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5. Kapitel

Der Winter von 1756 auf 1757.

Der Einfall der Preußen in Sachsen erregte in Europa großes Aufsehen. Mehrere Höfe, die die Gründe nicht kannten, ja sie nicht einmal wissen wollten, mißbilligten und tadelten das Vorgehen des Königs von Preußen. König August III. jammerte über die Gewalttätigkeit der Preußen. Seine Gesandten an den auswärtigen Höfen übertrieben die Leiden Sachsens und entstellten und verleumdeten die harmlosesten Schritte des Königs von Preußen. Sein Notschrei tönte in Versailles, in Petersburg, in ganz Europa wider. Ludwig XV. war ohnedies gekränkt, daß der König von Preußen, statt den Vertrag von Versailles zu erneuern, die Westminsterkonvention mit dem König von England geschlossen hatte57-1. Einerseits stachelten die österreichischen Minister die französische Nation zum Kriege in Deutschland auf, andrerseits benutzte man die Tränen der Dauphine57-2, um das Mitleid Ludwigs XV. zu erregen, damit er Partei für den König von Polen ergriffe. Der Allerchristlichste König gab diesem stürmischen Drängen nach und beschloß, in den deutschen Krieg einzugreifen, schob die Ausführung seines Vorhabens aber hinaus, um einen passenden, scheinbar triftigen Vorwand zu finden. Zu diesem Zwecke beauftragte er Graf Broglie, den französischen Gesandten in Sachsen, den Preußen Anlaß zu geben, ihn in seiner Würde zu beleidigen. Einen geeigneteren Mann zur Entzweiung der beiden Höfe hätte man schwerlich gefunden. Der ihm erteilte Auftrag erklärt sein merkwürdiges Benehmen während der Einschließung der Sachsen im Lager von Pirna. Er war in Dresden zurückgeblieben, versuchte aber verschiedentlich, sich zum König von Polen nach Struppen zu begeben. Trotzdem das allgemein verboten war, wollte er sich den Weg durch die Wachen erzwingen, um sich Tätlichkeiten von ihrer Seite zuzuziehen. Doch sein Bemühen, durch die Postenkette zu dringen, war umsonst. Alle seine Unternehmungen wurden mit großer Höflichkeit und Bestimmtheit vereitelt. Er konnte weder den König von Polen erreichen, noch den leisesten Vorwand zu einem Bruch zwischen Frankreich und Preußen herbeiführen. Da riß dem Versailler Hof die Geduld. Ohne weiteres schickte er Knyphausen, den<58> preußischen Gesandten in Paris, zurück und berief seinen eignen Gesandten in Berlin, Valory, ab58-1. Diesen Aufsehen erregenden Schritt konnte der König von Preußen nicht hinnehmen. Als er aus Böhmen zurückkehrte und sein Hauptquartier in Dresden nahm, ließ er Broglie sagen: jetzt, wo durch die Abberufung der Gesandten jede Beziehung zwischen den beiden Höfen abgebrochen sei, wäre es ungehörig, wenn sich ein französischer Gesandter noch am selben Orte aufhielte wie er selbst. Broglie möchte daher unverzüglich seine Koffer packen und sich zum König von Polen begeben, bei dem er beglaubigt sei. Diesen Bescheid nahm Broglie mit der würdevoll-hochmütigen Miene entgegen, wie sie die französischen Gesandten in der Erinnerung an die schönen Zeiten Ludwigs XIV. aufzusetzen pflegen, reiste aber darum nicht weniger prompt nach Warschau ab. Der Versailler Hof wollte den Bruch. Den leitenden Gesichtspunkt seiner Politik, die nachdrückliche Führung des Seekriegs mit England, hatte er ganz aus den Augen verloren und ließ sich nur noch von seinen Launen und von äußeren Einflüssen treiben. Er erklärte also den Einfall der Preußen in Sachsen für eine Verletzung des Westfälischen Friedens, den er selbst garantiert hatte. Den Vorwand dieser Garantie hielt er für genügend, um sich in den Krieg einzumischen, ja selbst um Schweden hineinzuziehen.

