<96> großen zu betrachten, dazu haben sie einen zu beschränkten Geist. Die Ehre der Repräsentation verdreht ihnen den Kopf, und sie bilden sich ein, das Ansehen zu besitzen, das die hohe Körperschaft zur Zeit Karls von Luxemburg1 genoß. Kurz, man war am 1. Dezember des Jahres 1741 noch um keinen Schritt weitergekommen als bei der Einberufung dieser erlauchten Versammlung. Hätten die Österreicher auch nur die mindesten Waffenerfolge gehabt, so hätte der Großherzog die Mehrheit der Stimmen erhalten. Man mußte die Wahl also rasch durchsetzen, um das augenblickliche Stimmenverhältnis auszunutzen und durch Erhebung einer andern Dynastie auf den Kaiserthron zu verhindern, daß die Würde auch in dem neuen österreichischen Hause erblich ward. Um es dahin zu bringen, schlug der König vor, einen Termin zur Wahl festzusetzen. Sein Vorschlag fand Beifall, und der Reichstag bestimmte den 24. Januar 1742 für das große Ereignis.

Aber den König von England kümmerten dieser Reichstag und seine Beratungen weit weniger als das, was ihn selbst nahe betraf. Seine Angst vor dem Heer unter Maillebois, das sein Kurfürstentum Hannover bedrohte, war so groß, daß er sich zu demütigen Bitten in Versailles entschloß, um seine Besitzungen zu sichern. Als Gesandten schickte er Hardenberg, der einen Neutralitätsvertrag mit Frankreich unterzeichnen sollte. Kardinal Fleury fragte den König von Preußen, was er von dieser Unterhandlung hielte. Der König antwortete, es sei gefährlich, einen Feind halb zu beleidigen; wer drohe, müsse auch zuschlagen. Dem Kardinal, der stets mehr zu Schlichen als zu festem Auftreten neigte, fehlte die männliche Kraft zu entscheidenden Entschlüssen. Er glaubte am besten zu fahren, wenn er die Dinge unentschieden ließ, und unterzeichnete den Vertrag mit England (27. September 1741). Solche Auswege und Halbheiten haben Frankreichs Interessen oft geschadet. Aber die Natur verteilt ihre Gaben nach ihrem Belieben: wem Kühnheit verliehen ist, der kann nicht zaghaft handeln; und wer mit zuviel Bedachtsamkeit geboren ist, der ist kein Wagehals.

Dieses Jahr war gleichsam die Epoche der großen Ereignisse. Ganz Europa führte Krieg, um sich in die Stücke einer strittigen Erbschaft zu teilen. Der Reichstag kam zusammen, um einen Kaiser aus einem andern Hause als dem österreichischen zu wählen. In Rußland endlich entthronte man einen jungen, noch in der Wiege liegenden Zaren, und eine Revolution setzte die Prinzessin Elisabeth auf den Thron2. Ein französischer Wundarzt, ein deutscher Musiker, ein russischer Kammerjunker3, sowie hundert, mit französischem Gelde bestochene Leute der Preobrashenskischen Garde führen Elisabeth zum kaiserlichen Palaste, überrumpeln und entwaffnen die Wachen und nehmen den jungen Zaren, seinen Vater, den Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig, und dessen Mutter, die Prinzessin von Mecklenburg, gefangen. Die Truppen werden versammelt; sie erkennen Elisabeth als ihre Kaiserin an und leisten ihr den


1 Karl IV., der die Goldene Bulle erließ.

2 In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1741.

3 Lestocq, Schwartz und Michael Woronzow.