kein Liebender, der jemals treuer war!
<106>Weit eher hätt' im Drang verwegner Taten
Nisus den Freund Eurnalus106-1 verraten,
Sich Orpheus drein gefügt, auf immerdar
Eurydice vereinsamt zu vermissen,
Hätte Penelope, fern von Ulyssen
Sein herrenloses Reich mit ihrer Hand
Verschleudert an den ersten besten Fant,
Als daß dein unvergleichlicher Marquis,
Ein zweiter Seladon, ein treuer Schäfer,
Wenn Dämmerung zur Ruhe lockt die Schläfer,
Nur eine halbe Nacht sich dir entzieh'.
Für deine Federn, draus der Moder haucht,
Für deine schmierig abgeschabten Tücher,
Den Vorhang, löcherig und angeraucht,
Die Kissen, deren Überzug verbraucht,
Verließe sicherlich dein Herr die Bücher,
Die Freunde, die Verwandten, Geld und Güter,
Als deiner muffigen Matratzen Hüter.
Gibt's ein Gefühl, das dauernd sich bewahrt?
Im Rausch zu schwinden ist der Liebe Art;
Zieht irgendwo den zärtlichsten Gedanken
Die Zeit in fünfzig Jahren keine Schranken?
Ward Amor je gesehn mit grauem Bart?
O Bett, nur du — beinah möcht' ich drum zanken -
Zwangst unsern d'Argens, nicht von dir zu wanken.
Doch welch ein Wunder! Die geschwinde Fahrt
Der Zeit, bei der sonst alles geht in Scherben,
Läßt nur noch glühender ihn um dich werben:
Denn vormals hat er höchstens nur die Nacht
In deiner Modergrube zugebracht;
Doch jetzt, nachdem in dich verliebt zum Sterben
Er fähig ward zu jedem Wagestück,
Hältst du bei Nacht ihn und bei Tag zurück.
O Götter, die von je mein Herz verehrte.
Unsterblicher Apoll, des Pindus Gott,
<107>Minerva, hohe, kluge und gelehrte,
Auf, rächt die Kunst, rächt euch für seinen Spott!
Soll der Marquis, der sein Gelübd gebrochen,
Soll dieser d'Argens, fern vom heiligen Hain,
Wie in ein Mausloch in sein Bett verkrochen,
Euch und dem eignen Namen untreu sein,
Soll Mohn und Opium zu Haufen schichten,
Trophäen draus auf seines Lagers Lein
Für seinen Götzen Morpheus schnöd errichten?
Zum Kampf! Und den entfiohnen Untertanen,
Den schnöden Meutrer holt zurück zur Kunst,
Daß er, entrissen seines Bettes Dunst,
Nie mehr zu weichen wagt von euren Fahnen!
Drittes Buch
Heldenthum
<110><111>39. Epistel an meine Schwester in Bayreuth111-1
(Juli 1757)
Du meines Erdenwandels holder Stern,
O Schwester, die mir Freundin nah und fern,
Du kennst mein Leid, begreifst, was mich auch quäle,
Dein Blick beschwört den Sturm in meiner Seele!
Was tut's, wenn mich das Schicksal jagt in Not,
Was tut's, wenn eine Welt von Feinden droht!
Die Erde öffne sich, mich zu verschlingen,
Die Könige mögen ihre Waffen schwingen —
Was tut's, wenn Du mir gütig bist gesinnt!
Du sprichst ein Wort, und alles Leid zerrinnt!
Ich sah die Wolken sich zusammenballen
Und sah die Blitze auf mich niederfallen, —
Du weißt, ich sah es und blieb ruhig doch,
Als die Verschwörung111-2 heimlich mich umkroch.
Ein bös Verhängnis! Dem Gewitterbeben
War ich urplötzlich schutzlos preisgegeben.
Die Zwietracht schnellte aus dem Höllenschlund
Und ließ erzittern rings das Erdenrund.
Des Krieges Fackel schwingt das Ungeheuer,
Das hitzige England fängt als erstes Feuer.
Und ferne Zonen trifft's: hart ringen da
Europas Mächte in Amerika. 111-3
Das Meer wird aufgewühlt an allen Enden,
Und England reißt Neptun die Macht aus Händen.
<112>Der Irokese, dieser Kämpfe Preis,
Sieht in dem Fremdling giftiges Geschmeiß.
Die Zwietracht ist mit ihrem Werk zufrieden,
Mit all den Greueln, die sie schuf hienieden:
Sie lacht der Menschen, die von Blutgier toll
Ziehn durch den Ozean, der sie trennen soll!
Ihr Ziel geht weiter: daß die ganze Erde
Von ihr beherrscht, von ihr durchrüttelt werde.
Frech dringt sie auf Europas Fürsten ein:
„Wollt ihr nur Sklaven des Gesetzes sein?
„Und seid ihr von den blinden Vorurteilen —
„Gerechtigkeit und Duldung — nicht zu heilen?
„Der Gott, der herrscht, ist Mars! Macht geht vor Recht!
„Sie übe, wer von fürstlichem Geschlecht!“
Cäsarentochter! Solche Blutgedanken,
Wie bringen sie so leicht dein Herz in Schwanken!
Dich packt die Gier nach Macht! Gewissen, Pflicht,
Verträge binden nun dich länger nicht,
Und deine Leidenschaft stürzt alle Schranken.
Ha, der Germane, stolz und ungezähmt,
Ob seines Freiheitsdrangs von dir verfemt,
Soll die Rivalen mörderisch vernichten
Und auf den Trümmern dir den Thron errichten.
Gewalt'ge Mittel heischt das große Ziel,
Die höchsten Fürsten wirbst du für dein Spiel.
Schlau weißt du sie mit Ränken zu umstellen,
Mit Trug und Golde fängst du dir Gesellen,
Und jede Falschheit, jede Freveltat
Erhöhn und stärken dein Triumvirat.
Wie konntest du so rasch Europa packen!
Nun fühlt es deinen Fuß auf seinem Nacken.
Freund voller Scheu sucht sich zurückzuziehn, —
Freund ohne Treu eilt zum Verrat nach Wien.
Vom Pyrenäenhang bis zu den Steppen,
Wo Rußlands Völker Sklavenketten schleppen,
Schart alles sich um Österreich zum Kampfe,
Der mich vernichte und mein Recht zerstampfe!
<113>Und die Cäsarentochter triumphiert
Im voraus, jubelt laut und phantasiert
Von Sieg und Länderraub und kostet schon
Die süßen Früchte ihrer Illusion.
So geht's den Großen, die den Trieb nicht hemmen!
Im Glück voll Dünkel und im Unglück Memmen,
Berauschen sie sich an dem giftigen Wahn
Und folgen haltlos ihrer Schreckensbahn!
Schmähliche Selbstsucht hat die Bundesstaaten
Erbärmlich dem Triumvirat verraten, 113-1
Das, zu verbrecherischem Tun geschürzt,
Gewissenlos sich auf das Opfer stürzt.
O Tag der Schmach! Weh' den verruchten Schritten!
An Frankreich gibt Theresia preis den Briten,
Den Freund, der einzig ihr zur Seite stand,
Als der Erobrer beutegierige Hand
Die mächtige Erbschaft, die ihr ward verheißen,
Gleich nach des Vaters Tod ihr wollt' entreißen.
Der Brite nur half ihr zu Reich und Thron!
Wer Kön'gen dient, der erntet schnöden Lohn!
Und du, der mürrisch trägt des Purpurs Falten,
Vergißt du, wer das Elsaß dir erhalten?113-2
Wie sah ich doch, das Herz von Grimm geschwellt.,
Des Adlers Flügelschlag im Lilienfeld.
So Schimpf als Dank kommt leicht bei dir zum Schweigen.
Wie rühmlich, sich als Weiberknecht zu zeigen!
Der Liebsten Gnade hat dir Glanz verliehn.
Hof und Mätresse richten sich nach Wien;
Die Pompadour verkauft dich ohne Zucken,
Dein Frankreich muß sich unter Östreich ducken,
Und Kanada wird Englands Eigentum.
Doch was gilt Ludwig seines Landes Ruhm?
<114>Therese fühlt sich vom Erfolg gehoben
Und will die Fülle ihrer Macht erproben:
In ihren Ländern regt sich's sonderbar,
Östreich gebiert Soldaten, Schar auf Schar,
Und Böhmen, von des Feldzugs blutigen Spuren
Noch rot, sieht neues Kriegsvolk auf den Fluren.
Not folgt dem Schreck, der durch die Lande jagt,
Der Friede stirbt, und das Gesetz versagt.
Für Mord und Totschlag ist die Zeit geschaffen,
Das Feld liegt brach, das Volk sieht unter Waffen.
Und jener Geist, der alle Schlachten lenkt,
Er, der des Todes Sense hebt und senkt,
Der uns verderben kann und Siege bahnen,
Gab eine schwanke Stütze unsern Fahnen.
Er straft die Tapferkeit durch Überzahl:
Der Feind, den wir besiegt so manches Mal,
Besetzt die schroffen Höhn mit seinen Rotten
Und wagt es, unsrer tapfern Wehr zu spotten.
Was jemals Heldensinn und Todesmut
Vermocht hat, reizte das Soldatenblut
In meinem Heer. Nie war ein Kampf verwegner!
Der Sturm gelingt, schon weichen unsre Gegner,
Doch fehlt der Nachschub, der zu Hilfe stiegt —
Der Feind erholt sich, seine Masse siegte!114-1
Man glaubte, Preußen stürb' an dieser Wunde,
Und prophezeite schon die Todesstunde.
Die Fürsien, die bis zu dem schlimmen Streich
Dem Kampf noch müßig zusahn, wurden gleich
Von schändlicher Begehrlichkeit geblendet
Und haben rasch dem Feind sich zugewendet,
Mit ihm zu teilen unsre arme Haut.
Selbst die sich nah dem Nordpol angebaut,
Die einst um Kriegsruhm heldenhaft geworben
Doch jetzt vom käuflichen Senat verdorben:
Die Schweden sieht man schon gerüstet siehn,
Um nun bei uns auf Beute auszugehn.
<115>Noch schlimmer! Meine eigene Sippe schändet
Ihr Blut — sie gibt, ob feige, ob verblendet,
Betrogen oder bösen Sinns, wer weiß!
Widernatürlich ihren Bruder preis
Und bietet, ganz der Heuchelei verfallen,
Sich meinem ärgsten Feinde zu Vasallen. 115-1
Wer kennt des Schicksals heimliches Gebot,
Das plötzlich unser Glück verkehrt in Not!
O falsche Göttin, deinem raschen Rade
Stürmt blinder Ehrgeiz nach auf steilstem Pfade!
Entweihung wär's der Dichtkunst, buhlt' ich hier
Um deine Gunst und drängte mich zu dir.
Ich weiß, ich bin ein Mensch, muß Leid ertragen,
Und deine Abkehr läßt mich nicht verzagen.
Doch du, mein Volk, für das mein Herz erglüht,
Um dessen Glück sich meine Seele müht,
Vor deinem Elend, unverdient und traurig
Und aussichtslos, in tiefster Brust erschaur' ich.
Der Prunk des Purpurs dünkt mich schal und hohl,
Mein Herzblut gab' ich für des Volkes Wohl.
Hör' du's, mein Volk! Ich opfre frohen Mutes
Dem Vaterland den letzten Tropfen Blutes!
Dein treuer Schirmherr, will ich vorwärts gehen.
Du sollst dem Feinde trotzig widerstehen,
Ich führe dich! Und wo nicht Sieg uns werde,
So bettet mich in der verlornen Erde!
Gerüstet schon, um in die Schlacht zu ziehn,
Welch Trauerklagen hör' ich aus Berlin!
Ertragen muß ich noch den Ruf, den herben,
Grausamen: „Deine Mutter liegt im Sterben115-2
„Und ist vielleicht nun schon dahin!“ — O Tag,
Du bringst des Unheils allerschwersien Schlag.
Will alles Leid auf meinem Haupt sich häufen?
<116>Weh mir, auf den nur Qualen niederträufen —
Zu lange trag' ich dieses Lebens Pein!
Mußt' ich auch deinem Arm entzogen sein,
O Mutter, und den letzten Kuß entbehren!
Mein Herz erzittert unter heißen Zähren,
Mein Herz, das, längst von Bangigkeit erfüllt,
Vorahnte, was die Stunde rauh enthüllt.
Wohl hoffte ich, daß meinem Flehn zum Lohne
Die Parze deiner edlen Seele schone
Und meinen Lebensfaden nur durchriss' —
Es hat nicht sollen sein! O Bitternis!
So ist, erhabne Frau, dein Licht verglommen,
Du bist ins Reich der Schatten aufgenommen!
Dir danke ich mein Sein, dir dank' ich mehr:
Warst meinem Geist ein Vorbild, hoch und hehr!
Und dies bleibt unvergänglich mir gerettet.
Mir heilig sei die Gruft, drin du gebettet!
Sofern nicht alles ganz und gar versinkt
Und noch ein Seufzer zu den Toten dringt,
Sofern dir fühlbar meines Herzens Jammer,
Laß meine Tränen ein in deine Kammer
Und nimm als Gruß hin meiner Blumen Duft,
Die ich ausbreiten will auf deiner Gruft.
Was mir vom Leben bleibt, sind Schicksalstücken;
Endlose Martern werden mich bedrücken.
Die Gegenwart ist schrecklich — und was wird?
Ist mir der Herrgott denn ein gütiger Hirt?
Wär' er so gut und lieb zu seinen Kindern,
Er müßte, was sie kränlt und plagt, verhindern.
Ihr biedern Wächter eines frommen Trugs,
Mit dessen Wirrwarr euer Ansehn wuchs,
Ihr lockt die Menschenbrut, die voll Bedrängnis,
In eures Irrgangs düsteres Gefängnis.
Mir schwand der Zauber, und der Schleier fiel:
Ich seh's! Das Schicksal treibt mit uns ein Spiel.
Doch lebt ein Geist in unerforschten Sphären,
Verächtlich läßt er das Gewürm sich mehren.
<117>Gleichgültig ist's ihm, ob die Menge krönt
Den Phalaris und Sokrates verhöhnt,
Ihn rührt nicht Tugend, Laster, Kriegsbeschwerde
Und alle Schmach und Greuel dieser Erde.
So, liebste Schwester, seh' ich meiner Not
Beschluß und die Erlösung nur im Tod.
40. Über den Zufall
An meine Schwester Amalie
(September 1757)118-1
Nein! Bilde dir nicht ein, daß Menschenleid
Zu Gott heranreicht und er Huld uns gönnte.
Er sieht zu hoch in seiner Seligkeit,
Als daß ihn irgend etwas rühren könnte.
Gott hört nicht unsre Wünsche, unser Flehn,
Und wenn wir auf Altären Opfer zünden.
Kein Weihrauch wird ihm unser Fühlen künden,
Er läßt uns weder Lohn noch Strafe sehn.
Sein Blick ist auf das Große eingestellt.
Dem Erdball und der Sterne lichtem Chor,
Die ihre Bahn ziehn durch die weite Welt,
Schreibt er die ewigen Gesetze vor.
Allein, so fragst du, welche Macht denn waltet,
Die unser Los so mannigfach gestaltet?
Wenn Gott nicht unser Erdenschicksal lenkt,
Nicht Lohn und Strafe über uns verhängt
Und wägt, was uns an Lust und Leid geschieht —
Wird da der Mensch des eignen Glückes Schmied?
Ist denn der Spruch Voltaires als wahr erkannt:
„Wo Dummheit scheitert, triumphiert Verstand!“
Nicht möcht' ich, liebe Schwester, allzu grämlich
Und durch das eigne Mißgeschick beirrt,
Verleugnen, daß mitunter sehr vernehmlich
Die Klugheit unsre Mitberatrin wird.
<119>Natur, die jedem leichte Gunst gewährt,
Geizt doch mit Gaben, die von höherm Wert.
Wohl siegte am Gramkos, wie wir wissen,
Des Staatsmanns Einsicht und des Feldherrn Kunst,119-1
Cäsar gewann in Rom die Oberhand,
Weil Mut und Klugheit sich in ihm verband.
Auch Mohammed steigt aus der Zeiten Dunst
Und Wasa, gleichen Heldentums beflissen.
Doch aus Jahrtausenden, die hingegangen,
Mit all den großen Taten, die sie künden —
Wie wenig Namen konnten Ruhm erlangen,
Weil selten sich Verdienst und Glück verbünden!
Wer sieht ihn nicht, den ungeheuren Schwall
Von Namenlosen, Narren, Idioten,
Die dumm und faul, nie einen Wert geboten
Und doch zu Ansehn kamen überall,
Und die, verblendet von dem eignen Prunk,
Frech und voll Dünkel jede Huldigung
Der Unterdrückten sich gefallen lassen,
Indessen Klügre nirgends Boden fassen!
So, Schwester, ist die Welt des Zufalls Reich.
Er straft und segnet. Einem Dämon gleich
Vorsehung spielt er, und wir müssen's tragen.
Nicht soll es jene blinde Kraft besagen,
Die launisch, ohne Wahl und Plan, im trüben
Bereich des Zaubers Heidengötter üben.
Doch Zufall nennt sich das geheime Spiel,
Von Ursachen, das im Verborgnen waltet,
Nie oder doch zu spät sich uns entfaltet
Und irrführt, bis man ihm zum Opfer fiel.
Der Philosoph weiß: Aus dem Mutterschoß
Der Ursachen ringt jede Tat sich los,
Und erst, wenn das Ereignis sich vollzogen,
Wird Grund und Folge streng von ihm erwogen.
Der aufgeblasne Staatsmann glaubt, sein Licht
<120>Durchdring' der Zukunft Nacht, doch blind dem Scheine
Folgt er und stolpert über Stock und Steine
Und fällt, ein Opfer blöder Zuversicht.
Er wußte mit den wunderlichen Launen
Der Könige nichts Rechtes anzufangen,
Und kein Prophet war da, ihm zuzuraunen:
Die Fährte dort ist Würger Tod gegangen!
Mit jedem Herrscher ändert sich die Welt,
Der Erbe will nach eignem Sinne schalten,
Kein Sohn, der an des Vaters Weg sich hält!
Es folgen neue Irrungen den alten!...
Wo Neid und wo Begierde Grausiges brütet,
Wo schrankenlos der wilde Aufruhr wütet,
Dort gährt's, wie sturmgepeitschter Ozean.
Des Staates Schisslein tanzt auf schwanken Wellen,
Treibt hin und her, um schließlich zu zerschellen,
Und Tote kreisen um geborstnen Kahn.
Wie kommt's, daß einem hier die Segel schwellen,
Wo Wind den andern ins Verderben blies,
Und daß, wo einer auf die Klippen stieß,
Andre gefahrlos ihrem Hafen nahten?
Klugheit ist Kunst, das Richtige zu erraten!
Das zeigt uns die Geschichte vieler Staaten ...
Man schau', was Liebeswahn zuwege bringt:
Von einer Schar der schönsten Fraun umringt,
Läßt Ludwig, kühl selbst gegen Herzoginnen,
Sich leicht von eines Wuchrers Kind umspinnen;
Er liest sie auf aus muffigem Straßenstaube,
Die Pompadour! Sie wird in seiner Hut
Ein Amboise120-1 in der Weiberhaube
Und Frankreichs Atlas, drauf das Volkswohl ruht.
Die sonst vielleicht den Venustempel zierte,
Ist des Bourbonensohns privilegierte
Machthaberin und lenkt Europas Los.
Wer hätt' aus Vogelfiug und Sternen bloß,
Und hätte sie den Weisesien befragt,
<121>Wer hätt' den Aufstieg ihr vorhergesagt?
Sie wuchs im Dunkel auf, das nichts verhieß.
Erst eine Heirat schuf ihr Paradies.121-1
Erfahrung hat die Augen uns geschärft,
Wir sehn, wie an den Höfen Schranzentum
Sich breitmacht und der Dirnenschaft zum Ruhm
Verhilft, die alles aussaugt und entnervt.
Wir sehn, wie Heuchler Könige besiechen
Durch hinterlistige Förderung ihrer Schwächen.
Bei solchem Werk, das oft ein ganzes Reich
Zerstört, sind Sklaven und Tyrannen gleich ...
Doch mehr als bei der höfischen Intrige
Hängt man von Schicksalslaunen ab im Kriege.
Wie ernsthaft man um den Erfolg sich müht,
Der siegt nur, dem der Schlachtengott gewogen;
Wenn einem unverdienter Lorbeer blüht,
Der andre wird um sein Verdienst betrogen.
Auf dieser edlen Laufbahn läßt der Held
Vom Zufall sich nicht schrecken. Doch sein Ringen
Und Kämpfen wird den Unstern nicht bezwingen,
Auch wenn er sein Genie entgegenstellt.
Den Ausschlag gibt der unbekannte Haufen,
Auf seinem Heer beruht des Feldherrn Heil.
Dem Führer wird Schimpf oder Preis zuteil,
Wenn Feige oder Tapfere für ihn raufen.
Niemals nach den Erfolgen sollte man
Den Feldherrn werten, sondern nach dem Ziele
Und nach dem Geist, mit dem im Zufallsspiele
Des Kampfes er auf jeden Vorteil sann.
Man schaue sich darauf die Kämpen an!
Als Prinz Eugen, der sieggewohnte Held
Vor Belgrad lag,121-2 dacht' er, von Mut geschwellt,
Mit Leichtigkeit das Bollwerk zu erstürmen,
Die Türken fortzuwehn von Wall und Türmen.
<122>Plötzlich fällt der Wesir ihm in den Rücken,
Das Heer der Christen sieht sich eingepreßt,
Die Donau wehrt den Rückzug. Zu den Tücken
Der Hungersnot gesellt sich rasch die Pest.
Verzweiflung rings! Und Prinz Eugen erkennt,
Daß seinem Tun ein zorniges Schicksal fluche.
Mit einem letzten mutigen Versuche
Wägt er, ob Tod ihm oder Sieg vergönnt.
Er stürzt sich auf den Feind mit kühnem Wagen,
Bald ist das Türkenheer zerstreut, geschlagen.
Zwar wehrte lange sich mit tapfrer Hand
Der Großwesir; sein Plan schien ihm zu glücken,
Das Zünglein auf des Schicksals Wage stand —
Dann aber wandte ihm das Glück den Rücken.
So wurde ihm Erfolg und Ruhm geraubt:
Viktoria kränzte Prinz Eugen das Haupt...
So narrt der Zufall. Unberechenbar
Und launisch läßt er Toren leicht vollbringen,
Was Klugen häufig unerreichbar war.
Wem ist's vergönnt, die Zukunft zu durchdringen?
Vergeblich auch ist menschliches Beginnen,
Dem uns beschiednen Schicksal zu entrinnen.
Wie glänzte Marlborough vor allen andern!
Bei ihm hieß Kämpfen Siegen. Keine Beste
Hielt stand, wenn sie sein Eisenarm umpreßte.
Des Rheins Befreier, Sieger über Flandern,
Das geistige Haupt in Englands Parlament,
Wird er von einer Masham durch den bloßen
Haß eines Hoffräuleins, das niemand kennt,
Gestürzt, und damit werden umgestoßen
Die Pläne auch von zwanzig andern Mächten,
Die mit Britannien im Bunde fechtend.122-1
Und wie erging es jener stärksten Flotte,
Die je das Meer auf seinem Rücken trug?
<123>Gen Albion steuerte der Schisse Bug,
Und Schutz erhoffte es von keinem Gotte.
Schon sah es sich im Joch, dem Feind zum Spotte,
Da — blies ein Wind, der Mast um Mast zerschlugt!123-1
Das Jammervollste zeigt uns die Geschichte
Der unglückseligen Stuarts. Wilde Söhne
Des Pittenstammes zwangen rauh die schöne
Maria, daß sie auf den Thron verzichte.
Bei Englands Königin sucht die Arme Heil,
Gerät in Kerkersnot und unters Beil.
Und nach dem blutigen Fall besteigt der Sohn
Mariens123-2 Englands mächt'gen Thron,
Doch schnell verging auch dieser Glanz.
Mit seinen glaubensstrengen Völkern mußte
Der schwache König Karl123-3 manch schlimmen Tanz
Besiehn. Als Gegner tritt der selbstbewußte,
Tollkühne und verschlagne Cromwell123-4 auf.
Gewaltmensch! Hart ist seines Herzens Kruste,
Und kein Gewiffensdruck hemmt seinen Lauf.
Wer ihm im Weg, den richtet er zugrunde
Und ruft für jede Schandtat Gott zum Bunde
Und steigert seinen Haß zur höchsten Wut
Und taucht die Hand in seines Königs Blut.
So zeigt es sich, daß keine Erdenwürde
Und nicht erhabne Abkunft Schutz gewährt,
Wo ein Rebell das Hoheitsrecht entehrt.
Jakob der Zweite trug des Zepters Bürde
Noch kürzre Zeit. Tochter und Schwiegersohn123-5
Vertrieben diesen Schwächling rasch vom Thron.
Den Kampf des jungen Eduard sahn wir alle!
Nach halbem Siege kam er schnell zu Falle,123-6
<124>Er irrt von Land zu Land nun in Bedrängnis —
Als echten Stuart zeigt ihn sein Verhängnis.
Nach Rußland seht: wie rührt uns Iwans Los!
Er wurde unter Schicksalsschlägen groß,
Ein wollusttrunken Weib bringt über Nacht
Den armen Wicht um Thron und Herrschermacht 124-1
Und gibt ihn der sibirischen Wildnis bloß.
So wählt sich das Geschick elende Zeugen,
Verworfne Helfershelfer, uns zu beugen.
Daß ich in frühen Jahren Glück erfuhr:
Nicht mein Verdienst, ein Zufall war es nur!
Ich strebte nach dem Ruhme der Heroen
Voll Leidenschaft und jungem Überschwang.
Dem Müßiggange bin ich rasch entflohen
Zum Feld, wo man um blut'ge Lorbeern rang.
Der Erste, dem ich dort begegnen muß,
War ein gelehriger Schüler des Eugen,
Erfahren, wie nur ein Sertorius,
Dem alle Künste zur Verfügung siehn.
Eh' ich erkannt, was Neipperg mit mir plante,
Eh' ich von seinem Anmarsch etwas ahnte,
War ich von seinen Truppen schon umstellt
Und wußte nicht mal, wo der Gegner hält.
Ein Überläufer zeigt mir die Gefahr,
Zeigt Stellung, Stärke, Plan der Gegenschar,
Ich stürme los, es kommt zum Kampf, ich siege.124-2
Fortuna baute mir des Ruhmes Wiege;
Bin ich nun klug, so dank' ich's ihr zumeist.
Doch darf man dieser Wankelmütigen traun?
Bald schenkt sie ihre volle Gunst dem Daun,124-3
Und ich mit meiner Fahne steh' verwaist.
Um recht brutal mich zu verhöhnen, stellt mir
Die Ungetreue bis ins Alter nach,
Wirft mich auf Klippen, droht mir Sturz und Schmach,
Zermürbt mich! Feder, ach! und Schwert entfällt mir!...
<125>Der Feind bleibt immer rührig, und er trägt
Mit finstern Plänen sich, uns anzufallen.
Nun heißt's: Kampf oder Schmach! Die Stunde schlägt!
Nun braucht's des Helden, dessen Vorbild allen,
Vom ersten bis zum letzten, Mut gewährt.
So streckt am Euphratsirom der Palmenbaum
Die Krone trotzig in den freien Raum,
Wenn Sturmgewitter durch die Lande fährt
Und in der Flut, die jach emporgestiegen,
Das Rohr zerbricht und sich die Binsen biegen ...
41. Epistel an d'Argens
(23. September 1757)
Mein Freund, mit mir ist's aus, der Würfel fiel;
Zum Sterben müde steh' ich schon am Ziel:
Genug der Wunden, die das Schicksal schlug,
Genug der Leideslasten, die ich trug;
Mutter Natur hat wohl noch manche Tage
Mir zugedacht, Tage voll Not und Plage.
Sie meint's zu gut! — Ich aber mag nicht mehr!
Im Herzen Stille, schreit' ich freudig zu,
Mit festem Blick, dem Ziel der großen Ruh,
Der Friedensfreistatt, wo ich sicher war'.
Mich kostet's nicht ein Seufzen, nicht ein Beben,
Der Parze, die da spinnt mein leidig Leben,
Den Faden zwischen ihren Händen beiden,
Eh' meine Spindel leer ward, zu durchschneiden.
Atropos nickt. Hinab, der Ferge harrt:
In seinem Nachen sind sie alle gleich,
Der Fürst, der Hirte, keiner höherer Art.
Auf tut sich mir des ewigen Friedens Reich.
Fahrt hin, fahrt hin, Truglorbeer, Heldenkränze!
Fürwahr, das heißt zu hohen Preis bezahlen,
Damit dein Name noch der Nachwelt glänze:
Vielleicht auf einen Augenblick bewundert
Für vierzig Jahr der Mühsal und der Qualen,
Nährst du der Gegner und der Hasser hundert!
Wahnträume ihr der Größe, fahret hin!
Ihr Lichtgebilde, kaum erglüht,
Und schon erloschen und versprüht,
Ihr blendet mmmer mir den Sinn.
Den Werdenden im Lebensmorgenlicht
Hat euer falscher Glanz betört;
<127>Da blühten Wünsche auf, töricht, vermessen —
Der Wahrheit Schüler hat sie längst vergessen,
Erkenntnisreife machte sie zunicht,
Zeno hat Wert und Unwert mich gelehrt,
Und längst hab' ich's gelernt, mich zu bescheiden,
Den Giftpokal der Eitelkeit zu meiden.
Auch ihr, der Liebe Seligkeiten,
Fahrt hin, fahrt hin!
Die ihr umschmeicheltet zuzeiten
Den zärtlichen, verwöhnten Sinn;
Du Reigen süßer Huldgestalten,
Der Blumenketten um mich wand,
Solang ich selbst im Lenze stand,
Allzeit in Lust zu mir gehalten —
Doch ach, gar bald mein Blühen schwand!
Das leidige Alter stellt sich ein,
Hinfällig, frostig, unerquicklich:
Und von mir gingt ihr augenblicklich.