Abbé Bernis, der den Abschluß des Bündnisses mit dem Hause Österreich sehr gefördert hatte, wurde an Stelle von Rouillé Minister des Auswärtigen. Das Ungestüm des französischen Charakters, das die Nation von einem Extrem zum andern treibt, die Planlosigkeit der Minister, die Erbitterung des französischen Herrschers gegen den König von Preußen und schließlich die Mode und die Neuheit der Sache gewannen dem Bündnis mit Österreich bei Hof alle Herzen, ja man hielt es für ein Meisterwerk der Politik. Die österreichischen Minister waren allein in Mode. Sie benutzten den Einfluß, den sie im Staatsrat Ludwigs XV. besaßen, geschickt zu Intrigen und erreichten es, daß im nächsten Frühjahr nicht 24 000 Mann Hilfstruppen, wie Frankreich der Kaiserin-Königin versprochen hatte58-2, sondern 100 000 Franzosen den Rhein überschritten. Bald darauf wurde auch Schweden vom Versailler Ministerium aufgefordert, für seine Garantie des Westfälischen Friedens einzutreten. Der feile schwedische Senat stand schon längst in französischem Solde. Die schwedische Verfassung enthält zwar die ausdrückliche und klare Bestimmung, daß ohne die Zustimmung der drei Stände, die den Reichstag oder die Ständeversammlung bilden, kein Krieg erklärt werden darf, aber die Parteigänger Frankreichs setzten sich über dieses Grundgesetz und über alle in ähnlichen Fällen gebräuchlichen Formen hinweg und folgten blindlings den Vorschriften des Königs von Frankreich58-3.

Während der Versailler Hof so eifrig an den Vorbereitungen zum Umsturz Deutschlands arbeitete, wollte ein Wahnsinniger eine Revolution in Frankreich an<59>zetteln. Ein unbekannter Fanatiker, früher Diener in einem flandrischen Jesuitenkloster, hatte den Plan gefaßt, Ludwig XV. zu ermorden. Der Elende, namens Damiens, begab sich nach Versailles und erspähte den rechten Augenblick zur Ausübung seines scheußlichen Vorhabens. Eines Abends, als der König nach Choisy fahren wollte, schleicht der Tolle sich unter die Menge, nähert sich dem König von hinten und stößt ihm sein Messer in die Seite59-1. Er wurde auf der Stelle ergriffen. Die Verwundung des Königs stellte sich als leicht heraus. Der Verbrecher kam vor das Parlamentsgericht, und die Gefängnisse füllten sich mit Leuten, die er durch seine Angaben belastete. Sie wurden aber wieder in Freiheit gesetzt, da sich ihre Unschuld herausstellte. Bis heute ist die öffentliche Meinung noch ziemlich im unklaren über die Gründe, die das Scheusal zu seinem schändlichen Attentat bewogen haben.

Der Wiener Hof, der in Versailles so große Erfolge hatte, stachelte ebenso geflissentlich die übrigen europäischen Mächte auf. In Petersburg malte er den Einmarsch der Preußen in Sachsen mit den schwärzesten Farben. Das sei eine Beleidigung Rußlands, eine Brüskierung seiner Macht, ja eine offenbare Verachtung der Garantien, die die Kaiserin Elisabeth dem König von Polen für sein Kurfürstentum gegeben hatte. Um die Wirkung dieser Einflüsterungen zu erhöhen, halfen die Österreicher in Petersburg mit Verleumdungen Preußens und mit den nötigen Geldsummen kräftig nach. Zur Beschleunigung des Ausmarsches der russischen Truppen versprach die Kaiserin-Königin der Zarin Elisabeth jährliche Subsidien im Betrage von zwei Millionen Talern. Eigentlich bezahlte Frankreich diese Summe an Österreich als Entschädigung für das Truppenkontingent, zu dem es sich dem Wiener Hofe gegenüber verpflichtet hatte. Österreich aber benutzte das Geld als Subsidienzahlung an Rußland, um die Zarin zur Kriegserklärung gegen Preußen zu bringen59-2.

