<VII> Nicht mehr der tatenfrohe junge Friedrich hat das Wort, sondern der abgeklärte, durch schwerste Erfahrung gereifte Herrscher. Schon dadurch tritt das persönliche Moment zurück, daß er von sich nicht mehr in der ersten Person spricht. Wo von ihm die Rede ist, heißt es „der König“, wenn nicht die noch allgemeiner gehaltene Wendung „man“ gebraucht wird. Dem entspricht ferner die schon erwähnte Änderung des Titels des Werkes. Denn wenn auch für den König die preußische Monarchie immer im Mittelpunkt seines Interesses und seiner Darstellung steht, so steht sie doch nicht allein in der Welt. Nicht bloß Einen Staat, sondern Staaten und Staatensysteme zeigt die Wirklichkeit. Schon durch die umfassende Übersicht der europäischen Mächte im ersten Kapitel hatte Friedrich dem universalgeschichtlichen Standpunkt Rechnung getragen. Es charakterisiert daher die erhöhte Weite seines Blickes, wenn er die neue Fassung nicht mehr als Fortsetzung der „Geschichte Brandenburgs“ bezeichnete, sondern ihr den selbständigen Titel gab: „Geschichte meiner Zeit“.

Auch der Inhalt der Darstellung änderte sich. Was Friedrichs Auffassung von 1775 nicht mehr entsprach oder bereits an Interesse für ihn verloren hatte, ist fortgefallen. Dafür finden sich mancherlei Zusätze. Noch rückhaltloser spricht er von sich und den Beweggründen seiner Handlungen; auf der anderen Seite hat er über Personen und Verhältnisse mehrfach sein Urteil gemildert1. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt aber vor allem in der Reflexion: der militärisch-didaktische Zweck steht allenthalben im Vordergrund. Nach dem Worte Rankes ist es der alte Meister des Krieges, welcher spricht.

Endlich bedürfen die Vorreden zu den drei Fassungen des Werkes noch eines erläuternden Hinweises. Zwei große Fragen der allgemeinen Politik beschäftigen darin den König.

Das erste Problem, den Gegensatz zwischen Moral und Politik, hatte Friedrich schon im „Antimachiavell“ zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. Der moralphilosophischen Tendenz dieses Jugendwerkes entsprechend hatte er dort den Standpunkt des Florentiners, der in der Politik keine Moral gelten lassen wollte, heftig bekämpft. Es gäbe keinen doppelten Maßstab, so erklärte der Prinz und forderte daher, seine Anschauung an einem Beispiel der praktischen Politik erläuternd, die peinlichste Beobachtung der Staatsverträge durch den Fürsten. Aber auch schon im „Antimachiavell“ hatte Friedrich die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß eine traurige Notlage und das Wohl des Volkes den Fürsten zwingen könnten, Verträge und Bündnisse zu brechen2. Dieser Fall trat für den König im Jahre 1742 ein: er schloß, obwohl mit Frankreich verbündet, einen Sonderfrieden mit dem Wiener Hofe. Damit war das Problem aus der Sphäre rein theoretischer Betrachtung auf den Boden der realen Verhältnisse gerückt.


1 Vgl. z. B. S. 71 Anm. 1, 108 Anm. 1, 187 Anm. 1.

2 Vgl. Antimachiavell, Kapitel 18 (Bd. VII).