Nun, Amor wird nicht allzu böse sein:
Neun Lustren gingen hin, mein Herbst ist nah,
Wie leicht sagt sich's Valet der Liebe da;
Weiß ich doch selber kaum, wer von uns beiden
Es eil'ger hatt', vom anderen zu scheiden.
Doch still, wohin
Schweift noch dein Sinn!
Was gilt mir alle Lust der Welt,
Zum Tode traurig, wie ich bin?
Wer mag, wenn ihn in grimmen Fängen
Ein Geier hält,
Nach Philomeles Liebe fragen
Und ihren zärtlichen Gesängen,
Der Turteltaube Girrn und Klagen?
Wie lange schon in diesen trüben Tagen
Bringt jedes Morgenlicht mir neue Plagen,
Wie lang rann mir lein Körnlein Mohnes nieder
Aus Morpheus' karger Hand auf meine Lider.
Den Morgen fragt mein Auge tränenschwer:
<128>Was kündet mir in seiner Wiederkehr
Der junge Tagesschein als neue Not?
Ich sprach zur Nacht: dein endlos Dunkel droht,
Ins Endlose mein schlaflos Weh zu dehnen.
Ich ward es müde, ewig nur zu schaun
In diese Nacht von Mißgeschick und Graun
Und immer nur dem Hasseswüten
Verworfener die Brust zu bieten,
Den Streichen ihrer Niedertracht.
Ich hoffte auf die Segensmacht
Der Zeit, die säumig zwar und sacht,
Ein freundlicheres Schicksal bringt;
Dann weicht die Wetterwolkennacht,
Der Sturm erschweigt,
Und strahlend steigt
Das Licht, das alles Grau durchdringt,
An unsrem Lebenstag hinan.
Dann ist die Erde wieder hold
Und liegt in lautrem Sonnengold,
Und bessre Tage brechen an!
Wahn, mein geduldig Hoffen! Wahn!
Ins Ungemeßne steigen, türmen
Die Sorgen sich, es brüllt das Meer,
Und unter wilden Donnerstürmen
Blitzt das Verderben auf mich her.
Umstarrt von Klippen allerwärts,
Ein Wrack das Schiff, von Not und Tod
An allen Enden nur bedroht;
Still sieht vor Graun das Seemannsherz:
Wo ist ein Hafen, der uns rette,
Wo eine letzte Zufluchtstätte?
Versiegt die Quelle, ausgeleert,
Die meines Staates Glück genährt!
Dahin die Palmen über mir,
Verwelkt all meine Lorbeerzier!
Soll ich, erschöpft und ausgegeben
An Tränen, Seufzern, und zermürbt
<129>Die Jammertage überleben,
Da mir mein Vaterland verdirbt?
Du Dienst der Pflichten, der mir heilig war,
Nun wardst du überflüssig ganz und gar!
Bin ich denn noch des Staats Verteidiger?
Mein Arm sinkt nieder, müde und geschwächt,
Mein Ruhm, mein Name bleiben ungerächt,
Es triumphieren die Beleidiger;
In Zukunft wird kein Mensch mehr davon sagen,
Wie ich die Feinde einst aufs Haupt geschlagen.
All meine Helden sind dahin,
Hin jedes Siegestags Gewinn!
Von Übermacht und Überzahl
Erdrückt, erschlagen,
Verlor ich alles — ja sogar
Die Hoffnung, die mein Letztes war:
Ich dürfte doch dereinst einmal
In bessern Tagen
All unsre Tempel wieder sehn
Aus ihren Trümmern neu erstehn.
Helden der Freiheit, die ich ehre,
Catos und Brutus' hohe Manen,
Ihr seid mir Vorbild, Trost und Lehre!
Mit eurer Todesfackeln Brand
Weist ihr mich hier die rechten Bahnen,
Heraus aus Wahn und Unverstand,
Den Weg, dem Pöbel unbekannt.
Hat jedes Römers Herz in alten Tagen
Höher als heut ein Königsherz geschlagen?
Nein, einen König gibt's, der eisern hält
An seinem guten Recht auch gegen eine Welt,
Der anders als ein freier Mann
Nicht leben oder sterben kann,
Der nach der Satzung nicht der feigen,
Vorurteilsvollen Menge fragt,
Und der's wie jene Alten wagt,
Erhabnen Römersinn zu zeigen.
Wer hoffnungslos im Staube liegt,
<130>
Sich der Tyrannenherrschaft fügt,
Der Übermacht, die endlich siegt,
Wird dem das Leben nicht
Verbrechen, Tod zur Pflicht?
Mich schreckt nicht das Phantom mit klapperndem Gebein;
Das freudige Asyl sei mir der Sarg,
Das aus des Schiffbruchs Graus und Pein
Roms größte Söhne rettend barg.
Was gehn mich alle die Legenden,
Die üpp'gen Hirngespinste an,
Die nur der Aberwitz ersann,
Die Wahn erzeugt aus seinen Lenden!
Des Menschendaseins Rätsel zu ergründen,
Werd ich mich mit den Frommen nicht verbünden!
Mein Meister Epikur hat mich belehrt,
Wie schonungslos die Allgewalt der Zeit
Die Lebenseinheit auflöst und zerstört:
Die Flamme, die uns Leben leiht,
Die unsren Leib erhält und nährt —
Sie weiß nichts von Unsterblichkeit!
Zusammen mit dem Leib entsteht sie,
Erstarkt, so wie das Kind gedeiht,
Erduldet schwerstes Erdenleid,
Dann schwelt sie trüber mit der Zeit,
Flackert, verglimmt — zuletzt vergeht sie
In jener Stunde ganz gewiß,
Da in die ew'ge Finsternis
Die ganze Lebenswelt, die uns umringt,
Vor unserm letzten Blick versinkt.
Die Zeit, in der wir das Leben verloren,
Und die, in der wir noch nicht geboren,
Sie gleichen sich. Ertrunken in Nacht
Ist, was wir erlebt und was wir gedacht.
Denn nach dem Weltgesetz, dem alten,
Ist jeder Sterbliche gehalten,
All die geheimen Kräfte, die
Natur fürs Daseinsspiel ihm lieh,
Dem Muttcrschoß zurückzugeben ...
<131>Bei dir, d'Argens, begreif' ich's immerhin,
Wenn dir dein Leben teuer ist:
Ein stiller Lebenskünstler, der du bist,
Der von Ambrosia lebt, da hat es Sinn:
Schoßkind der Künste, stets gewiegt
Von Melodien, stets umschmiegt
Von Grazienanmut, Musenhuld.
In schönem Gleichmaß fließt dein Leben,
Maßvoll und ohne Ungeduld
Ist all dein Wünschen und Bestreben;
Und so gefeit
Vor Furcht und Neid,
Vor Herzeleid und Bitternis,
In feingestimmtem Wechsel holder Freuden
Hat deine Lebensweisheit hier euch beiden,
Dir und der liebsten aller lieben Frauen,131-1
Verstanden, eine kleine Welt zu bauen,
Darinnen sich's behaglich thronen ließ,
Ein rechtes Müßiggängerparadies.
Mich reißt der Wildsirom der Begebenheiten
Hindann, wehrlos hindann.
Mit muß ich, ungefragt, ob ich noch kann,
Im Strudel ewiger Widerwärtigkeiten.
Aufs Haupt geschlagen, rings umstellt,
Unstet und flüchtig in der weiten Welt,
Verraten von der Freunde Niedertracht —
So frag' ich mich in meiner Harmesnacht:
Ob wohl Prometheus so gebüßt
In jener Welt, der all in seinem Leid
Nur ein Gebild der wunderreichen Sage ist —
Wie ich in dieser Welt und Wirklichkeit.
Nun ist's genug. Wer tief im Kerker schmachtet,
Verargst du's ihm, wenn er zum Lichte trachtet?
Zu lang des rohen Schicksals Beute schon,
Hat sich sein hoher Sinn emporgerafft,
Der Wachsamkeit der Schergen lacht er Hohn
Und bricht die Haft!
<132>So ich — das Wie, es soll mich wenig gramen!
Die Bande, die unseligen, die so fein
Und doch so zäh die freie Seele mein
An diesen leidigen Leib hier, diesen Schemen,
Zernagt von Kummer, allzu lange ketten —
Ich breche sie, zur Freiheit mich zu retten!
D'Argens, leb' wohl! Betracht' es und gestehe:
Dies Bild ist wahr, und recht ist's, daß ich gehe.
Doch denke nicht, daß aus dem großen Nichts
Des Grabes ich mich eitel sehn'.
Im Schimmer des Verklarungslichts
Neu zu erstehn.
Nur eine Bitte sei dem Freund vergönnt,
Das steht mein Lied:
Solang dir noch des Himmels Leuchte brennt,
Wann längst ich schied,
Von jedes neuen Lenzes Blütensegen
Sollst einen vollen Strauß in Treue du
Von Myrten und von Rosen niederlegen
Da, wo ich ruh'.
42. Ode an meinen Bruder Heinrich
(6. Oktober 1757)
Wie zu kühnem Wolkenfiuge
Jovis Adler sich erhebt,
Bis in immer höherm Zuge
Schwingenbreitend er entschwebt,
Sich zu ringen, sich zu schwingen
In des Raums Unendlichkeiten,
Die sich bis zur Sonne weiten,
Bis zu Götternäh zu dringen;
Oder wie durchs nächt'ge Dunkel
Ein Komet herniedergleißt,
Der des Himmels Sterngefunkel
Jählings rings erblinden heißt;
Loht der Horizont in Feuer?
Durch des Äthers Finsternis
Klafft ein schräger Flammenriß
Hinterm Sturze ungeheuer —
Also, ganz des Gottes voll,
Der mich sturmeswild begeistert,
Schwing' ich auf mich, selig-toll;
Nichts Gemeines mehr mich meistert!
Bleib da unten, Staub der Erde!
Aufwärts zu der Götter Sitzen,
Die die Wetter niederblitzen
Auf die bange Menschenherde!
Kein unheilig Menschenlallen
Ist heut meines Mundes Laut:
<134>Phöbus' Geist hat mich befallen,
Mir sein Seherwort vertraut;
Ewiges Geheimnis — heute
Will er's gnädig mir enthüllen,
Daß ich der Geschicke Willen,
Ihr Gesetz Euch künd' und deute.
Meine Preußen, seht, ihr seid es,
Die des Gottes Kunde meint,
Die ihr jedes Völkerleides
Grausam überbürdet scheint!
Schwergeprüfte, laßt euch sagen:
Ohne blutige Schicksalsstöße
Reifte noch kein Staat zur Größe!
Stolz empor denn ohne Zagen!
Rom stand oft an Abgrunds Rande,
Und kein Gott erbarmt' sich sein,
Schirmte es vor Weh und Schande;
Und in düstren Trauerreihn
Weinten schon die Senatoren
Ob des Staates Untergang;
Hannibal stand vor den Toren,
Der den Varro niederzwang!
Doch sie standen, Romas Mauern!
Kraft erwuchs in Not und Macht,
Kraft, zu hoffen, auszudauern;
Die gilt mehr denn Heeresmacht.
Da, so hohen Mut zu lohnen,
Weckte Mars gar bald hernach
Einen Rächer aller Schmach,
Ihn, den Ältren der Scipionen.
Vom verheerten Tiberstrande
Hub der Mordgeist da die Schwingen,
Zu dem schuldbefleckten Lande
All den Kriegsgreul heimzubringen;
Bis zur Wüste flohn sie hin!
So hat Scipio Rom gerettet,
<135>Lag Karthago zwanggekettet
Unterm Fuß der Siegerin.
Aus zwei Urnen streut gelassen
Mit der gleichen Geberhand
Gutes, Schlimmes gleichermaßen
Über alles Menschenland
Er, der Walter der Geschicke,
Und sein Werde ruft hervor
Stolze Zedern, rauschend Rohr,
Mildes Heilkraut, Schierlingstücke.
Dieses Wechselspiel, das bange,
Schwankend zwischen Ruhm und Not,
Lehrt uns aus der Zeiten Gange
Hundertfachen Sturz und Tod;
Menschenwünschen bleibt versagt
Glanzbeständig Glücksgedeihn,
Den Unsterblichen allein
Ewiggleiche Helle tagt.
Wohl, in diesen Iammertagen
Bebt in Kriegsnot unsre Erde,
Unsern Staat erfaßt Verzagen,
Daß er bald zerschmettert werde;
Ganz Europa sieht zusammen
In wutlechzender Verschwörung,
Ringsum Mordgraus und Zerstörung,
Haus und Scheunen stehn in Flammen.
Wohl, noch schnellt uns jene Hyder
Ihrer Flammenhäupter Graus
Neu entgegen immer wieder,
Legionen speit sie aus.
Immer trächtig, Heere heckt sie,
Will den fürchterlichen Streichen
Eures Siegerarms nicht weichen,
Immer neue Häupter reckt sie.
Wie nach unserm Fall sie dürsten!
Gras müßt' über unsern Mauern
<136>Wachsen, ging's nach jenen Fürsten,
Und wir selbst in Trübsal kauern.
Nieder, meine edlen Kämpfer,
Mit den frechen Siegstrophän,
Und zermalmt der Nattern Blähn!
Ihrer Hoffart einen Dämpfer!
Hohe Seelen, sie entfalten
Erst im Drange der Gefahr
Ihrer Mannheit Trutzgewalten,
Geisteswehrkraft wunderbar;
Dann erst wird ihr Mut geboren!
Wer von Todesnot umwittert,
Im Geheul des Sturmes zittert,
Nur der Feigling ist verloren!
Starrem Trotze gibt die Welt
Endlich doch die Wege frei!
Ist's verzweifelt denn bestellt —
So verzweifle, aber sei
Wie ein Held! 's muß alles enden,
Äußerstes lebt niemals lang;
Oft dem Leidensborn entsprang
Schon ersehntestes Vollenden!
Hört den Sturm! Mit zorn'gem Brausen
Wühlt er in der Rüster Zweigen;
Ächzend müssen seinem Zausen
Stamm und Äste da sich neigen.
Sei's darum: aus weichem Sand,
Aus Gebüsch und Unterholz,
Steigt ihr Wipfel frei und stolz,
Hält wohl auch dem Sturm noch stand!
Seht, allabendlich geschieht es:
Helios' Leuchte muß erblassen
In den Armen Amphitrites,
Und den nächt'gen Schatten lassen
Muß er seinen Weltenthron;
Doch sein Licht kehrt siegend wieder,
<137>Alle Sterne sinken nieder,
Und das Dunkel flieht davon.
So von tiefer Nacht umfangen
Seh' ich dich, mein Vaterland,
Deine Tränenblicke hangen
Schwer an deinem Leidgewand;
Starr vom eignen Wehgeschicke,
Auf die Lorbeerzier von einst
Sinkst du nieder, ach, und weinst
Und verfluchst des Zufalls Tücke.
Wohl mit dir bewein' ich innig
All das unerhörte Weh,
Wohl mit dir erschüttert bin ich,
Wie ich dich erliegen seh'
Unter grimm'gem Wetterschlage,
Doch wie Frühlichtlächeln sacht
Keimt mir's durch die Schreckensnacht,
Ahnung deiner schönren Tage!
Längst vorbei sind ja die Zeiten,
Da die Götter Wunder taten;
Doch der Mensch, von allen Seiten
In der Welt bedroht, verraten,
Hat dafür zu Lehn erhalten
Geist und Mut, gar tücht'ge Waffen,
Wunderwerk damit zu schaffen,
Selbst sein Schicksal zu gestalten.
Unser Tod — er ist ans Leben
Nur ein Zoll; wir schulden ihn!
Nur ein redlich Wiedergeben
Eines Pfundes, uns verliehn,
Unsrer Blütezeit zu dienen;
Mävius137-1 zahlt ihn wie Vergil,
Paris just so wie Achill,
Keinem blieb's geschenkt von ihnen.
<138>Dieser Tod, der Weltenschrecker,
Kann Unsterblichkeit vergeben:
Wollt ihr, Preußen, als Vollstrecker
Edler Rache euch erheben?
Eure Herdstatt schreit nach Rache!
Der Geringste der Quiriten
Hat sich Halbgottglanz erstritten
In der Treu zur heil'gen Sache!
Wie, und wär' die Welt von heute
Ohne Adel, ohne Größe?
Morsch und siech, des Alters Beute,
Stund' sie da in Bettlerblöße?
Tugendbar? — Ei sagt doch, ruht
Gebemüde die Natur?
Netzt kein Tau heut mehr die Flur,
Schläft das Meer ohn' Ebb' und Flut?
Nein! Sie schwand nicht aus der Welt,
Roms erhabne Kriegerehre:
Fragt nur, wie's bei uns bestellt,
Fragt nur nach im Preußenheere!
Preußens Siege leuchten alle,
Schwer errungen all durch hundert
Heldentaten weltbewundert,
In der Menschheit Ehrenhalle.
Bruder, hör': Der Blick der Jugend
Hängt an Deiner Hochgestalt.
Künftig tät'ger Mannestugend
Hehres Vorbild, Zier und Halt;
Hilf dem Staat in unsrem Streite,
Eh' sein Ruhmesglanz erblindet,
Eh' er ganz in Nacht verschwindet,
Bruder, siehe uns zur Seite!
Preußenvolt! So reift der Zeiten
Nie erschöpfte Segenstraft
Dir zu deinem Aufwärtsschreiten
Alles, was nur Größe schafft,
<139>Bis zum letzten Sternenblick!
Und so weissagt froh mein Sang
Deinem Staate weltenlang
Strahlenhelles Dauerglück.
Laß Verleumdung fluchen, kreischen,
Der des Neides gift'ge Schlangen
Die erboste Brust zerfleischen,
Fluchen unserm Lorbeerprangen!
Mag sie, unsre Ehr' zu schänden,
Ihre Pfeile, giftgeätzt,
In dem Höllenstrom genetzt,
Ungezählt auf uns versenden!
Trotz euch, haßerfüllte Schächer!
Meinem Werte nehmt ihr nichts:
Denn die Nachwelt wird mein Rächer,
Ruhig harr' ich des Gerichts.
Was der kleine Neid auch schmäle,
Aufwärts zur Unsterblichkeit
Findet eine große Seele,
Die sich ew'gem Ruhm geweiht.
Mir zu Häupten sah ich ragen
Eine alte Siegstrophäe,
Orpheus' Leier mußt' ich schlagen,
Daß ihr Ruf zu euch geschähe;
Meiner Kriegstrompete Klingen,
Weck' die Herzen meiner Preußen,
Kühnlich sie emporzureißen
Zu gewaltigem Vollbringen!
In des Lagers Lärmgewühle,
Drunten an der Saale Strand,139-1
Da in Haß- und Rachgefühle
Zwietracht hielt die Welt gebannt,
Da die Erde überall
Friedestiller Flockenfall,
<140>Aus dem Norden hergelrieben,
Samt den kriegerischen Schrecken
Wollt' verschleiern und verdecken -
Da geschah's, daß ich geschrieben
Was mir Phöbus anbefahl.
43. Antwort an Voltaire141-1
(9. Oktober 1757)
Glaubt mir, wenn ich heut Voltaire,
Herr des eignen Schicksals wär',
Sollte das Notwendige
Mir vollauf genügen,
Und das Glück, das unbeständige,
Könnte mir entstiegen —
Lachen würd' ich drob, wie er!
Weiß ich doch an meinem Teile,
Wie der Reiche Mißbrauch treibt
Und die öde Langeweile
Stets das Los des Großen bleibt;
Kenne auch der Pflichten Bürde,
Schmeichelreden ohne Würde.
Wohlbekannt
Ist mir all der eitle Tand,
Der uns plagt im Fürstenstand;
Nicht nach Ruhm sieht mir der Sinn,
Ob ich König auch und Dichter bin.
Läßt mich erst der Schnitt der Parzenschere
In das dunkle Schattenreich entschweben,
<142>Schiert mich da die zweifelhafte Ehre,
Im Erinnrungstempel fortzuleben?
Was sind tausend Jahr Geschichte neben
Einem sel'gen Augenblick?
Aber lächelt uns denn das Geschick?
Holde Lust und sanfter Frieden,
Frohsinn, schlicht und herzenswarm.
Hat von je der Großen Prunk gemieden:
Freigeboren, hat der holde Schwarm
Stets der süßen Trägheit sich gesellt,
Statt der Pflicht, die uns in Ketten hält.
Also schuf das flüchtige Glück bis heut
Mir noch nie den kleinsten Kummer:
Ob es lockt und ob es dräut,
Friedlich bleibt doch stets mein Schlummer,
Und ich huldige ihm nicht.
Aber jeder Stand hat seine Pflicht,
Und wir müssen an dem Amt, dem schweren.
Wenn es gilt, den ganzen Mut bewähren.
Mag Voltaire in seiner Klause,
Dort, wo Treue fromm und rein
Goldner Zeiten noch zu Hause,
Friedsam sich der Tugend weihn,
Wie es Plato uns gebot —
Ich, von Schiffbruch rings umdroht,
Trotzen muß ich dem Verderben,
Muß als König denken, leben, sterben.
44. Brief des Unmuts
(15. Oktober 1757)
„Alles, alles ist eitel hienieden,“ Hat ein alter, ruhmvoller Denker schon, Ein großer König der Juden entschieden, Der weise Salomon.
Und wahr wird's wohl sein, weil er's gesagt, So wenig diese Wahrheit behagt. Und fragt ihr mich — zwar liegt es mir fern, An Weisheit mit jenem großen Herrn Mich kühnlich zu messen — Dahinter gekommen bin ich indessen, Wohl oder übel, auch meinerseits: In der strengen Schule des Leids!
Hab' mir das Leben gar gründlich beguckt,
Süßes und Herbes tapfer geschluckt,
Mußt' mit mir Fangball spielen lassen
Vom Glück wie vom Mißgeschick gleichermaßen,
Ganz niederträchtig!
Nachgerade, dächt' ich,
Hätt' ich genug an Blonden wie Braunen,
Am liebsten möcht' ich
Glücklicheren meinen Platz mal räumen,
Die seinen lockenden Glanz noch bestaunen,
Wunder was sich dahinter träumen.
Ach sie! mit ihren Iugendgelüsten!
Wenn sie von seiner Kehrseite wüßten!
Nun steh' ich auf den Bühnengerüsien Schon viel zu viel,<144> Wo Europas tollste Begebenheiten
Die Bretter beschreiten,
Wo in tragischem Spiel
Herzlose Staatskunst sich gefällt, die Großen
Von der Höhe herunterzustoßen.
Gewiß, ich vernahm wohl ab und an
Auch schüchternen Beifall, und oft von da,
Wo ich mich des am geringsten versah,
Und das hat meinem Herzen gar wohl getan.
Doch heut umgellt mich nur schrilles Gepfeife,
Daß ich entsetzt an den Kopf mir greife.
Fort, fort denn, solang es noch Zeit dazu! Laßt mich mit diesem Theater in Ruh, Das nur der Tor, der Dummkopf preist, Mit den Akteurs und Aktricen ohne Geist — Ein verruchtes Pack zumeist!
Soll ich in meinen alten Tagen
Noch mit Wind und Wellen mich schlagen,
Jeglichem Ungefähr preisgegeben?
Soll ich ewig wieder aufs neue
Fortuna anbetteln, die ungetreue?
Ich danke für solch ein würdelos Leben:
Ständig in qualvollem Warten zu schweben!
Sagt sie wohl diesmal Ja oder Nein?
Und jedem Puffe, jedem Stoß
Liegt die wunde, bangende Seele bloß!
Sollt' ich nicht endlich gewitzigt sein?
Nachdem ich in all den langen Jahren
Ein Übermaß an Unheil erfahren,
Sollt' mich noch immer der Vorwitz plagen,
Es im Reiche des ewigen Wechsels zu wagen,
Glückgeächteter, der ich bin?
Ein Narr wär' ich, gäb' ich immer wieder
Dem Auf und Nieder
Zwischen Fürchten und Hoffen mich hin.
Nein, Zeit ist's, zur Vernunft zu kommen, Beut mir das Glück nur Hohn und Schmach,<145> Frag ich ihm fürder nicht nach. Mag doch, von Lebenslust entglommen, Verzückte Jugend, im Haar den Kranz Von lachenden Blumen, und trunken ganz Von Wonne und Wahn, zum herrlichen Leben Anbetend ihre Hände heben; Sie schöpft noch alle Süßigkeiten Dem Dasein ab! Doch es schwindet beizeiten Der Zauber dahin: Unheil und alle Trübseligkeiten Sind der ganze Gewinn. Dies Hin und Her, dieses Wechselspiel Zwischen Gut und Schlimm, ohne Ende und Ziel, Gemahnt mich an ein verbuhltes Weib, Das nur aus Laune, zum Zeitvertreib Beschließt: Heute beglücke ich den; Zur Abwechslung laß ich den Ersten gehn. Biete sie nur ihre Reize denen, Die noch nach ihrer Minne verlangen! Ich laß mich nicht mehr von der Hexe fangen, Nicht durch Zärtlichkeit, nicht durch Tränen.
Mein Blick durchdringt die Zukunftsferne Ohne Diogeneslaterne. Soll ich mich vom Schicksal foppen lassen, Solang es seiner Frechheit mag passen? Fopp' du nur, wer sich's bieten läßt; Hältst Narren genug ja am Gängelband fest! Fürwahr, der müßte früh aufstehn, Der mich noch einmal dafür finge; Durchs Fenster, auf Nimmerwiedersehn, Entwischt' ich, wenn's durch die Tür nicht ginge! Ein adliger und tapfrer Sinn Nimmt ohne Empörung auch geringe Kränkung von keinem hin!
Mich täuscht kein Selbstbetrug; Ich sehe, ohne zu erbleichen, Entgegen den Härtesten Schicksalsstreichen. Doch ich bin's müde: es ist genug!<146> Mehr denn ein Sokrates hat mich gelehrt, Wie man hinab zur Hölle fährt. In meiner schwarzen Gedankenqual Will ich es halten wie der Admiral: Von feindlichen Schiffen eingeschlossen, Sieht er sein Flaggschiff leck geschossen Und unter die Hände der Piraten Seine tapfre Mannschaft geraten. Da, um dem Entern zu entgehn, Den Tag der Knechtschaft nie zu sehn, Befiehlt der Brave stolz und verwegen, Die Lunte an das Pulver zu legen. Die Soldaten gehorchen, in lodernder Glut Zerbirst das Schiff und versinkt in der Flut.
<147>45. An Gottsched147-1
(16. Oktober 1757)
Was uns der Himmel zugedenkt,
Gibt seine Hand mehr knauserig als reich.
Mehr bleibt er schuldig, als er schenkt;
Für jedes Volk ist seine Gunst fast gleich.
Wenn Tiefe Englands Söhne ziert,
Schmückt Anmut die Franzosen:
Dem wird zuteil, was der verliert.
Wir wandeln unsre Dornen stolz zu Rosen
Und ziehn des Nachbars Gaben eigne vor.
Mars, der einst Sparta sich zum Sitz erkor,
Schuf dort berühmte Helden viel;
Jedoch Athen, das sanfte, lieh sein Ohr
Der Künste zartem, zaubervollem Spiel.
Von Sparta erbten unsre tapfren Ahnen
Den alten Ruhm.
Wie reich ist die Geschichte der Germanen
An Heldentum!
Doch stets, fand auch ihr Herz, ihr kühnes,
Den Weg zum Tempel Mnemosynes,
Verwelkt' in ihrer Hand die Blumenzier,
Mit der ihr Stolz Viktorias Stirne schmückt.
Du Schwan von Sachsen, Dir
Ist es allein geglückt,
Natur, der kargen, Schönheit abzuringen.
Du zwangest eine Sprache von Barbaren,
An Lauten reich, die rauh und widrig waren,
In Deinen Liedern lieblicher zu klingen.
So füge denn mit Deinem Saitenspiel,
Getreu dem göttlichen Virgil,
Zur Siegespalme, des Germanen Preis,
Apollos schönstes Lorbeerreis!
46. Abschied an die Franzosen und die Reichsarmee
(6. November 1757)
Lebt wohl, ihr großen Helden, stolzgebläht,
Die Könige zu zerschmettern ihr gedachtet,
Hierher gesandt von Frankreichs Majestät,
Die herrisch mich zu unterjochen trachtet.
Lebt wohl, Turpin! Ihr, Broglie und Soubise!148-1
Und du auch, Sachse, 148-2 dessen Heldentaten
Wie einst am Timok krönte Frau Sottise,
Obwohl ergraut, doch besser nicht beraten ...
Ach, welch ein Schauspiel voller Lust und Pracht
Vermögen Heldenleiber zu bescheren,
Wenn auf der Flucht vor unsrer Waffen Macht
Sie ihres Rückens Anblick uns gewähren.
Wer also sie gesehn, zag und erschreckt,
Des Name ist mit ewigem Ruhm bedeckt.
Erlaubt, daß ich euch im Vertrauen sage,
Daß ich, nachdem so vieles mir mißglückte,
Den schönen Lorbeer dieser Niederlage,
Den ich bei der Begegnung mit euch pflückte,
Verdanke eures Körpers schönstem Teil,
Verdanke eurer Rückwärtskonzentrierung.
Solange es der himmlischen Regierung
Gefällt, mir solche Helden auf den Weg zu senden,
<149>O mögt ihr stets das Antlitz von mir wenden,
Dem menschlichen Geschlecht zum Glück und Heil!
Wer möcht' es wohl in Wahrheit glaubhaft finden,
Daß wir just darauf unfern Ruhm begründen?
Du siehst, zum Krieg nicht tüchtig noch geboren,
Solch einen Körperteil, und das beweist,
Wie es in blumenreicher Sprache heißt,
Daß du Bellonas Auserwählter seist,
Von Mars zum Lieblingssohn erkoren.
O launenhaftes, närrisches Geschick,
Entscheiden läßt du ihn der Staaten Glück!
Kehrt er im wildesten Getümmel sich
Ganz ungeheißen um und geht zurück,
Dann läßt die Siegesgöttin uns im Stich;
Bellona nützt geschwind den Augenblick,
Um einen Thron zu brechen und zerschmettern,
Der Trotz zu bieten schien den schlimmsten Wettern ...
