<53> Darauf kehrte er unverweilt nach Petersburg zurück, um über das Ergebnis seiner Sendung Bericht zu erstatten. Auch der preußische Gesandte kehrte nach Berlin zurück (Juni 1774). Wäre die russische Erklärung nachdrücklicher gewesen, so hätten die Danziger sich ihr zweifellos anbequemt. Aber Katharina ließ diesen Dorn lieber im Fuß ihres Verbündeten stecken, als daß sie ihn herauszog; denn die Streitigkeiten Preußens mit Danzig lieferten stets einen Vorwand zu Schikanen, den Rußland benutzen konnte, sobald das gute Einvernehmen beider Mächte nachließ.
Die Eintracht zwischen den beiden Kaiserinnen war noch viel mehr gestört als zwischen Preußen und Rußland. Das ewige Gezänk des russischen Hofes wegen der Grenzen der österreichischen Erwerbungen begann den Hochmut der Kaiserin-Königin zu verletzen. Zu der Zeit, wo die Gemüter sich schon ereiferten, erhielt man die Abschrift eines zwischen den Höfen von Wien und Konstantinopel unterzeichneten Vertrages vom Jahre 17711. Prinz Galizin und Baron Riedesel2 waren so geschickt gewesen, ihn sich zu verschaffen. Obwohl das Schriftstück gedruckt ist, glauben wir doch seinen Inhalt kurz wiedergeben zu müssen. Die Kaiserin-Königin verpflichtet sich —so heißt es wörtlich —, Rußland durch Unterhandlungen oder durch Waffengewalt zu zwingen, alle der Pforte abgenommenen Gebiete zurückzugeben. Dafür zahlt der Sultan ihr 10 Millionen Piaster Subsidien als Kriegsentschädigung. Ferner tritt er ihr einen Teil der Walachei und mehrere Bezirke in der Moldau ab.
Obgleich dieser Vertrag nicht ratifiziert wurde, war Fürst Kaunitz so geschickt, oder besser gesagt, spitzbübisch, seinem Hofe einen beträchtlichen Vorschuß darauf auszahlen zu lassen. Wiewohl er später den Teilungsvertrag der drei Kronen unterzeichnete, verfolgte er doch seinen Plan weiter. Er sah nichts als den Vorteil seines Hofes. Wenig zartfühlend in der Wahl seiner Mittel, hätte er gleichzeitig die Russen und Türken betrogen, und so bemerkte man auch, daß der kaiserliche Gesandte Thugut, der den verschiedenen Kongressen zwischen den kriegführenden Mächten beiwohnte, die russischen Interessen soviel wie möglich zu durchkreuzen suchte, freilich nicht geschickt genug, daß der Petersburger und Berliner Hof seine nichtswürdigen Praktiken nicht durchschaut hätten.
Sobald der Friede zwischen den Russen und Türken unterzeichnet war, ergriffen die Österreicher, gleich als ob sie ihren Vertrag mit der Pforte erfüllt hätten, ohne weiteres Besitz von den darin ausbedungenen Teilen der Moldau und Walachei3. Sie wußten wohl, daß die Pforte augenblicklich keine Macht finden würde, deren Beistand sie gegen ein so schmähliches Verfahren hätte anrufen können. Dies unredliche und doppelzüngige Benehmen des Wiener Hofes zerstörte den letzten Nest von Vertrauen, den man noch zu ihm hatte. Die Zarin Katharina und der König von Preußen waren empört darüber. Man merkte in Petersburg wohl, daß die Russen nur zum Vorteil des Wiener Hofes so viele Schlachten gewonnen und so viele Eroberungen gemacht hatten.
1 Vgl. S.29, Anm.1.
2 Der russische und der preußische Gesandte in Wien.
3 Die Besitzergreifung der Bukowina erfolgte im September 1774.