Auch in Regensburg waren die Gesandten der Kaiserin-Königin eifrig bemüht, die deutschen Reichsstände in die Kriegswirren zu verwickeln. Zugleich schüchterten die Franzosen den Reichstag durch Drohungen ein, sodaß er sich blindlings dem Willen des Wiener Hofes beugte. Der Reichstag beschloß die Aufstellung einer Exekutionsarmee, die schnurstracks in die Mark Brandenburg eindringen sollte. Den Oberbefehl erhielt der Prinz von Hildburghausen59-3, ein österreichischer Feldmarschall. Dann trat der Reichsfiskal auf und behauptete, die Könige von Preußen und England müßten in die Reichsacht erklärt werden. Dagegen wandten einige Fürsten ein, man habe zwar einmal über den Kurfürsten von Bayern die Reichsacht verhängt, aber erst, nachdem er die Schlacht von Höchstädt verloren hatte59-4. Wenn erst die kaiserlichen Heere ähnliche Siege erfochten hätten, stände das gleiche Verfahren gegen die beiden<60> Könige jedermann frei. Auch Frankreich erkannte, daß die übereilte Verkündigung der Reichsacht der Würde des Wiener Hofes schaden müßte und auch zu befürchten wäre, daß die beiden Könige und ihr Anhang sich völlig vom Deutschen Reich lossagten. Das alles stellte Frankreich in Wien vor und riet der Kaiserin-Königin, erst den Erfolg des Schlachtenglücks abzuwarten, bevor sie zu weiteren Maßnahmen schritte. Dieser Rat fand Gehör.

Trotzdem ging der Fiskal mit unerträglicher Frechheit und Grobheit gegen die beiden Könige vor und vergaß völlig die Ehrfurcht und den Anstand, die selbst Feinde vor gekrönten Häuptern zu bewahren pflegen. Die rechte Antwort auf die beleidigenden und schroffen Schriftstücke des Reichstags wäre schwer gewesen, hätte nicht Plotho60-1, der preußische Gesandte in Regensburg, die Gabe und das Geschick gehabt, seine Feder in die gleiche Galle zu tauchen. Der Stil des kaiserlichen Hofes war nicht sanfter, unterschied sich aber von den Schriften des Fiskals durch hochfahrende Unverschämtheit und eine mit Arroganz und Hochmut gepaarte Anzüglichkeit. Der König war über dies Vorgehen empört. Er ließ der Kaiserin bedeuten, man könne sich doch als Feind gegenüberstehen, ohne einander zu beschimpfen, und es genüge wohl, wenn Herrscher ihre Streitigkeiten mit dem Degen ausföchten, ohne sich gegenseitig vor aller Welt durch Schriftstücke im Tone von Fischweibern zu erniedrigen, die eines Thrones unwürdig seien. Lange blieben diese Vorstellungen fruchtlos. Sie machten erst einigen Eindruck, als der König mehrere Schlachten gewonnen hatte.

