<35> Vorwands, und ist es erst einmal so weit, dann ist der Krieg auch so gut wie erklärt. Bald schien er denn auch unvermeidlich, zumal man erfuhr, daß sich sämtliche Staatsmänner über die Haltung Rußlands getäuscht hatten. Die Intrigen des österreichischen Gesandten1 behielten am Petersburger Hofe die Oberhand. Der Hof brach mit England aus Wut über den Vertrag zwischen den Königen von Großbritannien und Preußen. Bestushew schwankte zwar einen Augenblick zwischen seiner Leidenschaft für Guineen und seinem Haß gegen den König von Preußen, aber der Haß überwog. Die Kaiserin Elisabeth, eine Feindin der Franzosen seit der letzten Gesandtschaft La Chétardies2, wollte sich lieber mit Frankreich verbünden als die geringsten Beziehungen zu einer Macht unterhalten, die Preußen zum Bundesgenossen hatte. So setzte der Wiener Hof sein Spiel an allen europäischen Höfen fort und schürte die Leidenschaften der Fürsten und ihrer Minister, um sie seinen Zwecken dienstbar zu machen.
Während dieser plötzlichen und unerwarteten Veränderungen im politischen System Europas gingen die englischen Schiffe rücksichtslos gegen die französischen vor und zwangen den König von Frankreich durch fortwährende Plackereien und Angriffe fast wider Willen zur Kriegserklärung3. Die Franzosen kündigten ostentativ eine Landung in England an, stellten ihre Truppen an den Küsten der Bretagne und der Normandie auf, ließen flache Transportschiffe bauen und zogen einige Kriegsschiffe bei Brest zusammen. Ihre Herausforderungen erschreckten die Engländer. Es gab Augenblicke, wo das für so klug geltende Volk sich für verloren hielt. Zur Beruhigung ließ König Georg hannöversche und hessische Truppen nach England übersetzen. Derart ließ man sich in London irre führen. Die Franzosen kamen dabei auf ihre Rechnung; denn während sie so der englischen Küste gegenüber scheinbare Vorbereitungen zur Landung trafen, landeten sie wirklich auf der Insel Minorka. Der Herzog von Richelieu, der Leiter der Unternehmung, belagerte Port-Mahon, und die Engländer merkten die Absicht der Franzosen erst, als sie ausgeführt war. Immerhin schickten sie der belagerten Festung eine Flotte ins Mittelmeer zu Hilfe, aber ihr Admiral Byng wurde von dem französischen Geschwader geschlagen. Um sich nun vor dem zügellosen und über die Niederlage erbitterten Volke zu rechtfertigen, mußte die englische Regierung einen Sündenbock opfern. Sie ließ Admiral Byng hinrichten4, für dessen Unschuld viele verständige Leute sich verbürgten. Umsonst versuchte der Herzog von Richelieu, Bresche in die in den Felsen gehauenen Festungswerke von Port-Mahon zu schießen. Ungeduldig über die langwierige Belagerung, befahl er den allgemeinen Sturm. Die Franzosen erstiegen die Festung und nahmen sie ein (28. April).
Während das Glück den Franzosen im Süden Europas lächelte, wurde die Lage im Norden von Tag zu Tag kritischer. Die Russen zogen in Livland viel stärkere
1 Graf Nikolaus Esterhazy.
2 Vgl. Bd. II, S. 154.
3 Die Kriegserklärung geschah von seiten Englands am 17. Mai 1756. Sie war die Folge der Eroberung von Minorka durch die Franzosen.
4 Byng wurde am 14. März 1757 standrechtlich erschossen, weil er keinen ernstlichen Kampf gewagt hatte.