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Denkwürdigkeiten (1742)

I. Vorwort

Viele haben Geschichte geschrieben, aber sehr wenige haben die Wahrheit gesagt. Schlecht unterrichtete Schriftsteller wollten Anekdoten schreiben und haben sie erdichtet oder Volksgerüchte für bewiesene Tatsachen genommen und sie der Nachwelt dreist aufgetischt. Andere wollten berichten, was sich hundert Jahre vor ihrer Geburt zugetragen hat. Sie haben Romane verfaßt, in denen höchstens die Haupttatsachen nicht entstellt worden sind. Sie haben den Menschen, deren Leben sie überlieferten, Gedanken, Worte und Taten zugeschrieben, und die leichtsinnige Welt, die betrogen sein will, hat die Hirngespinste der Verfasser für geschichtliche Wahrheiten gehalten. Wieviel Lügen! Wieviel Irrtümer! Wieviel Betrug!

In der Überzeugung, daß es nicht irgendeinem Pedanten, der im Jahre 1840 zur Welt kommen wird, noch einem Benediktiner der Kongregation von St. Maur1 zusteht, über Verhandlungen zu reden, die in den Kabinetten der Fürsten stattgefunden, noch die gewaltigen Szenen darzustellen, die sich auf dem europäischen Theater abgespielt haben, will ich selbst die Umwälzungen beschreiben, deren Augenzeuge ich war und an denen ich den regsten Anteil hatte. Gehen diese großen Ereignisse doch mein Haus ganz besonders an. Ja, man kann die Epoche seiner Größe erst von diesem Zeitpunkt ab datieren.

Ich halte mich sogar für verpflichtet, der Nachwelt eine wahre und exakte Darstellung der Ereignisse zu geben, die ich selbst gesehen habe; denn seit dem Untergange des römischen Reiches2 verdient kaum ein geschichtliches Ereignis so viel Beachtung wie der Krieg, den eine mächtige Liga zum Sturze des Hauses Habsburg unternahm.

Originalurkunden, Briefe wie Verträge, werden die von mir berichteten Tatsachen rechtfertigen. Ich will den Leser nicht durch weitschweifige Erzählungen kleiner Umstände ermüden. Vielmehr werde ich ihm nur das vorführen, was seine Aufmerksamkeit verdient. Kleine Züge, die den Zeitgeist kennzeichnen, sollen jedoch nicht fortbleiben, auch manche Kleinigkeiten nicht, die zu Großem geführt haben.


1 Anspielung auf den Benediktinerpater Mabillon († 1707) und die von ihm veröffentlichten Urkundensammlungen.

2 Der König hat das Ende der römischen Republik im Auge.