<130> leerte und die Lazarette füllte. Rechnet man alles kurz zusammen, so ergibt sich folgendes Resultat: 20 000 Mann entlassene Österreicher und 20 000 Russen weniger, folglich eine Verminderung um 40 000 Mann, und die Vermehrung der Armee des Königs um 20 000 Russen, somit ein Unterschied von 60 000 Mann zugunsten der Preußen. Selbst der Gewinn dreier siegreicher Schlachten hätte dem König keinen größeren Vorteil verschafft.
Der Tod der Kaiserin von Rußland und die dadurch hervorgerufene neue politische Konstellation Europas machten einen ganz entgegengesetzten Eindruck auf die Türkei. So viele schnelle Veränderungen, der glühende Haß zwischen den Staaten und sein plötzlicher Umschlag in enge Freundschaft zwischen den Herrschern, all das war der orientalischen Staatsweisheit unbegreiflich und erfüllte die Türken mit Staunen und Mißtrauen. Man muß gestehen, sie hatten einigen Grund dazu. Noch eben hatte der preußische Gesandte sie zu einem Bruch mit Rußland gedrängt, und auf einmal änderte er seine Sprache, bot ihnen die Vermittlung seines Königs zur Schlichtung einiger Grenzstreitigkeiten zwischen ihnen und dem Petersburger Hofe an und beharrte nur noch auf dem Bruch des Waffenstillstands mit der Kaiserin-Königin. Die Türken mußten daraus folgenden Schluß ziehen: Die Preußen sind sicher das unbeständigste und flatterhafteste Volk der Welt! Gestern wollten sie uns mit den Russen entzweien, und heute wollen sie uns mit ihnen versöhnen. Reizen sie uns heute zu einer Kriegserklärung gegen die Königin von Ungarn, wer steht uns dann dafür, daß sie nicht selbst in sechs Monaten mit ihr im Bunde sind, wie jetzt mit Rußland? Hüten wir uns also, allzu schnell auf ihre Vorschläge einzugehen. Sonst werden wir durch unsere Bereitwilligkeit zum Spielball preußischer Unbeständigkeit und zum Spott von ganz Europa.
Hiermit aber noch nicht genug. Voller Mißtrauen vernahmen sie nun gar noch von dem Bündnis Preußens mit Rußland. Um ihren Argwohn zu zerstreuen, bot der König seine Vermittlung an, und es gelang ihm auch, die Zwistigkeiten des Tartaren-Khans mit den Russen wegen des Forts St. Anna1 beizulegen. Außerdem bewog der König den Zaren Peter III. zu der Erklärung in Konstantinopel, daß er sich in keiner Weise in Streitigkeiten zwischen der Pforte und Österreich mischen werde, und daß die Kaiserin-Königin, falls die Türken ihr den Krieg erklärten, von Rußland keine Hilfe zu erwarten habe. Diese förmliche Erklärung machte bei den Türken großen Eindruck. Selbst der Großherr schwankte und hätte allem Anschein nach einen entscheidenden Entschluß gefaßt, wenn nicht neue Revolutionen, über die wir seinerzeit berichten werden, seine Unsicherheit und sein Mißtrauen wieder geweckt hätten.
1 Kerim Gerai forderte die Zerstörung des Forts St. Anna und anderer russischer Festungsbauten an der Grenze.