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Es verwundert Sie, daß Frankreich, das in seinem Kriege gegen England beschlossen hatte, alle Kräfte zur See einzusetzen, plötzlich anders verfährt und sich gegen sein eigenes Interesse in einen Kontinentalkrieg verstrickt, der eigentlich nur das KaiserHaus etwas angeht. Daraus können Sie schließen, daß die Leute weder ein System haben noch konsequent handeln, und daß man allem, was sie tun, diese Inkonsequenz anmerkt. Schließen Sie ferner daraus, daß die Geschicklichkeit und das Benehmen des Grafen Kaunitz nicht genug bewundert werden kann. Der Graf hat jederzeit die Ansicht vertreten, wenn man die Franzosen bei ihrer Eitelkeit fasse, könne man sie leiten, wie man wolle. Und so hat er denn zu Beginn des Krieges den Bittsieller gespielt. Aus eigener Kraft vermöchte sich die Königin von Ungarn nicht gegen den König von Preußen zu behaupten; sie setzte all ihr Vertrauen auf den Beistand und die redliche Gesinnung des Allerchristlichsten Königs und gestände, ihm allein würde sie ihre Erhaltung danken. Diese Sprache führten wir in Versailles. Graf Kaunitz hat den Franzosen alle erdenklichen Gefälligkeiten erwiesen; er hat in Kleinigkeiten nachgegeben und sie in den wichtigen Fragen dahin geführt, wohin er wollte. Wir haben es dahin gebracht, daß die Sachsen zeterten und weinten. Wir haben Paris und Vesailles mit Nachrichten überschwemmt, die den Zeitläuften angepaßt waren. Kurz, die Eigenliebe der Franzosen, ihre Lust, sich in alles einzumischen, der beliebte Vorwand des Westfälischen Friedens, den wir unter den gegenwärtigen Umständen vortrefflich fanden, ihre Eitelkeit, als Schirmherren des Kaiserhauses und des Hauses Sachsen aufzutreten, besonders aber die Aussicht, die Schiedsrichterrolle in Deutschland zu spielen, schließlich auch die Briefe der Kaiserin an — 1 Sie verstehen mich schon — das alles zusammen hat die Franzosen auf den Leim gelockt, und nachdem der erste Schritt einmal getan war, fiel es uns nicht mehr schwer, sie zu weiteren Schritten zu bringen. Sie sehen, wie Graf Kaunitz sie am Bändchen hat. Was für Ausgaben an Geld, an Subsidien! Und welche Truppenmassen nötigt man sie, in den Dienst unserer erlauchten Kaiserin zu stellen!

Sie sagen, die Franzosen seien unsere Erbfeinde. Nun, um so besser für Graf Kaunitz! Konnte er einen größeren Coup machen, einen feineren politischen Streich führen, als die Feinde des Hauses Österreich an dessen Vergrößerung arbeiten zu lassen? Konnte er etwas Besseres tun, als Frankreich an Geld und Soldaten arm zu machen und es in einen Zustand der Erschöpfung zu versetzen, der es für die Zukunft unschädlich macht? Sie rügen es, daß man den Franzosen einige Gebiete in Flandern abgetreten hat2. Darauf wage ich nichts zu erwidern; aber angenommen, es träfe zu—sehen Sie nicht, welche Kunst darin liegt, sich von langer Hand neue Verbündete zu schaffen? Sobald wir gegen Frankreich Krieg führen wollen, wird allein der Name der zurückzuerobernden Städte genügen, daß man in Holland und England Sturm läutet. Das allein wird die Seemächte in Aufruhr bringen und sie zwingen, ihre Schätze und Truppen unseren Interessen zu opfern.


1 Die Marquise von Pompadour. Vgl. dafür S. 203.

2 Vgl. Bd. III, S. 207.