Ihr Eintagshelden, wandert in die Fern',
Ihr parfümierten und geleckten Herrn!
Begrabt euch denn in eures Hauses Räumen;
Dort mögt ihr von galanten Taten träumen!
Ihr stolzen Pompadour'schen Koryphäen,
Wohlan, laßt eure Siegesbanner wehen —
Nur mög' an andern Orten es geschehen.
Doch soll ich euch, falls ihr den Haß bewahrt,
Mit meinen Neidern stets gepaart
Auf dieser Kampfesftätte wiedersehen,
Erwarte stets ich Gaben gleicher Art.149-1
Ich seh' euch, ruhmbedeckte Feldherrn, scheiden
Aus diesem Land, wo euch Gefahren drohten,
Von diesen Triften, diesen fetten Weiden —
Mein letztes Lebewohl sei euch entboten.
47. Abschied für die Kaiserliche Armee
(8. Dezember 1757)
Hebt Euch hinweg! Die Bahn ist frei!
Zum Zeichen, daß ich Euch verzeih.
Entsend' ich nach selbsteigner Wahl
Des Kaisers großen General150-1
Als meinen Botschafter und Sprecher
An diese Regensburger Schächer.150-2
Bringt meine Antwort in Person
Vor den gestrengen Richterthron.
Urkundlich müßt Ihr es belegen
Dem Präsident und seinen Leuten
(Damit sich nirgends Zweifel regen),
Was Ihr von mir bezogt an Schlägen
Am fünften dieses Monds bei Leuthen.
Welch schöner Tag für die Justiz,
Wenn das begreift mit seinem Witz
Des heil'gen deutschen Reichs Fiskal,
Er, der vor Themis' Tribunal
Recht wie ein Pfau sich spreizt' und blähte,
Weil er so gern mich ächten täte.
Dann, ohne weiteres Verziehn,
Sprengt fort von Regensburg nach Wien,
Viel neue Pläne auszuhecken,
Zu meines treuen Volks Ruin,
<151>Um Schlesien wieder einzustecken.
Ihr werdet über diesen Dingen
Den Winter angenehm verbringen.
Laßt auch in Euren Phantaseien
Vom alten Neipperg151-1 Rat Euch leihen.
Doch wenn der weiche Frühlingswind
Die Lüfte eislos macht und lind,
Wenn erst der Felder breiten Raum
Von neuem deckt der grüne Flaum,
Dann lehrt zurück, wie einst Achill,
Zum unterbrochnen Waffenspiel,
Zu meinen heimatlichen Gründen.
Noch ganz so eitel, ganz so groß,
Mit Eurem so behenden Troß,
Mit Euren tausend Feuerschlünden,
Mit Euren Prinzen, weiß und rot,
Und den Panduren Schlagetot.
Dies Land, für Schlachten so ergiebig,
Es öffnet Euch die Tür beliebig.
Studiert gar fleißig Eure Themen,
Merkt Euch die Wege wohl aus Böhmen,
Vergeßt auch nicht, der Rückkehr wegen,
Den kürzesten Euch einzuprägen.
Noch habt Ihr Zeit, Euch auszurasten,
Auf Wiedersehen nach den Fasten!
Nur müßt Ihr Euch dann auch bequemen,
Den Abschied so wie heut zu nehmen.
48. An die Zerschmetterer152-1
(20. Dezember 1757)
Soubise, was denkt Ihr Euch dabei,
Samt allen Euren jungen Lassen?
Ihr Helden, weiche Tölpelei!
Wie? Sträußlein wolltet Ihr erraffen
In Sachsen, wo der Herbstwind braust
Und über dürre Stoppeln saust?
Es stiert! Schlüpft in den Pelz! Es wachsen
Längst keine Blumen mehr in Sachsen.
Ihr wißt doch, rühmliche Zerschmettrer,
Daß Flora, wie's bei ihr so Brauch,
Nicht mehr regiert, wenn der Entblättrer,
Der Nordwind, pfeift durch Baum und Strauch
Und schon des Winters Einzug kündet!
Sagt selbst: wie schlecht ist's da begründet,
'nen Strauß für die Dauphine zu pflücken,
Wo jeder Strom zu Eis gerinnt!
Seid froh, wenn Ihr so viel gewinnt,
Mit Dornen ihr das Haupt zu schmücken.
Fürwahr, ein dürftig Angebind
Ist solch ein Kranz von Disteln nur,
Doch wird's die Heldin baß entzücken,
Verblüffen selbst die Pompadour.
Sogar des Vielgeliebten Huld,
Längst von der Liebe eingelullt,
<153>Wird auf die neue Mode regnen,
Den neuen Luxemburger segnen.
Der Hof spricht: „Dieser Held ist wert
„Des großen Königs, der ihn ehrt.“
Voll ist die Welt schon Eures Ruhms
Und klar das Ziel des Heldentums:
Ludwig, der Könige Vernichter,
Wird zu Europens Herr und Richter!
Besäß' ich doch die Sangeskraft
Von Lafontaine, treuherzig-schlicht,
Ich machte füglich ein Gedicht
Auf seine Waffenbrüderschaft
Mit Wien, das Euer Tun diktiert.
Doch meine Muse, höchst galant,
Befaßt sich nur mit eitlem Tand:
So muß denn er, der Euch regiert,
Der große König, sich begnügen —
Ich sag' es frei von Winkelzügen —
Daß ihn Herr Oudrn153-1 konterfeit
Und daß Äsop ihm Lieder weiht.
49. An Lord Marschall154-1
Auf den Tod seines Bruders
(Dezember 1758)
Ihr weint, Mylord, und Eure Tränen rinnen
Um einen Helden, Bruder, Freund so wert,
Und selbst der Ruhm, der seinen Tod verklärt,
Gibt keinen Trost den trauervollen Sinnen.
Mehr durch Verdienst als gleiches Blut geschlungen,
Ward dennoch rauh gelöst ein edles Band.
Das Aug' erlosch, die Stimme ist verklungen,
Sein Lorbeer schmiegt sich um des Grabes Rand.
Sank er im wilden Kampf nicht todeswund,
Er hätte neuen Sieg gefügt zu Siegen,
So aber ließ der Blitz aus ehrnem Schlund
Den so Triumpfbereiten jach erliegen.
Traurige Ehrsucht, wieviel Freunde, Helden
Und edle Opfer streckst du roh und blind!
Und keine Stätte, wo nicht Tränen melden,
Wie elend Eltern, Witwen, Waisen sind.
Durch keine Klagen können neu genesen,
Die unsrer Heimat treuer Hort gewesen.
O Ruhm, dich kauft man nur um Qual und Pein:
Mit Tränen wasch' ich blut'gen Lorbeer rein.
<155>In aller Not, in meines Volkes Harm
Trifft auch zu Hause mich des Unglücks Arm.
O bittres Schicksal, kaum zwei Winter wichen,
Und wieviel Liebe ist im Tod verblichen!
Denn Mutter, Bruder, Schwester sah ich sterbend.155-1
O trübe Zeit, verödet ward mein Haus!
Den jungen Bruder traf es, meinen Erben,
Die hehre Mutter trug man tot hinaus,
Die Schwester, die so klug und tapfer war,
Mit der ich stets so inniglich verbunden:
Von solchen Schlägen könnte nur gesunden
Ein eisern Herz, das jeder Weichheit bar,
Das hart der Stimme der Natur verschlossen
Und nie der Freundschaft süßes Glück genossen.
Im Leidensabgrund und von übergroßen
Sorgen gequält, daß fast mein Auge bricht,
Kämpf' ich mit einem finsteren Gesicht,
Das ich schon tausendmal hinweggestoßen.
Man sagt: Gott Vater in des Himmels Wonnen
Sei gut, gerecht und mild, und doch — wir leiden.
Wie kann er sich an unserm Elend weiden,
Ist er uns wirtlich väterlich gesonnen?
Jung, töricht, schwach und rat, und ruhelos,
Ward ich von Anbeginn in Sorgen groß,
Und Lasier, Schmerz, Bedrängnis mich befiel.
Was ist des Weges Richtung, Sinn und Ziel?
In meiner Jahre engem Zirkeltanz
Wand mir der Schmerz so manchen Dornenkranz.
Und ist mein trüber Lauf ans Ziel geraten,
Naht Atropos, die ihre Schere hält:
Es finden Tugenden und finstre Taten
Das gleiche Ende in der bösen Welt.
Kein Opfer Gottes harten Sinn berückt,
Kein Weihrauchduft, taub bleibt er allem Flehen
Der Sterblichen, die sein Gesetz erdrückt:
Hier könnt enthüllt ihr sein Geheimnis sehen.
<156>Mylord, was nutzt mir denn der finstre Glaube
An jene Hand, die mich ins Elend stößt,
Wenn nur des Leidens Ende mich erlöst?
Doch kämpfen soll der Mensch auch noch im Staube;
Denn stoische Vernunft hat mich gelehrt,
Mich gegen die gemeine Not zu steifen,
Und wenn ein Unheil gegen mich sich kehrt,
Das Grausen von der Seele abzustreifen.
Wir wissen wohl, wie mancher hehre Mann
Verächtlich sich von Glück und Größe wandte,
Des irdischen Wesens Nichtigkeit erkannte
Und ruhig sah, wie sein Besitz zerrann.
Durch Trug, Verrat und Arg auf allen Wegen
Schritt klaren Augs er seinem Sturz entgegen.
Wähnt bitte nicht, Mylord, daß meine Rede
Aus Platos Traumen sich den Ton erschlich;
Mit falschem Pathos lieg' ich stets in Fehde.
Nein, hart erzogen, spricht mein eigen Ich!
Ich sah die Feinde mir mein Land verwüsten,
Oft lähmte mir Fortuna Schwert und Arm;
Die sich die Nächsten nennen müßten,
Sah schweigend ich in meiner Gegner Schwarm; 156-1
Wie oft der Tod mir nahte, wild erbittert,
Ich bebte niemals in der tiefsten Brust,
Und aller Gram, den ich ertragen mußt',
Er hat doch nie mein standhaft Herz erschüttert.
Selbst Glanz und Pomp und unumschränkte Macht,
Mein stolzer Sinn hat sie wie Tand verlacht.
Wie oft stand Land und Leben auf dem Spiel,
Fürsien bekämpften mich unzählig viel,
Und doch sah mich das Schicksal nie gebrochen,
Nur, wenn die Freundschaft ihm zum Opfer fiel,
Dann hat es mich ins tiefste Herz gestochen ...
Für ewig, Schwester, sankst du mir in Schlaf,
Und Gottes hatte Hand ob meinem Haupt,
<157>Die oft mich schlug und mir soviel geraubt,
Sie wußte, wo sie mich am schlimmsten traf.
Geliebter Schatten, tausendmal gerufen,
Was mahnst du mich an meiner Jugend Land?
Seit ich erklomm des Lebens erste Stufen,
War treue Liebe uns ein einend Band.
Gemeinsam zog uns ein beglücktes Fühlen
Zum heiligen Licht der hehren Tugend hin;
Selbst die Vernunft mit ihren ernsten, kühlen
Händen verband noch fester unfern Sinn.
So einte immer uns die Kraft der Liebe;
Schon an der Wiege sproßten ihre Triebe.
Erhabner Eltern treugemeintes Sorgen
Wies uns, wie man die wahre Pflicht erkennt.
Der eine hielt dem andern nichts verborgen,
Als schlügen unsre Herzen ungetrennt.
Wie oft, ihr treuen Hände, barg ich nicht
In euch mein tränenfeuchtes Angesicht.
Wie zarte Pflanzen in des Gartens Grün
Die jungen Stiele aneinander stützen,
Um vor den Winden klammernd sich zu schützen,
Sah man uns zärtlich zueinander fliehn.
Wie oft seitdem in ärgrer Sturmesnot
Hat sich mein Mut an ihrem aufgerichtet,
Wie oft, wo List und Fallstrick mich bedroht,
Hat sie mir wieder meinen Weg gelichtet.
Das Laster selbst, dem ich mich fast verpflichtet,
Verlor vor ihrem Blick sein arges Spiel;
Denn nur die Tugend war^s, die ihr gefiel ...
Sie starb. Verhaßt ward mir des Tages Licht!
Schon wollt' ich Hand ans eigne Leben legen,
Doch da, 0 höchstes Leid! gebot die Pflicht,
Aufs neu zu trotzen des Geschickes Schlägen.
Du eitler Traum von Stolz und Majestät!
Ist freier doch ein Volk als sein Gebieter.
Mein schwacher Arm ist jetzt der einzige Hüter
Des schwanken Staats, der hart am Abgrund sieht.
Von ganz Europa wurden wir bedroht,
<158>Dem Lande mußt' ich mich zum Opfer geben,
Eilen zum Kampf, für Streit und Rache leben,
Und meine Losung hieß Gefahr und Tod.
Und doch, wie schwer für ein gequältes Herz,
In der Verzweiflung kummervollen Banden,
Zu helfen und zu retten allerwärts,
Wo stets aufs neu Gefahr und Not entstanden.
Wie schwierig, wider all die wilden Scharen
Mit rasch gerafftem Kriegsvolk loszufahren,
Zugleich an hundert weit getrennten Plätzen
Zu raten, rüsten, ordnen und entsetzen!
Ich fühle, wie die Bürde mich erdrückt.
Nur wer das Glück verlacht, ist wahr beglückt.
In engem Kreise lebt er stillverborgen
Und zeugenlos erträgt er Not und Sorgen.
Wann darf ich froh die wahre Freiheit grüßen,
Die Welt verlassen, die so elend scheint,
Beschleunigen den Augenblick, den süßen,
Der, selige Schwester, mich mit dir vereint?
Dann können unsre Schatten, gottgeliebt,
Elnsium in der Seligen Schar durchstreifen.
Die Hand des Schicksals kann sie nicht mehr greifen,
Und aller Schmerz in eitel Lust zerstiebt.
Dann leuchten unsre Herzen wie zwei Flammen
In Ewigkeit, und treuer Freundschaft Band
Halt friedlich sie für alle Zeit zusammen.
Weh! Hab' ich in ein Trugbild mich verrannt?
Laß ich von Ammenmärchen mich betören?
O, nur im Schlummer mag mit Schmeichelchören
Solch süßer Traum beherrschen Herz und Sinn;
Vor Licht und Wahrheit sinkt er rasch dahin.
Ja, die Vernunft zerstört mit hellen Blicken
Die holden Bilder der Unsterblichkeit.
Mit ewigem Schlaf nur, mit Vergessenheit
Kann Atropos allein das Herz beglücken.
Der Tod entreißt uns aus der Götter Macht,
Dann folgen wir den ehernen Gesetzen;
Kein blindes Wirrsal kann uns mehr verletzen,
<159>Das lebend uns zu seinem Spielball macht.
Der stolze Siegeslauf von hundert Fürsten,
Er hält vor den entseelten Leibern ein.
Und stillte auch im Leben unser Dürsten
Der Schmerz allein mit seiner bittern Pein,
Doch einen Leichnam kann er nicht mehr kränken;
Der Grimm des Himmels tut ihm nichts zuleid,
Die Ruhestatt der Toten ist gefeit,
Hier kann das Elend endlich Anker senken.
O, es ist schön, aus dieser Welt zu scheiden,
Ein Augenblick löst uns von allen Leiden,
Und wenn an Lethes Quellen wir genesen,
Ist alles aus, als wär' es nie gewesen.
Manch edler Römer wählte frei den Tod,
Ward er vom Schicksal gar zu hart bedroht.
Sind Cato, Brutus, Otho denn nicht Namen
Von edlem Klang, die uns ein Beispiel geben?159-1
Ihm folgt der Brite: fest und ohne Beben,
Zersprengt er selbst des Lebens engen Rahmen.
Ein Sklave nur, den seine Fessel schändet,
Mag mehr den Tod als alle Kränkung scheun.
Er weiß nur, wie ein Feigling lebt und endet,
Und fühlt in Schmach sich unwert und gemein.
Er birgt sich scheu, wo Dunkel ihn umnachtet,
Sein Beispiel wird von jedermann verachtet.
Doch Helden folgen anderen Gesetzen,
Des Ruhmes Stimme ist ihr hehr Gebot.
Es lehrt sie, nie der Ehre Pflicht verletzen
Und zähmen alle Furcht vor Not und Tod;
Denn wie das Schicksal uns auch immer führt:
Ein Schächer ist, wer Furcht und Angst verspürt.
Die Götter wollten unsern Wunsch erfüllen
Und unsern Tag in Glück und Sonne hüllen.
Erkennt man, daß dies Glück kein Glück mehr sei,
Entsagt man ihm, es sieht ja jedem frei.
Verlaß dies öde Dasein ohne Glück
Und gib den Göttern ihr Geschenk zurück!
<160>Ja, mitten in des Schicksals finsterm Dräuen
Heg' ich im Herzen solch geheime Brunst.
Ich will dem Himmel keinen Weihrauch streuen,
Und nicht erbetteln mag ich seine Gunst.
Müd seines Jochs, enttäuscht vom Einerlei,
Soll mich die eine Hoffnung nur betören,
Mein Land zu retten; meiner Pflicht dann frei,
Kann ich mir selber angehören.
50. An d'Argens161-1
(12. Mai 1759)
Der heilige Vater schenkt mir Ehre,
Die mich zum Lachen bringt: er tut,
Als ob ich Herr der Türken wäre.
Dem Marschall Daun gibt er den Hut,
Den Säbel161-2 von gewaltiger Schwere,
Mit dem er einst Eugen belud,
Damit auf ewig er verkläre
Des Siegers Ruhm und Heldenmut,
Als kämpfend mit der Türken Schwarm
Er in der Glaubensfeinde Blut
Gewaschen seinen Rächerarm.
Ach, könnt' im törichten Alarm,
In unsrer wilden Kriege Harm
Die Mütze, die des Papstes Segen
Verlieh dem trefflichen Strategen,
Sich durch die Dummheit seiner Taten,
Sein falsches Zaudern, falsches Handeln,
Danebengreifen, Planverschandeln,
Nach Urteil sämtlicher Soldaten,
Von Rom, Paris, den Kirchen aller Staaten,
In eine Midastrone wandeln!
Ich aber, ohne Mütz' und Degen,
Verfolgt mit ungestümen Schlägen
Von ganz Europas bittrem Groll,
Ich, den drei hochgestellte Metzen
Noch immer leidenschaftlich Hetzen
Vor eitler Weiberlaune toll,
Ich, aller Priestergunst entledigt,
Stets ohne Sakrament und Predigt
Nach Luther oder nach Calvin —
Ich lasse mich nicht niederziehn,
Wenn Deine Freundschaft mich entschädigt.
51. An Voltaire162-1
(17. November 1759)
Ich bin einem schäumenden Eber gleich,
Der sich wütend wehrt in dem wilden Bereich
Der stürmenden, fletschenden, tollkühnen Meute.
Schon stürzt sie sich gierig auf ihre Beute;
Da greift er an, verwundet, schneidet
Mit seinen Hauern, Streich um Streich,
Den Feind, der ihn betroffen meidet.
Doch ob der Schwarm auch niederbricht,
Wächst kläffend seine Zahl aufs neu
Und naht und mehrt sich ohne Scheu,
Er aber wankt und zittert nicht.
Ja, toll und blind, von wildem Zorn durchloht,
Nicht ahnend, daß sein Ende droht,
Stürzt er dem Mordspeer ohne Beben
Entgegen und verhaucht sein Leben...
Das flatterhafte, freche Glück
Betrachtet seiner Diener Schar
Nicht stets mit gleich gewognem Blick.
Auch uns ward nicht in jedem Jahr
Die Gunst, daß wir den wüsten Haufen,
Der zur Zerstörung unsrer Saat,
Halb Held, halb Räuber sich genaht,
Geschlagen sahn von bannen laufen.
<163>Oft kann ein Zufall eine Schlacht entscheiden;163-1
Und dank' auch ich ihm manchen Ehrentag,
So mußte doch auch manchen Schlag
Ich meinerseits vom Feind erleiden,
Wo ich urplötzlich unterlag.163-2
Doch jener Mann, auf dem der Segen
Des römischen Antichristen ruht,163-3
Ein guter Fabius allerwegen,
Der jüngst erst stärkte seinen Mut
Durch ein Barett, das als Symbol
Von eitlem Ruhm ihn krönen soll,
Der gibt nun nachts sein Lager auf.
Ich will's nicht grade Flucht benennen,
Doch sollten wir gar bald erkennen,
Daß ihn von dannen trägt sein Lauf,
Wird ein gewisser Herzog163-4 wie Neptun
Mit seinem Dreizack ewigen Ruhm erkämpfen,
Den bösen Sturm mit einem Worte dämpfen
Und Frankreich retten, müßt' er es auch tun
Ohne Einsicht, ohne Held,
Ohne Kanada und ohne Geld,
Da ihm schon fast der Untergang beschieden.
Mit Anstand neigt er sich und sagt:
„Beim heiligen Georg, Gott seis geklagt,
„Geliebtes Albion, gib uns den Frieden!“
Nimmt diese unerhoffte Kunde
Aus dem geheimen Hintergrunde
Der Kabinette ihren Lauf,
Dann häng' ich Helm und Degen auf
Und meide diese Stätte schnell,
Um künftig in des Alters Tagen,
Mich labend an der Weisheit Quell,
In Sanssouci mich zu vergraben.
52. Epistel an d'Alembert,164-1
als in Frankreich die Enzyklopädie verboten und seine Werke verbrannt wurden
(Februar 1760)
Ein Richterkreis in Stola und Soutane
Hat Eure Schriften, hören wir, geächtet,
Die uns ein Schlüssel sind zum Weltenplane.
Mit dieser geistesschwachen Untat knechtet
Er alle Wahrheitsforschung der Vernunft,
Das dichterische Schaffen wird entrechtet.
Hat Irrwahn, Irrtum, Dummheit — diese Zunft
Von Richtern über das gesunde Denken,
Denn in Paris jetzt seine Unterkunft?
Darf sich so schamlos, um es zu beschränken,
Der Haß, die Willkür einer Höllenbrut
Dem Baal ergebner Pfaffen darauf lenken?
So tobte einst der grausen Ahnen Wut:
Bartholomäusnacht sank auf die Zinnen,
Und ganz Paris ertrank in Bürgerblut.164-2
Barbaren, Ihr! Was wagt Ihr zu beginnen?
Könnt Ihr, die unsrer Tage Schandfleck sind,
Durch Blindheit wild, Euch nie darauf besinnen,
Daß, was Ihr auch für frevle Ränke spinnt,
Vernunft und Wahrheit doch dem Phönix gleichen,
Der aus der Asche neuen Flug beginnt?
Nicht alle Nebel aus den Irrlichtreichen —
Synoden und Konzile auch genannt —
Vermochten Galilei, abzuweichen
Vom Wahrheitsweg; kein Scheiterhaufenbrand,
Den Eure Folterknechte angerichtet,
Kein Lärmen Eurer Lehrer war imstand,
<165>Daß ihr den Gegner jemals ganz vernichtet.
Was aber ließ Euch zu Verfolgern werden?
Warum auf jene weisen Geister richtet
Ihr Eure Wut mit krampfigen Gebärden —
Sie, die im tiefsten Denken uns enthüllen
Den rätselvollen, letzten Sinn der Erden?
O Zeit! O Sitten! Meer von Frevelwillen!
Ich rühre nicht an jenen Höllenschlund,
Den Eures Irrwahns Fabelbilder füllen;
Nichtswürdige, Euer Frevel macht Euch kund,
Begünstigt doch selbst Gottes Stellvertreter
Und Peters Erbe den Verschwörerbund:
Scheusale portugiesischer Verräter,
Auf deren feigen Anschlag ihren Stahl
Zum Königsmord gezückt die Missetäter.165-1
Die Tat bezeugt es! Und der Erdenball
Erbebte unter ihr, indes der Weise,
Der sie vernimmt, nur seufzt in stiller Qual.
Wie? Rom zieht schützend seiner Freistatt Kreise
In diesem unterwürfigen Jahrhundert
Um das Verbrechen? Gibt ihm Trank und Speise?
Zu Aufruhr und zu Bürgermord ermuntert
Ein Orden noch, des Stifter Ignaz war?
Wagt Ihr's noch immer, ftagt man sich verwundert,
Entmenschte Christen, die mit Gift sogar
Die Hostien zu tränken sich nicht scheuten,165-2
Und lügt, der Heide sei der Tugend bar?
Belud er sich wie Ihr mit Grausamkeiten,
Daß Ihr ihn jetzt verklagt der Barbarei?
Wie viele mußten nicht zum Holzstoß schreiten,
Bedenkt es wohl, durch Glaubenstyrannei!
Nur Tugend fordert Gottes gütiges Walten,
Nicht Menschenblut und Opferangsigeschrei.
Säh' Plato Euch die Siegesfeste halten,
Erblickte er der Scheiterhaufen Pracht,
Die schuldlos hingemordeten Gestalten —
<166>Er würde glauben, eine Höllenmacht
Gebiete Euch, solch Opfer darzubringen.
Wie lange noch währt diese Greuelnacht?
Wann werden sie die Völker niederringen?
Wie lang' noch wird der Glaube so geschändet?
Von diesen tonsurierten Finsterlingen
Wird soviel Wut und Rachgier aufgewendet,
Die Weisheit und Vernunft ersticken sollen,
Wird Gift in solchen Strömen ausgesendet,
In denen sie Euch ganz ertränken wollen,
Weil sie, Marktschreier falscher Frömmigkeit,
Von Furcht ergriffen aller Wahrheit grollen.
Die Schurken zittern in der Dunkelheit:
Die schuldbefieckt des Himmels Sache führen,
Schreckt jeder Strahl: er wäre ja bereit,
Die Schande ihres Treibens aufzuspüren!
Laßt weiter diese Geißeln unsrer Welt,
Den Würmern gleich den Schlamm zur Wohnung küren;
Laßt diesen Dünkel, der zur Demut sich verstellt,
Gebete leiernd stets die Weisheit schmähen!
O d'Alembert! In Euer Sinnen gellt
Ihr Toben nur wie ein Geschrei von Krähen,
Das sich zuletzt als leerer Schall erweist.
Ein Windhauch kommt und läßt ihn schnell verwehen.
Dringt unentwegt mit Eurem hohen Geist
Zu ehernen und ew'gen Wahrheitsgründen!
Indes Ihr so bis zu den Sternen reist,
Um ihr Geheimnis uns zu künden,
Gebt Ihr die Feinde der Verachtung preis
Und könnt Euch rein dem trüben Streit entwinden.
Ob ihre Frechheit andre aufzustacheln weiß,
Ob Euch der Schwachkopf vor die Schranken ladet,
Ihr sollt, durch herrliches Geschick begnadet,
Erleuchten fort und fort den Erdenkreis!
53. An Voltaire167-1
(24. Februar 1760)
Was schmückt Euch doch für eine Lorbeerlast!
Im Tempel der Geschichte, auf der Bühne
Und im Lyzeum167-2 ein gewohnter Gast,
Habt Ihr die Töchter all der Mnemosyne
Mit gleicher Treu und Zärtlichkeit umfaßt;
Wofür die auch den Hort, den sie verwalten,
Die hehren Neun, Euch ständig offen halten.
Dort schöpft Ihr frei, um Euren Ruhm zu mehren,
Zwiefacher Meisterschaft vereinte Ehren:
Meister des Reimes und der Prosakunst!
Euch ward die Gabe des Geschmacks, des Maßes,
So trägt als Auserwählten Euch die Gunst
Des Gottes, der da waltet des Parnasses;
So schenkt er Euch die glücklichste der Gaben:
Die Kunst, zu lehren und doch zu gefallen,
Sie, die in Euren Götterwerken allen
Der Erde Völker wohl empfunden haben.
Und doch! Ein Lorbeer, und der schönste, mein' ich, —
Und darin bin ich mit Europa einig —
Ein Lorbeer fehlt noch auf der Stirn Voltaires:
Soviel Ihr schon vollbracht des Meisterlichen,
Mög' Euch das eine Kunststück noch gelingen,
Mit was weiß ich für Machenschaften, Schlichen
Den Frieden wieder in die Welt zu bringen —
Das Meisterwerk der Meisterwerke wär's!
54. An d'Argens
Nach Erscheinen des Nachdrucks der „Œuvres du philososophe de Sanssouci“ in Frankreich168-1
(März 1760)
Die Frucht meines Dichtens ist herbe!
Ich weiß nicht, durch welche Niedertracht
Ein Schuft vom Gewerbe,
Ein Dieb meine Verse herausgebracht!
Mnemosynes Töchter Hab' ich verehrt;
Klio hat mir ihre Gunst gewährt,
Auch war ich immer des Ruhmes froh —
Doch ein Poet nur inkognito.
Nie mocht' ich als Dichter mich ausposaunen,
Mich sollten nicht Hinz und Kunz bestaunen.
Meine Verse wollt' ich zur Schau nicht stellen
Dem Pöbel, der auf der Lebensbahn
Blöd einhertrollt; mich plagt nicht der Wahn,
Seinen kargen Verstand zu erhellen
Mit der Leuchte der Philosophie.
Was fängt er mit Versen an,
Die zum Zauber der Phantasie
Witz und Verstand gesellen?
Er ist verdammt zur Dumpfheit;
Ich laß ihn in seiner Stumpfheit:
Der Irrtum — das ist sein Gott!
Die überhäuft er mit Spott,
Die ihm die Wahrheit zeigen.
<169>Reißt mich künftig die Dichtwut hin
Und läßt mein müd gewordner Sinn
Noch einmal Glut aus der Asche steigen,
Daß mir ein lustiges Verslein gelingt,
So sorg' ich, daß es nicht weiterdringt.
Nicht für das Publikum will ich schreiben,
Nur meinen Freunden die Zeit vertreiben!
55. Ode an die Deutschen
(29. März 1760)
Ihr unsel'gen deutschen Stämme, stets in Bruderkampf entzweit,
Ihr beseßnen Unruhgeister, seid dem Untergang geweiht!
Ewig Wehgeschrei erschüttert eure Lüfte allerenden,
Langer Kämpfe Schreckensmale euren Heimatboden schänden,
Eure Fluren Wüsteneien, eure Städte Haufen Schuttes,
Unter eurer Waffen Wüten rinnen Ströme roten Blutes;
Gottverflucht eure Triumphe!