Während ganz Europa gegen die Könige von Preußen und Großbritannien rüstete, befand sich England in einer politischen Zerrüttung, die die Regierung lahmlegte und für die Interessen der Nation verhängnisvoll werden mußte, wäre nicht glücklicherweise ein Umschwung eingetreten, der dem Übel noch zur rechten Zeit steuerte. Der Anstifter dieser inneren Wirren und Zwistigkeiten war der Herzog von Cumberland. Auf solche Weise hoffte er die höchsten Staatsämter mit seinen Kreaturen besetzen zu können. Er war es, der die Nation gegen die Franzosen aufgehetzt hatte. Er allein hatte den Krieg entfacht, in der Hoffnung, das Ministerium würde sich in einer so bewegten Zeit nicht behaupten können. Die ersten Unternehmungen der Engländer verliefen so unglücklich, daß sie Port-Mahon verloren60-2. Gerade das benutzte die Partei des Prinzen, um die Schuld auf die Ungeschicklichkeit des Herzogs von Newcastle zu schieben. Nach Zusammentritt des Parlaments erhitzten sich die Gemüter, die Erbitterung der Parteien wuchs, und durch die Intrigen des Herzogs von Cumberland wurden so viele Triebfedern in Bewegung gesetzt, daß der Herzog von Newcastle, von der Gegenpartei mehr ermüdet als besiegt, sein Amt niederlegte60-3. Die Partei Cumberlands triumphierte und verschaffte die Staatssiegel Fox60-4, einer<61> Kreatur des Prinzen. Aber der neue Zustand, dem jeder innere Halt fehlte, war auf die Dauer unmöglich. Fox selbst gab die mit soviel Intrigen für ihn eroberte Stellung auf, und der Herzog von Newcastle trat wieder in sein Amt. Dieser Ministerwechsel hätte indessen keine weiteren Folgen gehabt, wäre dadurch nicht eine Art Stagnation in die Staatsgeschäfte gekommen. Die Minister und die Großen des Reiches bekümmerten sich nämlich weit mehr um ihre Parteiinteressen als um die Maßnahmen gegen Frankreich. Ihr Haß galt weit mehr ihren Rivalen als den Feinden des Landes, und so trafen sie gar keine Anstalten zum bevorstehenden Feldzuge. Niemandem fiel es ein, Pläne für den bisher so unglücklichen Seekrieg zu entwerfen, und noch viel weniger für den Krieg, der ganz Deutschland in Flammen zu setzen drohte. Nichts war dem König von Preußen in diesem Augenblicke wichtiger, als daß die Engländer Vorbereitungen zum Kontinentalkrieg träfen. Da er im großen und ganzen voraussah, worauf die Operationen des französischen Heeres im Reiche hinauslaufen würden, sandte er dem König von Großbritannien einen selbstentworfenen Plan zur gemeinsamen Verteidigung Deutschlands61-1. Seine Denkschrift umfaßte die folgenden Punkte. Der König schlug vor, Wesel zu behaupten und es zum Waffenplatz der Verbündeten zu machen, weil man von dort aus den Rheinübergang beherrschte. Die Armee sollte an einem geeigneten Ort hinter der Lippe zwischen Wesel und Lippstadt zusammengezogen werden; denn in dieser Stellung hatte man den Vorteil, die Truppen nach Bedarf gegen den Rhein oder gegen die Weser verwenden zu können. Marschierten die Franzosen nach Hessen, so konnte die Armee an der Lippe sie durch einen Vorstoß gegen Frankfurt von ihrem Vorhaben abbringen. In der Zeit aber, wo die Armee der Alliierten durch ihre Operationen vom Rhein ferngehalten wurde, sollte die Festung Wesel den Franzosen zu schaffen machen, bis man ihr zu Hilfe kommen konnte. Überdies war es, solange Wesel sich hielt, nicht wahrscheinlich, daß die französischen Truppen am Niederrhein allzu tief in Westfalen eindrangen. Aber der König von England, der sich mit solchen Dingen wenig befaßt hatte, las den Plan durch, ohne seine Wichtigkeit zu begreifen. Ja, der Vorschlag, Wesel zu behaupten, machte ihn mißtrauisch gegen die Gründe des Königs von Preußen. Dagegen setzte er blindes Vertrauen in seine hannöverschen Minister, die ihm unaufhörlich vorstellten, man müsse sich auf die Verteidigung der Weser beschränken. Die Idee war grundfalsch, denn die Weser ist fast überall durchwatbar, und das hannöversche Ufer wird von dem gegenüberliegenden beherrscht. Was also auch Münchhausen61-2 anführen mochte: die Natur verbot jedem einsichtigen Feldherrn die Verteidigung des hannöverschen Ufers. Trotzdem drang Münchhausens Rat durch. Nur eins wurde beim König von England durchgesetzt: seine Zustimmung zur Rückkehr der hannöverschen und hessischen Truppen nach Deutschland61-3.

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Das mangelnde Einvernehmen zwischen Preußen, England und Hannover zwang den König von Preußen zur Veränderung seiner Maßnahmen in bezug auf das Herzogtum Kleve und die Festung Wesel. Da er Wesel nun aufgeben mußte, ließ er einen Teil der Festungswerke schleifen und die zahlreichen Festungsgeschütze zu Wasser nach Magdeburg schaffen. Die Garnison erhielt Befehl zur Räumung der Stadt und zum Rückzug nach Bielefeld. Dort sollte sie sich im nächsten Frühjahr der Armee der Alliierten anschließen, die sich unter dem Herzog von Cumberland in der Gegend versammeln sollte.

