<20> augenblicklichen Notlage zu befreien, opferten die Mächte ihre zukünftigen Interessen. Einerseits löschte man zwar den europäischen Brand, andrerseits aber häufte man reichlichen Zündstoff auf, der bei der ersten Gelegenheit Feuer fangen mußte. Es brauchte nur der König von Spanien zu sterben, so brachen neue Unruhen aus. Auch die noch unerledigte Grenzregulierung in Kanada mußte Frankreich und England eines Tages notwendigerweise in Händel verwickeln. Öfters genügt ein weiteres Kriegsjahr oder einige Festigkeit bei den Verhandlungen, um die Streitigkeiten der Fürsten für lange zu schlichten, aber gewöhnlich zieht man halbe Maßregeln einer gründlichen Abhilfe vor und schließt einen voreiligen Waffenstillstand anstatt eines dauerhaften Friedens.
Der Wiener Hof hatte durch den Erbfolgekrieg die schlesischen Herzogtümer, Parma und Piacenza verloren. Nur mit Ungeduld ertrug er die Verminderung seiner Macht und schob die Hauptschuld den Engländern zu, mit der nicht völlig grundlosen Beschuldigung, sie hätten die Interessen ihrer Verbündeten den eigenen geopfert. Die Folge davon war, daß man in Wien des englischen Bündnisses überdrüssig wurde und geneigt war, seine Fühler nach Versailles auszustrecken. Man wollte versuchen, Frankreich und Preußen zu trennen, und gleichzeitig zusehen, ob sich nicht ein Mittel finden ließ, die französischen und österreichischen Interessen zu vereinigen. Graf Kaunitz, der eigentliche Urheber des Planes, war als Bevollmächtigter der Kaiserin-Königin in Aachen. Er zögerte nicht, Saint-Séverin gegenüber den ersten Schritt zu tun. Er gab ihm zu verstehen, daß bei einer Aussprache zwischen Frankreich und Österreich beide Höfe zu vorteilhaften Abmachungen gelangen könnten. Flandern und Brabant sollten im Besitz der Allerchristlichsten Majestät bleiben, falls Frankreich den König von Preußen zur Rückgabe Schlesiens an die Kaiserin-Königin nötigte. Der Köder war verlockend und hätte den Hof von Versailles wohl reizen können, hätte sich Ludwig XV., der des Krieges überdrüssig war, nicht gescheut, zur Ausführung des Planes einen neuen Krieg anzufangen. So lehnte Saint-Séverin dann das Anerbieten ab, so vorteilhaft es auch war.
Aber Graf Kaunitz ließ es nicht dabei bewenden. Der in seinen Neigungen so oberflächliche, in den Staatsgeschäften aber so gründliche Mann ging als Botschafter nach Paris1. Dort arbeitete er mit zähem Fleiß und unendlichem Geschick an der Beschwichtigung des unversöhnlichen Hasses, der seit Franz I. und Karl V. zwischen den Häusern Bourbon und Habsburg bestand. Immer aufs neue wiederholte er den Ministern, daß die Vergrößerung Preußens ihr Werk sei, daß sie dafür aber nur mit Undank belohnt würden und keinen Nutzen von einem Verbündeten haben könnten, der nur seinen eigenen Vorteil im Auge hätte. Ein andermal ließ er sich, scheinbar aus tiefster Überzeugung, die Worte entfahren: „Es ist Zeit, meine Herren, sich von der Vormundschaft des Königs von Preußen, des Königs von Sardinien und all“
1 Kaunitz (vgl. S. 13) war von 1750 bis 1753 österreichischer Gesandter in Paris.