<153> imstande, die Absichten seines Herrschers mit Nachdruck durchzuführen. Es blieb nichts zu tun übrig, als Sicherheitsmaßnahmen gegen seine Nachbarn zu treffen. Vor allem aber galt es, den Rücken frei zu behalten, wenn man etwas unternehmen wollte.

Von allen Nachbarländern Preußens ist Rußland das gefährlichste und verdient die meiste Aufmerksamkeit. Es ist mächtig und es ist nahe. Auch die künftigen Regenten Preußens werden gezwungen sein, die Freundschaft mit jenen Barbaren zu pflegen1. Der König fürchtete weniger die Größe der russischen Heere als den Schwarm von Kosaken und Tataren, die in Feindesland sengen und brennen, die Einwohner töten oder in die Sklaverei schleppen und so zum Verderben der Länder werden, die sie überschwemmen. Andern Feinden kann man Böses mit Bösem vergelten. Bei Rußland ist das unmöglich, außer wenn man eine starke Flotte besitzt, mit der man ein gegen Petersburg vorrückendes Heer schützen und ernähren kann.

In dem Bestreben, sich Rußlands Freundschaft zu erwerben, ließ der König nichts unversucht. Seine Unterhandlungen erstreckten sich bis nach Schweden. Die Kaiserin Elisabeth wollte damals ihren Neffen, den Großfürsten, verheiraten, um durch Nachkommenschaft die Thronfolge zu sichern. Sie hatte zwar noch keine bestimmte Wahl getroffen, gab aber der Schwester des Königs von Preußen, Prinzessin Ulrike, den Vorzug. Der sächsische Hof wollte die Prinzessin Maria Anna, die zweite Tochter König Augusts, mit dem Großfürsten vermählen, um auf diesem Wege Einfluß auf die Kaiserin zu gewinnen. Der feile russische Minister, Bestushew, der seine eigne Herrin an den Meistbietenden verschachert hätte, wenn jemand die Mittel dazu gehabt hätte, verkaufte den Sachsen vorzeitig einen Ehekontrakt. Der König von Polen bezahlte ihn, erhielt aber für sein gutes Geld nur leere Worte.

Nichts konnte Preußens Interesse mehr zuwiderlaufen als eine Verschwägerung zwischen Rußland und Sachsen. Aber nichts wäre auch widernatürlicher gewesen, als eine Prinzessin des preußischen Königshauses zu opfern, um die Sächsin auszustechen. Man verfiel also auf ein andres Mittel. Von allen heiratsfähigen deutschen Prinzessinnen paßte keine besser für Rußland und für die preußischen Interessen als die Prinzessin von Zerbst2. Ihr Vater war Feldmarschall im preußischen Heere, ihre Mutter eine Prinzessin von Holstein, Schwester des Thronfolgers von Schweden und Tante des russischen Großfürsten. Wir wollen auf die Einzelheiten der Unterhandlung hier nicht eingehen. Genug, daß ihre erfolgreiche Durchführung weit mehr Mühe kostete als die wichtigste Sache. Selbst der Vater der Prinzessin widersetzte sich der Heirat. Als Lutheraner von einer Strenge wie in der Reformationszeit, wollte er nicht zugeben, daß seine Tochter eine Ketzerin würde. Aber schließlich bewies ihm ein Geistlicher, der mit sich reden ließ, daß die griechische Religion ungefähr dasselbe sei wie das Luthertum. In Rußland verbarg Mardefeld seine Schachzüge so geschickt vor


1 Als der König dieses schrieb (1775), war er mit Rußland verbündet.

2 Prinzessin Sophie, Tochter des Fürsten Christian August und seiner Gemahlin Johanna Elisabeth; sie bestieg als Katharina II. 1762 nach der Abdankung ihres Gemahls, Peters III., den russischen Thron.