Nachdem die hannöverschen Minister eine solche Probe ihres Einflusses auf den König von England abgelegt hatten, war es klar, daß man sich an sie wenden mußte, wenn man wirklich bis zur Quelle der Entscheidungen vordringen wollte. Für die Armee des Herzogs von Cumberland stand alles zu befürchten. Wurde sie doch nicht sowohl vom Herzog als von einem Schwarm von Juristen geführt, die nie ein Lager gesehen, nie ein Buch über Kriegskunst gelesen hatten, sich aber einem Marlborough und Eugen ebenbürtig wähnten. Die preußischen und englischen Interessen waren zu eng verknüpft, als daß der König von Preußen den falschen Entschlüssen seiner Alliierten gleichmütig zusehen konnte. Aber noch hoffte er ihnen vorbeugen zu können, und zu dem Zweck sandte er General Schmettau62-1 nach Hannover. Schmettau machte den dünkelhaften und unwissenden hannöverschen Ministern die energischsten Vorstellungen, um sie von ihrem Feldzugsplan abzubringen. Er bewies ihnen dessen Mängel, sagte die Folgen voraus. Doch umsonst! Hätte man Arabisch mit ihnen gesprochen, sie hätten ebensoviel verstanden. Bei ihrem beschränkten Gesichtskreise fehlte ihnen jedes logische Denkvermögen. Sie waren außerstande, einer militärischen Darlegung zu folgen, und ihr enger Geist machte sie mißtrauisch. Die Furcht, in einer ihnen unbekannten Materie hintergangen zu werden, bestärkte sie noch in ihrer natürlichen Halsstarrigkeit, mit der sie an ihrer Meinung festhielten. Kurz, Schmettaus Sendung scheiterte völlig.

An dem folgenden Beispiel mag der Leser sich selbst ein Urteil über die Art dieser Verhandlungen und über die Leute bilden, mit denen Schmettau zu tun hatte. Er fragte, welche Vorkehrungen zur Verproviantierung der Armee getroffen wären. Münchhausen antwortete: „Wir haben einige Mehlvorräte, und wir haben 100 Bauernwagen aufgeboten, um den Truppen das Brot zuzuführen.“ Dabei überstieg das Korps der Verbündeten 30 000 Mann. Es hätte 300 Brotwagen und 400 Karren zum Mehltransport nötig gehabt. Solche Maßregeln ergriffen die unwissenden und dummen hannöverschen Minister gegenüber den starken französischen Kräften, die gegen sie ins Feld rücken sollten!

Aber der geheime und wahre Beweggrund ihrer Lässigkeit war ein ganz anderer. Die Franzosen, schlauer als sie, hatten ihnen weisgemacht, daß sie nur durch ihr Land<63> marschieren wollten und daß ihr Feldzugsplan sich lediglich gegen den König von Preußen richtete. Sie beabsichtigten, kurz gesagt, nichts, als Magdeburg zu belagern, und wenn die Hannoveraner dabei ruhig zusehen wollten, so würde ihr Land während des Feldzuges unbehelligt und das Ansehen der Herren Minister gewahrt bleiben. Dieser verlockende Gedanke hatte sich in den aberwitzigen Köpfen der hannöverschen Minister so festgesetzt, daß sie der französischen Armee beim Anmarsch auf die hannöversche Grenze englische Jäger als Führer entgegenschickten! So fielen die Minister ihrer Leichtgläubigkeit zum Opfer, und die Franzosen züchtigten sie für ihre Treulosigkeit gegen den König von Preußen, wie man aus dem Hergang des nächsten Feldzuges ersehen wird.

Während all diese Unterhandlungen Europa in Aufregung hielten, erfuhr der König von Preußen in Dresden neue Widerwärtigkeiten durch die Königin von Polen. Sie ließ ihn zwar täglich durch ihren Oberhofmeister, Baron Wessenberg, begrüßen und ihn überschwenglich ihrer Freundschaft versichern, stand aber in geheimem Einvernehmen mit den österreichischen Generalen und unterrichtete sie von allem, was sie irgend erfahren konnte. Ihr unerhörtes Betragen führte zu besonderen Vorsichtsmaßregeln. Um den Briefwechsel der Königin abzufangen, wurden an den Stadttoren alle Warenballen und Pakete aus Böhmen genau untersucht. Eines Tages öffnete man eine Kiste mit Würsten. Sie war an die Oberhofmeisterin der Königin, Gräfin Ogilvy, adressiert, die Güter in der Nähe von Leitmeritz besaß. Die Untersuchung der Würste ergab, daß sie mit Briefen vollgestopft waren. Nach dieser Entdeckung wurde der Hof in seiner Korrespondenz etwas zurückhaltender, aber das Spiel ging in gleicher Weise fort, nur mit dem Unterschied, daß man es noch schlauer betrieb. Auch ließ die Königin es in ihrer Tücke nicht dabei bewenden. Sie sandte geheime Agenten nach allen Garnisonen, in denen der König neue Regimenter aus den am Lilienstein gefangenen Sachsen errichtete, und ließ sie zu Aufsässigkeit, Meuterei und Desertion aufreizen. Das gelang auch bei vielen, sodaß bei Beginn des nächsten Feldzuges ganze Abteilungen meuterten und zum Feinde übergingen.