Denn sie stürzen unser Land
Nur zurück in wüste, dumpfe
Barbarei, wo doch dem Sumpfe
Längst die Vorwelt sich entwand.
Ach, ein Unhold aus der Hölle, Zwietracht mit den wutentflammten
Funkelaugen, sie entfachte diesen Haß euch, den verdammten,
Diese Mordlust, euch zerstörend ineinander zu verbeißen,
Tempelschändrisch mit den Händen euch das Innre zu zerreißen,
Daß der Himmel, der gerechte, tief beleidigt, nur mit Grauen
Euren Totenfeiern leuchtend, so Unseliges mag schauen.
Ja, aus Furcht, sich zu beflecken,
Möcht' der reine Himmelsstrahl
Sich am liebsten ganz verstecken,
Wie vor jenem blut'gen Schrecken,
Da Thyestes hielt sein Mahl.
Drunten in dem ew'gen Abgrund, den kein Strahl von Reinheit lichtet,
Wo der Haß in Schmutz und Wüsiheit sich den Schreckensthron errichtet,
Dort denkt man sich so gestaltet jene unbotmäß'gen Wesen,
<171>Stets mit frechem Aufruhr drohend, stets bereit zu jedem Bösen,
Stets bereit, obschon sie ew'ge Ohnmacht bannt, sich zu verschwören,
Alle Ordnung dieser Schöpfung umzuwerfen, zu zerstören;
Ja, sie rotten sich und sprechen:
Auf, und laßt uns mit Gewalt
Alle Himmelsschranken brechen!
Kehr' denn wieder, uns zu rächen,
Du, des Chaos Ungestalt!
Niederträchtige, ihr bangt wohl, daß von euren blutigen Klingen,
Rot von Bürgerblut, ein Tropfen könnt' auf rechten Boden springen,
Daß aus solcher Saat erwüchsen neue Streiter, wohlbewährte,
Aus der Art geschlagne Kinder, die die gleiche Mutter nährte;
Darum, euch in Schuld und Frevel selber noch zu überbieten,
Ruft ihr lieber in die Waffen fremde Söldner und Banditen!
Nun, sie sind schon bei der Hand,
Eure Helfer und Genossen,
Jeden festen Rechtsbestand
Uns im deutschen Reich und Land
Blindlings wütend umzustoßen!
So hat Hellas einst die Flamme seiner Wildheit schlecht gehütet,
Hat im Irrsinn seiner Ehrsucht wider eignes Fleisch gewütet,
Hat in lauter Zwistigkeiten leer geblutet seine Adern,
Bis dann beide, tief zerrüttet und erschöpft vom ewigen Hadern,
Das gebieterische Sparta und das herrische Athen,
Schmählich an den Bund Achajas sahn ihr Zepter übergehn;
Was blieb von den freien Staaten,
Die vom Bürgerstreit zersetzt,
Ganz verblendet, schlimm beraten,
Von den Konsuln Roms zuletzt
Rettung aus der Not erbaten?
Doch gar bald vor ihren Schirmherrn wurde ihnen angst und bange,
Denn ein Joch ward ihre Hilfe — wer ertrüg' die Last noch lange?
Ach, zu spät! Von allen Seiten starrten Beile der Littoren,
Und so lernten sie's mit Schrecken, lernten's fühlen, jene Toren,
Daß sie sich, von zügellosen Leidenschaften irrgeleitet,
Statt des liebevollen Schutzes eine Zwingherrschaft bereitet.
<172>Also büßten diese freien
Staaten durch den Neid allein,
Stete Eifersüchteleien
Und den Hader der Parteien
Schmählich Macht und Freiheit ein.
Ist's was andres, wenn ihr heute, nur um das verhaßte Preußen
Zu erdrücken, hier den Franzmann, dort den Schweden, da den Reußen,
Den unbänd'gen Steppenwildling, in das Land gerufen habt
Und den Boden, ihr Unsel'gen, drauf ihr sieht, selbst untergrabt?
Die verhängnisvolle Hilfe kommt euch teuer noch zu stehn:
Unterworfne meint der stolze Eindringling in euch zu sehn!
Wartet nur, die schlimmen Horden
Kosten Tränen noch einmal!
Rühmt euch dann: aus West und Norden
Riefen wir sie her zum Morden,
Wir, wir schärften ihren Stahl!
Warum nicht den Arm euch waffnen, wie zu eurer Väter Tagen,
Um den Hochmut starker Gegner endlich auf das Haupt zu schlagen?
An der Donau, an dem Rheine stolze Landerobrer sind's,
Dort hat sich ihr Schwert erstritten manche blühende Provinz;
Nachbarn sind's, die ständig drohen, die nach Händeln mit euch dürsten,
Ew'ge Feinde eurer Freiheit, eurer Rechte, eurer Fürsten;
Nun, und ihr? Die Furien riefen
Eurem grimm'gen Aufgebot
Beifall zu aus Höllentiefen,
Eure Mörderarme triefen
Edlen Bruderblutes rot!
Schaut nach Flandern, seine Schanzen gilt's zu stürmen, zu gewinnen;172-1
Mit dem Ungarn Seit' an Seite legt in Asche Belgrads Zinnen! 172-2
Muß beim Klange dieser Namen heißer nicht das Blut euch rollen?
Denkt ihr nicht der blutgetränkten Ehrenfelder, wo den vollen
Siegeskranz der edle Ritter Prinz Eugenius sich errungen,
Der Bewunderte, der jeden seiner Gegner hat bezwungen?
Alles ruft bei solchem Wagen
Eurem Mute zu: Glückauf!
<173>Alle Herzen mit euch schlagen,
Die um Deutschland Sorge tragen,
Folgen eurem Siegeslauf.
Hier bewährt nur euren Ingrimm, eure Kraft, ihr könnt's mit Ehren:
Eines Nachbarn, eines Neiders drohend Reich dürft ihr zerstören,
Das ein Riesensammelbecken voll von kriegerischen Stämmen,
Stets bereit, mit seinen Horden euer Land zu überschwemmen.
Denkt, wie oft die Heimatfluren all die wilden Streiter schauten
Und die Väter nur mit Zittern und mit Bangen sie bebauten!
Dorthin sollt den Blick ihr wenden,
Wenn den rechten Feind ihr sucht!
Irrsal will euch ganz verblenden:
Mut, den Wahnsinnstaten schänden,
Freundesmord — der ist verflucht!
Seht den Großherrn der Osmanen, an des Hellespontes Küsten,
Der euch allzumal verabscheut, voll Vermessenheit sich brüsten!
Wie er euer Wüten segnet, eures rohen Streites lacht,
Weil mit euren harten Fehden ihr sein Werk nur leichter macht!
Recht von euch, dem Herrn der Gläub'gen euern blut'gen Arm zu leihn:
Denn so kann er doch den Seinen sparen all die Metzelein!
Hei! vom stolzen Turm zu schauen,
Wie im Kampf die Federn stieben,
Falk und Adler wundgehauen
Von den schnöden Geierklauen,
Halb zerfleischt von Schnabelhieben!
Also schlugen vor den Römern in des Kolosseums Rund,
Vor den übermüt'gen Siegern, Kriegsgefangne einst sich wund.
Zur Belustigung der Verächter fochten sie auf Tod und Leben;
Und zu gleichem grausem Spiele sicherm Tode übergeben,
Sanken dort die Gladiatoren hin, zerfleischt von Raubtierrachen,
Um entmenschten Müßiggängern einen blutigen Spaß zu machen;
Seelenruhig, mit Behagen
Trank man seinen Blutrausch da;
Keinem hat in Selbstantlagen
Das Gewissen drob geschlagen,
Als er dieses Morden sah!
<174>Aber ist's denn nur der Fremde, der gefährlich werden kann?
Ernst will's werden! Mit Selbsttäuschung ist es bald nicht mehr getan!
Habt ein Auge auf die Donau! Eh' ihr's denkt, hat sie geboren
Euren Zwingherrn euch! Indes ihr mich bekriegt, ihr blinden Toren,
Birgt ihr brechend Aug' die Freiheit, das in Zornestränen schwimmt
Um ein Volk, das, niedren Sinnes, Sklavenketten auf sich nimmt.
Laßt die Narrheit endlich fahren
Eines wirren Fanatismus:
Ihr vermehrt nur die Gefahren,
Helft nur eueren Cäsaren
An dem Bau des Despotismus!...
Aus den Blättern der Geschichte lernt, wie„s schon einmal gegangen:
Seht den fünften Karl, dem alle Weltmachtpläne schier gelangen!
Er, das Oberhaupt der Deutschen, die da uneins und zerspalten,
Ließ in dreisier Herrenwillkür seine Spanier hier walten,
Eure Länder all zu knechten, zu entwürd'gen eure Ahnen;
Eure ersten Fürsten macht' er zu Tyranne-Untertanen.
Wieviel Ketzerblut vergossen
Hat doch jener Ferdinand,174-1
Der gewaltsam umgestoßen
Jedes Recht, das ihn verdrossen,
Als Tyrann im deutschen Land.
Doch ich pred'ge tauben Ohren! Es verdrießt euch wohl gewaltig?
Steht mir Rede, Unglückselige! — Doch sie schweigen hinterhaltig.
Schmählich sind sie abgefallen von dem Manneswert, dem alten,
All ihr Freiheitssinn, von frecher Herrenfausi in Schach gehalten,
Hat gelernt, die Stirn zu beugen, sich ins Sklavenlos zu finden,
Unterm Fuße von Tyrannen sich zu schmiegen, sich zu winden!
Ja, sie lassen sich bedrücken
Ohne jede Gegenwehr!
Ihre Feigheit wird sich bücken,
Sich gewöhnen und sich schicken
In der Kettenlasi Beschwer.
Fort von hinnen, meine Preußen! Laßt den Wandersiab uns fassen!
Bleib' denn allen Kriegesnöten, allem Elend überlassen
<175>Dieses Land, wo alle Hirne eine böse Krankheit lähmt
In der ganzen Blutsverwandtschaft, wo der Deutsche sich nicht schämt,
Seine Schützer schnöd zu ächten, den Tyrannen zu gefallen,
Seine Freiheit zu verraten, sich zu fühlen als Vasallen.
Kommt, wir wollen sie verlassen,
Nichts wird die Verderbten retten:
Hart wird ihr Tyrann sie fassen,
Die der Ehre ganz vergaßen,
Selbst sich schmiedend ihre Ketten!
Schönre Lande laßt uns suchen, wo in heitrer Himmelsbläue
Des Saturnus und der Rhea goldne Zeit sich uns erneue,
Oder jenes Urwalddickicht, wo der Irokese haust,
Unwirtliche Felsenöden, die der Phasisstrom durchbraust,
Menschenleere Wüsteneien, die der Leu mit Blut besprengt,
Und im Kaukasus die Höhlen, abgrundfinster, felsumengt —
Ist doch unfern qualverzehrten
Herzen jede Stätte wert!
Lieber als die fluchbeschwerten
Heimatlande, die entehrten,
Aller Schmach und Frevel Herd!
Aber nein, ihr tapfren Freunde! Hätte je so klein gehandelt
Eine großgesinnte Seele? Ward sie einmal angewandelt
Von des Kleinmuts niedrer Regung, stets noch blieb sie ihrer Herr!
Trotzt dem Schicksal in das Auge! Und ist keine Rettung mehr,
Laßt uns doch die Ehre retten! und die Götter die gerechten,
Des entweihten Friedens Rächer, werden uns zur Seite fechten.
Vorwärts, laßt die Zügel schießen,
Sturmgeschwader, meine raschen!
Unsre Feinde sollen's büßen,
Und ihr treulos Blut soll stießen,
Alle Schmach uns abzuwaschen.
Seht die vielen Völker alle, die sich wider uns verschworen,
Die vor dünkelhafter Ehrsucht völlig den Verstand verloren;
Unverzagt nur, meine Helden! Trefft sie mit dem Wetterschlage
Eures Zornes, eurer Hiebe, daß die Menschheit künft'ger Tage
Diesem Sturmlauf ohnegleichen, diesem Sieg der Minderzahl
Wider eine Welt von Neidern türm' ein bleibend Ehrenmal.
<176>Rings von Not und Tod umgeben,
Denkt in eurem Rachefest,
Daß in diesem harten Leben
Ohne Kampf und Fährnis eben
Sich kein Ruhm gewinnen läßt.
56. An Prinzessin Amalie
Anläßlich einer Friedensunterhandlung, die scheiterte177-1
(Mai 1760)
Zu meiner Schwester flieg behende,
Nach Magdeburg, mein Lied, und sag',
Nun gehe bald der letzte Tag
Von ihrer dritten Flucht177-2 zu Ende.
Die stolze Trias, die mich einst verfemt,
Scheint zu verröcheln und wird zahm; das Heer
Des Allerchristlichsten, besiegt,177-3 gelähmt,
Vom Rausch ernüchtert, sucht das Weite;
Nie werden seine Lilien mehr
Des Reiches Adlern wehn zur Seite.
Zwar nach dem Abfall dieser Horden
Will unversöhnlich Ungarns Königin
Aus Hochmut, Ehrsucht, Eigensinn,
Vereinend mit der Herrscherin im Norden
Die Eisenrüstung und den Eisenwillen,
Die Walstatt abermals mit Blut
Rot färben, um voll Tigerwut
Des Todes nie gelöschten Durst zu stillen.
Doch unser Flehn wird das Geschick erweichen;
Ein Spiel der Wogen und der Sturmgewalt,
Wird unser schwankes Fahrzeug bald
Auf glatter Bahn den sichern Port erreichen.
<178>Doch wieviel Mühsal kostet noch dies Jahr,
Bevor am Glückstag, den wir heiß ersehnen,
Der Friede freudenvoll auf immerdar
Verscheuchen wird die Seufzer und die Tränen!
Eilt, träge Stunden, kommt zuvor
Dem ungestümen Wunsch in meinem Busen;
Führt uns zurück den holden Götterchor,
Minerva, Themis und die Musen.
Der ehrne Mars mit seinen blutigen Pfeilen
Mög' unsre Feinde nur ereilen;
Uns aber laßt am heitren Herd,
Zu trauter Eintracht heimgekehrt,
Endlich im Kreis der Freunde wieder weilen.
Dann, fern Bellonas kampfzerwühlter Scholle,
Am Schluß der peinigenden Rolle,
Der Bühne fluchend, wo zur Schau gestellt,
Ich oft nicht allzu rühmlich eben
Gespielt als prunkender Tragödienheld,
Könnt' ich in voller Freiheit leben.
Dem leichtgesinnten Volk zuliebe
Wär' ich zu opfern gern bereit
Der Ehrsucht grausam tolle Triebe,
Mitsamt der faden Wichtigkeit.
57. Epistel an d'Argens179-1
(8. November 1761)
In Euer Herz ergießt sich meine Seele!
Nie hat Gewinnsucht oder Ehrgeiz nur
Macht über mich gehabt, und frei von Fehle
Fühl' ich mich hier! Auf einer höhern Spur
Behüt' und schüre ich Zeit meines Lebens
Die edle Flamme meines reinen Strebens.
Ihr kennt mich, wißt es, wie zu leerem Schimmer
Des äußern Prunks mein Sinn so garnicht neigt!
Fern ist mir Eitelkeit. Hab' ich nicht immer
Mich mehr als Bürger denn als Fürst gezeigt?
Philosophie indes und Gleichmut kann
Mich gegen Unbill nicht gefühllos machen,
Die meiner Feinde Ränkespiel ersann,
Um mich zu stürzen in den Höllenrachen.
Wer keinen Stolz zeigt, erntet Schmach und Hohn,
Wer Kränkung duldet, gilt als ehrlos allen.
Ich will, bin ich besiegt, von meinem Thron
Freiwillig steigen, doch nicht kampflos fallen.
Einst hab' ich wohl, vom Spiegel der Geschichte
Geblendet, allzu stark nach Ruhm begehrt.
Wie jene großen Helden, allverehrt,
hätt' ich mich gern gezeigt in vollem Lichte.
Philosophie hat anders mich belehrt.
Mein Leben formte ich nach ihrem Rat:
Den Irrtum meiden, und die Wahrheit suchen!
Mein Aug' erkannte den verfehlten Pfad,
Denn, was ich auch begonnen, jede Tat
<180>War schließlich als Enttäuschung nur zu buchen.
Nur Eitelkeit wächst aus der Ruhmsucht Saat.
Nun von dem Wahn erlöst, der mich befangen,
Sagt' ich zu mir: so endet nun das Leben!
Bald küßt der kalte Tod die bleichen Wangen;
Und dies das hohe Ziel, dem ich ergeben
Mit soviel Kummer war, mit Sorgen, Plagen,
Qualvollen Nächten, leidbedrückten Tagen!
Die Stunde schlägt, und klanglos untergeht
Der Name, und die Asche wird verweht.
Befiehlt der Tod uns, alles abzutun,
Warum mit Plänen unnütz sich beladen?
Nie wird in Menschenhand das Schicksal ruhn!
Drum ist es besser, wenn's zum Ende geht,
Man zieh' auf ebnen Straßen, sanften Pfaden.
Nur wem der Sinn noch nach Erobrung sieht,
Dem kann ein steiler Dornenweg nicht schaden.
O nichtige Hoffnung, törichte Begierde,
Laßt mich nun endlich frei von eurem Trug!
Ein andres Joch sei meines Nackens Zierde,
In das die Pflicht ums Vaterland mich schlug!
Frech hat man seine Ehre angetastet,
Habgierige Feinde wüten schonungslos
Und rauben arme Bürger nackt und bloß.
Grimm ist die Not, die auf dem Volke lastet,
Und nur Verwüstung seh' ich um mich her.
O Vaterland, du teures, das so schwer
Daniederliegt, mein ganzes Herz ist dein!
Und keine andre Sehnsucht Hab' ich mehr,
Als dir des Lebens kargen Rest zu weihn!
Nicht unfruchtbarer Kummer soll mich drücken,
Zur blutigen Walstatt stürme ich hinaus,
Ein neuer Mut treibt mich ins Kriegsgebraus,
Und morgen muß ein Heller Sieg mir glücken!
Auf! Rächet euer Land und macht es stark!
Vergeßt die Sorgen, denkt nur an das Eine:
Den Staat zu schützen, braucht es Kraft und Mark,
<181>Und jeder opfert sich fürs Allgemeine!
Dem Strom entgegen geht's! Nun haltet stand:
Tod oder Rettung unserm Vaterland!
Wär' einer, voll Verlangen nach Gefahr,
Ehrgeizig so, die Last mir abzunehmen,
Die jetzt auf meinen Schultern ruht, fürwahr,
Marquis, ich würde wahrlich mich nicht schämen,
Ihm ehrlich Rang und Pflicht zu überlassen.
Ich wollte in bescheidner Ruh mich fassen,
Fern allen, die auf mich ihr Auge haben,
Mich in die tiefste Einsamkeit vergraben.
Und eh' ich, diesem Wirbel erst entrückt,
Noch einmal laß von Ruhmsucht mich entstammen,
Eh' es der falschen, schnöden Menschheit glückt,
Zum Wagnis neuen Kampfs mich zu verdammen,
Eh' stürzt zum Chaos diese Welt zusammen.
O Glück der Ruhe, die sich gern bescheidet!
Auf allen Glanz des Throns wollt' ich verzichten
Und brünstig, nicht gefürchtet, noch beneidet,
Dem Gott der Freundschaft einen Dom errichten.
Das schönste Erdenlos wär' mir beschieden:
Ein reines Herz im allertiefsten Frieden!
Ob mir das Schicksal gönn' ein langes Leben,
Ob bald erreicht sei meiner Tage Zahl,
Die Einsicht soll den vollen Trost mir geben,
Daß mit dem Tod auch endet alle Qual,
Daß aller Jammer mit des Lebens Schluß
Im letzten Atemzug verwehen muß.
Ich kehr' zum Nichts und werde, was ich war,
Eh' mich das dunkle Los zum Licht gebar.
All', die der Tag sah in die Grube sinken,
All', denen einst der Tod zur Gruft wird winken,
Sie sind dem ewigen Gesetz geweiht;
Unwiderruflich fordert sie die Zeit.
58. Der Geiger182-1
(11. November 1761)
Ein großer Künstler, Herr Vacarmini,
Tartinis würd'ger Schüler auf der Geige,
Durchzog die Welt, bald dort, bald hie,
Auf daß er seine Kunst ihr zeige.
So kam er denn in seinem Wandern
Mit seiner Geige, seinem Spiel
Auch eines schönes Tags nach Flandern,
Wo er aufs äußerste gefiel.
Man staunt ob seinen kühnen Griffen, lauscht
Mit Lust den himmlisch tönenden Akkorden;
Mit einem Wort: man ist berauscht;
Solch Beifall ist ihm nie geworden.
Einst spielt er seinem Hörerkreise vor
Und endet unter donnerndem Applaus.
Als seine Geige schweigt, da naht ein Tor
Und spricht: er bäte eine Gunst sich aus.
Der Meister fragt ihn freundlich, was es sei.
„Löst eine Saite von dem Instrument;
„Es bleiben dann noch ihrer drei:
„Ob Ihr die fehlende ersetzen könnt
„Mit Eurer Fingerfertigkeit?“
Der Künstler drauf: „Was Ihr erdacht,
„Ist neu; ich bin jedoch bereit.
„So sei denn der Versuch gemacht.“
<183>Nun spielt er auf drei Saiten, zaubert Töne,
Akkorde voller sanfter, holder Schöne.
Statt seine Neugier zu bezähmen,
Begehrt der Tor nun frank und frei,
Noch eine Saite fortzunehmen;
So blieben dann noch ihrer zwei.
Der Künstler tat's, mit weniger Gelingen,
Doch recht geschickt noch wußt' er's zu vollbringen.
Der Tor indessen jetzt gebot,
Daß er nur eine noch behielte.
Der Künstler hatte seine liebe Not,
Als er mit Kunst ein Gassenliedchen spielte.
Da nimmt der törichte Patron
Die letzte Saite von der Fiedel:
„Noch eins gegeigt, mein lieber Sohn!
„Wohlan, nun spiel uns noch ein Liedel!“
Doch siumm das Instrument gab keinen Ton.
Ihr lieben Bürger, wem's behagt,
Die Lehre nehmt aus der Geschicht',
Daß selbst die größte Kunst versagt,
Wenn es an Mitteln ihr gebricht.
59. Der Stoiker
(15. November 1761)
Ihr Mißvergnügten, die ihr töricht klagt,
Durch eigne Schuld mit Gott und Welt entzweit,
Durch jedes Nichts bestürzt und gleich verzagt,
Rebellisch, wirr und schwankend allezeit,
Ihr, die ihr in der Hütte, im Palast
Stets nach des Glückes Truggebilden faßt —
Steht ab vom eitlen Mühn und Zeitverschwenden!
Verscheucht die Nebel, laßt euch Klarheit spenden!
Wißt, die Natur hat euch im Erdenleben
Dem Wahn, dem Traum, dem Irrtum preisgegeben,
Und euer Glück entspricht dem, was ihr denkt.
Der blinde Trieb, von Unverstand gelenkt,
Erblickt im falschen Schein der Wahrheit Licht.
Unkundig eures Wesens, wißt ihr nicht,
Warum ihr dies begehrt, vor jenem bangt.
O daß ihr nie zum Selbstverstehn gelangt!
Verblendung, Lebensrausch hält den Verstand
Stets an der Oberfläche fest gebannt.
In eures Wesens Tiefen müßt ihr steigen:
Aus Stoff und Geist ist euer Sein gemengt;
Jener ist Staub, doch dieser denkt und lenkt
Und macht des Leibes Kräfte sich zu eigen.
Die Seele ist von allen Himmelsgaben
Das Köstlichste, sie muß den Vorrang haben!
So gebt ihr denn den Leib, das Leben preis!
Doch nicht genug, ergründet auch mit Fleiß,
Warum der Himmel euch mit ihr beschenkt.
Steht wohl der Mensch in dieser Welt allein?
Ist's die Gesamtheit nicht, an der er hängt?
<185>Seht, Not und Leid sind jedermann gemein:
Der beste Grund als Brüder uns zu achten!
Laßt uns des Nächsten Leid zu lindern trachten,
Ihm helfen, dieses Lebens Last zu tragen.
Hoch soll die Flamme unsrer Liebe schlagen:
Die Tugend ist des Seelenfriedens Pfand.
Dies höchste Gut, ein jeder kann's erjagen,
Doch wohl behüten lern' es, wer es fand ...
Je opferfreudiger des Menschen Sinn,
Um so beglückter ist er; ohne Klagen
Gibt er im heiter-männlichen Entsagen
Dem Nächsten Arbeit, Leib und Leben hin.
Mit Strenge dämpft er, wachsam gegen sich,
Den Aufruhr der Begierden in der Brust.
Mild ist der Weise, gütig, brüderlich;
Ihm ist der Menschen Bosheit wohl bewußt,
Doch übt er Duldung, sich nur schont er nicht.
Was tut's, ob Undank, Tücke und Verrat
Ihm dräun? Kein Beispiel ist's, das ihn besticht.
Nur Jähzorn führt ihn auf den gleichen Pfad!
Die Güte ward euch eingepflanzt von droben,
Stärker als Haß, die Unbill zu verzeihn.
An Freunden könntet ihr sie nicht erproben:
So müssen's Feinde denn und Frevler sein.
Den bittren Wermut wünscht ihr euch gelind?
Ertragt die Bösen, wie sie einmal sind!...
Freund, möchtest du der Weisheit Stimme hören!
Welch Ärgernis kann deinen Sinn empören?
Sprich, was an eitlem Lob und Tadel liegt —
Ein leerer Schall, der in die Luft verfliegt!
Du willst mit deinem Ruhm der Enkel Ruhe stören,
Willst, daß die Nachwelt, deiner Taten voll.
Mit dir nur ewig sich befassen soll.
Sieh schärfer zu — dein Irrtum wird dir klar!
Sprich, in der Ewigkeit, die vor dir war,
Spürtest du da, was man von dir gesagt?
Hat dich Menipp185-1 und Aretin185-2 geplagt?
<186>Doch weißt du nichts von ihren Reden allen —
Von welchem Wahn ist dann dein Geist befallen,
Daß du dich sorgst, welch Urteil dir die Welt
— Ob gut, ob schlecht — nach deinem Tode fällt?
Legt er auf uns die dunklen Schwingen schwer,
Und ist des Lebens letzte Glut verglommen,
Hat uns das kühle Grab erst ausgenommen,
So ist die ganze Welt für uns nicht mehr.
Du spürst in dieser Nacht, des Volks Entsetzen,
Nicht, wie die Würmer deinen Leib zersetzen.
Todfeinde, die von Ehrsucht einst erglühten,
Die Göttern gleich zu werden heiß sich mühten,
Die grimmig um die Weltmacht rangen,
Einander unterwarfen und bezwangen —
Sie ließen, war ihr Hassen noch so wild,
Der Nachwelt kaum ein flüchtig Schattenbild!
Ihr Sorgen, Mühen, Grämen ist vergebens:
Ermiß daran, o Freund, den Wert des Lebens!
O Heldenruhm, o Ehrgeiz, Schätze, Würden,
Abbilder ihr des Glücks — o eitle Bürden,
Rasch fortgerissen in des Lebens Drang
Gleich einem Blitz zu jähem Untergang!
Es löst Natur die Bande aller Wesen,
Die sie zu manchen Zwecken auserlesen;
Doch aus Verwesung, aus des Grabes Nacht
Weckt neues Leben ihre Schöpfermacht.
Gleich einem Strome stießt die Zeit, die schnelle,
Ereignis um Ereignis zu bereiten,
Und wie sie schwillt und ebbt in rascher Welle,
Wechseln die Jahre und die Jahreszeiten.
Geburt und Grab, ein ewig Auf und Nieder;
Das Neue sprießt, verwischt des Alten Spur,
Und ewig ändert sie die Dinge wieder:
So unerschöpflich reg ist die Natur.
Und ich, ich sollte murrend widerstreben
Der großen Regel, die das Weltall treibt,
Und wider das Geschehen mich erheben,
<187>Das meinen Bitten taub und fühllos bleibt?
Du grollst vergebens, störrisches Gemüt,
Denn alles, was geschehen muß, geschieht;
Kein Wesen kann des Schicksals Kreise meiden:
So unterwirf dich, lerne dich bescheiden!...
Genieße lieber — laß die eitle Klage —
Das karge Glück, das deine Furcht erstickt,
Geliehen ward es dir für kurze Tage,
Und niemals rein: es ist mit Leid verquickt.
Doch du versetzt: „Ich fühle, bin lebendig,
„Mein Leib ist gegen Schmerzen nicht gefeit.
„Wohl weiß ich, unser Los ist Tod und Leid,
„Doch ist's kein Trost, sag' ich: es ist notwendig.“
Wie? Siehst du nicht, daß uns das Leid hienieden,
Den Guten wie den Bösen, ist beschieden,
Daß es nicht Tugend, Macht und Rang verschont —
Das einzige, was tugendhafte Herzen
Mit denen teilen, drin der Frevel wohnt?
Allein der Feigling fürchtet sich vor Schmerzen:
Standhaftigkeit und tapfrer Sinn erträgt
Das harte Schicksal, wie's ihn immer schlägt...
Es kann dem Körper Streich um Streich versetzen,
Doch unsre Ehr' und Tugend nicht verletzen.
Die Zeit heilt unsre Wunden; im Entschwinden
Stillt sie die Zähren, läßt uns Tröstung finden.
Der Weise weiß, von Zeno aufgeklärt,
Daß sein Verstand ihm Seelenglück beschert.
Oft sind ja Sorgen, Qualen nur Chimären,
Nur Vorurteile aus des Pöbels Lehren:
Der Weise muß sich ihrem Bann entwinden.
Welch Zauber kann an diese Welt euch binden?
Die Erde ist für mich ein Häuflein Staub,
Des Wechsels Spielball und des Zufalls Raub,
Ein Sandkorn nur im schrankenlosen Raum,
Und unser Sein ein Augenzwinkern kaum
Der Ewigkeit; die Gegenwart entflieht,
Das Morgen ist noch nicht, das Gestern schied.
