<95>ten, war es gar nicht recht, daß die Feinde sie so oft belästigten, und sie wünschten, daß die Preußen zu ihrer Bedeckung heranrücken möchten. Aber nur ein Blödsinniger konnte sich diesem Begehren fügen. Valory, der französische Gesandte zu Berlin, erschöpfte sich in Klagen. Er behauptete, die Deutschen, die doch nur zum Kämpfen gut wären, müßten gegen die Österreicher losziehen, um den Franzosen, die ihnen in allen anderen Dingen überlegen wären, Ruhe zu verschaffen. Man hörte ihn stillschweigend an. Schließlich aber wurde er selbst seiner vergeblichen Zudringlichkeit müde.
Nachdem so viele Mächte sich zur Teilung der österreichischen Erbschaft vereinigt hatten, erwachte die Begehrlichkeit auch in den Fürsten, die bisher ruhig geblieben waren. Spanien wollte nicht müßig zusehen, wie jedermann an seine Vergrößerung dachte. Die Königin von Spanien1, eine geborene Prinzessin von Parma, erhob Ansprüche auf das Herzogtum Parma sowie auf Piacenza, das sie ihren Unterrock nannte. Ihr zweiter Sohn Don Philipp sollte hier auf den Thron kommen. Sie ließ 20 000 Spanier unter dem Befehl von Montemar durch das Königreich Neapel rücken, indes Don Philipp mit einem andern Korps durch das Dauphiné und Savoyen marschierte, um in die Lombardei einzufallen. So griff das Feuer, das aus einem Funken in Schlesien entglommen war, von Land zu Land um sich, und bald stand ganz Europa in Flammen.
Während die vielen Heere, die einander gegenüberstanden, mehr Torheiten als Ruhmestaten vollbrachten, war der Reichstag in Frankfurt zur Kaiserwahl versammelt und vergeudete seine Zeit in läppischen Beratungen. Statt ein Reichsoberhaupt zu wählen, stritt man sich über Brokatkleider oder Spitzen, welche die Gesandten zweiten Ranges ebenso zu tragen beanspruchten wie die ersten Ranges. Der Reichstag war in zwei Parteien gespalten. Die eine bestand aus fanatischen Anhängern, die andere aus maßlosen Feinden der Königin von Ungarn. Jene wollten den Großherzog von Toskana zum Kaiser haben, diese beharrten halsstarrig auf dem Kurfürsten von Bayern. Das Waffenglück, das noch die Verbündeten begünstigte, entschied den Streit, und ihre Partei erlangte endlich das Übergewicht, das der Erfolg verschafft. Trotzdem rückte das Wahlgeschäft in Frankfurt nicht von der Stelle.
Um eine Vorstellung von dieser Versammlung und von der Langsamkeit ihrer Beratungen zu geben, wird es nicht unnütz sein, eine Skizze davon zu entwerfen. Die Goldene Bulle gilt als das Grundgesetz Deutschlands. Auf sie beruft man sich bei jeder Gelegenheit, und wenn es Zänkereien gibt, so entstehen sie aus der Art ihrer Auslegung. Daher schicken die Fürsten die Rechtslehrer, die in der Goldenen Bulle am besten Bescheid wissen, die schwerfälligsten Pedanten, die in den äußerlichen Lappalien am erfahrensten sind, als ihre Stellvertreter zu den Reichsversammlungen. Da streiten sich die Rechtsgelahrten denn über die Formalitäten. Um die Dinge im
1 Elisabeth Farnese.