<46> Jahre zutrug, und sogar noch etwas weiter auszuholen. Seit dem Abbruch der Bukarester Verhandlungen glaubte die Zarin, an die unbegreiflichen Heldentaten ihrer Truppen gewöhnt, den Starrsinn des Sultans durch einen neuen Sieg brechen und ihn zur Annahme der Friedensbedingungen zwingen zu können, von denen sie nicht ablassen wollte. Dabei wähnte sie, der Gewinn einer Schlacht hinge nur von einem von ihr unterzeichneten Befehl ab. Sie befahl also dem Feldmarschall Rumänzow, mit seiner Armee über die Donau zu gehen und den Feind überall anzugreifen, wo er ihn träfe. Dem Feldmarschall widerstrebte es einigermaßen, seinen Ruf durch ein so gewagtes Unternehmen aufs Spiel zu setzen, und er stellte dessen Schwierigleiten vor: die in jener Gegend eine Meile breite Donau, die Unmöglichkeit, Brücken zu Magen, die Gefahr, am anderen Ufer unter dem feindlichen Feuer zu landen. Er fügte hinzu, daß man in Rumelien keine Niederlassung fände und befürchten müsse, in die gleiche Lage zu kommen wie Peter I. am Pruth1.
Seine Vorstellungen waren umsonst. Die Kriegsraison mußte der Ungeduld der Kaiserin weichen, und Rumänzow ging mit 35 000 Mann über die Donau2. Er schlug und vernichtete ein Beobachtungskorps, das die Türken bis ans Flußufer vorgeschoben hatten, und marschierte dann auf Silistria, um es einzunehmen. Die Stadt liegt in einer Bergschlucht und ist ohne Verteidigungswerke, aber die beiderseitigen Höhen waren stark befestigt. Dort lagerten 30 000 Türken, und die Armee des Großwesirs, die auf dem Hämusgebirge stand, war nahe genug, um ihnen beizustehen. Als Feldmarschall Rumänzow vor Silistria erschien, beschloß er, die Stadt im ersten Anlauf zu nehmen. Er teilte seine Armee in mehrere Korps, teils zur Unterstützung der Batterien, die das feindliche Lager beschossen, teils zum Angriff auf die Stadt an der weitesten Stelle der Bergschlucht. Der Rest blieb als Reserve zurück, um entweder die Angriffe zu unterstützen oder den Rückzug zu decken. Die Türken griffen mit ihren Spahis die Reserve und die Korps an, die die Batterien deckten, und fielen gleichzeitig den Detachements in den Rücken, die zwar in Silistria eingedrungen waren, sich aber mit recht beträchtlichen Verlusten wieder zurückziehen mußten. Auf die Nachricht von diesen Ereignissen schickte der Großwesir rasch eine starke Abteilung in den Rücken der russischen Armee zur Besetzung eines Defilees, durch das sie marschieren mußte, um wieder an die Donau zu gelangen. Hätte er die Gelegenheit wahrgenommen, so durfte er das Heer, das er vor sich hatte, nicht entrinnen lassen. Hätte er also mit Numänzows Nachhut unverzüglich ein Arrieregardegefecht begonnen, so hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach die ganze über die Donau gegangene russische Armee vernichtet. Allein das Geschick hatte es anders beschieden. Der Großwesir blieb ruhig in seinem Lager, und Feldmarschall Rumänzow schickte auf die Meldung, daß ein türkisches Korps in seinem Rücken stände, General Weißmann mit
1 Peter I. sah sich 1711 von den Türken am Pruth eingeschlossen und zum Friedensschluß genötigt.
2 23. und 24. Juni 1773.