<92> Diesen Augenblick benutzte der König. Er ging über die Neiße, nahm Stellung bei Oppersdorf und rückte von dort mit einem Detachement auf Neustadt vor (30. Juli). Dort lagerte Bethlen mit 6 000 Österreichern. Der Gedanke lag nahe, daß Laudon ihn nach Oppeln schicken wollte, um Buturlin die Hand zu reichen. Der König nahm an, der russische Marschall wolle dort über die Oder gehen und sich mit der österreichischen Armee vereinigen. Die aus Husaren bestehende Avantgarde des Königs griff ein feindliches Regiment an, schlug es und verfolgte es bis unter die Kanonen von Hennersdorf, wo die Österreicher Schanzen errichtet hatten. Nun rückte Zieten, der die Oder bei Brieg und die Neiße bei Schurgast überschritten hatte, von Steinau heran und umging Bethlen in der rechten Flanke. Der zog sich eilig auf Jägerndorf zurück und wurde von Lossow1 verfolgt, der ihn von Jägerndorf über Troppau bis jenseits der Mohra in Mähren trieb. In dem Treffen bei Neustadt und später auf dem Rückzuge verlor der Feind 400 bis 500 Mann. Nach Bethlens Verdrängung setzte sich Zieten bei Schnellewalde fest, und der König kehrte zur Armee zurück. Ihr linker Flügel stieß fast an das Zietensche Detachement, während der rechte sich über die Höhen vor Oppersdorf ausdehnte.
Nach diesem Zuge war die Vereinigung der Feinde in Oberschlesien sehr erschwert, und so war es nicht wahrscheinlich, daß Buturlin noch auf seinem Plane, bei Oppeln über die Oder zu gehen, beharrte. Die Bewegungen der Armee des Königs versetzten die Österreicher wieder in Unruhe. Laudon lagerte sich bei Weidenau und am folgenden Tage bei Johannesberg. Auch dort behagte es ihm nicht. Schließlich ging er über die Neiße zurück und blieb in der Gegend von Camenz.
Während dieser verschiedenen Märsche und Gegenmärsche der Preußen und Österreicher breiteten sich die Russen am anderen Oderufer aus und plünderten und verwüsteten das Land. Der König erfuhr von ihren Greueltaten. Im übrigen waren ihre Operationen so dunkel, daß man ihre wahren Absichten unmöglich durchschauen konnte. Es war nicht ersichtlich, ob sie in Oberschlesien oder in der Gegend von Ohlau über die Oder gehen wollten, oder ob sie einige Belagerungen planten, kurz, was sie eigentlich vorhatten. Da der König auf nichts mit Sicherheit rechnen konnte, hielt er es fürs beste, sich auf alles gefaßt zu machen und ein Korps in die Gegend zwischen Breslau und Brieg zu schicken. Von dort aus konnte es beide Festungen nach Bedarf unterstützen und gleichzeitig die Ober im Auge behalten. Zu dem Zweck marschierte Knobloch nach Grottkau, von wo aus er in wenigen Stunden beiden Festungen zu Hilfe eilen und im Notfalle sogar wieder zur Armee des Königs stoßen konnte.
Die Russen waren nach Hundsfeld, nur eine Meile von Breslau, vorgerückt. Diese Bewegung bewies, daß sie nicht mehr an einen Oderübergang in Oberschlesien dachten. So überschritten die Armee des Königs und das Zietensche Korps wieder die Neiße
1 Oberst Daniel Friedrich von Lossow, Kommandeur des Husarenregiments Nuesch.