Der König von Polen und seine Verbündeten beabsichtigten, diese Truppen in Ungarn neu zu formieren und sie wieder auf den alten Stand vor ihrer Gefangennahme durch die Preußen zu bringen. Die Soldaten brachten sie zwar zusammen; da es aber an Offizieren fehlte, griffen sie zu einem in der Geschichte der weltlichen Fürsten beispiellosen Mittel. Die Kaiserin-Königin und der Allerchristlichste König entbanden die sächsischen Offiziere ihres Ehrenworts, nicht mehr gegen die Preußen zu fechten. Viele Offiziere waren feig genug, zu gehorchen. Im dunklen Mittelalter findet man wohl Päpste, die die Völker vom Treueid gegen ihre Herrscher lossprachen. Man findet einen Kardinal Julian Cesarini, der König Wladislav von Ungarn zum Bruche des Friedens bestimmte, den er Soliman geschworen hatte63-1.<64> Aber das Verbrechen, den Meineid zu sanktionieren, begingen nur einige ehrgeizige und rachsüchtige Kirchenfürsten, niemals jedoch Könige, bei denen man Treu und Redlichkeit selbst dann noch finden sollte, wenn sie vom übrigen Erdboden verschwunden wären64-1. Ich erwähne solche Züge nur als Beispiele für die Erbitterung, Hartnäckigkeit und Gehässigkeit, die in diesem Kriege herrschten und ihn vor allen andern auszeichnen. Indes hatten Frankreich und Österreich von den sächsischen Regimentern nicht die erwarteten Vorteile. Sie wurden um ihr Geld und um ihren Eidesdispens betrogen.

In dieser allgemeinen Gärung waren die feindlichen Truppen in ihren Winterquartieren nicht minder rührig als die Unterhändler in ihren Intrigen. Am stärksten war das preußische Korps in der Lausitz den feindlichen Unternehmungen ausgesetzt. Die Lausitz springt bei Zittau in das böhmische Gebiet vor und spitzt sich hier immer mehr zu. Die Österreicher umringten diesen Zipfel mit starken Korps, die sie in Friedland, Gabel und Rumburg postierten. An ihre Spitze stellten sie junge Offiziere, die auf eine Gelegenheit brannten, sich auszuzeichnen. So waren die Detachements denn fast den ganzen Winter im Felde. Das eine kommandierte Fürst Löwenstein, das andere der Sohn des Feldmarschalls Lacy, der sich in russischen Diensten ausgezeichnet hatte. Bald machten sie Vorstöße gegen die Stellung bei Ostritz, bald gegen die bei Hirschfelde oder Kloster Marienthal. Zwar gelang es ihnen nicht, die Preußen in ihren Stellungen zu überrumpeln, aber diese hatten doch jedesmal unnütze Verluste. Bei einem solchen Gefechte fiel Major Blumenthal64-2 vom Regiment Prinz Heinrich und mit ihm viele Leute, die man zu etwas Besserem hätte brauchen können. Immerfort wurde das Lestwitzsche Korps in Zittau und das des Herzogs von Bevern in Görlitz durch solche Plänkeleien ermüdet. Bald mußten sie nach dieser, bald nach jener Seite Hilfe schicken, kurz, die Unruhe und Regsamkeit der Österreicher hielt sie beständig in Atem und Bewegung. Dabei verstärkte der Feind sich in der Umgegend durch Truppen aus Flandern, die kürzlich zur Armee gestoßen waren. Das Spiel wäre auf die Dauer also ungleich geworden. Da die Preußen Verstärkungen brauchten, wenn sie sich in der Lausitz behaupten wollten, so ließ der König die Reserven heranrücken, die bisher in Pommern an der ostpreußischen Grenze gestanden hatten. Sie waren ursprünglich zur Verstärkung des Feldmarschalls Lehwaldt bestimmt, damit dieser sich leichter gegen die russische Übermacht halten konnte64-3. Aber die unmittelbare Gefahr ging der vor, die man erst von ferne herankommen sah. Auch war zu bedenken, daß bei allzu gleichmäßiger Verteilung der Streitkräfte auf drei Armeen keine von ihnen zu einem energischen und entscheidenden Streich stark genug war. Dagegen hatte man bei Versammlung einer großen Truppenmacht in Sachsen die Hoffnung, gleich zu Beginn des neuen Feldzugs einen bedeutenden Sieg<65> über die Kaiserlichen davonzutragen, der ihre Bundesgenossen entmutigte und wohl gar den einen oder anderen von den Kriegs- und Eroberungsplänen abschreckte, die ihr Ehrgeiz ausbrütete. Gegen Mitte März kamen die Regimenter aus Pommern in Görlitz an. Man verwandte sie zur Verstärkung der Stellungen, die nicht genügend mit Truppen versehen waren, und fortan verhielten sich auch die Feinde ruhig.

