<23> blieb der größte Teil der Truppen in Ungarn; es waren aber nicht mehr als 43 000 Streiter, und niemand dachte daran, die Armee wieder vollzählig zu machen. Im übrigen hatte der Kaiser nur 16 000 Mann in Italien, höchstens 12 000 in Flandern und fünf bis sechs Regimenter zerstreut in den Erbländern, sodaß also das kaiserliche Heer statt seiner Sollstärke von 175 000 Mann tatsächlich nur 82 000 Mann zählte.
Im Jahre 1733 waren die Einkünfte des Kaisers auf achtundzwanzig Millionen veranschlagt; seitdem hatte er recht viel davon verloren, und die Kosten von zwei aufeinanderfolgenden Kriegen hatten ihn derart in Schulden gestürzt, daß er sie mit den übriggebliebenen zwanzig Millionen Einkünften kaum zu bezahlen vermochte. Überhaupt waren die Finanzen in größter Verwirrung. Unter den Ministern herrschte offener Zwist. Eifersucht trennte die Generale. Der Kaiser selbst war durch so viele Mißerfolge entmutigt und der eitlen Größe überdrüssig geworden. Jedoch trotz seiner geheimen Fehler und Schwächen stand Österreich noch 1740 in der ersten Reihe der europäischen Mächte; man war sich klar, daß bei seinen Hilfsquellen ein guter Kopf alles verändern könnte. Inzwischen ersetzte Österreich die mangelnde Kraft durch Stolz, und sein einstiger Ruhm deckte noch die gegenwärtige Demütigung.
Ganz anders stand es mit Frankreich. Seit 1672 war das Königreich nicht in so glänzender Lage gewesen. Einen Teil seines Glückes verdankte es der weisen Leitung des Kardinals Fleury. Ludwig XIV. hatte diesen früheren Bischof von Fréjus zum Erzieher seines Urenkels bestellt. Die Priester sind ebenso ehrgeizig wie andere Menschen und oft verschmitzter. Nach dem Tode des Herzogs von Orleans (1723)1 ließ Fleury den Herzog von Bourbon, dessen Nachfolger in der Regentschaft, des Landes verweisen und trat an dessen Stelle. In seiner Staatsverwaltung bewies er mehr Vorsicht als Tatkraft. Vom Bett seiner Mätressen aus verfolgte er die Jansenisten. Alle Bischöfe mußten orthodox sein, und doch weigerte er sich bei einer schweren Krankheit, die Sakramente seiner Kirche zu nehmen. Richelieu und Mazarin hatten alles, was Pomp und Prunk an Ansehen geben können, erschöpft; des Kontrastes halber suchte Fleury seine Größe in der Einfachheit. Seinen Neffen hinterließ er nur eine sehr geringe Erbschaft, aber er machte sie reich durch die unermeßlichen Wohltaten, die der König über sie ausschüttete. Dieser Premierminister zog die Unterhandlungen dem Kriege vor, weil er stark im Intrigenspiel war und keine Heere zu befehligen verstand. Er trug Friedensliebe zur Schau, denn er wollte lieber der Schiedsrichter der Könige sein als ihr Bezwinger. Er war kühn in seinen Plänen, zaghaft in ihrer Ausführung. Seine sparsame Finanzwirtschaft und seine Ordnungsliebe waren überaus nützlich für Frankreich, da dessen Finanzen durch den Erbfolgekrieg und durch eine schlechte Verwaltung erschöpft waren. Das Militär setzte er zu sehr zurück und hielt die Finanzleute zu hoch. Frankreichs Seemacht ward unter
1 Nach dem Tode Ludwigs XIV. (1715) führte an Stelle seines minorennen Urenkels und Nachfolgers der Herzog Philipp von Orleans die Regentschaft. Ludwig XV. (geb. 1710) übernahm 1726 nominell die Regierung, die in Wirklichkeit Kardinal Fleury leitete.