<149> Daschkow vor, die ihr eröffnete, das Geheimnis sei verraten. Sie fügte hinzu: „Majestät, es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Entweder müssen Sie den Thron besteigen oder das Schafott.“ Die Wahl war entsetzlich, aber die Zarin zögerte keinen Augenblick. Sogleich fuhr sie inkognito nach Petersburg und begab sich in die Gardekasernen. Alle Mitverschworenen, Offiziere und Soldaten, scharten sich um sie. Sofort wurden die anderen Soldaten zusammengerufen und auf dem Platz bei der Kasankirche versammelt. Dort versicherte ihnen die Zarin unter Tränen, der Zar habe sie und ihren Sohn verstoßen und wolle sie in ein Kloster sperren, um seine ehebrecherische Geliebte zu heiraten. Sie wäre eine Fremde und ohne Rückhalt und flehe um Schutz für eine verzweifelte Mutter und ein verstoßenes Kind, das sich in ihre Arme werfe. Dann fuhr sie folgendermaßen fort: „Soldaten! Meine Sache ist auch die eure. Es handelt sich nicht bloß um meine Einkerkerung, sondern ebensogut um die Auflösung und Zerstreuung all der Braven, die mich umgeben. Fremde sollen ihren Platz einnehmen, Holsteiner, die der Kaiser schon immerfort um sich hat. Die zieht er euch vor, sie genießen sein Vertrauen, ja, was sage ich: sind sie nicht schon seine eigentlichen Garden? Soldaten, nehmt euch in acht, oder ihr verliert eure Rechte, eure Ehren und eure Privilegien, wie sie euch der große Peter bewilligt hat, der Tapferkeit und Verdienst richtig zu würdigen wußte. Aber das ist nicht alles. Schon sehe ich noch viel schlimmere Umwälzungen. Bald werdet ihr gezwungen werden, eure Altäre zu verlassen und eurem Gottesdienst zu entsagen. Man wird euch zur Annahme einer neuen, fremden Religion zwingen. Mit Gewalt wird man euch in die neue Kirche treiben, die der Kaiser zum Heiligtum eines profanen Gottesdienstes und neuer Lehren einweihen läßt. Freunde, hier ist keine Zeit mehr zu verlieren. Schließt euch unverzüglich euren Gefährten an! Rettet eure Kaiserin und des Kaisers Sohn, eure Privilegien und die Religion eurer Väter, auf daß dies blühende Reich euch nicht dereinst vorwerfen könne, ihr hättet es im Stiche gelassen. Niemand soll sagen dürfen, umsonst hätte ich euren Beistand erfleht.“ Diese Ansprache wurde unterstützt durch freigebige, ja verschwenderische Geschenke, besonders aber durch eine überreiche Verteilung von Branntwein an die Truppen. Bei einem so rohen und wilden Volke war das besonders angebracht und half am stärksten zur Überredung. Dennoch begannen die Preobrashenskischen Garden zu murren. Aber schon lärmte die Menge in ihrem Branntweinrausch und riß die anderen mit sich fort. Alle schworen der Kaiserin den Treueid und riefen sie zur Selbstherrscherin aller Reußen aus.
In Oranienbaum wußte man noch nichts von diesen Vorgängen in Petersburg. Ahnungslos begab sich der Kaiser am folgenden Tage zum Feste der Kaiserin nach Peterhof. Aber wie groß war sein Erstaunen, als er weder seine Gemahlin vorfand noch von dem Hofpersonal irgend etwas über das Verbleiben der Monarchin erfahren konnte! Bald verbreitete sich das Gerücht von der Revolution. Aber das Unheil war nicht mehr zu beschwören. Feldmarschall Münnich, der sich in der Begleitung des Kaisers befand, riet ihm zu schnellster Entscheidung. Zu Erwägungen