II
Bitte, gedulden Sie sich, lieber Freund! Es ist unmöglich, jeden Tag große Dinge zu vermelden. Die göttliche Langsamkeit und die übermenschliche Klugheit unserer Feinde liefern nicht so häufig glänzende Gelegenheiten, wie Sie es wünschen. Die Belagerung hat seit meinem letzten Brief keine Fortschritte gemacht. Laudons Rikoschettbatterie ist verschwunden1, ohne daß wir sie demoliert hätten, und ohne daß ich Ihnen den Grund dafür angeben könnte. Unsere Feinde haben ihre Angriffsfront verändert; sie haben einen Laufgrabenast von Schatzlar nach Schönberg vorgetrieben, und da sie durch eine lange Reihe von Erfahrungen festgestellt haben, daß die Kavallerieoffiziere sich besser auf den Festungskrieg verstehen als ihre Kollegen von der Infanterie, so haben sie das Kommando dem General de Ville anvertraut, von dem Sie haben reden hören, als er in Oberschlesien war2.
Während all dieser schönen Unternehmungen halten wir uns unbeweglich. Wenn man unsere beiden Armeen so sieht, hält man sie für gichtisch. In der Tat leiden beide Führer etwas an Gicht. Vielleicht ist das epidemisch geworden. Geht der Feldzug so weiter, dann machen Sie sich auf die Nachricht gefaßt, daß die beiden Lager festgewachsen sind. Die Sachsen werden darob wenig erbaut sein. Wie versichert wird, fouragieren und plündern die Österreicher sie aus Freundschaft und reiner Herzensgüte radikal aus. Sie tun es, weil dies nach der neuen, von Paris importierten Mode die beste Art ist, seinen Alliierten beizustehen.
Ich war der Überzeugung, unser Lager allein bediente sich der Fernrohre, habe aber gründlich umgelernt. Letzter Tage sah ich einen goldbetreßten Schwarm auf einem hohen Berge und an die hundert Fernrohre zugleich gegen uns gerichtet. Ist es nicht spaßhaft, daß Menschen, die, solange sie fern voneinander sind, nur Haß und Rache atmen und nur an die gegenseitige Vernichtung denken, sich nun betrachten und beMachten, so aufmerksam und verzückt, wie der verliebteste Tor seine Geliebte betrachtet? Sollten etwa Liebe und Haß gleiche Wirkungen zeitigen? Gewiß nicht! Wünscht der Liebhaber beim Anblick seiner Geliebten ihr eine Krone aufs Haupt zu setzen, so wünscht der Krieger beim Anblick des Feindes eine falsche Stellung oder einen Fehler benutzen zu können, Veränderungen in den Lagerstellungen zu sehen und ihre Gründe zu erraten.
Es geht das Gerücht, der Fiskal des ersten römischen Reiches3 sei in Dauns Lager eingetroffen, um ein gewisses Urteil zu vollstrecken und gewisse, mit viel Würde verbrämte Torheiten zu verkünden. Wie weiter behauptet wird, soll der Fiskal, mit einem gewissen Degen bewehrt4, an die Spitze der Grenadiere treten, um eine ge-
1 Laudon war am 22. Juli 1759 mit seinem Korps aus Lauban zur Verewigung mit den Russen aufgebrochen (vgl. Bd. IV,.S.II).
2 April und Mal 1759 (vgl. Bd. IV, S. 10).
3 Das Papsttum.
4 Vgl. S. 219.