Zu dieser Zeit reiste der König nach Schlesien, um sich mit Feldmarschall Schwerin zu besprechen. Sie trafen sich in Haynau und entwarfen dort den Plan zum nächsten Feldzuge65-1. Auch wurden entsprechende Vorkehrungen getroffen, daß die Truppen davon nichts erfuhren. Danach kehrte der König nach Dresden zurück. In Sachsen wie in Schlesien traf man alle Vorbereitungen zur Ausführung des entworfenen Planes, sobald die Verproviantierung und die Jahreszeit es erlaubten.


57-1 Vgl. S. 33.

57-2 Maria Josepha, Gemahlin des Dauphins Ludwig, Tochter König Augusts III.

58-1 Auf die Nachricht von der Abberufung Valorys befahl der König am 30. Oktober 1756 Knyphausen, abzureisen.

58-2 Im Versailler Vertrage vom 1. Mai 1756. Am 1. Mal 1757 wurde ein Offensivbündnis abgeschlossen.

58-3 Vgl. S. 25.

59-1 5. Januar 1757.

59-2 Nachdem Rußland am 11. Januar 1757 der Versailler Allianz von 1756 beigetreten war, schloß es am 2. Februar 1757 eine Allianz mit Österreich ab, in der beide Mächte sich für die Dauer des Krieges zu gegenseitiger Unterstützung verpflichteten.

59-3 Prinz Joseph von Sachsen-Hildburghausen.

59-4 Den Kurfürsten Maximilian II. Emanuel traf 1706 nach der Niederlage bei Höchstädt (13. August 1704) die Reichsacht.

60-1 Erich Christoph Edler von Plotho.

60-2 Vgl. S. 35.

60-3 11. November 1756; seit 29. Juni 1757 wieder Erster Lord des Schatzes.

60-4 Fox (vgl. S. 30) war vielmehr von November 1755 bis Oktober 1756 Staatssekretär der südlichen Angelegenheiten, seit 1757 Kriegszahlmeister für das Landheer, ohne Sitz im Staatsrat.

61-1 Vgl. Anhang, Nr. 11.

61-2 Freiherr Gerlach Adolf von Münchhausen stand als hannöverscher Kammerpräsident an der Spitze des Kollegiums der acht Geheimräte, die für Georg II. die Regentschaft in Hannover führten.

61-3 Vgl. S. 35.

62-1 Graf Karl Christoph Schmettau.

63-1 Es handelt sich um den Frieden von Szegedin, den König Wladislav 1444 dem Sultan Murad II. zu halten schwur und auf Anstiften Cesarinis brach.

64-1 Dieser Ausspruch wird Johann II., dem Guten, König von Frankreich, zugeschrieben. Vgl. Bd. VII, S. 72.

64-2 Heinrich von Blumenthal († 1. Januar 1757).

64-3 Vgl. S. 36.

65-1 Der berühmte Offensivplan gegen Böhmen, wie er im Frühjahr 1757 zur Ausführung gelangte, ist nicht in Haynau, wo der König am 29. Januar mit Schwerin und Winterfeldt zusammentraf, sondern erst im Laufe des März nach eingehender schriftlicher Beratung mit beiden Generalen gefaßt worden, nachdem sich die politische und militärische Lage weiter geklärt hatte.