<34>manischen Reiche Gesetze. Sie beschirmte die Wissenschaften in ihrer Hauptstadt und sandte selbst nach Kamtschatka Gelehrte, um einen kürzeren Handelsweg zwischen Rußland und China aufzufinden. Sie besaß Eigenschaften, die sie ihres Ranges würdig machten, eine hohe Seele, Festigkeit des Geistes. Sie war freigebig in ihren Belohnungen, streng in ihren Strafen, gütig aus Temperament und wollüstig ohne Ausschweifung.
Ihren Günstling und Minister Biron1 hatte sie zum Herzog von Kurland gemacht. Freilich zweifelten die Edelleute seiner Heimat seinen alten Adel überhaupt an. Er war der einzige, der ausgesprochenen Einfluß auf die Kaiserin besaß. Von Natur eitel, grob und grausam, war er fest in den Staatsgeschäften und von kühnem Unternehmungsgeiste beseelt. Bis ans Ende der Welt wollte er in seinem Ehrgeiz den Namen seiner Gebieterin tragen. Übrigens war er ebenso habsüchtig im Zusammenscharren wie verschwenderisch im Ausgeben. Er besaß wohl einige nützliche Eigenschaften, aber keine guten und angenehmen.
Unter der Regierung Peters des Großen hatte sich in der Schule der Erfahrung ein Mann herangebildet, der imstande war, die Last der Staatsgeschäfte unter seinen Nachfolgern zu tragen: Graf Ostermann2. Als geschickter Steuermann lenkte er das Staatsschiff mit stets sicherer Hand durch die Stürme der Revolutionen. Er stammte aus der Grafschaft Mark in Westfalen und war von niedriger Herkunft. Aber die Natur teilt die Talente ohne Rücksicht auf den Stammbaum aus. Dieser Minister kannte Rußland wie Verheyen3 den menschlichen Körper. Er war vorsichtig und kühn, je nach den Umständen, und entsagte den Intrigen am Hofe, um sich die Leitung des Staates zu erhalten. Außer ihm waren Graf Löwenwolde und der alte Graf Golowkin Minister, die Rußland nützlich sein konnten.
An der Spitze des russischen Heeres stand Graf Münnich, der aus sächsischen Diensten in die Peters des Großen getreten war. Er war der Prinz Eugen der Russen. Er besaß die Tugenden und Laster der großen Feldherren, war geschickt, unternehmend, glücklich, aber stolz, hochmütig und ehrgeizig, bisweilen zu despotisch und opferte das Leben seiner Soldaten für seinen Ruhm auf. Lacy, Keith, Löwendal und andere geschickte Heerführer bildeten sich in seiner Schule. Der Staat unterhielt damals 10 000 Mann Garde, hundert Bataillone, die 60 000 Mann ausmachten, 20 000 Dragoner und 2 000 Kürassiere, zusammen 92 000 Mann regulärer Truppen, dazu 30 000 Mann Landmiliz und so viele Kosaken, Tataren und Kalmücken, als man aufbieten wollte, sodaß Rußland ohne Anstrengung 170 000 Mann ins Feld stellen konnte. Die russische Flotte schätzte man damals auf 12 Linienschiffe, 26 Schiffe von geringeren Rangklassen und 40 Galeeren.
Die Einkünfte des Reiches beliefen sich auf vierzehn bis fünfzehn Millionen Taler. Die Summe scheint mäßig im Verhältnis zu der ungeheuren Ausdehnung des Lan-
1 Vgl. S. 5.
2 Vgl. S. 7.
3 Philipp Verheyen, belgischer Anatom († 1710).