In diesem Wirbel dürstet unser Sinn,
<188>Kaum einen Augenblick gewiß zu leben,
Unstet nach Glück, und seine Wünsche streben
Durch eine lange Flucht von Jahren hin.
Welch wunderlich Gemisch von Lust und Trauer,
Von Wonne, Reue, Ekel und Begier!
Ein Widerspruch klafft fort und fort in dir:
Du fiuchsi dem Schicksal und verlangst nach Dauer.
Was hindert euch, des Lebens überdrüssig,
Es abzukürzen: werdet endlich schlüssig!
Verlaßt dies Jammertal: wie wenig stellt
Man vor in dieser eitlen, falschen Welt?
Ein Leichnam lebt, an dem die Seele hängt,
Durch dessen Not von sich stets abgelenkt,
Zu wirrem Pfianzendasein eingeschränkt.
Blickt auf den Tod mit unverzagtem Mut!
Er ist der einz'ge Hort, der letzte Hafen ...
Wenn unser Leib in tiefem Schlummer ruht
Und ausgelöscht so Geist und Sinne schlafen,
Dann ist die Seele, gegen Schmerz und Wonnen
Empfindungslos, schon diesem Sein entronnen.
Verliert sich unser Leib nicht Tag für Tag?
Stets strömen neue Stoffe auf ihn ein;
Die Nahrung muß ihm frische Kraft verleihn:
Der Leib, der an der Mutter Busen lag,
Ist längst dahin; unmerklich schuf die Zeit
Ein neues Wesen draus; so lebt er bloß
Durch ew'gen Wechsel, stets dem Tod geweiht.
Rasch trifft den einen, andre spät das Los,
Doch eines Tages deckt das Grab uns zu:
So suchen Bach und Strom in gleichem Lauf,
Ihr Bett sich grabend, fern im Meere Ruh;
Ihr Name geht und alles in ihm auf.
Hochmütiger Geist, rebellisch ist dein Trachten!
Du, der auf trümmerreichen Klippen sitzt,
Wo dir Zerstörung rings ins Auge blitzt,
Lern' dich bescheiden und dein Schicksal achten!
Des Todes Schule sei für dich das Leben:
Muß jener unbekannte Geisteshauch,
Der dich beseelt und in dir denkt, entschweben
<189>Im letzten Seufzer, trifft der Schlag ihn auch,
Der deinen Leib zerstört — was hast du dann
Nach diesem Streich zu fürchten? Allem Leid
Enthebt der Tod dich: ist der Sinne Bann
Gebrochen erst, bist du von Schmerz befreit.
Doch überwindet durch der Götter Gnade
Dein Geist den Tod und wird emporgetragen —
Laß ab vom Fürchten: dir geschieht kein Schade!
Den Himmel segne; schäme dich zu klagen!
Gott, der Vollkommne, ist unendlich mild;
Glaub' nicht, daß grollend er im Donnersturm
Herabfährt auf den schwachen Erdenwurm;
Wir sind für ihn ein mitleidwürdig Bild,
Und nach dem Tode finden wir Erbarmen.
Der Güte Gottes sollst du stets vertrauen
Und, wenn Du stirbst, auf seine Hilfe bauen:
Er nimmt dich auf in seinen Vaterarmen!
60. Rede des Kaisers Otho an seine Freunde
nach der Niederlage bei Bedriacum190-1
(1. Dezember 1761)
Ihr Freunde, tretet näher! Das Geschick
War taub und fühllos gegen unser Sehnen.
Seht — denn mein Herz enthüll ich eurem Blick —
Seht euch zu Füßen tief den Abgrund gähnen!
Vitellius triumphiert, wir sind geschlagen:
Ach! selten hat die Tugend Lohn getragen!
In euren Zügen kündend Gram und Wut,
Ihr seid zu rächen meinen Schimpf gewillt.
Ich weiß, was eures Muts Versprechen gilt!
Ihr wärt bereit, mit eurem Herzensblut
Mir die gesunkne Macht emporzuheben:
Des habt ihr sichre Pfänder mir gegeben!
Doch Hab' ich noch ein Recht auf euer Leben?
Nach Herrschaft lechzt' ich, Ehrgeiz packte mich
Wie jeden Menschen — doch der Taumel wich.
Wie? Jene Macht, die andre mir bestritten,
Mit eurem Blut nur ist ihr Bau zu kitten?
Und soll sich Rom mit eigner Hand zerfetzen,
Das Vaterland wollt ihr zu Tod verletzen,
Um einen Einzigen zu beglücken? Nein!
Muß jemand fallen, soll es Otho sein!
Mein Sterben wird den Bürgerzwist beenden:
So kann ich euch dies eine Mal noch nützen,
Mit einem Streich vor Acht und Bann euch schützen,
<191>Des Haders blut'ge Folgen von euch wenden.
Das Elend, das der Welt Verderben brächte,
Trat mir vor Augen — lang befragt' ich mich
Und drang in meines Herzens tiefste Schächte,
Doch jenes Bild erschien mir fürchterlich!
Der einst'gen Größe Schimmer ist verblaßt,
Nur Trümmer seh' ich rings und Flucht und Hast.
Dem Tod entgegen blick' ich ohne Schauer,
Was raubt er mir? Ein Reich von kurzer Dauer,
Ein Gut, das als vergänglich mir bewußt,
Und das noch jeder Herrscher lassen mußt'.
Mag denn Vitellius eine kurze Weile
Sich sein erfreun und sich mit Lorbeer kränzen,
Ich werde seinen Namen überglänzen!
Steigt er zum Thron durch Frevel auf: ich teile
Wohltaten aus, indem ich ihm entsage.
Die Götter sind mir Zeugen: seit dem Tage,
Da ihre Gunst und euer treuer Mut
Die Macht mir gab, wünscht' ich mit heißer Glut
Nur eins: Rom und die Freunde zu beglücken.
Zuschanden wurde durch des Schicksals Tücken
Der segensreiche Plan. Doch ein Begehren
Vermag des Himmels Zorn mir nicht zu wehren:
Die Mitbürger und Freunde zu behüten!
Drum soll Vitellius gegen euch nicht wüten;
Er sieg' und herrsche; ich entsage frei!
Das Reich braucht einen Kaiser, doch nicht zwei.
Bekleid' er denn ein Amt, oft ohne Segen,
Und sei nach dem Gewaltsireich mild und gnädig;
Durch Wohltun werd' er seines Frevels ledig
Und führe Rom dem höchsten Glück entgegen.
Die grausen Schwerter, gegen euch gezückt,
Reiß' ich durch meinen Tod aus Feindesarm —
Doch welche Tränenflut, welch bittrer Harm?
Gilt mir dies edle Trauern? Tiefbeglückt
Fühl' ich's: ich herrschte über eure Herzen!
Nur düstre Mienen seh' ich, dumpfe Schmerzen:
So edler Freunde macht sich Otho wert;
<192>Die schrankenlose Macht, die mir gewährt,
Erstickte nicht die Freundschaft im Gemüt.
War schon ein schlichter Bürger heiß erglüht
Fürs Vaterland und gab sein Leben hin.
Bewies ein Decius solchen Opfersinn —
Was heischt dann Rom von einem Kaiser gar?
Er muß sein Haupt dem Staat zum Opfer bringen,
Um Sturm und Ungewitter zu bezwingen.
Mein Leben schuld' ich Rom, das mich gebar;
Euch schuld' ich's, ist mein Herz nicht undankbar!
Die Seelenstärke glänzt in der Gefahr;
Dem harten Schicksal setzt ein Ziel der Held,
Denn seine Laufbahn mißt sich nicht nach Tagen,
Die er in Muße zwecklos hingetragen.
Ich lebte lang genug, erfährt die Welt,
Weshalb ich dieses Ende mir erkoren!
Sie sage: Otho sah den Staat verloren;
Um ihn zu retten, wählt' er frei den Tod.
Kein Zaudern, Freunde, in der höchsten Not!
Zum Sieger eilt: mein letzter Wille sei's.
Ich sprecht euch los von Treueschwur und Eid.
Flieht! Nutzt den Augenblick, 's ist höchste Zeit!
Zum letztenmal folgt eures Herrn Geheiß!
Mein Ende naht, schon bin ich fast nicht mehr.
Wenn ich des Leibes Hülle nun zerstöre,
Ins Herz euch schließend, bleibt nur ein Begehr:
O daß der Himmel mein Gebet erhöre!
Die Götter mögen euch nach meinem Scheiden
Für eure Lieb' und Treue reich bedenken
Und euch vor Kummer schirmen und vor Leiden:
Was Otho nicht vermocht, sie können's schenken!
Einst preist ihr noch mein Los! Ist's denn so schwer,
Den Zoll zu zahlen, dem uns nichts entrückt?
Wohl jedem, der die Welt verläßt, wenn er
Der Tugend Siegel auf sein Scheiden drückt!
Erlischt der Geist, sobald mein Leib verblich,
Gibt's nicht mehr Sorge, Schmerz und Not für mich;
<193>Doch hat der Streich, der hin den Körper rafft,
Die Seele zu zerstören nicht die Kraft,
So find' ich Götter, unbekannt den Bösen,
Die uns für unsre schwache Tugend lohnen.
Lebt wohl, ich will vom Erdenstaub mich lösen,
Um in des Himmels Herrlichkeit zu wohnen!
61. Rede Catos von Utica
an seine Freunde und seinen Sohn, bevor er sich den Tod gab194-1
(8. Dezember 1761)
Des Unheils Maß ist voll! Sei, Tag, verflucht,
Der dich, o Rom, bestimmt zu sichrem Falle!
Ach, deine göttergleichen Taten alle,
Der Helden Blut, des zähen Ringens Frucht,
Die Weltmacht, die auf manch zerstörtem Thron
Begründet ward von deinen tapfren Söhnen,
Ja, deiner Mannheit, deiner Siege Lohn
Soll eines Räubers Glück und Frevel krönen!
Dein Sohn, entartet, aller Treue bar,
Stößt dir ins Herz das Vatermörderschwert,
Trifft mit dem Stahl, womit du ihn bewehrt,
Die Feinde nicht — das Land, das ihn gebar!
Zum Frevel nützt er seine hohen Gaben;
Der Held in Gallien wird in Rom Despot.
Die Freiheit hat er ruchlos untergraben;
Aufsässig wider des Senats Gebot,
Stürzt er den Staat und will ihn ganz verderben;
Und alles wankt und fällt und geht in Scherben!
Wir aber leben noch und sehn in Ruh,
Ohnmächtig, diesem Greul zu steuern, zu.
Roms Sache wollte Bürgersinn verfechten;
Das Recht war unser, sein der Siegespreis:
Dem Räuberschwert erlag der Erdenkreis.
Mag er denn Catilinas Sippe knechten,
Seines Triumphes würdige Genossen!
<195>O Blut, das auf Pharsalus“ Flur geflossen!195-1
Der letzten Römer hochgesinnte Manen —
Aus euren Gräbern tönt ein dumpfes Mahnen:
„Verlaß, o Cato, die verhaßten Stätten,
„Wo Frevelmut die Freiheit wagt zu ketten!
„Unsel'ger Spielball unsres Bürgerzwistes,
„Ins Grab der Freiheit eile dich zu betten!“
Ihr letzten Schirmer unsrer Rechte, wißt es:
Cato folgt euren Rufen in den Tod!
Doch gilt es erst, euch, Freunde, noch zu retten,
Vom Strande, wo Karthago einst gebot,195-2
Vom Joch, mit dem euch Tyrannei bedroht;
Dann stehen mir des Schicksals Wege offen!
Auch du, mein Sohn, den ich, mein einzig Hoffen,
Sterbend im Bannkreis des Tyrannen lasse —
Flieh die entweihten Stätten, die ich hasse,
Wo jenes Siegers giftiger Odem weht
Und sich des Zwingherrn ekler Dünkel bläht:
Such' Obdach dir in einem beßren Lande,
Wo frei du bleibst in dieser Zeit der Schande!
Gedenke an den Tugendglanz der Väter,
Doch soll dein frommer Sinn sich nicht empören:
Dem Zorn der Götter weih' die Missetäter,
Die unfern Staat und sein Gesetz zerstören.
Und weine nicht, entflieht des Vaters Leben:
Segne den Tag, der mich dem Gram entrückt!
Vom Erdenstaube will ich hochbeglückt
Empor zum Tempel unsrer Götter schweben.
In jener Freistatt schenkt Gerechtigkeit
Der Tugend Ruhm und höchste Seligkeit;
Pompejus treff' ich dort und Scipio an
Und jeden Römer, der sich Ruhm gewann.
Du, Cäsar, sollst mein Ende noch beneiden!
Mein Leben krön' ich durch ein hehres Scheiden;
Ein echter Römer, wähl“ ich lieber Tod
Als Leben unter deinem Machtgebot!
<196>Genug der Worte! Reicht mir nun mein Schwert!
Noch hat es keinen Bürger Roms getötet:
Mein Blut nur ist's, von dem sein Stahl errötet.
Doch wie? Befolgt ihr nicht, was ich begehrt?
Verschwört ihr euch? Was solln die Heimlichkeiten?
Ihr zagen Freunde, sprecht, was habt ihr vor?
Mich hindern, selbst den Tod mir zu bereiten?
's gibt tausend Wege zu dem dunklen Tor;
Frei stehn sie alle, und so will's mein Los.
Wollt ihr den Freund, den Vater, waffenlos
Dem Sieger liefern in die frechen Hände,
Dem Brecher der Gesetze ihren Wächter,
Den Freund der Republik ihrem Verächter,
Daß Cato beim Triumph als Sklave ende?
Das ist die Frucht von eurem blinden Tun!
Verabscheut euren Wahn, denkt edler nun:
Den Tod erträgt der Weise ohne Zagen;
Lobt meine Tat und hütet euch zu klagen.
Die Freunde und das Vaterland verderben —
Ein Feigling überlebt's, der Held muß sterben.
62. Die beiden Hunde und der Mann
(Februar 1762)
Zwei große Köter, beide haßerfüllt,
Ganz ausgehungert und voll Gier nach Beute,
Zerfleischten sich um Speisereste wild,
Die ein Bedienter auf die Straße streute.
Man sah das Blut aus ihren Mäulern quellen,
Fern an das Ohr der Straßengänger drang
Ihr lautes Kläffen und ihr wütend Bellen.
Da kommt ein grober Kerl des Wegs entlang;
Er sieht sie kämpfen, nimmt den Stock zur Hand
Und schwingt ihn über beiden kampfbereit,
Dann prügelt er drauflos, von Wut entbrannt,
Und schlägt sie windelweich, indes er schreit:
„Vierbeiniges Gezücht, könnt ihr nicht hören,
„Könnt euch, ihr Biester, nicht von bannen scheren?“
Da spricht, schon im Begriff davonzujagen,
Voll Zorn der eine Köter: „Wilder Mann,
„Zwei wahre Helden sind's, die du geschlagen!
„Auf Erden hier — gedenke stets daran —
„Treibt jeder sein Geschäft, so gut er kann.
„Wenn aneinander sie im Streit geraten,
„Um Knochen kämpfen Hunde, ihr um Staaten.“
Die bittre Not treibt Hunde in den Streit,
Doch uns Chimären und die Eitelkeit.
63. An d'Argens
(13. August 1762)
Mit Leid und Lust in ständigem Verein
Bestreut der Himmel täglich unsre Wege.
Ihr Widerspiel ist immer rege
Und stürzt alsbald des Glückes Schlösser ein.
Nur Götter wissen von der Zukunft Wettern,
Doch blinden Auges schaut der Mensch hinein!
Sein Tun mag nutzlos, schlecht erwogen sein,
Und unversehens kann es ihn zerschmettern.
Fürwahr, Marquis, was man so menschlich nennt,
Ist nur ein elend, eitel Element.
Wenn uns ein plötzlich Unheil überfällt,
So mehrt es unsern Jammer gleich unsäglich.
Es wird verzweifelt, unerträglich,
Doch schließlich, trotzig wie ein Held,
Bekämpfen wir es unverstellt.
Was quälen wir uns so mit all den Plagen?
Sind mitten in des Wechsels Reich
Doch unsre Zelte aufgeschlagen!
So laßt uns denn in trüben Tagen,
Von manchen Leiden bleich,
Wie Weise uns betragen.
Heut mag ein feindliches Geschick uns quälen,
Doch morgen hört Fortuna auf zu schmälen,
Sie neigt sich hold, und wir — wir lachen gleich.
Beklagen wir nicht immer unser Los,
Sein wechselnd Spiel liegt gar zu offen.
Des Weisen Furcht sei nie zu groß,
Doch noch geringer sei sein Hoffen.
64. Epistel an d'Argens
nach der Einnahme von Schweidnitz199-1
(Oktober 1762)
Wär ich der biedere Homer,
In Griechenversen, hold von Laut,
Nicht trocken, holprig, schief gebaut,
Sang“ ich die große Tat! Und wär'
Ich gottbegnadet wie Voltaire,
Das Thema mit Geschmack zu meistern,
Und sicher füglich, zu begeistern,
Ich zählte alles haarklein her,
Wie Tauentziens, Lefebvres199-2 Hand
Aufs neue Schweidnitz an uns riß —
Und wie von ferne wutentbrannt
Sich Laudon in die Lippe biß.
Doch nehmt mich nicht für so betört,
'ne neue Ilias zu schneidern,
Weil Schweidnitz wieder uns gehört.
Ich überlass' es unsern Neidern,
In ihrem faden Geckentum
Zu prahlen mit dem eignen Ruhm!...
Ihr hört es von den Posiillonen,199-3
Was alles hier sich zugetragen
Durch Feuer, Bomben und Kanonen,
Laufgräben, Sappen, Parallelen.
Sie werden Euch auch vieles sagen
Von ausgerißnen Festungspfählen,
<200>Von Minen, Breschen, blut'gen Stürmen,
Bei denen sich die Leichen türmen,
Und von den heidnischen Panduren,
Die gradenwegs zum Orkus fuhren.
Doch meine Muse, eingeschüchtert
Und längst von Blut und Tod ernüchtert,
Verabscheut solch ein düstres Lied.
Mag eine andre, hochgeschwollen,
Ein Bild des Jammers Euch entrollen,
Den Ehrsucht unsrer Welt beschied.
Ich fahnd' in luftigen Gefilden
Lieber nach heiteren Gebilden,
Die lockren Geistern mehr behagen,
Als wenn die Flammen rings, die wilden,
Aus der Vulkane Schlünden schlagen.
Wenn ölzweigtragend zu der Archen
Die Botin erst des Patriarchen,
Die Taube Noahs wiederkehrt
Und fröhlich unser Gau erfährt
Von einem sichren und soliden
Und ach! so lang ersehnten Frieden,
Will ich, begeistert von Apoll
Und meiner heißen Wonne voll,
Dem Pegasus die Sporen geben
Und fiugs zum Helikon entschweben ...
Viertes Buch
Alter
<202><203>65. Epistel über das Zuwenig und Zuviel an Frau von Morrien203-1
(März 1765)
Du, die sie einst in meiner Jugend nannten
Den tollen kleinen Wirbelwind,
Sprich, sollen Dir Uraniens Trabanten203-2
Hier, wo wir höfisch-höflich sind,
Mit ihrem Zirkel regeln Weg und Ziel,
Die Mitte von Zuwenig und Zuviel?
Gedenkt' der Zeit, da ohne Grübeleien
Dein Leben nur von Spielen war ein Reihen,
Da, ob des nächsten Tages unbekümmert,
Dem hellen Heute Du vertraut.
Du wußtest wohl, wohin Dein Auge schaut,
Daß nur für Dich der Morgen schimmert,
Um volle Lust in stetigem Erneuen
Wie Blumen Dir in Deine Hand zu streuen.
Morrien, Du liebenswerte Kreatur,
Wie warst Du klug in Frohsinn und Vergnügen!
<204>Wie schenkte unerschöpflich die Natur
Dir das Talent zu reiner Freude nur,
Die treulich jede Schranke ehrt,
Wie Zucht und Sitte sie gelehrt,
Und dennoch schlürft die Lust in vollen Zügen!
Welch Zauber aber hat Dich jetzt betört,
Die Pfade Epikurs zu meiden,
Um höchst vernünftig zu entscheiden,
Wieviel auch wirklich ein Vergnügen wert?
Glaub' mir, ein Irrtum, der uns hold umfängt,
Ist besser als das trübe Licht,
Das die Vernunft uns zur Erleuchtung schickt.
Erkennst Du durch ihr Auge nicht,
Das scharf durch alle Schleier bricht,
Daß alle Dinge auf dem Erdenplan
Nur Dunst, Verblendung sind und eitler Wahn?
Wir alle huldigen hier auf Erden
Der Illusion und ihrer Macht.
Die reizendste soll unsre Freundin werden!
Dann mag mit majestätischen Gebärden
Die lästige Überlegung hoch von droben
Erscheinen, ist die Tafel aufgehoben.
Drum abgetan sei jedes Vorurteil!
Meinst Du, es wäre nicht zu unsrem Heil,
Wenn man die Lust, die unterwegs begegnet,
Rasch als willkommne Beute segnet?
Und schnell wird mir die Antwort nahn:
Dein Diener ginge stets die rechte Bahn.
So kehre heim zu Spiel und Lust und Lachen,
Zu Deines Frühlings losem Übermut.
Stets fröhlich sei Dein Lebensblut:
Das ist der Rat, den Weise Dir vermachen.
Und was zuwenig, was zuviel,
<205>Magst Du im Tempel Äskulaps erfragen.
Dort wird des Gottes Priesterin Dir sagen:
Zuwenig deucht uns in der Jugend Spiel,
Zuviel uns alles in des Alters Tagen.
66. Ein Kapitel gegen die werten Herrn Blutsauger, auf griechisch: Philokopros
(1765)
Dieses gräßliche Gesindel,
Das Börsenspekulanten heißt!
Spitzbuben mit dem Diebwerksbündel,
Auswurf von eklem Höllengeist!
Es überkommt uns schon ein Schwindel,
Wenn man auf ihre Namen weist.
Web' ich mit meiner Dichterspindel
Das grobe Zeichen ab: Boué,206-1
Dann schreit gewiß Apollo: weh!
Die Feder sträubt sich, den Kumpanen
Der Satansbrut den Dienst zu leihn;
Sie stockt und hält mit Schaudern ein,
Gilt es die Namen Wurmb, van Sanen,
Die ans Groteske uns gemahnen.
Nun schaut sie selber an, die drei —
Im Mummenschanz der Gaunerei,
Die Helden in dem Reich der Zahlen!
Wie sie mit plumper Pinselei
Habgier und Wucher übermalen —
Wie sie mich hier und dort bestahlen
Durch Wechsel, Schuldscheinfopperei,
Mit Quittungskram und kolossalen
Bankrechnungen — Gott sieh mir bei!
Zu dem Geschäft mich herzugeben!
<207>Das dumme Zeug geht mir ans Leben!
Ich magre ab, ich möcht' vergehn
Bloß wegen dieser Kerle eben,
Die abgefeimt nur danach streben,
Daß ihre Kurse pari stehn.
Ihr Schufte, schmutzig wie Chinesen
Und noch verschmitzter, habt ihr mal
Den Aristoteles gelesen?
Wißt ihr, wer Locke, La Motte207-1 gewesen?
Nein, dazu seid ihr viel zu schal —
Die Geistesnahrung wär' euch Qual.
Die Wissenschaft geht in die Binsen,
Und nur, wo's was zu rechnen gibt,
Da seh' ich die Gesichter grinsen.
Das einzige ist, was euch beliebt,
Fünfzehn Prozent an Wucherzinsen...
O welch ein lächerliches Los
Ist uns Monarchen aufgezwungen!
Man zieht sich solche Lumpen groß!
Ihr Treiben schon ist sittenlos;
Doch brauchen sie noch ihre Zungen,
O welche Marter für mein Ohr!
Noch eben waren mir erklungen
Gesänge aus dem Dichterchor,
Das Lied Homers, das uns begeistert,
Das Lied Virgils, das Herzen meistert —
Kaum steigt der Wunderborn empor,
Wird er durch Pöbelschlamm verkleistert.
Rasch flücht' ich mich zum Musenhain,
Um froh beseligt nah zu sein
Deinen neun Töchtern, Mnemosyne!
Dort sog ich einst die Hoffnung ein,
Daß mir des Ruhmes Lorbeer grüne.
Die Sünden büßen will ich dort,
Abschwören meine Frevelpläne!
<208>Und in dem Quell der Hippokrene
Schwemm' ich den alten Unrat fort.
Rein bad' ich mich an diesem Ort
Von allem Schmutz und eklen Säften
Aus den verruchten Geldgeschäften,
Eh' meine Lebenskraft verdorrt.
Ja, beim Permessus will ich schwören
Und schwören, Gott Apoll, bei dir:
Nie soll mich Plutus mehr betören,
Nie wecken eine schnöde Gier!
Das Gift, vom Leibe halt' ich's mir,
Will nur aufs Wort der Musen hören,
Mich laben an den Zauberchören
In ihrem heiligen Revier!
67. An Prinzessin Amalie
(31. Dezember 1767)
Sieht eine Philosophenecke
Zu einem Nachtmahl Dich bereit
Mit schlichtem, ländlichem Gedecke?
Der Wirt, nur Dir allein geweiht,
Weiß wohl, Dein Geist ist zu gescheit,
Als daß man Deinen Beifall wecke
Durch Pomp und steife Förmlichkeit.
Die Grazien Deines Hofs209-1 begehrt
Er auch zu sehn an Deiner Seite,
Und die Duenna,209-2 deren Wert
Sie auserkor Dir zum Geleite,
Die Nymph' aus unsrer Mutter Ära,
Die trotz Stockholm209-3 und trotz Cythera
Bewahren wollt' in keuscher Kraft
Auf ewig ihre Jungfernschaft.
Doch suche nicht in dem Asyle,
Das Dir sich auftut, völlig rein
Von Stolz und eitlem Hochgefühle,
Das dumme, prunkende Gewühle
Der Schranzen, die so kläglich klein.
Ich lud vielmehr als werte Gäste
Die sanfte Freude mir zum Feste
<210>Sowie die Göttin Freundschaft ein.
O daß wir nimmer doch entbehrten
Dergleichen liebliche Gefährten;
O gäbe Dein und mein Geschick,
Daß gnadenreich sie uns verklärten
Des Lebens letzten Augenblick!
68. An d'Argens211-1
(Februar 1768)
Ha, teurer Marquis, nun erblaßt mal vor Neid,
Dieweil Ihr nicht mehr der Einzige seid,
Der Einzige in unsrer kleinen Welt,
Dem Atropos ernstlich nachgestellt!
Denkt Euch, ich lag, wie Ihr, gefährlich krank
Und war ganz scheußlich mitgenommen
Von dem schweren Katarrh. In Berlin die Frommen
Seufzten in Andacht: Gott sei Dank!
Wild durch die Adern tobte mein Blut,
Staute sich und betäubte mein Hirn
Und mehrte so des Fiebers Glut
Und das schmerzhafte Hämmern hinter der Stirn.
Aus meiner Brust, einem Brünnlein gleich,
Brach's scharlachrot, und es wurden bleich
Die Söhne des Hippokrat.
Und doch — wie wohl mir das alles tat!
Denn mit allen diesen Beschwerden
Fühlt' ich mich stolz Euch ähnlich werden.
Mein Leib war gepanthert, war rot gesprenkelt —
Ah, es packt Euch, Ihr seid bewegt?
Das ist der Neid nur, der Neid, der sich regt,
Euch läuft das Wasser im Munde zusammen.
„Was?“ fragt Ihr mit zornigem Augenflammen,
„Einer, der klagen will? Krankt oder kränkelt?
„Genau so wie ich?! Ich muß doch sehr bitten!“
Gemach doch, keiner tritt Euch zu nah,
Und Euer Vorrecht sei unbestritten;
<212>Ein Neuling, ein Anfänger bin ich ja!
Nein, es fällt mir im Traume nicht ein,
Es aufzunehmen mit Euren Litanein
Von allen Gebresten und Erdenweh!
Besitzen doch all diese Leiden von je
Ein Vorrecht auf Eure Leiblichkeit,
Worauf Ihr gar eifersüchtig seid!
Da gibt's Verstopfungen, gibt's versetzte,
Trübselige Blähungen; ha, und die letzte
Darmerschlaffung, und erst die Kolik!
Und der Harnzwang! Und da die Entzündung! Die Hitze!
Blutspucken — gewiß aus der Lungenspitze!
Und denkt an die schlimme Angina zurück!...
Lähmung und platzende Blutgefäße,
Schwindel, Ohnmacht und ähnliche Späße
Sind Eurer Einbildung stets zur Hand;
Hübsch reihum geht's,
Und eine ist stets
Zur „Krankheit vom Dienst“ ernannt. ..
Durch diese Schrecknisse, sollt' ich glauben,
Fühlen wir Sterblichen uns gequält;
Sie wollen uns gar das Leben rauben —
Bei Euch werden sie zur Familie gezählt.
Ist's eine Schrulle, ist's schlechter Geschmack,
Daß Ihr mit diesem entsetzlichen Pack
Nun lebt seit zwanzig Jahren,
Ja, daß Ihr in einem wahren
Sonderlingsehrgeiz ein größer Behagen
Verspürt an Euren Krankheitstagen,
Als andern das Hochgefühl mag verleihn,
Gesund zu sein!
Zum Beruf habt Ihr Euch das Kranksein gemacht,
Euch verbrennt mal die Wärmflasche über Nacht,
Und werdet Ihr zuguterletzt
Im Schloß Eguilles212-1 beigesetzt,
Dann grab' ich selber auf Euren Stein
Am Fuß des Altars mit dem Griffel ein:
<213>„Hier, Wandrer, ruht ein Schriftsiellerlein,
„Er starb aus Angst, nicht unsterblich zu sein.“
Mag auf der Bühne ein Held einmal
Mit Todesnöten ohne Zahl
Uns in Atem halten, daß für sein Leben
In jedem Augenblick wir beben,
Das muß so sein, das geht uns nah.
