<22> Kaiserin Sorge ein und brachte es schließlich dahin, daß die Russen plötzlich bedeutende Feldlager in Finnland an der schwedischen Grenze bezogen, ebenso in Livland an der preußischen Grenze. Diese Demonstrationen erneuerten sich alljährlich. Unter so kritischen Umständen brach zwischen Rußland und Schweden ein Streit um die Grenzen von Finnland aus, die im Vertrag von Åbo (1743) nicht genau festgelegt waren1. Der ärgerliche Vorwand gab Rußland freie Hand, den Krieg vom Zaune zu brechen, sobald es ihm gut dünkte. Der Wiener Hof schürte den Zwist, um den König von Preußen zu beunruhigen und zu irgend einem falschen Schritte zu verleiten, der ihn mit Rußland überwarf. Indes begnügte sich die Kaiserin-Königin damit, die Erbitterung der beiden Höfe zu steigern, ohne den Bruch zu beschleunigen.

Der König befand sich in einer heiklen und bedenklichen Lage, die leicht gefährlich werden konnte. Glücklicherweise erfuhr er durch Bestechung zweier Personen die geheimsten Pläne seiner Feinde. Der eine war Weingarten, Sekretär des Grafen de La Puebla, des österreichischen Gesandten in Berlin, der andere2 ein Kanzlist des sächsischen Kabinettsministeriums. Der Sekretär lieferte Abschriften von sämtlichen Nachrichten, die der Gesandte aus Petersburg, Wien und London empfing, und der Kanzlist sandte aus Dresden Kopien der zwischen Rußland und Sachsen geschlossenen Verträge, des Briefwechsels zwischen Graf Brühl und Graf Bestushew und der Gesandtschaftsberichte des Grafen Flemming aus Wien. Graf Brühl fühlte sich durch den Dresdener Frieden gedemütigt. Er war auf Preußens Macht eifersüchtig und bemühte sich Hand in Hand mit dem Wiener Hofe, den Haß und den Neid, der ihn selbst verzehrte, auf den Petersburger Hof zu übertragen. Brühl sann auf nichts als auf Krieg. Er wiegte sich in der Hoffnung, die ersten europäischen Wirren benutzen zu können, um einen für Sachsen so gefährlichen Nachbar zu demütigen. Er sah zwar ein, daß die Sachsen in einem Kriege nicht geschont werden könnten, ja daß Preußen sich zuerst gegen sie wenden würde. Trotzdem ließ er das sächsische Heerwesen ganz verfallen. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob sein Benehmen sehr konsequent war, aber er hätte wissen sollen, daß jeder Staat sich verrechnet, der sich, statt auf seine eigenen Kräfte, auf die seiner Bundesgenossen verläßt. Der König erfuhr also durch die zwei oben erwähnten Leute alles. Ja, ihre häufigen Nachrichten dienten ihm gleichsam als Kompaß bei der Fahrt durch die Klippen, die er vermeiden mußte, und bewahrten ihn davor, bloße Demonstrationen für den festen Vorsatz zur sofortigen Kriegserklärung zu halten.

Inzwischen nahm der Einfluß des Wiener Hofes in Rußland von Tag zu Tag zu. Das mußte ja so kommen, da der Geist des Ministers im voraus bearbeitet war und alle Einflüsterungen gegen Preußen willig aufnahm. Graf Bestushew hatte den preußischen Gesandten Mardefeld im Verdacht gehabt, im Einverständnis mit La Chétardie ihn selbst stürzen zu wollen3. Ein zweiter Grund vermehrte seinen Haß noch.


1 Vgl. Bd. II, S. 137.

2 Friedrich Wilhelm Menzel.

3 Vgl. Bd. II, S. 154.