<36> Truppen in Feldlagern zusammen als in allen vorhergehenden Jahren. Zu dieser Demonstration wurden sie durch den Wiener Hof veranlaßt, der sich auf den Petersburger Vertrag1 berief, gleich als wäre der Krieg schon erklärt und der Fall der Hilfeleistung schon eingetreten. Ein Heer von 50 000 Moskowitern an der ostpreußischen Grenze war durchaus ernst zu nehmen. Was auch die Ursache dieser Rüstung sein mochte, jedenfalls machte sie einen furchtbaren Eindruck.
Unglückseligerweise verlor der König von Preußen in dieser kritischen Zeit den einzigen Kompaß, der ihn bis dahin durch die ihn umgebenden Finsternisse der Politik geführt hatte. Ein Sekretär des österreichischen Gesandten de La Puebla in Berlin, namens Weingarten, hatte sich bestechen lassen und lieferte dem König die geheimste Korrespondenz seines Herrn mit dem Wiener und Petersburger Hofe aus2. Diese Schriftstücke beleuchteten die Anschauungen der Mächte und enthüllten ihre Absichten. Nun aber kam Weingarten, dessen Dienste unter so mißlichen Umständen wichtiger denn je wurden, bei seinem Herrn in Verdacht. Zu seinem Glück merkte er es noch rechtzeitig, entfloh und rief den König um Schutz an. Nur mit Mühe entzog man ihn den Nachforschungen und Verfolgungen des österreichischen Gesandten und schickte ihn nach Kolberg, wo er einen anderen Namen annahm. Obgleich diese Nachrichtenquelle nun versiegt war, blieb dem König noch ein Kanal, durch den er zuverlässige Nachrichten über die der Reife nahen Pläne seiner Feinde erhielt. Ein Kanzlist des sächsischen Kabinettsministeriums3 händigte alle Woche dem preußischen Gesandten die Berichte ein, die sein Hof aus Petersburg und Wien empfing, sowie eine Abschrift aller Verträge, die er im Archiv gefunden hatte. Wie aus diesen Schriftstücken hervorging, entschuldigte sich der russische Hof, den Krieg nicht mehr im selben Jahre beginnen zu können, weil seine Flotte nicht segelfertig sei4. Dafür versprach er aber eine desto größere Kraftentfaltung für das nächste Jahr. Auf diese Entdeckung hin beschloß der König, ein Korps von 10 Bataillonen und 20 Schwadronen als Reserve nach Pommern zu schicken. Die Truppen bezogen Quartiere in der Umgegend von Stolp5, wo sie Rußland keinen Grund zum Argwohn geben konnten und doch zur Verstärkung des Feldmarschalls Lehwaldt bereitstanden, sobald von seiten des Feindes irgendeine Unternehmung zu befürchten war.
Bald darauf zog der Wiener Hof in Böhmen mehr Truppen als gewöhnlich zusammen und formierte sie zu zwei Armeen. Die eine, unter dem Fürsten Piccolomini, lagerte bei Königgrätz, und das Hauptheer unter dem Feldmarschall Browne nahm Stellung in der Gegend von Prag. Aber nicht genug damit: der Hof ließ in Böhmen auch Kriegsmagazine anlegen und Pferde zusammenbringen, sowohl für den Trans-
1 Vgl. S. 23.
2 Vgl. S. 22.
3 Menzel (vgl. S. 22).
4 Vielmehr verlangte der Wiener Hof, der seine Rüstungen noch nicht beendet hatte, den Aufschub des Angriffs auf das Jahr 1757. Diese Nachricht empfing der König im Juli 1756 aus dem Wege über Holland.
5 Vielmehr bei Köslin. Mit der Versammlung des Reservekorps verband der König einen Garnisonwechsel, der als Demonstration gegen Österreich gedacht war.