Doch Ihr, Marquis, Ihr wißt es ja,
Daß wir Euch lieben: Ihr müßt uns ersparen
Die Angst bei all Euren Lebensgefahren.
Doch Euer Geist ist ein Vergrößerungsglas,
Es zeigt Euch alles im Übermaß.
Habt Ihr Euch ein wenig geritzt und geschunden,
Gleich zeigt es gefährliche, brandige Wunden;
Und kommt Euren Augen, den kummervollen,
Euer Spiegelbild etwas verdächtig vor,
Als wär' das Gesicht Euch ein wenig geschwollen —
Was gilt's? Euer Ende sieht dicht bevor!...
Fort mit dem Wahn, der mich schon längst verdroß!
Gehört er in eines Weisen Schloß?
Ich hasse alles Falsche in der Welt,
Was immer die Wahrheit verderbt und entstellt.
Laßt Eure schwarzen Sorgen endlich weichen,
Die Furcht vor dem Tode und seinen Zeichen;
Die Narrheit hat manchen Tag Euch vergällt!
Könnt' ich es bannen, Euer Verhängnis,
Euch befreien aus Eurer Bedrängnis!
Bedenkt: Ihr versäumt ja zu leben
Vor lauter Zittern und Beben!...
So lang Euren Faden, gnädig gesinnt,
Frau Lachesis noch weiterspinnt,
So lange freut Euch unverzagt
Des schönen Lebens und ungestört,
Indem Ihr Euch der Angst entschlagt
Und nicht auf jeden Unsinn hört,
Den so ein Dummkopf von Doktor sagt.
69. Epistel auf meine Genesung
(3. April 1770)
O hoffnungsvolle Stunden!
Glückseliges Gesunden!
Die böse Marterzeit
Des Siechtums ist geschwunden. 214-1
Nun fühl' ich mich befreit
Und jag' den Schmerz von bannen,
Den schrecklichen Tyrannen.
O sonnige Heiterkeit!
Mich schienen hundert Dolche zu durchbohren,
Ich gab mich an den Tartarus verloren,
Und der Erinnyen bleicher Chor umstand
Mein hartes Bett und hielt mich festgebannt
Und folterte den schwachen Leib mit Qualen,
Wie sie nicht schlimmer rohe Henkershand
Für ihre Opfer grausam ausersehn.
Kaum hielt ich den brutalen
Angriffen stand, ließ alle Greul geschehn
Und lag wie ein bejammernswerter Schächer
Schon halb in Todeswehn.
Der Atem wurde schwächer,
Jedwede Freude war von mir geflohn,
Mir half kein Tröster und kein Segensprecher,
In meine Hölle drang kein Mitleidston.
An vierzehnmal stieg über Wall und Dächer
Die Sonne und durchhuschte die Gemächer;
An vierzehnmal umschleierte die Nacht
<215>Mit schwarzem Hang die goldne Sonnenpracht,
Und Ruhe brachte mir kein Schlummerbecher.
Die Augen irrten durch den dunkeln Raum,
Mein Hirn durchtobten wilde Wahngedanken,
Der Seele Gleichgewicht geriet ins Wanken,
Ich träumte bösen Traum!
Ich sah, wie Charon schon anrudernd keuchte,
Mich abzuholen, als ein braver Sohn
Des Äskulap215-1 den lästigen Patron
Mit kluger Wehr verscheuchte.
Der kennt nicht die Gesundheit,
Der sie, ein lockrer Tor,
Vergeudet in des Daseins lustiger Buntheit.
Der schätzt sie erst, der sie einmal verlor.
O Wonnetag! O Neugeburt der Seele!
Ich kehr', o Welt, zurück!
Und wie ich mich zu neuer Hoffnung stähle,
Genieß' ich reicher nun das Erdenglück.
Sieh, Schwester, wie's das Schicksal gut gemeint hat:
Dich seh' ich wieder, die um mich geweint hat! 215-2
Ein Wort von Deiner Hand:
Mein Leiden war gebannt.
Und daß ich atme, lebe
Und schmerzbefreit vom Lager mich erhebe,
Der Freundschaft dank' ich's, die sonst Fürsten flieht,
Und die Dich zu mir zieht.
Nun darf ich mich am Vorgefühl berauschen,
Daß ich erneuern unseren treuen Bund,
Dich sehen soll und lauschen
Dem Wort aus Deinem Mund!
Was böt' das Erdenrund
Mir Beßres einzutauschen?
<216>Und wie ich dann erstarke,
Kraft fühl' im frischen Marke,
Mein nächstes Ziel, o hehre Kunst, bist du!
Ich sieure meine Barke
Stolz deinen göttlichen Gefilden zu!
Apolls Begleiterinnen,
Ihr Holden, laßt mich ein.
Begnadet mein Beginnen!
Sanft soll die Weise sein:
Nicht von erhöhten Zinnen
Bejubeln soll mein Lied das Morgenrot,
Das hell am Himmel loht:
Begleiten soll mein Sang mit zarten Sinnen
Des scheidenden Gestirnes Flammentod.
Wir malen nur die Bilder,
Die unser Herz erschaut:
Als mir der Lenz getaut,
Schlug ich die Leier feuriger und wilder,
Jetzt aber, längst ergraut, rühr' ich sie milder,
Gedampft in Sorg und Leid.
So ist's! Ein jedes Ding hat seine Zeit.
Nur soll man nicht trübselig Grillen fangen!
Das Leben führt nicht weit.
Wo froh ein Tag vergangen,
Bleibt keine Bitterkeit,
Und man vergesse unter Spiel und Lachen
Sharon und seinen Nachen.
O süßer Träume Wahn,
Auf meiner Erdenbahn
Laß noch ein Blümchen sprießen!
Und Freudentränen sollen mir noch stießen,
Steig' ich in Charons Kahn.
Kein Schreck wird meiner Seele angetan,
Wenn ich mit philosophischem Beharren
Des Lebenswinters drohendem Orkan
Entgegenzieh' und fühl' mein Herz erstarren.
<217>Und soll's ein Ende sein,
Ich schaue furchtlos drein
Und tausch' für Leid und Bürden
Und Trug und eitle Würden
Die ewige Ruhe ein!
Verse des Kaisers von China218-1
(4. Dezember 1770)
Europas Dichter, seid auf eurer Hut!
Mein Ruhm sieht fest und mein Gedicht ist gut. Ohne zu gähnen, müssen die Chinesen Die Verse hoher Obrigkeiten lesen. Der Westen mag, was selbst er ausgeheckt. Bekritteln; meiner Kunst gebührt Respekt.
Die Schönheit meiner Stadt ist ohnegleichen,
Es muß vor ihr Paris wie Rom verbleichen.
Sie führen dann noch einen Friedrich an,
Doch spricht in Peking niemand von dem Mann;
Ich seh' vom Thron, den Chang-Ti218-2 mir beschieden,
Dieses Insekt des Nordens Reime schmieden
Und Verse drechseln, abgeschmackt und platt,
Und höre, daß ein Nordlandkönig, satt
Des Nebels, der ihm Land und Thron verleidet,
Sich in Paris an Tanz und Schauspiel weidet.218-3
Nun gut. Doch was soll dies dem Kaiser, mir?
Peking gewährt mir jegliches Pläsir.
Ich bin in meinem Reich der erste Dichter,
Zäsur, Sinn, Reim bemängelt mir kein Richter.<219> Wer könnt' es auch? Der Schriftgelehrten Schar? Sie bringt mir wohlbezahlten Weihrauch dar.
Es finden hier sich wie in Frankreich Narren,
Bigotte, Stümper, Leute voll von Sparren;
Verschieden ist der Menschen Angesicht,
Jedoch ihr Geist, ihr Herz, ihr Innres nicht;
Das Lächerliche bleibt sich gleich auf Erden.
Soll ich zum Popanz des Parisers werden,
Der ausruft unter schallendem Applaus:
Seht, seht, wie sieht er echt chinesisch aus!
Was kümmert's mich, wenn der Sorbonne Perücken
Scotus219-1 und Aristoteles zerpflücken,
Confucius schmähn, zum Vorteil Saint Denis',
Die Hölle füllend wie das Paradies,
Weil eines Tonsurierten krauses Träumen
Gericht hält in erfundnen Himmelsräumen.
Mein Heller Kopf, den Irrtum nie beschlich,
Lacht jener Welt und hält an diese sich.
Hier fühlt sich jeglicher Chines geborgen,
In Tugend stark, doch schwach in Glaubenssorgen;
Er liebt die Wahrheit, ist Fiktionen feind,
Bleibt starr bei dem, was er nun einmal meint,
Und überläßt den Kult, den längst profanen,
Den Bonzen und unwissenden Brahmanen.
Inzwischen schmück' ich meinen Müßiggang
Mit müheloser Verse Kling und Klang
Und seh' mit himmlisch friedlichem Empfinden
Im Blauen just Frau Famas Bild entschwinden;
Es fehlt an Kraft ihr, scheint's, landaus landein
So großer Werke Heroldin zu sein.
Am Schwarzen Meer muß Katharinen weichen,
Der hohen Nachbarin, des Halbmonds Zeichen,219-2
Von Donau bis Araxes hält im Bann
Ihr weis Gesetz den stolzen Muselmann.
Fortunas kann ihr Genius entraten,<220> Sie stiegt von Ruhmestat zu Ruhmestaten, Und steigt ihr Stern auch noch so hoch empor, Sie zieht dem Lorbeerkranz den Ölzweig vor. Ich, der Chines gewordne Mandschu, nicke Mit meiner Mütze Beifall solchem Glücke Und neid' ihr nicht ihrer Triumphe Flucht, Gewalt'ger Pläne wohlverdiente Frucht.
Fama, nach diesen prächtigen Geschichten,
Beeilt sich, uns vom Westen zu berichten;
Sie ringt nach Luft, der Post ist schier zu viel,
Und kündet endlich in gewähltem Stil
Von Wunderdingen an der Seine Borden.
Man ist dort plötzlich schöpferisch geworden
Und plant etwas, das mehr nach England fast,
Nach Rom, nach Hellas, als nach Frankreich paßt.
Ich nun, ein treuer Sohn der Mutterscholle,
Begriff als Säugling schon des Kaisers Rolle,
Und trennen mich von Volt und Thron und Reich
Erschien mir immer barem Wahnsinn gleich.
Doch nun entführt ein Wunsch, man darf ihn preisen
Wert eines Kaisers, würdig eines Weisen,
Mich nach Paris, wo trotz der Nörgler Wut
Man das Talent zu feiern Schritte tut.
Man schafft ein Standbild des Homers der Franken!220-1
Welch Labsal meinen Sinnen und Gedanken!
Kein Schauspiel, das je Höheres verhieß!
Auf, ungesäumt! Wir eilen nach Paris!
O Lust, zu schaun, wie sie den Genius grüßen, Des Neides Brut zu schaun zu seinen Füßen, Tief einzuziehn des Weihrauchs süßen Duft, Den, ach, die Welt sonst spart für Grab und Gruft! Doch dann sofort, nach dieser kurzen Wonne, Hinweg! Kein Wort dem Narren der Sorbonne, Dem Stribler des Parnaß, dem Eintagslicht,<221> Dem feisten Börsenmann, dem höf'schen Wicht, Dem Pläneschmied, dem schwindelhaften Pfaffen, Dem Titeljäger und dem eitlen Lassen. Die Sänfte bringt zurück mich an den Strand, Mein stolzer Segler heim zum Heimatland, Und während noch der Wesi des Streites Beute, Vertreibe ich Ignaz und seine Leute.221-1
71. An Voltaire221-2
(19. März 1771)
Wie sind Dir Anmut noch und Feuer eigen,
Dein Abend überglänzt Dein Morgenrot.
Sonst heißt das Alter unsre Sinne schweigen;
Lust, Reize, Gaben raubt sein Machtgebot.
Doch Deine Stimme blieb so leis und weich,
Zum Grimm der Toren, selbst im Greisenalter,
Und Voltaires Geist, obwohl an Wintern reich,
Ist leicht beschwingt noch wie ein Maienfalter.
72. Kodizill
(1771)
Recht hatte Del Bene,222-1 auf Ehre,
Ich unterschreibe seine Lehre:
Er meint, sie regiere sich selber, die Welt.
Schlimm freilich war's ja damals bestellt
Mit den Thronen: Es saßen Toren darauf,
Sie gingen in Prunk und in Festen auf,
Ein willenlos Spiel der Konjunkturen,
Und Narrheiten zeichneten ihre Spuren.
Seit jener Zeit sind im Süden und Norden
Die Könige freilich nicht anders geworden!
In der Schmach und der Kläglichkeit seiner Großen
Fühlt sich der Untertan glänzend gerächt.
Fürwahr, in den alten Formen gegossen
Ist der heutigen Fürsten zahllos Geschlecht;
Ja, manchen weiß ich, der vielleicht
Jene alten nicht einmal erreicht!
Vor Zeiten, da lebte ein Julian,
Der hat's der Mitwelt kundgetan
In seinen Bildern von zwölf Cäsaren,
Wes Geistes Kinder die Herren waren.222-2
Wollt' ich, wie jener Herrscher, es wagen,
Die Schleier zurückzuschlagen,
Und was man dahinter sieht, deutlich zu sagen,
Eh' ich mein Schandgemälde vollende,
War' ich mit Pinseln und Farben am Ende!
<223>Du Aristarch223-1 des Königtums,
Du, Aretino,223-2 wärst mein Mann,
Du Geißel königlichen Ruhms,
Grimmigen Angedenkens, dich
Rief' ich an:
Begeistre mich
Zum Sang, so boshaft, wie ihn
Versieht nur Meister Aretin!
Doch, lieber Leser, wenn solch ein Spaß
Gewiß kurzweilig und reizend wär',
So recht für graue Stunden was —
Ich will ja nur flüchtig und obenher
Hinwerfen mit leichter Hand,
Was ich hie und da in der Wirklichkeit fand.
Ich wage, auf Gottes Verzeihung zu hoffen:
Ich ehre die Großen und nenne darum
Niemand bei Namen deutlich und offen,
So komm' ich wohl um die Basiille herum
Und ihre unbehaglichen Klausen,
Wo die schlimmen Verbrecher Hausen.
Meine Pfeile sind harmlos, mein Federkiel
Zahm und bedächtig allezeit.
Und so, ohne Umschweif lang und breit,
Frisch los aufs Ziel!
Sieh dir die Heerschau von Königen an,
Fürwahr, du hast deinen Spaß daran!
Da hockt so einer,223-3 sein Hof um ihn her,
Wie eine leblose Puppe, klotzig und schwer,
Milzsüchtig, elend vor Langerweile;
Mätressen, Günstlinge stürzen in Eile,
Höflinge und Minister rennen,
Wie sie ihn unterhalten können,
Vertrödeln damit ihre beste Zeit.
Damit nur ein wenig Beweglichkeit
Die Masse, die seelenlose, lerne,
Schleppt man ihn vor die Zauberlaterne;
Nimmt er auch einmal am Staatsrat teil,
<224>So hört er, ohne zu wissen, was,
Und gähnt derweil
Ohn' Unterlaß.
Beglücktes Land! O Monarchie,
Die du gesegnet bist wie wenige:
Zu Rate sitzen da vier Könige,224-1
Und Herrin ist die Anarchie,
Von Schelmen oder Brauseköpfen regiert,
Die Bruder Lourdis224-2 am Gängelband führt.
Was seht ihr da unten? Ein Kind auf dem Thron,224-3
Zitternd, vorm eigenen Hofe erbangend,
Ein Schilfrohr, beim leisesten Lufthauch schon
Sich schmiegend, den Winden ein Spiel und Hohn,
Sklavisch am Mund seines Mentors hangend.
Und das Volk spielt ohne Erbarmen
Lustiglich Fangball mit dem Armen;
Wer am verwegensten treibt seinen Spott,
Der gilt als der redlichste Patriot.
So fiel diesem armen Gesalbten, Gekrönten,
Gefoppten, Verhöhnten
Name wie Diadem in den Kot.
Der224-4 ist beschäftigt immerzu,
Am Euter zu zupfen 'ner weißen Kuh;224-5
Seine Wonne ist, auf dem Melkschemel kauern!
Als Angler am Wasser den Hamen belauern —
Nichts geht ihm darüber; sein Heil hängt daran,
Ob er ein Fischlein erwischen kann!
Fehlt's ihm an Wissen, an Geist und an Mut —
Dafür ist ein Minister ja gut;
Der bekommt sein Gehalt dafür, daß er regiert,
Indes er nur kümmerlich vegetiert.
Ihr Götter! Und dieser Mistkäfer dann,
Den er als Sprößling erzielt!224-6
Das ist erst ein König — wie er zur Schau
<225>Des ganzen Hofes mit seiner Frau
Gleichwie mit einer Puppe spielt.
Unfern von dessen Staaten haust,
Mehr Schuft als fromm, ein alter Schwätzer;225-1
Ein Halsabschneider, Schinder und Hetzer,
Bedrückt er die Armen mit harter Faust.
Jetzt hat er die alten Ränke und Pfiffe
Fein abgetan und sieht im Begriffe,
Begeistert nach Saint-Pierres225-2 Ideen
Dem ewigen Frieden entgegenzugehen.
Hoch oben im Norden weiß ich dann
Einen braven, irrenden Rittersmann,225-3
Freilich an Kopf wie an Beutel leer.
Doch weiter! Kurz ist der Weg übers Meer,
Der führt uns nach einem Lande sogleich,
An Eisen wie an Kriegern reich.
Dort herrscht über Menschen, vom Elend geschlagen.
Ein König225-4 — ein König bloß sozusagen;
Denn die Königsmacht übt dort der Senat,
Der sie sich sachte erlistet hat,
Um Gesetze, die in den Kram ihm passen,
Im Namen der Krone ergehen zu lassen.
Seiner neugebackenen Herrlichkeit froh,
Kommt dann ein König da unten wo225-5 —
Auch so ein Narr! der nie vergißt,
Daß er Kroatenbesieger ist.
Wie der „Bürger als Edelmann“ will er gern
Zum Kreise der stolzen und grämlichen Herrn,
Der alten Souveräne zählen.
Wer's ihm verweigert, dem droht eine Schlacht!
Ein Bösewicht ist's, der seiner Feinde lacht.
Zwar seit ihm Krallen und Zähne fehlen,
Dem altgewordenen Isegrimm,
Haben die Nachbarn Ruhe vor ihm —
<226>Wenn ihn nicht grade sein Dämon reitet,
Der seinen Spöttergeist oft schon verleitet,
Spott und Hohn über sie alle
Auszugießen in vollem Schwalle.
In dieses Königs Nachbarschaft,
Ob einem Volke, halb vertiert,
Wo keine Obrigkeit regiert,
Wo kein Gesetz noch Recht in Kraft,
Da thront der König der Anarchie;226-1
Er kam zur Krone, weiß selbst nicht, wie.226-2
Leidenschaftlich den Weibern ergeben,
Ist er ein Fürst ohne Schwung und Streben.
Ist er der Russen, der Türken Feind?226-3
Er weiß wohl selbst nicht, mit wem er's meint.
Sein Land sieht in Flammen, ist kaum noch zu retten,
Er aber schaut in guter Ruh'
Von seinem Schlosse dem Unheil zu,
Wo sich alle Mächte der Zwietracht entketten.
Wollt' ich die feine Liste vermehren,
Braucht' ich noch lange nicht aufzuhören;
Doch gibt es gewisse Gegenstände,
Wo man etwas zurückhält am Ende;
Zudem ist das ein schlechter Skribent,
Der den Zeitpunkt zum Aufhören nicht erkennt.
Inzwischen legt uns dies alles ja
Eine Fülle von ernsten Betrachtungen nah!
Seht diese Sterblichen, klein und gemein —
Das sollen die Herren der Welt nun sein!
Wer wird bei ihrem Tun und Treiben
Mit seiner Betrachtung stehen bleiben?
Ein Schritt ist's von ihnen in all ihrer Blöße
Zur Verachtung aller gekrönten Größe:
Das will die Richter der Menschheit darstellen,
Unsre Halbgötter auf Erden,
Diese Taugenichtse, wertlosen Gesellen
<227>Mit des Donnerers Herrschergebärden!
Ruft so einer, ist alles zur Hand,
Die letzte Unze ihres Blutes
Schütten die Ihren freudigen Mutes
Für sie in den Sand!
Ihr ganzer Staat dient nur einem Zwecke:
Wie er mit Ehre und Ruhm sie bedecke —
Ruhm? — Und wie lange steht's wohl an,
Ist ihr Andenken abgetan!
Wie wird in solchen Händen, 0 Gott,
Doch dein Geschenk der Macht zum Spott.
All ihre Pracht und Herrlichkeit
Ist ein geliehenes Würdekleid,
Das seine Träger engt und quält,
Den Schwächling darunter nur schlecht verhehlt;
Die Rolle mit Ehren durchzuhalten,
Bedarf es stärkerer Spieler fürwahr!
Daher das Getriebe der Untergewalten,
Daher der Minister, der Ratgeber Schar,
Ihr Ränkespiel, ihr Gedräng und Gerauf,
Jeder Redlichkeit, jeder Würde bar:
Wär' doch ein jeder gern obenauf!
Oft lenkt das Ganze von seinem Platz
Ein Königlein dritten und vierten Ranges.
Muß oft das Ganze selbständig leiten,
Mit seiner Arbeit die Kosten bestreiten
Des Allerhöchsten Müßigganges.
Und bei der Unklarheit da oben,
Dem leidigen Wirrwarr der Widersprüche,
Wird der ganze Staat verrenkt und verschoben,
Geht alle Ordnung bald in die Brüche.
So macht sich die bare Lächerlichkeit
In unsern Tagen erschrecklich breit.
Sprecht, wer regiert zuletzt die Welt?
Gekrönte Herren? Weit gefehlt!
Oder meint ihr, der Ministerrat,
Wo das große Wort der Unverstand hat,
Wo jeder Schritt ein Fehltritt pflegt zu sein,
Wo alles nur lebt in den Tag hinein?
<228>Was ihr Hochmut nicht sündigt und die steche
Selbstüberschätzung, das sündigt die Schwäche.
Wie? Diese Stümper, die keinen Dunst
Auffingen von der Herrscherkunft,
Die dummen Kerle, die jedes Denken,
Kombinieren, Erwägen sich schenken,
Die verlangen noch keck, vernünftigen Leuten
Was Ehrfurchtgebietendes zu bedeuten?
Doppelt gebt ihnen Nieswurz ein,
Fegt den verseuchten Hirnkasten rein!
Was haben die tollen Träumer vollbracht?
Sie haben nur Lärm und Geschrei gemacht,
Sie haben das Vaterland
Geführt an des Verderbens Rand,
Zwischen den Herrschern Zwietracht gesät
Und sich selber die Freude beschert,
Die nur den Toren begehrenswert,
Daß ihr Name oft in den Zeitungen sieht.
Doch das Schicksal, das über den Menschen schaltet,
Das über allem Geschehen waltet
Und aus geheimen Ursachen es gestaltet,
Das Schicksal, es lacht
Zu dem, was ihr Wahn sich zurechtgedacht!
Es liebt, dem Stolz einen Tritt zu versetzen,
Die Herren da oben grob zu verletzen
Und darzutun, wie ihr ritterlich Roß
Doch ach! eine elende Schindmähre bloß.
Was am Pont Neuf228-1 man singt und spricht,
Sie hören's nicht.
In schönster Selbstzufriedenheit
Zieht jeder, wirklich ein echter Sproß
Des Königs Midas aus alter Zeit,
Einher seines Weges, sicher und stolz!
Doch wie im Dickicht, im wilden Holz
Sich unversehens ein Eichbaum erhebt,
Dem Saft und Kraft im Laubwerk lebt,
<229>So mag auch unter Gekrönten einmal
Ein Geist sich erheben,
Der nicht so wie die andern all
Törichtem Unfug ist ergeben:
Dann aber muß duftiger Weihrauchschwall
Gleich himmelan schweben!
Dann gerät die Welt außer Rand und Band:
Ein Fürst mit gesundem Menschenverstand!
Und ganz Europa erhebt ein Geschrei:
Wer glaubt's wohl, daß sowas möglich sei?
Doch Neid und Mißgunst sind auch nicht faul,
Die Dummen, Beschränkten, Mann für Mann,
Hängen ihm schleunigst etwas an.
Schleunigst reißen sie auf das Maul:
Ein Störenfried ist's, den der Ehrgeiz reitet,
Ein Auftuhrgeist, der gern hadert und streitet;
In den ewigen Flammen soll er schmoren!
Andre, die raunen sich in die Ohren:
Wahr ist's, er leistet, er regelt alles!
Doch wartet das Ende ab, ob er nicht purzelt,
Wir werden noch Zeugen seines Falles! —
So tief sitzt das Vorurteil eingewurzelt,
Daß bei der richtigen Majestät
Sich der Einfaltspinsel von selbst versteht!
Demnach müßten so vieler Nationen
Rater und Führer im Tollhause wohnen!
Doch nein, der Gedanke liegt mir fern,
Ihr Fürsien, euch borten einzusperrn:
Nein, nein, ich ehre die Meinung der Welt,
Die große Stücke auf euch hält,
Und weiß, was ich euch schuldig bin!
Ja einst, da durfte ein Aretin
Es wagen, euch durch die Zähne zu ziehn.
Die schönen Zeiten sind längst vergangen,
Man schont euch heute, ihr dürft es verlangen;
Heut kennt ihr nur die Ergebenheit
Des Hofes, der euch seinen Götzendienst weiht,
Und es gefällt euch über die Maßen,
Euch von der Welt bewundern zu lassen —
<230>Ha, wer da sich erdreistete,
Ein loses Maul noch sich leistete,
Den würde von euren Göttersitzen
Sofort ein Wetterstrahl niederblitzen!
Ja, wem ein dickes Fell beschert,
Der bleibt vom Tadel unversehrt.
So mögen's die Könige in der Welt
Nur weitertreiben, wie's ihnen gefällt;
Der Dummkopf mag weiter den Vortritt haben
Vor allen Leuten von Geist und Gaben.
Mag einer, bei dem's nicht richtig ist,
Ein Amt versehen, das wichtig ist,
Ein hoffnungslos Blöder mag Steuermann sein
Steur' er nur blindlings ins Blaue hinein,
Daß das Fahrzeug zerschelle, die Masten brechen!
Kein Sterbenswörtlein will ich mehr sprechen
Zur Narrheit auf Erden! O nein!
Denn der hat Worte und Mühe verloren,
Der da predigt für taube Ohren.
Del Bene hat alles schon richtig gestellt;
Es stimmt: Sie regiert sich selber, die Welt.
73. Epistel an den Grafen Hoditz zu Roßwalde231-1
(26. März 1771)
Roßwalde, Euren Erbsitz muß ich preisen
Und was durch Eure Saat in Blüte schoß!
Dies Landhaus, das die Grazien umkreisen,
Vergleich' ich mit der Circe Zauberschloß.
Bisher mißachtet, ward's durch Eure Hand
Vom Tanais zum Ebro weltbekannt.
Nicht mehr die finstre Burg, die weltverloren,
Kaum als Ruine dünkte sehenswert,
Ein Göttersitz, uns Sterblichen beschert,
Ein Lustasyl für Augen ist's und Ohren!
Wohl könnt' auf solchen Bau in solchem Hain
Ein Ariosi, ein Tasso, neidisch sein.
Mit höchst erfinderischem Künstlergeist
Wird das Erstaunlichste dem Gast geboten.
Und alles lebt und atmet. Aus dem toten
Gehölz erstand ein Park, der Wunder weist,
Der schönste Garten, und im rosenroten
Gebüsch ein Mal, drauf ein Orakel gleißt.
Als Eure Dienerin schafft die Natur
<232>Und ordnet, schmiegt sich Euren Wünschen nur.
Wer hier spaziert, dem wandelt wie im Traum
Ein schönes Bild sich rasch ins Neugeschaffne:
Wie jene von Apoll verfolgte Daphne
Urplötzlich schmolz in einen Lorbeerbaum.
Hier darf Rinaldo bei Armiden ruhn.
Hier ziehn Ovids Gottheiten hoheitsvoll
An uns vorüber: Venus, Mars, Neptun,
Diana, Pallas, Jupiter, Apoll,
Merkur und Pluto, der nicht fehlen soll.
Die Götter all, von denen Dichter träumen,
Hier ragen ihnen klassische Altäre.
Es bringen Priester in geweihten Räumen
Die Opferspende dar zur Götterehre.
Die Färse wird geschlachtet, und ihr Blut
Besprengt das Heiligtum; aus roter Glut
Entloht die Flamme, draus der Weihrauch steigt.
Ich glaube fast, es wär' bei solchen Spielen
Der Römer Symmachus232-1 Euch wohlgeneigt,
Da Ihr Euch nähert seinen schönern Zielen,
Indes manch andre Kulte ihm mißfielen.
Ihr liebt die Mythe und könnt doch als Christ
In Eurem Herzen echten Glauben bergen,
Und so berieft ihr einen Trupp von Zwergen.
Wenn plötzlich man in ihrer Mitte ist,
Dann glaubt man sich — so kommt uns Schein zunutz! —
Mt Gulliver im Reiche Liliputs.
Ich meinte, als das Völklein mich umstand,
Typhoeus, Geryon oder der Gigant
Enkelados232-2 zu sein. Ein Glockentürmchen
Entragte dem Quartiere dieser Würmchen,
Das nicht die Höhe meines Scheitels fand.
So ähnlich sehn wir in Birgits Gedichten
<233>Das Kleinvolk unter Didos Riesenhand
Karthagos mächtiges Mauerwerk errichten.
Bald lockt uns andere Überraschung an!
Horch auf! Gesang und Saitenspiel erklingen,
Draus süße Melodien das Ohr umschwingen;
Vergessen ist, was eben uns gewann!
So drängt der Mensch nach immer neuen Dingen!
Bald zieht die Oper uns, ein Trauerstück
Und bald ein Lustspiel an mit größerm Glück,
Die Pantomime auch will uns durch neuen,
Abwechslungsreichen Zeitvertreib zerstreuen.
