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Über die Schmähschriften1
(April 1759)

Es gibt viele Arten, sein Auskommen zu finden. Fleiß und Erfindungsgeist liefern täglich neue, von den gewöhnlichen Gewerben ganz abzusehen. Schon allein das schriftstellerische Talent bereichert die Gelehrten durch die Früchte ihrer Nachtwachen. Schriftsteller zweiten Ranges leben von ihren Buchhändlern. Die einen ernähren sich durch Versemachen, die anderen durch Lesen der Korrekturbogen, wieder andere durch Abschreiben, und noch andere schließlich widmen sich dem edlen Berufe, an den Schoßkindern Fortunas und den Machthabern Fehler zu entdecken. Sinnreich machen sie sich an Charaktere, die ihnen unbekannt sind. Sie malen aus der Phantasie, und da ihr Pinsel schwärzer ist als der Spagnolettos2, sind ihre Gemälde voll tiefer Schatten. Sie besitzen die Kunst, ihre Helden verhaßt zu machen, und wie man gestehen muß, ist dies schöne Geschäft noch einträglich. Solche gefährliche Keckheit nimmt in unseren Tagen zu und verbreitet sich mehr und mehr. Die Herren, die sich ihr hingeben, müssen fürchten, daß ihre große Zahl die Honorare drück und sie schließlich an den Bettelstab bringt. Sollte man es wohl glauben: sie möchten sich die Rechte der Zensoren im alten Rom aneignen! Nur finde ich einen kleinen Unterschied: Rom wählte seine Zensoren, diese Herren aber setzen sich selber ein; sie können wie die Könige von sich sagen: „von Gottes Gnaden und nicht durch Menschengunst“. Man muß gestehen, daß ihre Arbeit ihnen wenig Mühe kostet; sie besieht größtenteils nur aus Schimpfreden, oder sie ist die Frucht düsterer Einbildungskraft und finsterer Vorstellungen. Mit diesen Beschimpfungen treiben sieHandel und verteilen sie nach dem Gutdünken ihrer Beschützer, die ihreDienste anzuerkennen wissen. Man erstaunt immerfort über ihre kecke Dreistigkeit; doch gewährt ihnen ihre obskure Stellung eine Zuflucht. Was sie rettet, ist die Geringschätzung, mit der die Reichen und Stolzen ihre Schmähschriften behandeln. Ihr Geschrei erzeugt einen mißtönenden Lärm, der in der Luft verhallt. Sie kommen mir wie Mücken vor, die zu ihrem Spaß einen Elefanten stechen.

Vor einiger Zeit reiste ich in Holland und kam durch eine Stadt, wo ich in einem Gasthofe einkehren mußte. Dort sah ich einen ziemlich gut gekleideten Mann mit stolzer Miene und gebieterischer Haltung eintreten. Er betrachtete seine Umgebung


1 Vgl. S. 207 ff.

2 Jusepe de Ribera, genannt Lo Spagnoletto (1588—1656), spanischer Maler.