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Nichtsdestoweniger schien auch dies Jahr noch verfließen zu sollen, ohne daß Preußens Feinde zum Äußersten schritten. Der Petersburger Hof wünschte den Krieg bis zum nächsten Jahre zu verschieben, und die Kaiserin-Königin wollte offenbar warten, bis alle ihre Bundesgenossen bereit wären, um den König mit vereinten Kräften anzugreifen. Diese Erwägung führte zur Prüfung des Problems, ob es vorteilhafter sei, den Feinden durch einen raschen Angriff zuvorzukommen oder lieber zu warten, bis sie ihre großen Rüstungen beendet hätten, sodaß es dann nur von ihnen abhinge, was sie tun wollten. Welchen Entschluß aber auch der König faßte, der Krieg war in beiden Fällen gleich sicher und unvermeidlich. Es blieb also nur zu erwägen, ob man besser tat, ihn noch um ein paar Monate hinauszuschieben oder sofort loszuschlagen.

Aus den angehängten Dokumenten1 ergibt sich, daß der König von Polen einer der eifrigsten Teilnehmer an der Verschwörung der Kaiserin-Königin gegen Preußen war. Die sächsische Armee war freilich schwach. Sie belief sich auf etwa 18 000 Mann, aber man wußte, daß sie im Laufe des Winters auf 40 000 Mann erhöht werden sollte. Schob der König den Krieg auf, so ließ er seinem feindlichen Nachbar nur Zeit, sich erheblich zu verstärken. Aber ganz abgesehen davon, daß Rußland in diesem Jahre noch nicht eingreifen konnte und Sachsen seine Rüstungen nicht vollendet hatte, schienen die Bedingungen günstig. Kam man den Feinden mit Eröffnung des Krieges zuvor, so durfte man auf Vorteile rechnen; aber nicht, wenn man aus falschem Zartgefühl den Beginn der Operationen auf das nächste Jahr verschoben hätte. Überdies erleichterte man den Feinden durch tatloses Warten, mit vereinten Kräften über die preußischen Staaten herzufallen. Diese wären dann gleich bei Beginn des ersten Feldzuges zum Kriegsschauplatz geworden. Verlegte man aber den Krieg in die Länder der Nachbarn, deren böse Absichten so offen zutage lagen, so blieben die preußischen Provinzen verschont.

Und was den bösen Namen eines Angreifers betrifft, so war das ein leeres Schreckbild, das nur auf ängstliche Gemüter Eindruck machen konnte. In einer so kritischen Lage, wo es sich um Sein oder Nichtsein des Vaterlandes handelte, brauchte man auf so etwas keine Rücksicht zu nehmen. Der wirkliche Angreifer ist zweifellos der, der den andern zwingt, zu den Waffen zu greifen und das Prävenire zu spielen, um durch einen weniger schwierigen Krieg einem gefährlicheren vorzubeugen. Denn der Mensch muß von zwei Übeln stets das kleinere wählen. Kurz, ob die Feinde den König nun als Angreifer verschrien oder nicht, es kam auf das gleiche heraus und änderte an der Hauptsache gar nichts. Die Verschwörung Europas gegen Preußen war ja doch schon fertig. Die Kaiserin-Königin, die Kaiserin von Rußland und die Könige von Frankreich und Polen waren sich einig und im Begriff loszuschlagen. Der König


1 Die Mitteilungen aus dem Dresdener Archiv in der Staatsschrift, die die Schilderhebung Preußens rechtfertigen sollte. Da sie nur eine Beilage zur „Geschichte des Siebenjährigen Krieges“ bilden, sind sie nicht mit aufgenommen.