Doch soll ich von den Priesterinnen schweigen,
Die sich der Kunst geweiht, doch ihr zu eigen
Sich, hoff' ich, nicht allein ergeben haben!
Wie ihre Anmut, ihren Reiz sie zeigen,
Ist's nicht, als wollten sie mit reichen Gaben
Ihr holdes Sein in Eurem Arm begraben?...
Und als am schönen Schluß durch Busch und Hecken
Des Tags Rivalin schritt, in schwarzem Flor
Den bunten Glanz der Blumen zu verstecken,
Brach auf ein Wort von Euch das Licht hervor.
So durft' ein Schöpfer sich der Welt entdecken,
Als sein „Es werde Licht!“ den Tag beschwor.
Roßwalde ward umfunkelt von Raketen,
Die blitzschnell hundertfach emporgepufft,
Mit Flammenglut erfüllten rings die Luft,
Als wollten sie an Phaetons Stelle treten...
Doch wie vermag ich alles herzuzählen!
Die reichen Wonnen, die uns hier erfassen,
Nur halb zu schildern! Ach! die Worte fehlen,
Des Himmels Seligkeit muß hier verblassen!
Und nicht gepeinigt von den Ienseitsdingen,
Drum andre Sterbliche so töricht ringen,
Habt Ihr erwählt das allerschönste Los!
<234>Epistel an den Grafen Hoditz zu Roßwalde
Von Sorgen frei, in stillen Friedens Schoß
Gedeiht Ihr unter Schaffen und Genießen.
Und heißer Lebensfreuden Sonnenglanz
Läßt würzige Blumen eines Wunderlands
Auf Eures Weges Spuren lieblich sprießen ....
74. An meine Schwester Amalie
unter ihrem Fenster in der Nacht, als ich nach Schlesien abreiste
(August 1772)
Schlaf, du Vater süßer Ruh,
Du Neudurchkrafter der erschöpften Glieder,
Dein mohnschwer Füllhorn halt nicht länger zu,
Ergieß es auf der Schwester teure Lider.
Laß gaukeln um ihr Lager her
Die angenehmsten Traumesszenen,
Daß träumend sie vernimmt das Stimmenmeer
Der Nymphenschar Apolls, der lieblichen Sirenen,
Wie sie zu wunderbaren Klängen,
Im Chorgesang, im stilgerechten,
Die Skalen durcheinanderfiechten,
Durchwirkt von köstlichen Gesängen
Voll Harmonie und edler Kunst.
Daß keines bösen Traums Bedrängen
Ihr Blut aus der gewohnten Wallung bringe.
Daß ihr Gesundheit, wacht sie auf,
Und Frohmut, mit vermählter Gunst,
Ihr Wesen wonniglich beschwinge,
Bis daß der Tag vollendet seinen Lauf.
Mich, Teure, vom Geschick geplagt,
Ruhlos in Arbeit, ruhlos hin und her gejagt,
Geübt, mich ohne Ende abzumatten,
Erfreut's, wenn Morpheus mir noch mehr der Ruh versagt,
Will er sie Dir dafür erstatten;
Wird mein Verlust so Dein Gewinn,
Empfängt mein Wachen und mein Sorgen Wert und Sinn.
<236>So sei denn Dir in Deinem Frieden,
Dem Wettlärm fern, von Mißmut frei,
Der Seele Ruhe stets beschieden,
Gesegnet sei Dein Tag, wie Deine Nacht es sei,
Und ein Gedanke schwebe stets herbei:
Daß, liebe Schwester, nie und nirgends ich,
Ob ich zu Deinen Knieen, ob Dir ferne,
Der Zärtlichkeit mich zu entwöhnen lerne,
Die mich bis an mein Grab erfüllt für Dich.
75. An den Küchenchef Noël
(1772)
Fürwahr, ich sag' es, Noël, ohne Lachen:
Dein groß Talent wird dich unsterblich machen.
Man wird es ja durch mannigfache Mittel;
Wer seinesgleichen in den Schatten stellt,
Als Künstler auftut eine neue Welt,
Verdient in seinem Fach den Meistertitel:
Du bist der Küche nie bezwungner Held.
Dein eigen ist die ganz genaue Kenntnis
Von allen Kräutern, und mit Sachverständnis
Zusammenrührend sorgsam ihren Saft,
Vereinst du sie zu jener Art von Saucen,
Die lieblich duftend nach Jasmin und Rosen,
Den Königen und Fürsten Wonne schafft.
Sollt' eines Tags dich eine Laune lenken,
Ein Mumienragout dir auszudenken
Und kunstreich durch ein chemisch Elixir
Die Würze der Bereitung noch zu bessern,
Macht Illusion, Vertraun und Eßbegier
Am End uns alle noch zu Menschenfressern.
Doch nein, verschmähn wir solch ein Mahl für Wilde,
Und auch mit Fleisch von Tieren sei gespart;
Tisch' lieber auf, was grünt im Fruchtgefilde;
Gesünder ist's, gemäßer unsrer Art.
Wieviel Pasteten hast du schon gemeistert,
Wieviele Braten kunstgerecht gespickt!
Mit wieviel leckren Füllseln uns erquickt,
Wovon mein Hof, gar oft nur zu begeistert,
Wird angenehm gekitzelt und bestrickt!
<238>Fruchtbarer Autor köstlicher Gerichte,
Noch unerschöpft von hundert Gasterein,
Die Schüsseln, die du fertigst, sind Gedichte
Und stehen jedem andern Koch im Lichte,
Um einzig dir die Palme zu verleihn.
Auch sei versichert, daß die Kochkunst nie
Bei Griechen, Römern oder Orientalen
Zu ähnlicher Vollkommenheit gedieh,
Wie deine nimmermüde Phantasie
Und dein erfindrisch Hirn sie läßt erstrahlen.
Lukull, der Schlemmer Roms, der weltbekannte,
Hat bei den Schmäusen im Apollosaal,
Die Cicero berühmte Wunder nannte,
Was Besseres und Feinres nie gegessen
Als dies Ragout à la Sardanapal,
Dies wahrhaft unerreichte Göttermahl,
Das du mir heut beschert zum Mittagessen.
Wär' Epikur noch einmal zu beleben,
Könnt' eines kühnen Heiligen Bemühn
Ihn einmal noch dem Dasein wiedergeben,
Wie würde da sein Herz für Noel glühn!
Er würde Noel zum Apostel wählen;
Er ist's ja schon; sein Werk weiß jederzeit
Das ganze Schloß mit Wollust zu beseelen;
Weil ihm Verführungskünste niemals fehlen,
Besiegt er glorreich die Enthaltsamkeit.
Ja, stärker als der alte Philosoph
Rückt er der praktischen Bekehrung näher:
Mit Leckerbissen kirrt er meinen Hof
Und wandelt Preußen in Epikuräer.
Die plumpe Lust war in vergangnen Tagen,
Nicht achtend auf der Speisen Duft und Zier,
Zufrieden, vollzustopfen ihren Magen
Zur Stillung ihrer räubrischen Begier.
Von der Verfeinrung unsrer Sinne fern,
Unkundig noch der Würzen unsrer Feste,
<239>Aß man das Fleisch der seltnen Tiere gern;
Was möglichst teuer war, galt für das Beste.
So schreibt Petron, welch sonderbar Gelag
Trimalchio für ihn einst hergerichtet;
Im Überflusse sah dort aufgeschichtet
Man ganze Bestien von jedem Schlag;
Zumal ein Schweinskadaver, widerwärtig
Und schauderhaft für unsre Augen, lag
In einem Stück gebraten fix und fertig;
Sobald man diesen in zwei Teile trennte,
Kam draus hervor ein glänzender Fasan,
Truthahn und Rebhuhn und Kapaun und Ente.
Die Gäste, von dem Schauspiel angetan,
Sind in entzückten Jubel ausgebrochen;
Dem Koche zollte Lob die Narrenschar,
Ein jeder kaute, was ihm schmackhaft war,
Und man verschlang das Schwein bis auf die Knochen.
Ein solches Mahl, wer heutzutage tischt
Es seinen Gästen auf? Statt zu erwerben
Ein Lob von des Terenz und Plautus Erben,
Würd' er auf offner Bühne ausgezischt.
Die feinen Kenner einer edlen Nahrung
Vertragen keinen Pfuscher, der am Herd
Auf gröbliche Barbarenart verfährt;
Vor allem fordert man, daß voll Erfahrung
Der Küchenkünstler durch Delikatessen
Uns künstlerische Sättigung gewährt.
Auch darf durchaus, fast hätt' ich das vergessen,
Die rechte Tafel, elegant gedeckt,
Nicht an ein Schlachthaus mahnend, uns vertreiben;
Nie dürfen blutig sein die Bratenscheiben;
Ein solcher Anblick ekelt und erschreckt.
Ein Koch mit Ehrgeiz und Gedankenschwung
Muß tote Tiere, die man ißt, verkleiden;
Auf hundert Arten kann er sie zerschneiden,
Die Zutat lehrt ihn Ungeschmack vermeiden,
Das Füllsel dient ihm zur Verschleierung.
In diesem Punkt zeigt Noel sich erlaucht.
Ein Schöpfer ist's, der nicht vom Nebenmanne
<240>Die Speisezettel zu stibitzen braucht.
Er ist der Newton von dem Suppentopf,
Er ist der Cäsar von der Bratenpfanne;
Wo man Genüsse liebt, ragt eine Spanne
Den Helden unsrer Zeit er übern Kopf.
Doch kämen einem grämlichen Zeloten
Zufällig diese Verse in die Hand,
Der eifernd, geifernd alles nennt verboten,
So hör' ich ihn schon donnern zornentbrannt
Gegen den greulichen, verruchten Prasser,
Der schnöder Lust sich rühmt mit ftechem Mund,
Und ohne Namensnennung den Verfasser
Verdammen in der Hölle tiefsten Schlund.
Gemach, nur ganz gemach, mein Herr Asket!
Ich bitt' um mehr Verstand und weniger Galle;
Nur die Vernunft, mein Herr Magister, sieht
Als Richter zwischen uns in diesem Falle,
Und ihrem Spruche dürfen Sie nicht grollen;
Er lautet so, wenn Sie ihn hören wollen:
Die Gaben, die der Himmel auszustreuen
Für gut befindet, soll man sie verschmähn?
Er spendet sie, das läßt sich leicht ersehn,
Damit wir unser Herz daran erfreuen.
Alles zu nützen ist des Weisen Rat,
Genießen, doch durch Mißbrauch nichts verletzen,
Das Schlimme mutig dulden, wenn es naht,
Und nach Gebühr des Guten Votteil schätzen.
Drum, Noel, fiink, send' uns das Werk der Küche;
Ich witttre schon die zarten Wohlgerüche
Deiner Ragouts; gespannt bin ich unsäglich,
Was heut dein Zauberstab für uns beschwor;
Denn sintemal, um nicht zu sterben kläglich,
Ein jeder Mensch sich nähren muß tagtäglich,
Setz' uns nur lauter gute Sachen vor.
76. An Fräulein von Knesebeck241-1
nach ihrem kühnen Sprung aus dem Wagen, während die Pferde durchgingen
(März 1773)
Wer hätt's gedacht, daß ich auf meiner Laute
(Sie klingt mitunter ziemlich stümperhaft!)
Mit Pindar je zu messen mich getraute
Zum Lobe preußischer Heroenschaft —
Nicht etwa, wie sie Feinde stürzt und Throne,
Nein! Wie durch eine edle Amazone
Sie Reiz und Anmut eint mit Heldenkraft!
Kalliope, hilf mir würdevoll besingen
Die staunenswerte Unerschrockenheit!
Doch ach! dein Hohngelächter hör' ich klingen,
Daß solch ein Kauz, ergraut im Waffenstreit,
Die Haut voll Runzeln, dem Verfall geweiht,
Sich plötzlich noch will auf zum Dichter schwingen,
Apollos Lyra will zum Tönen bringen.
Doch ob mir auch dein hoher Beistand fehlt,
So hoff' ich, daß mich die Begeisterung trage,
Wenn ich mit schwacher Kunst zu schildern wage,
Wie mich die Tat der Knesebeck beseelt,
Die zu den Zierden unsres Hofes zählt
Und strahlt als größte Heldin unsrer Tage.
<242>Man sieht ihr's an: ihr Wuchs hat Kraft und Mark,
Ihr Blick ist scharf und ihr Gemüt, gefestigt,
Bleibt in Gefahren unbeirrt und stark
Und wird von Zagheit nicht belästigt...
Zur Sache! Wo sich Taten offenbaren,
Kann man Beschönigung durch Worte sparen.
Nicht die Legende einer Heiligen — klar
Stellt hier erlebte Wirklichkeit sich dar.
Jüngst fuhr die Knesebeck im Galawagen,
Dem Lärm und Dunst der Großstadt zu entfiiehn,
An einem von den ersten Frühlingstagen,
Da wieder hell und warm die Sonne schien,
Zu ihrer Lunge freierem Behagen
Spazieren nach dem Wildpark vor Berlin.
Kaum hat sie hinter sich den Wagentroß,
Scheut ihr Gespann — dem des Hippolytos
An Wildheit gleich — sodaß nach wenig Schritten
Die Zügel aus des Lenkers Händen glitten.
Kein Drachenwurm mit heißen Flammennüstern,
Im Schuppenpanzer, grimm und beutelüstern,
Trieb etwa jäh die Gäule an —
Ein winziger Zufall nur war schuld daran.
Sofort sah unsre Heldin klar,
Die keinen Augenblick beklommen war:
Hier ist ein rasches Handeln nur geboten,
Um abzuwenden tödliche Gefahr.
Die Spree lag vor ihr, und die Wellen drohten ....
Wer denkt nicht an den Helden Prinz Eugen?
Halb Belgrad lag in Trümmer schon geschossen,
Zum Sturme sollt' es auf die Festung gehn,
Da wird er von den Türken eingeschlossen!
Er wahrt mit höchstem Mut die Waffenehre,
Stürzt ohne Zögern und mit voller Wucht
Sich auf die Übermacht der Türkenheere
Und schlägt sie blutig in die Flucht.242-1
<243>Ganz so verfährt die tapfre Knesebeck!
So manche wäre unter heftigem Pochen
Des Herzens feig in Tränen ausgebrochen.
Sie aber, ohne Spur von Schreck
Und ohne einen Augenblick die Lehre
Vom Gleichgewichte zu vergessen, springt,
Als ob es täglich ihre Übung wäre,
Herunter vom Gefährt — der Sprung gelingt,
Indes die wilden Renner mit dem Wagen
In jäher Flucht von bannen jagen ...
Wie schade, daß für all den Ruhm,
Den wohl verdient so seltnes Heldentum,
Es uns an edler Sangeskunst gebricht,
Und daß das Spreeland leider nicht
Uns Dichter zeugte wie das Land am Po!
Manch einen Helden schon vergaß man so!
Und manch Begebnis mußte längst verblassen,
Hätt' es ein Dichter nicht erinnerungsfroh
In schönen Versen neu erblühen lassen.
Held Alexander lebt in aller Munde,
Was jener andre kaum erhoffen darf,
Der groß wie er, waghalsiger im Grunde,
Allein ganz Asien unterwarf.
Warum blieb Tamerlan so unbekannt?
Nur, weil in der Levante sich bisher
Kein Quintus Curtius,243-1 kein Homer
Zu seines Heldenruhms Verbreitung fand . . .
Und muß ich schmerzlich auch beklagen,
Daß meiner Muse leider nie
Der Gott der Dichtkunst seine Gnade lieh,
So kann ich's doch mir nicht versagen,
Die Wahrheit in die Welt zu tragen:
Daß Frauen auch in Preußen Lob und Ruhm,
Und oft in höherm Maß, verdienen,
Als, allzu rasch begeistert, ihnen
Zuschrieb das sehr geschwätzige Altertum.
<244>Mir gilt die Kunst Homers als unerreichbar,
Und doch ist, so behaupt' ich keck,
Penthesilea nicht vergleichbar
Mit unsrer edlen tapfern Knesebeck.
77. Epistel an den Grafen Hoditz
Trostschreiben an einen Siebzigjährigen245-1
(1774)
Ich sah Euch, lieber Graf, in Trauer;
Das Alter zu ertragen, wird Euch sauer.
Ihr wäret gern, wie Ihr Euch einst gezeigt.
Kraft und Gesundheit fesseln wir vergebens;
Vergehn, verwehn — das ist das Los des Lebens!
Die Eigenliebe klagt, der Weise schweigt.
Packt fünf Jahrzehnte und noch zwanzig Winter
Dem Mars auf — welch ein Iammermann!
Nehmt Herkules als siebzigjährig an:
Er schlottert, und sein Nachfahr sieht dahinter,
Der frech die Keule schwingt. So untergräbt
Die Zeit das Stärkste! Freut Euch, daß Ihr lebt!
Wie wenige bringen's bis zu Euren Jahren!
Ihr habt sie gut verwandt, was wollt Ihr mehr?
Seid dankbar für das Glück, das Ihr erfahren.
Und will nicht ganz so, wie bisher,
Die Welt Euch neue Freuden offenbaren,
Und fühlt Ihr Euch nicht ganz so auf der Höh',
Wo sonst manch holder Sieg Euch ward verliehen,
Denkt, daß Voltaire und Richelieu
Jetzt auch nicht mehr zum Paphostempel ziehen ...
Wenn unser Weißhaar wir beschauen,
Die Runzeln und das Gliederzittern —
Kann das noch Eindruck machen auf die Frauen
<246>Und zarte Herzen gar erschüttern?
Sie würden unsre Wünsche nicht verstehen.
Laßt ab vom Gott, der Euch schon längst verlassen!
Wir müssen uns in Gleichmut fassen
Und Jüngere an unserm Platze sehn.
Freigebig stets ist die Natur,
Und jedem Alter gönnt sie sein Vergnügen.
Im Lebenslenz ist uns, als ob wir nur
In unsern Füßen alle Wonne trügen
Bei Sprung und Tanz und Dauerlauf;
Doch später geht die Glut im Herzen auf.
Im Sommer unsres Lebens steigt das Feuer
Zum Hirn empor, und mit erhitzten Sinnen
Will man erträumten Sieg gewinnen;
Dem Ehrgeiz ist kein Heldenkampf zu teuer.
Des Lebens Winter löscht den letzten Brand,
Dann tröstet uns der kühlere Verstand.
So schafft Natur in ewigen Wunderzeichen
Für jede Lebenszeit ein andres Glück.
Die Menschensaat wächst, dorrt und fällt zurück;
Der hellste Tag muß vor der Nacht erbleichen.
Zeigt denn Vernunft! Und seht es ein,
Wenn liebe Stunden langsam weichen:
Im Winter kann nicht Frühling sein ...
Die Kunst lädt Euch in ihren Tempel ein,
Hier findet Ihr Genuß und Zweck verbunden,
Hier labt Euch noch in sorgenfreien Stunden
Des Sonnenunterganges milder Schein.
Der Glanz der Eitelkeit ist hingeschwunden,
Nur edler Freuden ungetrübtes Glück
Bleibt im Gedächtnis Euch zurück,
Und Ihr genießt ein ruhig Leben
Und braucht vorm Tode nicht zu beben.
78. Dichter und Feldherr
An Voltaire
(12. Februar 1775)
In ihrem Frühling lebt die Muse, die dich leitet,
Auf ihrer tausend Blüten frische Pracht
Hat noch der Winter nicht das weiße Tuch gebreitet,
Das aus den Schläfern blasse Toten macht.
Die meine aber floh, gebückt vom Druck der Jahre,
Statt ihrer geht der Kriegsgott neben mir
Und gibt mir statt der Lieder die Fanfare,
Und gibt mir statt der Leier das Panier.
In deine Adern gießt Apollos Strahlensonne
Jahraus, jahrein die gleiche goldne Glut,
Jahraus, jahrein füllt er mit Feuerwonne
Dein ewig junges, heißes Dichterblut.
Mir aber nahm das heiß-geniale Feuer,
Das einst Prometheus aus dem Himmel stahl,
Der harte Mars, und plötzlich: Ungeheuer
Verödet sieht die Welt und kalt und kahl!
Dich hebt dein Genius auf des Parnasses Höhen,
Und in der Dichter feierlichem Kreis
Wirst du in ew'ger Jugend selig stehen
Und teilen mit Homer das grüne Lorbeerreis.
Mich aber trieb zu blutigeren Reisern
Ein, ach, so töricht-blinder Iugendwahn,
Gern glich ich großen Königen und Kaisern,
Doch vor der Zeit seh' ich das Alter nahn.
Du schlägst den Irrtum tot mit deinem Witze,
Du weckst zum Leben auf durch dein Gedicht —
Viel tausend Menschen töten der Kanonen Blitze,
Doch Leben spenden, nein, das kann ich nicht!
Soldat im Frieden bin ich; mir entgleitet
Der Ruhm wie ein verschlißner Hermelin,
Und trüber Rost die Klinge überbreitet,
Die einst so hell durch ganz Europa schien!...
79. Der Esel und die Nachtigall248-1
Eine Fabel
(1775)
Ein Esel ging jüngst in den Wald zur Weide,
Da tönte durch die Stille süß und bang
Der Philomele Lenz- und Liebessang,
Drob schwoll sein Herz vor Staunen und vor Neide.
Der Esel meint', er könnt' noch schöner singen,
Und allsobald erklang sein rauh Organ;
Denn alles, selbst der Esel, neigt zum Wahn.
Wie konnt' das Unterfangen ihm gelingen?
Er schreit, daß alles flugs von bannen läuft.
Ihr kleinen Geister, nehmt's zur Lehre:
Bescheiden bleibt in eurer Sphäre,
Auf daß man euch mit Spott nicht überhäuft.
80. Epistel an d'Alembert
(22. Oktober 1776)
Zeit, mein d'Alembert, befreit den Sinn
Von allem Trug, enthüllt den Menschenwahn.
Die schönen Tage sind für mich dahin,
Wo voller Freuden noch die Lebensbahn.
Das Alter kam; ich blicke kalt und klar;
Längst ließ ich schon den Dienst der Venus ruhn;
Umsonst ruft Epikur und seine Schar...
Von Vorurteilen war ich einst umsponnen —
Sie sind bei reifendem Verstand zerronnen,
Und insgeheim errötend, denk' ich nun
Des Selbstbetrugs, dem ich zum Opfer fiel.
Als ich den Thron bestieg, ward ich ein Raub
Der Ehrsucht: ew'ger Nachruhm war mein Ziel.
Ich dachte nicht ans blöde Volk im Staub,
Das Lob und Tadel ohne Wahl verstreut,
Des feiler Weihrauch nur die Toren freut,
Unwert, daß man so heiß danach begehrt.
Arbeit und Sorge hat an mir gezehrt;
Uranien dienend, buhlt' ich um Bellonen;
Mein Geist, der rastlos neue Pläne reifte
Und in der Zukunft dunkle Fernen schweifte —
Er wollte nur der eignen Unrast fronen!
Die Kunst des Herrschens strebt' ich zu erringen;
Denn fest hielt mich der Wahn gebannt,
Der Geist vermöchte, rastlos angespannt,
Durch Rechenkunst das Schicksal selbst zu zwingen —
Allein was ist der Mensch und sein Verstand?
<250>Ein Nichts kann unser Stückwerk fiugs vernichten;
Des Schicksals unabänderliches Walten
Beschämt der Menschen Stolz und all ihr Dichten.
Die Würde selbst, die Macht, nach der die Fürsten,
Die blöden, die sie schon in Händen halten,
Nur doppelt unersättlich dürsten,
Als müßten in gesichertem Genießen
Ströme von Glück und Wollust sie umstießen —
Auch diese Würde ändert nichts daran:
Sie sind nur Sklaven in des Schicksals Bann ...
81. An Voltaire251-1
(9. Juli 1777)
Da sitzt er nun, der alte Mann,
Phlegmatisch, schweigsam, herzenskalt;
Fängt er einmal zu sprechen an,
So gähnt ein jeder Hörer bald;
Statt launiger Rede, die ein Gran
Attischen Salzes leidlich würzte,
In guten Tagen dann und wann
Die Stunden angenehm verkürzte,
Gibt's heute nichts als Politik
Und dunkelste Metaphysik;
So langweilig hört sich das an
Wie irgend ein moderner Roman.
Luftsprünge früher, heut' schleicht das an Krücken,
Einst Kraft und Leben, heut' Lumpen und Flicken!
Ach Gott, so ändern sich die Zeiten!
Als wenn der milde Zephyrus
<252>Die Herrschaft in des Luftreichs Weiten
Dem Nordwind überlassen muß.
Nun ist's wie Sterben in der Welt:
So welk und öde liegt das Feld,
Der Baum sieht da von Blättern bloß,
Der Garten kahl und blütenlos.
So spürt der Mensch mit leisem Beben
Die Hand der Zeit an seinem Leben.
Die Jugend geht im Irrtum dahin;
Kaum lernt man erkennen, kaum schärft sich der Sinn,
Da kommt die Mühsal, da kommen die Leiden,
Und es dauert nicht lange, da heißt es scheiden.
82. Das Dasein Gottes253-1
Unde? Ubi? Quo?
Wo kam ich her? Wo bin ich? Wohin geh' ich?
Ich weiß es nicht. Montaigne sagt: „Was versteh' ich?“
Jeder Gelehrte, wenn wir ihn befragen,
Kann frei von Eitelkeit nichts weiter sagen.
Von wo aus sah' ich auch die Dinge scharf,
Ich, den das Gestern in das Weltall warf,
Ein Wesen, das der Zufall nur gebar?
Ein Etwas ist, wie es von jeher war;
Sein muß es, wär' es Körper oder Geist:
Das ist das einz'ge, was sich klar erweist.
Ich armes Wesen, wenn auch eng beschränkt,
Erstaunt von allem und vor allem blind,
Bin etwas doch, das fühlt und will und denkt
Und sich ein Ziel setzt, was es auch beginnt.
Und der Allmächtige, der diese Welt
Und mich erschuf und alles rege hält,
Der sollte keinen Zweck und Willen haben?
Er könnte mich mit Geisteskraft begaben
Und sollte selbst vernunftlos sein?
Jedoch ihr fragt, ob Pest und Kriegespein,
Die Leiden all in Leibern und in Seelen,
Ob Durst und Hunger, Gicht und Stein,
Der Menschheit Henker, die uns grausam quälen,
Ob Hagel, Donnerschlage und Orkane,
Zahllose Gifte und der Erde Beben,
Taifune, Wirbelstürme und Vulkane
Ein Vater seinen Kindern zum Geschenk gegeben?
<254>Du solltest nicht die Weisheit Gottes zeihn,
Hochmüt'ger Mensch, rebellisches Atom:
Sieh deines eignen Geistes Schwäche ein!
Der Ew'ge hat durch diesen Damm den Strom
Vorwitz'ger Neugier in sein Bett gebannt.
Er wollte wohl durch solche Finsternisse
Beschämen deinen herrischen Verstand,
Der, weil er einen schwachen Lichtschein fand,
Wähnt, daß sich alle Wahrheit ihm erschließe.
Du meinst, es fehle dir zu deinem Glück,
Daß Gott vor deinem trüben Menschenblick
Enthüllt den ganzen weiten Weltenbau?
Damit sein Ratschluß deinen Beifall fände,
Heischst du von ihm die Überschau
Von aller Dinge Ziel und Ende.
Woher das Übel? Wie ich es auch wende,
Sein Ursprung bleibt mir immer schleierhaft.
Das eine nur ergibt sich, daß mein Geist
In seiner engumschränkten Sphäre kreist.
Doch anzunehmen, daß die blinde Kraft,
Der Stoff, der Ursprung aller Dinge sei,
Ist widersinnig, eitle Deutelei.
Sinnlos ist eins, das andre unerklärlich;
Zwei Klippen starren, beide gleich gefährlich.
Da gilt die Wahl: Sinnloses gibt es schwerlich;
Drum wend' ich selber mich zum Dunkeln hin
Und überlasse euch den Widersinn.
V-1 Das Friedrich sich auch am Vorabend von Schlachten mit poetischen Versuchen beschäftigt habe, ist eine Behauptung, die längst widerlegt ist.
4-1 In die dunklen Küstriner Tage fällt das heitere Idyll, dessen Mittelpunkt die junge Schloßherrin von Tamsel, Luise Eleonore von Wreech (1708—1764), die Gemahlin des Obersien Adam Friedrich von Wreech, bildet. In den letzten Augusttagen 1731 war Kronprinz Friedrich zum erstenmal in Tamsel. Das „Geständnis“ ist etwa Mitte Ottober abgefaßt, etwas später die „Stanzen“. Mit einem Abschiedsbrief vom 10. Februar 1732 sandte er ihr sein Miniaturbild, das ein „Sonett“ begleitete. Am 26. Februar erfolgte die Rückkehr des Prinzen nach Berlin.
7-1 Da Kronprinz Friedrich anfänglich nicht darauf rechnete, die Erlaubnis seines Vaters zur Teilnahme an der Vermählung seiner Schwester, die am 23. November 1731 in Berlin stattfand, zu erhalten, sandte er ihr aus Küstrin das obige Gedicht.
10-1 Friedrich Wilhelm von Grumblow (1678—1738), Minister und General. der Vertrauens-, mann des Königs, bekleidete seit November 1730 gewissermaßen die Stellung eines Mentors bei Kronprinz Friedrich.
15-1 Die für die Ausgabe der „CEvres du philosophe de Sanssouci“ 1750 umgearbeitete Fassung ist zugrunde gelegt.
16-1 Vgl. Bd. IX, S. l6.
16-2 Schlacht bei Turin, 7. September 1706.
18-1 Am 17. Mai 1735 hatte Erbprinz Friedrich von Bayreuth (vgl. S. 7) die Regierung angetreten.
18-2 Anspielung auf die Jugendschicksale Wilhelminens, auf das gescheiterte Projekt ihrer Vermählung mit dem Prinzen von Wales und auf den dem Könige eingeflößten Verdacht, daß sie zu Leutnant von Katte in unerlaubten Beziehungen gestanden habe.
20-1 Zur Stärkung ihrer Gesundheit war der Markgräfin von den Ärzten die Jagd verordnet.
