Aber mochten die Franzosen durch ihre tapfere Verteidigung den Österreichern auch furchtbar werden, ihr Heer war doch in einer erbärmlichen Verfassung. Ihre Lage war kläglich; Zwistigkeiten herrschten unter den Generalen und schreckliches Elend unter den Truppen. Die Not war so groß, daß man die Pferde tötete und verzehrte, da Schlachtvieh kaum für die Tafel der Marschälle vorhanden war. In dieser verzweifelten Lage, wo die Besatzung nur noch den Tod oder die Schande vor sich sah, rückte Maillebois zur Befreiung heran. Hätte man ihm freie Hand gelassen, so hätte Böhmens Schicksal sich wenden können. Doch der Kardinal führte ihn von Versailles aus am Gängelbande. Umsonst boten sich dem Marschall die schönsten Gelegenheiten: er wagte keine zu benutzen.
Der Wiener Hof sah, welchen Streich der Kardinal ihm versetzen konnte. Zu schwach zur Abwehr, half er sich mit dem Ersatzmittel der Kraft: mit List. Graf Ulfeld, Minister des Auswärtigen bei der Königin von Ungarn, kannte den Charakter des Kardinals und verstand ihn mit Unterhandlungen so geschickt hinzuhalten, daß Khevenhüller Zeit gewann, aus Bayern herbeizueilen und sich mit dem Prinzen von Lothringen zu vereinigen. Ja, die Franzosen ließen sich so lange nasführen, daß die Österreicher ihnen um einen Tagemarsch zuvorkamen und Maillebois vor die Wahl zwischen Schlacht oder Rückzug stellten. Er wurde allgemein getadelt, daß er dem Prinzen Karl kein Treffen lieferte. Aber er war unschuldig daran. Wir wissen bestimmt, daß sein Hof ihm den ausdrücklichen Befehl erteilt hatte, nichts aufs Spiel zu setzen. Maillebois gehorchte, und da er sich Prag ohne Schlacht nicht nähern konnte, so kehrte er wieder um und ging nach Eger zurück. Zum Ziele führte diese Diversion also nicht, aber sie brachte den in Prag eingeschlossenen Truppen doch Nutzen. Die Marschälle Belle-Isle und Broglie wurden von der österreichischen Armee befreit. Sie schickten starke Truppenabteilungen zur Beitreibung von Lebensmitteln aus und verproviantierten die Stadt aufs neue. Maillebois wurde in Böhmen, wo er keinen festen Fuß fassen konnte, überflüssig. Er ging über Regensburg und Straubing zurück und vereinigte sich mit dem Marschall Seckendorff, der die Truppen des Kaisers in Bayern befehligte. Wäre es Maillebois gelungen, das Heer des Prinzen Karl von Lothringen in Böhmen länger aufzuhalten, so hätte Seckendorff Passau, Straubing und alle noch österreichisch gesinnten Städte wiedergewinnen können. Nun suchte Maillebois umsonst Braunau wieder einzunehmen1. Der Prinz von Lothringen war ihm nach Bayern gefolgt, aber da die Jahreszeit schon vorgeschritten und beide Heere erschöpft waren, so bezog man Winterquartiere.
In Italien war die Lage der Dinge für das Haus Österreich noch ziemlich unentschieden. Die Spanier waren unter Führung von Montemar bis ins Herzogtum Ferrara gedrungen. Feldmarschall Traun hatte sie etwas zurückgedrängt. Die Kö-
1 Der König irrt; Prinz Karl von Lothringen suchte sich in den Besitz von Braunau zu setzen.