22-1 Vgl. Bd. IX, S. 6 und 16.
23-1 Anspielung auf König Friedrich Wilhelm I. und seinen vergeblichen Widerstand gegen die Erhebung Augusts III. auf den erledigten polnischen Thron, die 1735 im Wiener Präliminarfrieden zwischen Österreich und Frankreich vereinbart wurde.
26-1 Cicero.
26-2 Der Haushofmeister Friedrichs.
29-1 Vgl. Bd. VIII, S. 222.
29-2 Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (vgl. das Bild in Bd. II, S. 256).
29-3 Elisabeth Dorothea Juliane von Walmoden, Hofdame der Kronprinzessin, seit 1740 mit Major Hans Jobst Heinrich Wilhelm von Buddenbrock vermählt.
36-1 Vgl. Bd. VII, S. 275: VIII, S. 211 ff.; IX, S. 163 ff.
37-1 Franz Maria Graf Broglie (vgl. Bd. II, S. 94; V, S. 173 f.).
37-2 Anmerkung Friedrichs: „Der Bankier“ (vgl. Bd. I, S. 93; VII, S. 66).
37-3 Claude Fleury, der Verfasser der Kirchengeschichte (vgl. Bd. VIII, S. 103 ff.).
38-1 „Hans Carvels Ring,“ Erzählung von Lafontaine.
40-1 Vgl. Bd. VII, S. 98.
41-1 Kaiser Tiberius.
42-1 Vgl. Bd. VII, S. 34; IX, S. 36.
43-1 Gemeint ist Katharina von Medici und die Bartholomäusnacht (1572).
44-1 König Heinrich IV. von Frankreich bei der Belagerung von Paris (1594).
44-2 König Ludwig XII. von Frankreich, bei seiner Thronbesteigung.
48-1 Anfang und Schluß des Gedichts sind fortgelassen.
49-1 Lord Friedrich Baltimore hatte Ende September 1739 in Rheinsberg zu Besuch geweilt.
50-1 Vgl. weiter unten S. 194 ff.
51-1 Anspielung auf die unglückliche Heerführung der Österreicher im Kriege gegen die Türken (1736 bis 1739). Vgl. Bd. I, S. 158 ff.
51-2 Vgl. Bd. II, S. 22.
54-1 Mit obigem Gedichte kündet Kronprinz Friedrich dem Grafen Algarotti (vgl. Bd. IX, S. III) die bevorstehende Zusendung des „Antimachiavell“ an.
54-2 Vgl. Bd. I, S. 132 ff.; II, S. 26.
58-1 Vgl. Bd. IX, S. 160.
66-1 Nach einem Besuch bei seinen Schwestern in Bayreuth und Ansbach hatte König Friedrich auf dem Wege nach Wesel einen Abstecher nach Straßburg gemacht, wo er am Abend des 23. August 1740 eintraf und bis zum Spätnachmittag des 25. blieb. Die obige Schilderung sandte er an Voltaire.
67-1 Algarotti.
67-2 Prinz August Wilhelm, der älteste Bruder Friedrichs.
67-3 Der Oberst und Generaladjutant Graf Leopold Alexander von Wartensleben (vgl. Bd. VII, S.275).
67-4 Kapitulation von Kehl am 28. Oktober 1733 (vgl. Bd. I, S.154).
68-1 Der König nannte sich Graf Dufour.
69-1 Offiziere des Regiments Piemont.
69-2 Graf Broglie (vgl. S. 37) war am 15. September 1734 von den Österreichern an der Secchia überfallen worden.
73-1 Den Anlaß für die Abfassung der Ode bot dem König ein von Voltaire an Maria Theresia gerichtetes Gedicht über den Krieg von 1741, in dem die gegen sie gebildete Koalition verurteilt und Kardinal Fleury aufgefordert wird, den Frieden herbeizuführen. Die Tendenz der Ode richtet sich gegen Fleury; ihr Zweck ist die Rechtfettigung des am 11. Juni 1742 zu Breslau geschlossenen Sonderfriedens zwischen Österreich und Preußen (vgl. Bd. II, S. 119 ff.; V, S. 170 ff.).
73-2 Die Zeitungsschreiber, zumal in England, Holland und zum Teil im Reiche, die sich während des Krieges in den Dienst der Gegenpartei gestellt hatten.
74-1 Spanischer Staatsmann (vgl. Bd. VII, S. 73).
74-2 Die Schlachten bei Mollwitz und Chotusitz.
75-1 Fleury.
75-2 Vgl. Bd. VII, S. 18.
75-3 Im Wiener Präliminarfrieden von 1735 gab Frankreich seine Bundesgenossen, von denen oben nur Spanien genannt ist, preis, um sich durch ein Sonderabkommen mit Österreich die Erwerbung von Lothringen zu sichern.
75-4 Karl VII., für dessen Erhebung auf den Kaiserthron die Koalition gegen Österreich gebildet war.
75-5 Anmerkung des Königs: „Fargis war ein politischer Agent, dessen sich der Kardinal in Wien bediente“ (vgl. Bd. II, S. 119; V, S. 171).
76-1 Anmerkung des Königs: „Der damals gestorbene Kardinal Fleury.“
76-2 Anmerkung des Königs: „Er führte die Aufsicht über die Universitäten, das Arbeits- und das Irrenhaus“ (vgl. Bd. VIII, S. 214 f.).
78-1 Voltaire weilte damals am Berliner Hofe zu Besuch.
78-2 Vgl. Bd. II, S. 1 ff.
80-1 Am 17. Juli 1744 hatte die Vermählung der Prinzessin Ulrike mit dem schwedischen Thronfolger, Herzog Adolf Friedrich von Holsiein-Gottorp, der durch den Bruder der Braut, Prinz August Wilhelm, vertreten wurde, in Berlin stattgefunden (vgl. Bd. II, S. 154 und 162 f.). Bei ihrer Abreise nach Stockholm am 26. sandte ihr König Friedrich den obigen Abschiedsgruß.
80-2 Königin Christine von Schweden (1626—1689), die Tochter Gustav Adolfs, folgte diesem 1632 auf dem Thron; sie dankte jedoch 1654 ab und verließ Schweden.
83-1 Dietrich von Keyserling (vgl. Bd. VII, S. 275; IX, S. 168), der Genosse der Rheinsberger Tage, der den Beinamen „Cäsarion“ führte, war am 13. August 1745 in Berlin gestorben.
85-1 Pylades und Pirithous Muster der Freundschaft, Achates ein treuer Diener.
87-1 Am 13. Februar 1747 hatte der König einen leichten Schlaganfall gehabt, von dem er sich nur allmählich erholte
88-1 Vgl. Bd. VIII, S. 40 f.; IX, S. 286.
88-2 In Aliosis „Rasendem Roland“ geht Asiolf auf den Mond, um den Verstand zu suchen. Vgl. Bd. IX, S. 133 f.
90-1 Die Vermählung des Majors und Flügeladjutanten Freiherr Rupert Scipio von Lentulus mit Marie Anna von Schwerin fand am 17. Januar 1748 statt. Dreizehn Schweizer in Nationaltracht überreichten das obige Gedicht mit einem Riesenkäse. Da Lentulus aus der Schweiz stammte, redet der König ihn scherzhaft mit dem Titel „Schultheiß“ an, den der oberste Vertreter der Republik in Bern führte.
93-1 Mit obigen Versen übersandte der König seinem Sekretär Darget (vgl. Bd. IX, S. 133) das für die „Œuvres du philosophie de Sanssouci“ bestimmte komische Heldenepos „Das Palladion“ (vgl. Bd. IX) zur Drucklegung.
94-1 Am 10. Juni 1749 sandte der König das obige „Epigramm gegen die Ärzte“ mit den Worten an Voltaire: „Ich habe Anlaß, etwas über ihr Verfahren aufgebracht zu sein; ich leide an der Gicht, und sie haben mich beinah durch ihre Schwitzkuren ins Jenseits befördert.“
96-1 Die Epistel war im Mai 1740 verfaßt und im Februar 1750 für die Aufnahme in die „Œuvres du philosophe de Sanssouci“ umgearbeitet worden.
98-1 Vgl. Bd. VII, S. 26. ff.
98-2 Vgl. Bd. VII, S. 33.
98-3 Vgl. Bd. VII, S. 23.
99-1 Vgl. Bd. III, S. 64; VII, S. 72.
99-2 Anmerkung des Königs: „Der Elende hieß Villeneuve“ (vgl. Bd. I, S. 71).
101-1 Am 10. Juli 1750 traf Voltaire auf Einladung des Königs zum Besuche in Potsdam ein (vgl. Bd. IX, S.VI).
101-2 Rabikan, Name eines Heldenrosses aus den Roland-Dichtungen (vgl. Bd. IX, S. 271); der Ursprung des Namens Parangon ist nicht festzustellen.
103-1 Voltaire hatte nach dem Bruch mit König Friedrich, der durch seine unsauberen Händel mit dem Juden Abraham Hirschel, durch seine Angriffe auf Maupertuis (vgl.Bd. VI, S. 365; VIII, S. 227 ff. und 237), die Abfassung des Pamphlets „Atatia“ und dessen öffentliche Verbrennung in Berlin durch Henlershand (24. Dezember 1752) hervorgerufen war, am 25. März 1753, nach fast dreijährigem Aufenthalt am preußischen Hofe, Potsdam wieder verlassen.
104-1 Die Marquise de Brinvilliers, eine berüchtigte Giftmischerin, war 1676 in Paris hingerichtet worden.
104-2 d'Argens war am 24. Juni 1704 geboren.
104-3 Vgl. S. 105 ff.
104-4 d'Argens war französischer Offizier gewesen und im Rheinfeldzug 1734 bei Philippsburg schwer verwundet worden.
104-5 Anspielung auf die „Lettres juives“, die d'Argens 1742 veröffentlicht hatte.
105-1 Vgl. daju S. 104 und die Satire „Lob der Trägheit“ (Bd.VIII, S. 192 ff.). Nach d'Argens' Antwort vom 8. Februar 1754 wurde ihm die obige Epistel um 2 Uhr morgens durch einen Kurier überbracht.
105-2 Als Verfasser der „Lettres juives“ (vgl. S.104, Anm.5) wurde d'Argens von Voltaire Bruder Isaat genannt.
106-1 Ein berühmtes Freundespaar aus Virgils „Äneis“.
111-1 Vgl. S. 7 ff. 18 ff. und Bd. IX, S. 94 ff.
111-2 Der Dreibund Österreich, Rußland und Frankreich.
111-3 Der Streit um die Kolonien in Nordamerika führte 1755 zum Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen England und Frankreich, dem im Mai 1756 die englische Kriegserklärung folgte (vgl. Bd. III, S. 29 ff.).
113-1 Wie im folgenden näher ausgeführt wird, opferte Maria Theresia ihren alten Alliierten England den Franzosen und Ludwig XV. seinen bisherigen Verbündeten Preußen den Österreichern.
113-2 Durch seinen Einmarsch in Böhmen 1744 hatte König Friedrich Maria Theresia gezwungen, ihre Truppen, die bereits im Elsaß standen, zurückzurufen.
114-1 Schlacht bei Kolin, 18. Juni 1757 (vgl. Bd. III, S. 78 ff.).
115-1 Der Vorwurf richtet sich gegen den Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach, den Schwager des Königs.
115-2 Die Königin-Mutter Sophie Dorothea starb am 28. Juni 1757 (vgl. Bd. III, S. 121). Die Todesnachricht erreichte den König am 1. Juli in Leitmeritz.
118-1 Nur eine spätere Fassung dieser Epistel aus dem Januar 1760 ist uns überliefert.
119-1 Alexander der Große besiegte 334 v. Chr. die Perser am Granilos.
120-1 Der Kardinal Amboise war der Premierminister König Ludwigs XII. von Frankreich.
121-1 Erst ihre Vermählung mit Charles Gmllaume Le Normand d'Etioles bahnte für Ieanne Antoinette Poisson, die illegitime Tochter des Generalpächters de Normand de Tournehem und spätere Marquise de Pompadour, den Weg, der sie 1745 an die Seite Ludwigs XV. führte.
121-2 1717.
122-1 Nach dem Sturze Marlboroughs im Sommer 1710 (vgl. Bd. l, S.116; VII, S.104) kam es zwischen England und Frankreich zu geheimen Verhandlungen und im Oktober 1711 zu einem Präliminarfrieden zwischen beiden Staaten, dem im Frühjahr 1713 der Friede von Utrecht und die Anerkennung des Herzogs Philipp von Anjou als König von Spanien folgte.
123-1 Die Vernichtung der spanischen Armada (1588).
123-2 Jakob I. (1603—1625).
123-3 Karl I. (1625—1649).
123-4 Für Cromwell vgl. Bd. I, S. 90; IX, S. 119.
123-5 Prinz Wilhelm III. von Oranien und seine Gemahlin Maria bestiegen 1689 den englischen Thron.
123-6 Karl Eduard Stuart, der Sohn des Prätendenten Jakob Eduard, war im Juli 1745 in England gelandet und nach anfänglichen Erfolgen (vgl. Bd. II, S. 244 f.) am 27. April 1746 bei Culloden entscheidend geschlagen worden.
124-1 Der junge Zar Iwan VI. (geboren am VI.. August 1740) wurde in der Nacht zum 6. Dezember 1741 von Elisabeth, der jüngsten Tochter Peters des Großen, entthront (vgl. Bd. II, S.5. 60 und 96 f.).
124-2 Schlacht bei Mollwitz, in. April 1741 (vgl. Bd. II, S. 71 ff.).
124-3 Bei Kolin (vgl. S. 114)
131-1 Am 21. Januar 1749 hatte d'Argens sich mit der Schauspielerin Babet Cochols vermählt.
137-1 Vgl. Bd. IX, S. 26.
139-1 König Friedrich stand damals in der Gegend von Merseburg.
141-1 König Friedrich hatte am 9. September 1757 Voltaire in seine Todesgedanten eingeweiht: „Es liegt mir fern, Cato oder Kaiser Otho zu verdammen; für Otho war der schönste Augenblick seines Lebens der seines Todes. Man muß für sein Vaterland kämpfen und für fein Vaterland fallen, wenn man es retten kann, und wenn man das nicht kann, ist es schimpflich, es zu überleben.“ Voltaire entgegnete darauf, Cato und Otho dürften nicht Friedrichs Vorbilder sein; er verwies für den schlimmsten Fall auf Frankreich als Rettungsanker und auf das Beispiel des Großen Kurfürsten, „der deshalb nicht geringere Achtung genossen hat, weil er einige seiner Eroberungen herausgab“; auch dann noch werde der König genug Länder beha,ten, „um einen sehr ansehnlichen Rang in Europa zu behaupten“. Darauf antwortete Friedrich mit den obigen Versen.
147-1 Das Gedicht entstand nach einer Unterhaltung, die König Friedrich am 16. Oktober 1757 mit Gottsched in Leipzig gehabt hatte; den unmittelbaren Anstoß gab die Übertragung einer Strophe Rousseaus ins Deutsche durch Gottsched. Die Verse sind in der Vorlage irrtümlich an Geliert gerichtet.
148-1 Prinz Karl Soubise, Herzog von Rohan-Rohan, Graf Lancelot Turpin de Crissé und Herzog Viktor Franz von Broglie, Heerführer der Franzosen bei Roßbach.
148-2 Anmerkung des Königs: „Der Prinz von Sachsen-Hildburghausen, der in Ungarn am Ufer des Timot geschlagen wurde.“ Prinz Joseph von Sachsen-Hildburghausen hatte die Niederlage im Türlenkrieg vielmehr am 4. August 1737 bei Banjaluta (vgl. Bd. II, S. 159) erlitten; 1757 war er des Heiligen Römischen Reiches Generalissimus und Führer der Reichsarmee (vgl. Bd. III, S. 59).
149-1 Anmerkung des Königs: „Sie hatten gesagt, daß sie dem König von Preußen Neujahrsgeschenke bescheren wollten.“
150-1 Den bei Leuthen geschlagenen Feldmarschall Dann.
150-2 Anspielung auf die Achtserklärung gegen König Friedrich wegen Besetzung Sachsens und auf den kaiserlichen Notar Aprill in Regensburg, der von dem Reichsfiskal Helm beauftragt war, dem brandenburgischen Reichstagsgesandten Freiherrn von Plotho die Ladung des Königs vor den Kaiserlichen Hof zuzustellen. Plotho hatte ihn jedoch, als er am 14. Oktober 1757 bei ihm erschien, sofort hinauswerfen lassen. Vgl. Bd. III, S. 59 f.; V, S. 199 f.
151-1 Neipperg hatte die Österreicher bei Mollwitz geführt.
152-1 Auf dem Wege nach Roßbach hatte Marschall Soubise (vgl. S. 148) nach Frankreich geschrieben, er wolle einen Strauß für die Dauphine pflücken. Darauf geht das Gedicht.
153-1 Jean Baptisie Oudrn (1686—1755), französischer Tiermaler.
154-1 George Keith, Lord Marschall von Schottland, war 1748 nach Preußen übergesiedelt. Nachdem er preußischer Gesandter in Paris, Madrid und Gouverneur von Neuchâtel gewesen war, schlug er 1764 seinen dauernden Wohnsitz in Potsdam auf. Sein Bruder, Ialob Keith, preußischer Feldmarschall, fiel am 14. Oktober 1758 bei dem Überfall von Hochkirch (vgl.Bd.III, S.144: IX, S. 124).
155-1 Am 28. Juni 1757 war die Königin-Mutter Sophie Dorothea gestorben (vgl. S. 115), am 12. Juni 1758 August Wilhelm Prinz von Preußen (vgl. Bd. III, S. 152) und am 14. Oktober 1758 Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (vgl. S. III und Bd. III, S. 152).
156-1 Vgl. S. 115.
159-1 Vgl. S. 141. 190 und 194.
161-1 Aus einem Schreiben an d'Argens vom 12. Mai 1759.
161-2 Vgl. Bd. III, S. 153: V, S. 219 ff.; VIII, S. 122 f.
162-1 Aus einem Schreiben an Voltaire vom 17. November 1759.
163-1 Vgl. S. 121 f.
163-2 Schlacht bei Kunersdorf, 12. August 1759 (vgl. Bd. IV, S. 15 ff.).
163-3 Daun (vgl. S. 161).
163-4 Der Herzog von Choiseul, der Leiter der auswärtigen Politik Frankreichs.
164-1 Vgl. Bd. VIII, S. 62.
164-2 Vgl. S. 43.
165-1 Für den Mordanschlag des Jesuitenpaters Malagrida auf König Joseph I. von Portugal im September 1758 vgl. Bd. III, S. 153 f.
165-2 Anmerkung des Königs: „Die vergiftete Hostie gaben sie einem Kaiser, wie ich glaube, Heinrich VII.“
167-1 Aus einem Schreiben an Voltaire vom 24. Februar 1760.
167-2 Ursprünglich die Lehrstätte des Aristoteles in Athen, hier im weiteren Sinn als Bereich philosophischen Strebens gemeint.
168-1 Vgl. Bd. IX, S. VII. Der Anfang des Gedichts ist fortgelassen.
172-1 König Friedrich mahnt, die Franzosen auf dem westlichen Kriegsschauplatz zurückzuwerfen.
172-2 Belgrad war seit dem Belgrader Frieden (1739) in tükischen Händen.
174-1 Kaiser Ferdinand III. (1637—1657).
177-1 Die Kaiserhöfe und Frankreich hatten am 3. April 1760, den preußisch-englischen Antrag vom 25. November 1759, einen Friedenskongreß zu berufen, ablehnend beantwortet. Auch die Hoffnung auf Abschluß eines Sonderfriedens zwischen Frankreich und England, in den die deutschen Bundesgenossen Englands einbegriffen werden sollten, erfüllte sich nicht. Vgl. Bd. IV, S.31—33.
177-2 Nachdem die königliche Familie von Oktober 1757 bis Januar 1758 und von August bis November 1759 in Magdeburg geweilt hatte, war sie im März 1760 auf Befehl des Königs von neuem dorthin über, gesiedelt.
177-3 Am 1. August 1759 hatte Prinz Ferdinand von Braunschweig die Franzosen bei Minden geschlagen.
179-1 Der Anfang ist fortgelassen.
182-1 Am 5. Januar 1762 schrieb der König an Marquis d'Argens: „Eure provenzalische Einbildungstraft, die stärker und lebhafter ist als die uns vom nordischen Klima verliehene, malt Euch eine lachende Zukunft und angenehme Perspektiven. Ich kann Euch nicht in dem gleichen Ton antworten. Ich überlasse Euch dem Zauber Eurer Illusionen, die Euch Trost bringen, und halte mich an die Geschichte von dem Schüler Tartinis: sie ist die wahrste Allegorie, die es je gegeben hat.“ Das Datum des Gedichts ist das der ersten Fassung, die der König am 28. Dezember 1761 nochmals umarbeitete.
185-1 Griechischer Philosoph, aus der Schule der Cyniler.
185-2 Pietro Aretino (1491—1556), der berüchtigte Schriftsteller und Pamphletist (vgl. Bd. V, S. 189 und 211).
190-1 Nachdem Kaiser Otho im Jahre 69 bei Bedriacum von den Legalen des zum Kaiser ausgerufenen Vitellius geschlagen war, gab er sich selbst den Tod. Vgl. S. 141. 159.
194-1 Marcus Porcius Cato Uticensis wählte nach der Niederlage der Pompejanischen Partei beiThapsus (46 v. Chr.) den freiwilligen Tod, um sich nicht Cäsar ergeben zu müssen (vgl. S. 50. 129. 141. 159).
195-1 Bei Pharsalus (48 v. Chr.) war Pompejus von Cäsar besiegt worden.
195-2 Cato leitete die Verteidigung von Utica, das an der afrikanischen Küste lag.
199-1 Schweidnitz, das am 1. Oktober 1761 in die Hände der Österreicher gefallen war, wurde am 9. Oktober 1762 von General Tauentzien wiedergenommen (vgl. Bd. IV, S. 156. 160 f.).
199-2 Major Lefebvre vom Ingenieurkorps hatte die Belagerungsarbeiten geleitet.
199-3 Postillone begleiteten den Kurier, der die Nachricht von der Einnahme von Schweidnitz nach Berlin brachte.
203-1 Freifrau Charlotte Wilhelmine Dorothea von Morrien, geb. von der Marwitz, die Witwe des 1760 verstorbenen Oberhofmeisters der Königin-Mutter. Sie wurde im Juli 1765 Oberhofmeisterin der jungen Prinzessin von Preußen. Wie König Friedrich am 17. Februar 1770 an Voltaire schreibt, bildete den Anlaß zu obigem Gedichte ein Tischgespräch, „wo sich diese Dame über die Schwierigkeit beklagte, die richtige Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig zu finden“.
203-2 Die Astronomen.
206-1 Pierre Boué, Wurmb und van Sanen waren Bankiers aus Hamburg und Holland, die der König 1765 mit der Organisation der Bank in Berlin betraute.
207-1 Antoine Houdar de La Motte (1672—1731), französischer tragischer Dichter.
209-1 Die Hofdamen Fräulein von Podewils und von Zerbst.
209-2 Die Oberhofmeisterin Katharina Eleonore von Maupertuis, geb. von Borcke, die Witwe des 1759 verstorbenen Akademiepräsidenten.
209-3 Die Hofdame der verstorbenen Königin-Mutter, Wilhelmine von Knesebeck (vgl. S. 241), hatte 1744 die Prinzessin Ulrike (vgl. S. 80) nach Schweden begleitet.
211-1 Das folgende Scherzgedicht, eine Satire auf d'Argens'Hypochondertum, bildet das heitere Gegenstück zu der „Epistel an das Bett des Marquis d'Argens“ (vgl. S. 105 ff.).
212-1 Das Stammschloß von d'Argens in der Provence.
214-1 Drei aufeinanderfolgende Gichtanfälle hatten den König, wie er am 4. April 1770 der Königin Ulrike von Schweden schreibt, „so grausam“ heimgesucht, daß er „kaum noch die Feder halten kann“.
215-1 Wohl sein Leibarzt Christian Andreas Cothenius.
215-2 Wie der König des öfteren auf seine alten Dichtungen zurückgriff, so gehören auch diese und die folgenden Strophen offenbar einem Gedicht an seine Schwester Wilhelmine von Bayreuth aus dem Jahre 1747 an, wo er ebenfalls von schwerer Krankheit befallen wurde (vgl. S. 87). Damit erklärt sich auch die Anrede an die Schwester und die Hoffnung auf das Wiedersehen, das im August 1747 stattgefunden und einer mehrjährigen gegenseitigen Entfremdung ein Ende gesetzt hatte.
218-1 Als die Übersetzung eines Gedichtes des Kaisers Kien-Lung von China: „Loblied auf Mulden und seine Umgebung“ 1770 in Paris erschienen war, hatte Voltaire eine „Epistel an den Kaiser von China“ verfaßt und an Friedrich gesandt. Darauf antwortete dieser mit den „Versen“, die er scherzhaft als Übertragung einer aus China ihm zugegangenen Dichtung des Kaisers bezeichnete. Und wie Voltaire dem Preußentönig in seiner „Epistel“ gehuldigt hatte, so brachte Friedrich in der obigen Entgegnung der Kaiserin Katharina II. von Rußland, seiner Alliierten, eine Huldigung dar.
218-2 Höchster Herr, d.h. Gott.
218-3 König Christian VII. von Dänemark hatte 1768 Holland, England und Frankreich bereist (vgl. Bd. V, S. 38).
219-1 Der englische Scholasiiler Johann- Duns Scotus († 1308).
219-2 Anspielung auf den russischtürkischen Krieg, der Ende 1768 ausgebrochen war und 1774 durch den Frieden von Kutschuk-Kainardsche beendet wurde (vgl. Bd. V, S. 16 ff. und 49).
220-1 Eine Anzahl Philosophen und Verehrer Voltaires in Paris hatten im April 1770 beschlossen, seine Statue durch Pigalle herstellen zu lassen. Zu den Kosten, die durch Subskription aufgebracht wurden, sandte auf d'Alemberts Aufforderung auch König Friedrich 200 Louisdor.
221-1 Der Schluß bezieht sich auf die Bewegung gegen die Jesuiten in Portugal, Spanien und Frankreich, die 1773 zur Aufhebung des Ordens durch Papsi Klemens XIV. führte.
221-2 Aus einem Schleiben an Voltaire vom 19. März 1771.
222-1 Anmerkung des Königs: „Minister der Medizäer in Florenz, Großprior von Pisa.“
222-2 Gemeint sind die „Cäsaren“ von Julian Apostata, ein in lucianischer Art abgefaßtes satirisches Tischgespräch über die Kaiser von Augustus bis Diokletian.
223-1 Aristarchos von Samothrale (im 2. Jahrh. v. Chr.) das Muster eines unerbittlichen Kritikers.
223-2 Vgl. S. 185.
223-3 Ludwig XV. von Frankreich.
224-1 Vgl. Bd. II, S. 134; VII, S. 153.
224-2 Bruder Tölpel, d. h. der Beichtvater. Der Name ist aus Voltaires „La Pucelle“ entlehnt.
224-3 Herzog Ferdinand von Parma (geb. 1751).
224-4 Karl III. von Spanien (1734-1759 König von Neapel).
224-5 Vgl. Bd. II, S.42.
224-6 Sein Sohn Ferdinand IV., der ihm in Neapel folgte.
225-1 Karl Emanuel III. von Sardinien.
225-2 Der Abbe St. Pierre war Verfasser der Schrift „Projet de la paix perpétuelle“ (vgl.Bd.VIII, S.38).
225-3 Christian VII. von Dänemark (vgl.S. 218).
225-4 Adolf Friedrich von Schweden.
225-5 Gemeint ist König Friedrich selbst.
226-1 Stanislaus II. August König von Polen.
226-2 Vgl. Bd. V, S. 8 f.
226-3 Im Verlaufe des russisch, türkischen Krieges (vgl. S. 219).
228-1 Der Pont Neuf in Paris bildete den Hauptmarttplatz für den Absah von Spottliedern und Pam, phleten.
231-1 Graf Albert Joseph Hoditz, Herr von Roßwalde (1706—1778). Der König war bei ihm am 2. und 3. September 1770 in Roßwalde zu Gaste gewesen, als er zur Begegnung mit Kaiser Joseph II. nach Mährisch-Neustadt reiste (vgl. Bd. V, S. 22 f.). Auf seine Einladung wellte Hodttz im März und April 1771 zu Besuch in Potsdam. Der Anfang der „Epistel“ ist fortgelassen.
232-1 Quintus Aurelius Avianus Symmachus, 384 Präfett vonRom, hatte sein Bestreben auf die Aufrechterhaltung des Heidentums gerichtet.
232-2 Typhoeus, ein Gigant; Geryon, ein Riese mit drei Leibern, den Herakles erschlug: auf den hundertarmigen Enkelados schleuderte Zeus den Ätna.
241-1 Wllhelmine von Knesebeck, Hofdame der Königin,Mutter (vgl. S. 209). Auch nach deren Tode verblieb sie, mit einer Pension vom König ausgestattet, am Hofe. Sie starb 1802.
242-1 Vgl. S. 121 f.
243-1 Quintus Curtius Rufus, der Verfasser der „Historiae Alexandri Magni“.
245-1 Den Anstoß zu der „Epistel“ gab ein Besuch, den Hoditz (vgl. S. 231 ff.) während der schlesischen Revuereise im August 1774 dem König in Neiße abstattete. „Ich sah dort Hoditz,“ schreibt Friedrich am 19. September an Voltaire; „er war früher so heiter, jetzt ist er traurig und melancholisch; er kann der Natur nicht die lästigen Gebrechen verzeihen, die das Alter mit sich bringt.“
248-1 Das obige Gedicht, das der König am 24. Oktober 1775 an Voltaire sandte, bezieht sich auf eine neue Ausgabe der „Henriade“ von La Beaumelle, der selber neue Verse in die Dichtung eingefiochten hatte.
251-1 Aus einem Schreiben an Voltaire vom 9. Juli 1777.
253-1 Vgl. dazu S. 32 ff. Das Gedicht stammt aus den letzten lebensjahren des Königs.